Da ich ohnehin in der Gegend zu tun hatte, holte ich Annes Auto aus der Werkstatt ab. Das passte in den Terminkalender. Freunden tut man gerne einen Gefallen. Und mit einem solchen Nobel-Kfz unterm Hintern ist Reisschüsselverblasen auf der linken Spur einfach höchst drollig.
Der Werkstattleiter bat um Geduld. Während ich Espresso schlürfte, polierte ein dienstbarer Geist das Wurzelholzinterieur auf Hochglanz und saugte die Ledersitze ab. Mit tiefem Diener überreichte er mir die Schlüssel und richtete ganz herzliche Grüße an die Fahrzeughalterin aus. Die Elektronik sei wieder picobello. Gemessen rollte ich hinfort, als sich das Navigationsgerät meldete. Mit Til Schweigers Stimme. Ästhetisch durchaus diskutierbar. Aber sicher nicht mit Anne.
„An der Kreuzung bitte links einordnen.“ Wie das? Ich wollte schnellstmöglich auf die Autobahn, also rechts ab. „Ich sagte: links einordnen.“ Die künstliche Stimme gewann an Schärfe. „Noch mal zum Mitschreiben: links einordnen!“ Was war hier los? Sitze ich in einem verzauberten Manta und weiß es nur noch nicht? Ich bog natürlich rechts ab.
„Nach links!“ Kein Problem, ich fädelte mich ja bereits in den fließenden Autobahnverkehr ein. Die Platte hatte einen Sprung. „Links!“ Mir riss der Geduldsfaden. „Gottverdammt, halt doch endlich die Plastikfresse!“ Til Schweiger konterte. „Sagen Sie mal, seit wann duzen wir uns eigentlich?“ Fast hätte ich das Steuer verrissen. Ich bremste abrupt.
„Was ist hier los?“ Die Antwort kam prompt. „Nichts ist hier los. Ich bin Ihr Navigationsgerät, und Sie ignorieren mich.“ Ha, können vor Lachen! „Ich würde Sie ja liebend gerne ignorieren, zumal ich dann endlich in Ruhe fahren könnte, weil ich nicht Ihre sinnlosen Hinweise hören muss und mich wieder auf den Verkehr konzentrieren kann!“
„Was auch besser wäre. Mir wird nämlich langsam schlecht. Bei Ihrem Fahrstil brauchen Sie keine Lebensversicherung, sondern eher einen Therapeuten.“ Moment mal! So ja nun nicht, Freundchen! „Das ist gar nicht mein Auto! Es gehört nicht mir! Das gehört einer Freundin, die damit…“ „Ich weiß“, ließ sich die Leinwandfratze vernehmen, „die damit seit fünf Jahren täglich im Schnitt siebzig Kilometer Autobahn runterreißt. Unfallfrei.“ Ja bin ich denn hier im Irrenhaus? Was ist an meinem Fahrstil auszusetzen? „Sie sind zu langsam. Sie halten den ganzen Verkehr auf.“ Gut, ich fahre nur noch 130. Mit einem Wagen, der 300 schafft. Abgeregelt. „Hören Sie mal, bin ich denn bescheuert?“ Mein elektronischer Freund wurde süffisant: „Abgesehen davon, dass Sie die Wahrheit wohl nicht vertragen würden, hielte ich es für durchaus denkbar, dass eine Antwort Sie intellektuell überfordert.“ Ich habe von älteren Damen gehört, die nach zu viel Weinbrandbohnen der felsenfesten Überzeugung waren, ihr Pudel könnte sprechen. Na warte, Du Spiegelfechter…
„Da Sie schon nicht sachlich bleiben können, wir wär’s dann mal mit ein paar Gedanken zum Schadstoffausstoß? Ich fahre 130, weil ich die Umwelt nicht mehr belasten will, als es unbedingt nötig ist.“ Der Tadel kam postwendend. „Ach, wir sind ja mal wieder ganz moralisch heute. Mal daran gedacht, dass diese Spritschleuder schon ab Werk eine Umweltsünde ist? Na? Was glauben Sie eigentlich, was so ein Luxusschlitten schon bei der Herstellung an Wasser verbraucht?“ Nicht auf dem Niveau, Du Clooney-Klon. Jetzt lasse ich Dich ins Rasiermesser laufen. „Gut, Sie sind nur ein Stück Plastikfolie, da gibt’s schon mal Kurzschluss im Kleinhirn.“ Mein Tonfall wurde leicht gehässig. „Machen Sie mich dafür verantwortlich, dass jemand anders sich einen Oberklasse-Wagen kauft? Ich hole gerade Ihr Obdach aus der Werkstatt. Ach ja, und weil wir gerade dabei sind, warum sollte ich als Umweltferkel aufs Gas treten, wenn ich damit meine Bilanz nur noch mehr ins Negative ziehe?“ „Au contraire“, replizierte der Schweiger-Chip, „Sie halten den ganzen Verkehr hinter sich auf, sind ein potenzieller Stauverursacher und damit schlicht eine Katastrophe für den Straßenverkehr.“ „Soso. Herr Logiker, das erklären Sie mir doch bitte. Ich soll rasen, damit die hinter mir auch rasen können, und dann wird aus den Auspuffgasen plötzlich Rosenduft? Hä?“ Verbissene Stille. Ich konnte fühlen, wie Til Schweigers Stirnadern anschwollen. „Ich warte.“ Hämisch ging ich vom Gas. Ließ mir bei Tempo 60 die Stinkefinger der Golffahrer gefallen, die rechts vorbeibretterten.
„Herr Schweiger, Sie machen Ihrem Namen ja mal wieder alle Ehre.“ Gut, keine Witze mit Namen – obwohl das Ding froh sein konnte, dass es nicht Kai Pflaume installiert hat – aber nach so viel Besserwisserei genoss ich es. Endlich Ruhe. Erst kurz nach der Abfahrt meldete sich das bewegte Männchen wieder. „Nächste rechts. Einordnen.“ Sind wir eingeschnappt? Geht’s auch höflich? „Hm, okay. Der Lindenweg ist zwar eine Sackgasse, aber Sie kennen sich ja aus.“ Mit sardonischem Grinsen fuhr ich links und bog nach zweihundert Metern in die Bismarckstraße ein.
Anne begrüßte mich und musterte ihren Wagen. „Immerhin haben sie ihn diesmal wenigstens gewaschen. Ich drehe noch durch! Immer geht irgendwas kaputt. Beim letzten Mal war’s das Radio – als er aus der Werkstatt kam, war die Sitzheizung im Eimer. Jetzt brauchen sie drei Tage, weil der elektrische Fensterheber spinnt. Drei Tage! Hoffentlich funktioniert der Blechhaufen diesmal ordentlich!“
Schauen wir mal.
Satzspiegel