So oft isst man ja nicht auf Firmenkosten, aber wenn mich Miehlke von der Agentur Partner Partner Friends & Partner einlädt, kann ich nicht ablehnen. Vorausgesetzt, ich habe die Wahl der Örtlichkeit. Und so musste ich mich diesmal wohl oder übel beugen, als Miehlke einen neuen Fresstempel in der Nobel-Preisklasse vorschlug. Mir schwante Schlimmes. Und wahrlich, es sollte noch schlimmer kommen.
Miehlke und ich, wir saßen vor dem Menü und suchten nach Präpositionen, um das Grauen anschaulich zu beschreiben. Ein Potpourri der Scheußlichkeiten im Dialog mit schlechtem Geschmack, hochgequirlt zu einem Crescendo von semantischem Vakuum an blassem Wasserdampf.
Eine schlechte Speisekarte ist wie der Gang zur Wahlurne. Vorher klingt noch alles vollmundig und grandios. Güldene Landschaften, blühende Berge werden dem Gast versprochen. Hinterher will’s dann keiner gewesen sein. Traurig weinen welke Strünke vom Teller, der Koch aber sagt: Wahl-Versprechen? Ich habe mich nicht versprochen. Da haben sich bloß alle verhört.
Weil wir die Speisekarte nicht verstehen. Diese Auslage zu lesen ist eine Kunstform für sich und hat mit der deutschen Sprache nur noch ganz am Tellerrand zu tun. Es klingt wie Eischnee, besteht zum überwiegenden Teil aus heißer Luft und sackt in sich zusammen, wenn man den Löffel falsch ansetzt. Der Gast ist der Dumme, und ein jüngstes Gericht folgt dem anderen.
So auch hier. Der Oberstkellner, ein schlecht gekämmter Haltungsschaden in Schürze mit einem Quartalslohn, der unserer Zeche knapp entsprach, empfahl uns arrogant die Tranche vom US-Filet mit Essiggemüse und Kartoffel-Baumkuchen. Wie ungünstig, nebenan wurde just eine dünne Scheibe toter Kuh mit Kürbiswürfeln und einem Klecks Püree aufgetischt. Wir dankten. Was nun der Menü-Majestät weder Umstand noch Beine machte: der Kunde ist König, aber regieren tut der Domestik.
Nichts gegen die gehobene Gastronomie. Nichts gegen den Kellner, der bei der Bestellung ganz unbeteiligt in die Gegend blickt und leise sagt: „Wir hätten da einen Zander auf der Karte. Allerdings erst morgen.“ Und irgendwie schafft es der Fisch dann auch auf den Tisch. Was an den Nerven sägt, ist dies „Dings an…“ und „Bums von…“ bis zum Unerträglichen und weiter. „Dialog von…“ – rhabarbert da der Spargel dem Spinat einen Blumenkohl an die Rübe? Igitt. Ich rede doch auch nicht mit vollem Mund.
Es geht damit los, dass man einfachste Zutaten bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Ein klarer Verstoß gegen Vermummungs- und Verdummungsverbot. Die Bratkartoffeln sind inzwischen durch die Bank Pommes risolées und jedwede Bohne heißt Kenia mit Vornamen. Den Unterschied zwischen Karotte ist Möhre längst erfolgreich verdrängt. Alles Quatsch mit dünner Sauce.
Da wird tomatisiert und rosmariniert, was der Pfefferstreuer hergibt (der ganz nebenbei auf den Sondermüll gehört oder noch besser gleich in die Umlaufbahn). Maggi am Salat? Nennen Sie’s halt Imaginationen von Grünzeug. Welche Tricks lassen sich Kindertellerhersteller für ihre unverbrüchlichen Schnitzel mit Erbsen und Wurzeln noch einfallen? Jungmastsauenschnitte mit grünem Hülsengemüse und blanchierten Wilddoldensprossen an tomatisiertem Invertzuckersirup?
Dieses elende Kleinklein, um groß zu tun. Kostproben gefällig? Marinierte Kohlrabistreifen (drei Kinderdaumen unter Béarnaise, und wer weiß, was eine Marinade ist und tut und soll, legt kein Gemüse hinein), frische Feigen (wer das betont, hat auch sonst genug zu verbergen), Wildlachsdukaten (wir schneiden das klein, damit wir nicht am Gehalt sparen müssen), hausgemachtes Dressing (der Rest kommt aus der Tüte), doppelte Selleriekraftbrühe (erstens ist die stets auf Knochenbasis, zweitens ist eine Kraftbrühe immer doppelt), Fächer von der Dorade (der Beikoch hat zwar ein Messer, kann die Scheiben aber nicht auf dem Teller anordnen), Wachtelbrüstchen (im Gegensatz zu Truthahnbrüstchen schon im Naturzustand en miniature, wozu noch ein Diminutiv?), Riesenraviolone (hier das umgekehrte Verbrechen, moppelnd gedoppelt), Saisonsalate (die Radieschen kommen nicht aus TK-Land), Fischpralinée (sic, genau jetzt, Maître, rächt es sich, wenn man kein Französisch kann), österreichischer Kaiserschmarrn (ich nehme sonst immer chilenischen), Composition von Nougat, Chocolade und Vanille (bitte als Kontrapunkt im Seitensatz die Reiherfeder nicht vergessen). Geht der Kellner, ist der Gast bedient.
Man sollte zurückschlagen. Man sollte den Kellnern antworten in der Sprache, die sie verstehen. Wenn sie nicht verstehen, dürfen sie ruhig nachfragen. Wir sind da nicht so. Dialog von Seelachsmatsch und Paniermehl im Altfettbratbett? Hieß früher mal Fischfrikadelle. Variationen von Jagdwurst diverser Alterungsstufen an Sauce de Mahón mit Vinaigrette-Gurkoiden und Zwiebel-Haschee? Bitte um Fleischsalat. Man will ja der Küchenhilfe an und für sich nichts Böses, aber wer diese Speisekarten schreibt, hat den Intellekt einer Tüte Paniermehl, pardon: händisch Rindengebröseltem von der hausgemachten Weizenbackwarenkrume.
Beim nächsten Mal werde ich die Karte mit einem Knall zuklappen und sagen: „Bitte ein Schnitzel, und nageln Sie’s dem Koch ans Bein.“
Satzspiegel