Ein Ficus namens Wanda

10 02 2009

So ist das mit uns netten Menschen. Wir können keinem etwas abschlagen. Tragen Tüten, stemmen Kisten, halten Türen auf, leihen Rasenmäher aus. Und gießen anderer Leute Blumen, wenn sie nicht zu Hause sind.

Um diesen leichteren Fall handelte es sich bei Sigune, meiner neuen Nachbarin. Leichter deshalb, weil sie einerseits nicht lange fort sein würde – ein Wochenend-Seminar, wie sie angab – und weil andererseits Blumengießen etwa im Gegensatz zu Nachnahmesendungen für mehrere Tausend Euro keine körperlichen Schäden hinterlässt und auch geistig weniger zehrt als das Gezänk, wer wann auf Breschkes Hund aufzupassen hat. Ich gelobte, den Schlüssel am Freitag bei ihr abzuholen.

Sie empfing mich bei Räucherstäbchenduft und indischer Musik. Der Zweitschlüssel lag auf dem Flurschränkchen. Dennoch schob sie mich in ihre Wohnung und hieß mich Platz nehmen auf dem Diwan. Die Fürsorge ihrer Pflanzen, begann sie, bedürfe einiger Erklärung. Ob ich mir das zutrauen würde? Ach doch, ja. Ich kann eine Azalee mühelos von einem Alligator unterscheiden.

Sigune teilte mir nun mit, ich müsse mit ihren Pflanzen sehr pfleglich umgehen. Ich versicherte, einige meiner besten Freunde seien Pflanzen. Was nicht einmal gelogen war, schließlich hatte ich tags zuvor einen leckeren Kartoffel-Möhren-Eintopf mit frischer Petersilie zubereitet. Unbeirrt fuhr sie fort. Ich müsse mit den Pflanzen sprechen, genauer: sie beim Wässern mit Namen anreden. Sie habe schon Klebeschildchen für mich vorbereitet.

Na großartig. Ein Ficus namens Wanda.

Sodann wies sie mich darauf hin, dass ihre Pflanzen nicht mit gewöhnlichem Wasser gegossen werden wollten – ich schätze, sie werden es ihr alle auf einem Protestmarsch durch die Küche mitgeteilt haben – sondern ausschließlich mit levitiertem Wasser. Sie hob zur Erläuterung eine Glasflasche. Informationswasser. Bei Vollmond abgefüllt.

Einen leicht verschatteten Eindruck hatte diese Frau auf mich immer schon gemacht. Allerdings hielt ich sie eher für eine Art Aushilfs-Eso von der Sorte, die gelegentlich auspendelt, ob sie in diesem Leben noch einen Sexualpartner abkriegt. Für eine harmlose Ökotrulla, die sich Weizenkleie reinpfeift und mit dynamisch gedüngten Datteln wieder abführt. Jetzt vermutete ich, das Müsli müsse sich zwischen ihren Ohren befinden. Und es waren sicher reichlich Para-Nüsse drin.

Sodann hielt sie ein Gefäß in die Höhe. Es sah aus wie eine Puppentasse. Nur wesentlich kleiner. Ausschließlich mit diesem Kännchen dürfe ich die Pflanzen gießen. Ich hätte gerne nach den Gründen gefragt, fand aber schnell die Erklärung: bestimmt existierte diese Frau nur, um sämtliche Klischees in meinem Kopf zu erfüllen. Keine Ahnung, was das für ein Seminar ist, auf dem sie sich herumtreibt. Garantiert nichts, was eine Krankenkasse bezahlt.

Um das Maß voll zu machen, zeigte sie mir einen Rührlöffel. Mit diesem, sprach sie, müsse ich das Wasser vor dem Gießen noch einmal umrühren. Sieben Umdrehungen im Uhrzeigersinn. Dann erst hätten sich die Moleküle ganzheitlich strukturiert.

Ich blickte in den mit Papierrosen und getrockneten Seesternen verzierten Spiegel an der Wohnzimmerwand. Er zeigte mir das Bild eines leicht verwirrten Mannes, dem gerade der Verstand entglitt. Im Hintergrund feixten drei Teufelchen, die abwechselnd Schilder in die Höhe hoben, auf denen ich – seitenverkehrt, so weit war ich nun doch noch nicht – Aufschriften wie Venceremos oder Willkommen in der Hölle las. Weg hier. Sonst würde ich am Abend henochische Untertitel in den Zeichentrickfilmen sehen.

Doch sie ließ nicht locker. All dies Tun sei eitel, wenn ich nicht zuvor meine negative Energie vor ihrer Etagentür gelassen hätte. Ich müsse nun also in Stille und Einkehr mein innerstes Selbst finden – ein Stündchen Sitzmeditation sei für einen Anfänger schon ausreichend – um dann die grünen Freunde liebevoll ansprechen zu können. Außerdem müsse man immer noch davon ausgehen, dass ich versehentlich meine unguten Spannungen und mein schlechtes Karma in das Informationswasser reinrührte, so dass es die Pflanzen im guten Glauben auf lauteren Nährstoff tränken. Nicht auszudenken. Aber da ich ein guter Mensch sei, das hätte ich ja bereits durch den Willen zum Blumengießen bewiesen, ließe sich das Risiko vernachlässigen.

Hoffentlich verklebt sie ihre Schränke, wenn sie geht. Nach Möglichkeit luftdicht. Ich habe keine Lust, mir von ihrem kollektiven Unbewussten ins Bein beißen zu lassen. Vermutlich zieht mich das Ding in irgendwelche morphischen Felder rein, in denen es keine Zeit mehr gibt, keine Dimensionen und keine Bleistiftanspitzer. Grauenvoll.

Ich fand mich auf dem Boden liegend wieder, keuchend und schweißnass. Glücklicherweise in meiner eigenen Wohnung. Und die Tür war zweimal umgeschlossen. Ich war frei. Sie würden mich nicht kriegen.

Übrigens habe ich ihr Gestrüpp tatsächlich gegossen. Zweimal. Schweigend. Mit normalem Leitungswasser aus meiner eigenen Plastikkanne, weil ich keinen Bock hatte, alle dreieinhalb Tropfen den Löffel in den Silberpott reinzupfriemeln. Sigune war begeistert, dass alles grünte und blühte, schöner denn je. Offensichtlich waren ihre Pflanzen von mir angetan. Weil sie endlich mal ihre Ruhe hatten.