Jedes Jahr derselbe Terror. Der Spamordner platzt aus allen Nähten, Werbung verstopft den Briefkasten, alle setzen sie mir die Knarre an die Schläfe, damit ich Konfekt und Damenunterwäsche kaufe, bis der Dispo droht. Wie mir dieses Fest der Liebe auf den Sack geht!
Nein, nicht Weihnachten. Valentinstag. Schmachten nach Zahlen. Diesen Frontalangriff auf Geld- und Herzbeutel, bei dem beides auf der Strecke bleibt. Herzklopfen auf Zuruf. Müßig zu sagen, dass Hildegard bei den ersten Parfümerie-Prospekten, die sie mit der Tagespost reintrug, einen lauernden Blick aufsetzte. Die Schlange fordert einen Liebesbeweis.
Am 14. Februar 1929 zogen ein paar Killer in Chicago Polizeiuniformen an und nieteten ihre Konkurrenten um. Auf der Flucht gewandete sich einer von ihnen schnell als Verdächtiger und wurde von den kreuzfalschen Ordnungshütern abgeführt. Niemand schöpfte Verdacht. Die Welt war wieder in Ordnung. Sie hätten sich als Einzelhandelskaufleute verkleiden sollen, denn genau so fühle ich mich: die Wächter von Liebreiz und Zärtlichkeit nehmen mich in die Mangel. Wenn ich mitspiele, darf ich bis auf weiteres überleben. „Verknallt sein“ gewinnt da eine leicht schräge Bedeutung.
Also suchte ich einen dieser Läden auf, deren Logo ganz danach aussieht, als beträte man eine Reparaturwerkstatt für Federboas. Zwei unfassbar aparte Damen kreuzten millimetergenau meinen Weg und ließen eine Duftwolke hinter sich, die bei Funkenflug zu einem Inferno geführt hätte. Ich hatte mich also doch nicht in der Tür geirrt.
Was schenkt man nun einer Frau, die, sagen wir mal, nur mühsam zu befriedigen ist? Unschlüssig stand ich zwischen zwanzig Metern Nagellack auf einer Seite und einer Kletterwand voller Lippenstift auf der anderen. Gott sei Dank sprach mich eine der Dekorationsdamen an. Zumindest sah es unter der messerrückendicht aufgetragenen Puderschicht nach Lippenbewegungen aus. Gerettet.
Mit dezenter Herablassung erkundigte sich die Parfümöse, welcher Typ denn die Dame sei. Was sollte ich antworten? Dass Hildegard unmusikalisch ist, ständig dazwischenredet und ein Besuch im Möbelmuseum mit ihr peinlich wird, da sie Barock und Bauhaus nicht unterscheiden kann? Dass sie aussieht wie die personifizierte Hungersnot mit einem Haarschnitt, für den ihr Frisör standrechtlich erschossen gehört? Oder dass ihre Qualitäten als Spaßbremse oft kopiert werden, aber noch immer als unerreicht gelten? Ich entschied mich dafür, sie als anspruchsvolle, reife Frau zu bezeichnen. Man lügt so ungern, wenn’s um das Liebste geht.
Zum Einkreisen des Zielprodukt zwang mich die Visagistin, den Hauttyp meiner Frau (ich ließ die Verkäuferin in ihrem Glauben über meinen Familienstand, um mir alle weiteren Diskussionen zu ersparen) möglichst erschöpfend zu beschreiben. Trocken, fettig, Mischhaut? Hm, nicht so leicht. Hildegard hat die Haut eines Pfirsichs. Eines siebenunddreißig Jahre alten Pfirsichs, um es genau zu sagen.
Die existenziellen Fragen drangen auf mich ein. Was kann ich wissen? Was darf ich hoffen? Und warum stehe ich hier in einem Fachgeschäft für Schönheitsbedarf, um Kosmetika für Verliebte zu kaufen? Wieso verliebt? War Hildegard etwa frisch verliebt in mich? Noch am Abend zuvor hatte sie mir resolut das Kirschwasser aus der Hand gerissen und mitgeteilt, sie gedenke nicht, mich darin zu unterstützen, wie ich die Voraussetzungen für einen jähen Herzinfarkt zu schaffen mich befleißige – sie wünschte mir jahrelanges Siechtum mit schier unerträglichen Schmerzen, irgendeinen ekelhaften Krebs und am liebsten noch Pest und Pocken dazu. Klang das frisch verliebt? Nein, eher nach einer organisch gewachsenen Zweierbeziehung.
Früher waren Frauen mit Lavendelseife zufrieden. Zum Namenstag. An Sankt Valentin gab’s maximal eine Grußkarte plus Schnittblumen. Für die Floristeninnung ein willkommener Anlass, den Preis für rote Rosen knapp zu verdreifachen und auf Bestellung struppiges Spargelkraut mit untoter Baccara-Beilage zu liefern.
Als Nothilfe reichte mir die Rougereklame das Fertigkaufangebot für vollignorante Gatten unter Zugzwang: vielfarbige Knisterfolie mit Badepillen in den Duftnoten Sanitärreiniger bis nasser Hund. Einmalig. Ich war begeistert. Erst auf dem Weg zur Kasse fiel mir ein, dass meine Mansarde zwar einen Stutzflügel und eine Luxusküche beherbergt, aber leider nur mit einer Duschwanne ausgestattet ist.
Wir fanden rasch Ersatz. Ich nahm das Tiegelchen zur Hand und kramte die Brille aus der Anzugtasche. Aufbaustoffe auf reiner Paraffinbasis, neue Beauty-Shine-Formel mit polyzyklischen Kohlenwasserstoffen, Phthalsäureester in siebzehn Trendfarben, Vasenol, Bisabolol, 1-Octen-3-ol, diverse anorganische Säuren sowie eine Überdosis Ylang-Ylang. Das musste einfach gut sein. Meine Hemmschwelle sank ins Bodenlose, als ich auf der Vorderseite Revitalizing Sensitive Satin Maximum Moisturizer Creamy Look Gloss las. Das mit dem Sensitiven glaubte ich zwar nicht – Hildegard gehörte zu der Sorte Frau, die auch beim Trauergottesdienst noch über schlecht gefeudelte Kirchenböden mosert – aber etwas Revitalisierung kann nie schaden. Möglich, dass sich meine Liebste in ihrer nächsten Inkarnation in ein anmutiges Frauenzimmer verwandelt.
Übrigens besteht Hildegard auf getrennte Betten, seitdem ich ihr Handcreme geschenkt habe.
Satzspiegel