Schnitzeljagd

18 02 2009

Der Anruf von Rolf versetzte mich in Hochstimmung. Drei Jahre war es wohl her, dass wir uns nicht gesehen hatten. Rolf ist ein alter Studienfreund, den es tief in den Süden verschlagen hat. Da er bei einer meiner Abendgesellschaften Hanne kennen und lieben gelernt und sie alsbald geheiratet hatten, verknüpften uns freundschaftliche Bande. Dass wir einander kaum noch sehen, macht jeden ihrer Besuche nur um so schöner.

In groben Zügen entwarf ich ein Programm, um ihnen den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu gestalten. Zunächst eine Marschroute durch die Innenstadt, wo fast täglich Ecken aus dem Boden wachsen, deren Neubauschrott man keinem mehr zeigen kann. Dann buchte ich ein Hotelzimmer. Und sah mich nach einem geeigneten Ort für ein festliches Abendessen um.

Nun ist es keine Schwierigkeit, in deutschen Restaurants gut zu essen, auch und gerade im Verein lieber Freunde. Doch Hanne und Rolf haben zwei Kinder, acht und sieben Jahre alt, die bei Schnitzel und ähnlichem Gedöns gnatschig werden und den Aufstand proben. Bei Fritten mit Majo würden sie das Mobiliar in handliche Einzelteile zerlegen und das Personal mit dem Vorlegebesteck bewerfen. Sie sind, man kann es nicht verleugnen, verantwortungsvoll erzogen worden.

Denn sie setzen sich gegen etwas zur Wehr, was Generationen deutscher Esser im vorpubertären Alter traumatisiert und zu seelenlosen Schluckern abgerichtet hat. Das Schnitzelchen mit Erbsen, Möhren und Pommes. Hunderttausendmal am Tag knallen deutsche Köche so einfalls- wie mitleidlos ihr Schrumpelmastfleisch in die Pfanne, klatschen breiiges Einheitsgemüse daneben und füllen die Lücken auf dem so genannten Kinderteller mit Altfettbolzen. Man möchte am liebsten den Finger in den Hals stecken. Optisch würde es über diesem Nationalsymbol für Faul- und Grauenseuche nicht groß auffallen.

Fresspäpste, Wolfram Siebeck immer vorneweg, stimmen allesamt die auf dem Wachteleierschneider begleitete Trauerode an auf des Essers Dödeligkeit, auf dumpfe Genussunlust und mangelnden Drang nach Qualität statt Sättigungsstreben. Woher soll denn auch so ein Dreikäsehoch, neugierig und weltoffen, kapieren, wie Schalotten, Blattspinat oder Kartoffelpuffer mit Sauerrahm und Forelle schmecken, wenn er bis zum Kotzen mit Fabriksau plus Matschfutter gestopft wird? Das ist schwarze Pädagogik und dämlich dazu. Denn man verprellt den Nachwuchs, der allenfalls auf Rostbratwurst umsteigt und eine Pâté de campagne für einen Akt von Vaterlandsverrat hält. Meine Mission war also, innerhalb einer Woche eine Gaststätte ausfindig zu machen, in der die beiden Kinder nicht schlechter verköstigt würden als ihre Eltern. Hätte ich es doch bloß gelassen.

Die Lokalitäten zerfallen in zwei Klassen. Die erste ist leicht auszumachen. Sie umfasst jene Abfallverwertungsanstalten, in denen man sich höchstens für die Namensgebung auf Schnitzeljagd begeben hat. Bald heißt das Zeug nach Micky Maus, nach Fix und Foxi, bald – da hätte ich mir wenigstens Wildschwein gewünscht – Asterix und Obelix. Besonders beliebt, symptomatisch und der Chartbreaker unter den Schnitzeln ist das Modell Max und Moritz. Symptomatisch, weil es zur schwarzen Pädagogik passt – das Gör hat gefälligst den Teller leer zu essen, oder es gibt was hinter die Löffel. Köche, die mit Schweinetellern den Namen des Vegetariers Wilhelm Busch vor die Säue werfen, sollte man durch die Schrotmühle drehen und das Ergebnis dem Federvieh vorsetzen. Wie einstmals Buschs juvenile Anarchos.

Widerlicher scheint mir die zweite Hälfte, die schon dazu übergeht, die im Elternhaus eingeübten Fertigmampfrituale für teuer Geld zu verkaufen. Es gibt hier Spaghetti mit Tomatensauce – ganz sicher keins von beiden hausgemacht – und, tatsächlich: Fischstäbchen. Fangabfälle in Panadenpappe. Gottlob, dass ich nirgends Käpt’n Blaubär auf der Karte entdecken musste. Ich hätte sofort den Anwalt von Walter Moers in die Küche beordert. Mit der Harpune als Gastgeschenk.

Und doch wurde ich fündig. Nach endlosen Aufenthalten auf Parkbänken, wo ich mit Kräuterbitter und Bauchatmung der Magensäure Herr wurde, verlief ich mich in ein gutes, in ein feines Restaurant, dessen Speisekarte mir zusagte. Kalbsschnitzel und Steinbutt und Rinderfilet, eins klang appetitlicher als das andere. Selbst der treudeutsche Schweinsbraten ließ sich von Apfelrotkraut mit Backpflaumen und Gewürzknödeln auf den Teller begleiten.

Um die Chancen für eine Tischreservierung auszuloten, fragte ich den Kellner, wie man Kinder in diesem Haus bewirte. Seine Antwort war kurz, aber erschöpfend. Man serviere eben alles als halbe Portion. Von der Pastinakensuppe bis zum Wildragout. Nicht nur Familien mit Kindern komme das gelegen, auch die älteren Gäste seien von der Portionsgröße recht angetan.

Mein Entschluss stand fest. Schon wollte ich einen Tisch für drei ganze und zwei halbe Portionen bestellen, da fiel mein Blick auf den unteren Rand des Menüs. Kurz vor Schluss, an den Katzentisch der Speisekarte gequetscht, da lauerte es. Das Schnitzelchen. Mit Erbsen, Möhren und Pommes. Der Kellner schaute verlegen zu Boden. „Naja, Sie wissen doch… es gibt leider Eltern, die ihren Kindern nichts Gutes gönnen.“