Bereits nach dreißig Minuten hatte ich den Automaten gefunden und zog eine Nummer. Noch am selben Nachmittag wurde ich aufgerufen und legte meine nunmehr vollständigen Unterlagen auf den Schreibtisch des Beamten. Er musterte sie kurz, reichte sie mir zurück und wollte schon den Knopf drücken, der den nächsten Bittsteller beordern würde, doch ich hielt ihn davon ab. Er stutzte.
„Sagen Sie mal“, fragte er mich fassungslos, „sind Sie noch ganz dicht? Was wollen Sie?“ Meine Antwort kam wie aus der Pistole geschossen. „Ich will eine Glühlampe betreiben, das heißt vielmehr, ich bin durch die Brandschutzverordnung dazu gezwungen.“ „Ja also, und warum haben Sie dann die Anlage F44/3b-1 nicht beigefügt?“ Aus dem Haufen rosa, blau und gelb gefärbter Zettel zog ich das hellgraue Formular, das mich berechtigte, einen Antrag auf Erteilung eines Antrags zum Betreiben einer Glühlampe zu stellen.
Er wurde ein bisschen milder. „Ich bitte um Entschuldigung. Ich sitze jetzt zwar schon fünf Jahre im Amt für Leuchtmittelsicherheit, aber bis jetzt hatte ich noch nie einen vollständigen Antrag auf dem Tisch. Das ist für mich auch Neuland.“ Wir überlegten gemeinsam, wie nun zu verfahren war. „Mir ist noch nicht ganz klar, ob Sie erst die Beglaubigung der Brandschutzbehörde beibringen oder die Leuchtmittelbewilligung dort vorlegen müssen, um die Glühlampe zu betreiben.“ Ich wies ihn nochmals darauf hin, dass die Angelegenheit dringend sei; bei Zuwiderhandlung, das heißt bei weiterer Verwendung einer Energiesparlampe, drohten mir inzwischen 475 Jahre und zwei Monate Haft, von der Strafe über 6,31 € ganz abgesehen.
„Herr, ich mache doch diese Gesetze nicht“, stöhnte der Amtmann, „ich verstehe das ja noch nicht einmal.“ Mit einem wirren Blick sah er mich an. „Wenn Sie versprechen, dass Sie es niemandem verraten…“ Ich schwieg wie ein Grab.
„Sie ahnen es nicht. Nichts davon. Es ist eine Verschwörung. Es sind die Illuminaten.“ Ja, darauf hätte man auch von selbst kommen können.
„Es ist ein Komplott. Natürlich die Wirtschaft.“ Ich fragte ihn, ob die Leuchtmittelindustrie der EU nicht bereits genug an der Umrüstung verdiene. Auch dies rang ihm einen müden Gesichtsausdruck ab. „Doch nicht die EU. Das Zeug wird in China hergestellt. Nur für den Export übrigens. In China verpufft die Energie lustig vor sich hin, die Kraftwerke verpesten die Luft, und keiner regt sich auf. Und dann die Zölle.“ Die Zölle? „Natürlich die Zölle. Wenn Sie alles durchkalkulieren, könnten Sie eine Energiesparlampe für 50 Cent anbieten. Im Endpreis! Wissen Sie, was daran der Zoll verdient? Die Steuer? Dagegen sind Alkohol, Tabak und Sprit steuertechnisch Kinkerlitzchen!“
So hatte ich das noch nicht gesehen. Bei Licht betrachtet hatte er durchaus Recht.
„Wir werden bald eine Birnen-Szene hinter dem Bahnhof haben. Warten Sie’s ab! Die Ware ist da. Sie darf nur nicht an Privathaushalte abgegeben werden.“ Ich fragte, wer denn die verbotenen Lampen herstelle. „Wer wohl? Die EU-Industrie. Sogar die Lebensdauer von Ewigkeitsglühlampen wurde drastisch gesenkt.“ Ich vermutete, dass es sich dabei um den Ausgleich für die erheblich längere Lebensdauer der Sparbirnen handelte, doch auch da lag ich falsch. „Die Sparfunzeln sind doch ein Riesengewinn für die Hersteller. Alles lässt sich einstellen, auch die Lebensdauer dieser Dinger. Sie werden nicht nur künstlich verteuert, nein, sie haben proportional auf den Preis gerechnet sogar eine niedrigere Lebensdauer! Keine Sparwendel wird sich je amortisieren!“ Ich gab zu bedenken, dass der Stromverbrauch doch beim Sparen helfe. „Gut, wenn der Strompreis gleich bleiben würde… aber das wollen wir doch mal nicht annehmen.“ Ich war verwirrt. „Natürlich werden die Stromerzeuger es als billige Ausrede nehmen, um die Preise zu vervielfachen. Schließlich sinkt der Verbrauch.“ „Aber die Ewigkeitsglühlampe…“ „… ist auch aus dem Rennen. Sie stützt den Stromverbrauch, dennoch ist sie in der Produktion zu teuer.“
„Aber wenn man an die Umwelt denkt, so…“ Er brach in sardonisches Gelächter aus. „Die Umwelt! Was für ein köstlicher Witz! Die Umwelt!“ Seine Augen tränten, er verschluckte sich und hustete. „Wenn sie etwas gegen den Kohlendioxidausstoß unternehmen wollten, würden sie regenerative Energien fördern oder die Schwellenländer unter Druck setzen. Sie würden alles konsequent auf Leuchtdioden umstellen. Sie würden aufhören, den Regenwald abzuholzen. Und sie würden nicht den Schadstoffausstoß durch Energiesparleuchten ankurbeln.“ Ich blickte ihn fragend an. „Ja, Sie haben richtig gehört. Die Recycling-Industrie verdient sich dumm und dämlich an den Sparglimmern. Wissen Sie, was das ist? Gift! Pures Gift!“ Er zog ein Papier aus der Schublade. „Antimon, Arsen, Barium, Blei, Quecksilber, Thorium, Yttrium, Zink-Beryllium-Silikate, Cadmiumbromide, Phosphor- und Vanadiumverbindungen, kurz: Sondermüll. Tonnenweise. Was, meinen Sie, verdient die Schadstoffmafia, wenn sie das sammelt“ – er legte den Finger unters Auge – „und dann in Zentralafrika versehentlich mit dem Zeugs aus den Gelben Säcken verbuddelt!“
Ich schluckte trocken. Mir war heiß. Ich fühlte nach meiner Stirn. „Sie haben doch nicht etwa Kopfweh“, fragte er mich mitfühlend, „oder leiden Sie unter Migräne?“ Ich gab zu, seit früher Kindheit Anfälle von Spannungskopfschmerz zu haben. „Tja, damit ist es nun vorbei. Also nicht mit der Migräne, sondern mit den Leistungen der Krankenversicherungen für Migränepatienten.“ Das wollte ich nicht hinnehmen. Schließlich war längst wissenschaftlich erwiesen, dass Energiesparlampen wegen ihrer Farbtemperatur sogar epileptische Anfälle auszulösen vermochten. „Und hier“, ergänzte er, „setzt die nächste Gesundheitsreform an: wenn Sie, Gott behüte, Epileptiker sind, wird man Ihnen eine Mitschuld anlasten, weil Sie sich ständig dem Energiesparlicht ausgesetzt haben. Ihre Medikamente werden Sie in Zukunft selbst zahlen müssen. Die Preispolitik der Pharmakonzerne werden Sie ja sicher noch in guter Erinnerung haben von ihren Bemühungen, AIDS auszurotten.“
Mir schwanden die Sinne. Abgründe taten sich auf, in denen sich Abgründe auftaten.
Er zog vorsichtig die Schublade auf und reichte mir einen Karton. Darin steckte eine fabrikneue Glühlampe. Klarglas, 40 Watt. Im Innern zitterte ein intakter Wolframfaden. Unglaublich.
„Schrauben Sie die in Ihrem Hausflur ein. Das ist unser Erkennungszeichen. Sie sind doch dabei, wenn wir putschen?“ Er legte mir die Hand auf die Schulter. „Wir werden das nicht hinnehmen! Es ist unsere heilige Pflicht“, flüsterte er, „die Illuminaten zu bekämpfen! Kommen Sie morgen um Mitternacht zur Alten Oper. Kommen Sie allein! Parole: Uri!“ Ich glaubte, ihn missverstanden zu haben. Was hatte Uri Geller damit zu tun? „Nicht der Geller“, wisperte er heiser in mein Ohr, „wir sind der elektrische Widerstand!“
Nachdem meine Rente dereinst gerade die Kontoführungsgebühren wird abdecken können, werde ich mich nun doch dem händeringend von mir erwarteten sozialverträglichen Frühableben durch Sprung von einer Brücke verweigern, mir beizeiten einen Vorrat an Glühbirnen anlegen und im Alter hinter dem Bahnhof damit dealen.
Aber vermutlich wird die Leuchtmittelindustrie bis dahin ein Bataillon Lobby-Lichtschranzen in die Politik eingeschleust haben und über dunkle Wege dort, wo die Sonne nie hinkommt, an das Copyright am Licht gekommen sein, und ich werde eines Tages wegen Lichtpiraterie an einer Straßenlaterne baumelnd im Halogenschein enden.
Finstere Aussichten.
Und dann kann uns immer noch passieren, dass Microsoft flächendeckende Dunkelheit zum Systemstandard erklärt.
Spätestens 2013 wird es eine Kommission in Brüssel geben, die die wissenschaftlichen Zusammenhänge erforscht. Die Energiekonzerne werden sich mit 150.000 Euro an der Studie beteiligen. Die übrigen 94 Millionen Euro werden mit freundlicher Unterstützung des Steuerzahlers finanziert.
Irgendwie erinnert mich das alles an die Rauchmelderpflicht, die es in einigen Bundesdländern bereits gibt.
Unsere Hausgemeinschaft beschloß – man lebt ja schließlich nicht auf dem Mond – auf Empfehlung der Hausverwaltung, sich ebenfalls solche Dinger anzuschaffen.
Nun sehe ich durchaus ein gewisses Grundrisiko. Vor ein paar Jahren zum Beispiel legte ein Ameisenstaat eine Straße von meiner dicht bewaldeten Dachterrasse direkt zu einer Steckdosenleiste in meinem Wohnzimmer an und beschloß tollkühn, in dieser eine Kolonie zu gründen. Irgendeine Ameise tat darin dann einen unbedachten Schritt, der, noch ehe die Sicherung rausflog, auf der Stelle mehrere tausend Ameisen das Leben kostete.
Gefährliche kleine Kinder gibt es bei uns nicht und außer mir auch nur noch einen gefährlichen Raucher, aber dafür sehr, sehr viele Menschen in einem Alter, in dem man bereits zu Lebzeiten seine Ewige Ruhe will und sich in ihr und sich im Gedenken seiner selbst allnachmittäg-und-abendlich ein Kerzlein anzündet.
So stimmte ich denn gerne einer Anschaffung zu. Jedoch: Keine der alten Herrschaften wollte so ein Teufelszeug in der eigenen Wohnung. Man beschloß mehrheitlich lediglich, ein Dutzend dieser Apparate im gesamten Treppenhaus zu verteilen, in denen sich außer den Fußmatten nichts, absolut nichts Brennbares befindet. Bis Rauch aus der Wohnungstür einer unter mir brennenden Wohnung in den Hausflur dringt, kann ich auf meinem Fußboden Spiegeleier braten. Doch alle ignorierten meinen Einwand, gingen nach Hause und begannen, ich weiß es genau, mit Messern, Scheren und Streichhölzern zu hantieren.
Vielleicht gibt es ja auch Rauchmelder ohne Fußmatten…
Realsatire gefällig? Im Treppenhaus dieser Immobilie, in der ich mein (sagen wir mal) aufregendes Dasein friste, wurden auf Geheiß irgendeiner kafkaesken Verordnung Rauchmelder angebracht. Einer dieser Apparate, und zwar der im Eingangsbereich, begann gleich am ersten Tag bei jeder Erschütterung zu fiepen. Ordnungsgemäß laut. Und natürlich bei jeder Erschütterung – für Büroräume mit Kundenverkehr im Erdgeschoss bedeutet das Spaß ohne Ende. Irgendwann reagierte das Ding auch auf kleinere seismische Auflösungen, und leichtes Zittern tritt schnell mal auf, wenn man an einer Hauptverkehrsstraße wohnt… Nach mehreren Reparaturversuchen (ca. je drei Wochen zwischen Reklamation und Reparaturdurchgang) erhielt ich dann telefonisch den Rat, die Batterie tagsüber aus dem Rauchmelder zu entfernen.
Immerhin, ich schlafe seither wieder wie in Abrahams Schoß. An der Decke hängt ein Käseschachteläquivalent. Sollte es also nachts in diesem Büro brennen, so werde ich wenigstens nicht durch Gefiepe aus meinen Träumen gerissen.
Und irgendwo muss hier auch eine versteckte Kamera hängen. Streng nach Vorschrift.
Gerade wollte ich noch nachtragen, daß mit diesem Beitrag wohl Kafka Tribut gezollt wurde… 😉
Wer ist wohl als nächster dran?
Ich bin leider im Moment so völlig ideenlos und habe keinen Vorschlag mehr. Ärgerlicherweise kann ich mit Türen ganz gut umgehen. Meine Schwäche sind Wendeltreppen, aber in meiner jetzigen Wohnung gibt’s leider keine. Seit ein paar Wochen bin ich auch nicht mehr mit dem Schienbein am Bettpfosten hängengeblieben, obwohl ich rechts noch eine kleine Stelle direkt unterhalb des Knies hätte, an der Originalhaut durchschimmert.
Ah, ich glaube, ich habe da einen skurrilen Gedanken. Die Wendeltreppe. Mal sehen, was die nächsten Nächte unter Schlafentzug ergeben 😀
In der Nacht nach meinem Einzug in meine erste Wohnung bin ich (ich zähle grundsätzlich alles) 180mal diese Wendeltreppe rauf und runter, was, wie ich damals überschlug, mehr als der Höhe des Empire State Buildings entsprach, und es ist NICHTS passiert. In den folgenden fünf Jahren bin ich mindestens 20mal diese Treppe heruntergesegelt, einmal direkt in den Kleiderschrank am Fuße dieser Treppe, in dem ich dann auch die Nacht verbrachte, da ich mich nicht mehr rühren konnte und vor allem auch nicht wollte. Ich kann gelegentlich recht sauer werden…