Auferstanden aus Ruinen

9 03 2009

„Ausweis!“ Ich war doch ein wenig verwundert, als mich der Posten anschnauzte. „Ihren Ausweis! Sie dürfen den Kreis nur mit gültigen Ausweispapieren betreten! Geben Sie mir jetzt Ihren Ausweis, oder ich werde Sie…“ „Lassen Sie gut sein“, besänftigte ihn Kügel, „der Herr ist auf persönliche Einladung hier.“ Ruckartig riss der Soldat die Knochen zusammen und ließ die Hacken aneinander krachen. „Die Deutsche Demokratische Republik begrüßt den Gast aus dem sozialistischen Brudervolk! Freundschaft!“ Er schrie mich an, dass ich mir die Brille putzen musste. „Sehen Sie“, sagte Kügel, „bei uns bekommen Sie nur erste Wahl. Wir haben die beste Original-DDR. Erstklassig geschultes Personal, täuschend ähnlich!“ Ich hatte es geahnt. Wer fließend Döschemokraschereblik aussprechen kann, hatte langes Training genossen.

Während mir Kügel aus dem Mantel half, entschuldigte er sich nochmals. „Breinicke war Politoffizier. Studium des Marxismus-Leninismus in Moskau. Mit so einem Dachschaden ist man fürs normale Arbeitsleben nicht mehr zu gebrauchen. Aber im Club ist er Gold wert.“ Und wir traten gemeinsam in die Ferienanlage.

Seltsam kostümierte Gestalten schwangen die Hacken. Kügel erklärte: „Unser Frühsport. Das Wachregiment Margot Honecker paradiert vor dem Mahnmal für die Opfer des Kapitalismus.“ Fasziniert sah ich, wie die Männer im Stechschritt schwitzten. Ein Rotgesichtiger kreischte unverständliche Befehle über den Platz. „Und dafür zahlen die Leute?“ „Aber ja doch“, gab Kügel zurück, „der Oberst hier könnte für den Preis doppelt so lang im Fünf-Sterne-Hotel absteigen. Denken Sie daran, wir haben deutsche Gäste. Die einen wollen herrschen, die anderen…“ Eine laute Diskussion in unserem Rücken unterbrach uns. Ich wandte mich um und erblickte die Kaufhalle. „Wo war ich? Richtig, der Masochismus. Schauen Sie sich das in aller Ruhe an.“ Die Verkäuferin knurrte den Kunden an. „Wenn’s dem Herrn hier nicht passt, kann er ja gerne in den Delikat-Laden gehen. Oder machen Sie gleich rüber zum Klassenfeind.“ Der Kunde beschwerte sich weiter, nicht ganz ohne Grund. Versprachen Reklame und Regalaufschriften Nudossi, Creck und Röstfein-Kaffee, so waren in der Kaufhalle bis auf vereinzelte Spreewaldgurken nur Zitronen zu finden. „Ich will jetzt mein Malfabrot!“ Schon packte mich die Verkäuferin an Rockaufschlag. „Guck mal an, aus dem Exquisit ist das aber nicht. Sie kommen doch von drüben? Ich kenne Sie doch – klar kenne ich Sie! Sie sind doch ein Republikflüchtling! Sie sind zurückgekommen, um Boykotthetze zu betreiben!“ Sie drückte dem Kunden ein Glas Spreewaldgurken in die Hand und schob ihn raus. „Wissen Sie, zum Spaß macht das unsereins ja nicht. Aber was soll man machen, wenn die Waren täglicher Bedarf nicht geliefert werden?“ Sie seufzte. „Ach Gott, ja. Westkontakte müsste man haben.“ Wir gingen weiter.

Ein Trupp von Rentnern marschierte mit der Hammer-und-Zirkel-Fahne über die Straße. „Arbeit und Brot für alle“, krähten sie, „Freundschaft mit Mosambik!“ Ein wenig komisch sahen sie schon aus in ihren zu kurzen Blauhemden. „Allzeit bereit!“ Ich trat einem von ihnen in den Weg. „Sagen Sie mal, Sie sind doch… Egon Krenz?“ Er wandte sich und den Hals. „Ich war das nicht! Pionierehrenwort!“ Und marschierte fort.

„Jaja, der Krenz. Mauerschützen abrichten, Wahlen fälschen, und dann war er das alles nicht. Dass ich nicht lache!“ Der Mann bot mir eine Cabinet Würzig an. „Kann ich offen mit Ihnen reden?“ „Aber ja“, antwortete er, „wir sind doch ein freies, demokratisches Land?“ Der sarkastische Unterton machte mich stutzig. Kügel kam mir zur Hilfe. „Der Herr ist offizieller Besuch, Sie können ruhig die Wahrheit sagen.“ Er hustete und klärte mich auf. „Blecker mein Name. Oder IM Vögelchen. Ich werde regelmäßig von den MfS-Offizieren ein bisschen verhört und horche dann selbst ein bisschen, indem ich die Staatsbürger, sagen wir mal: auf Probleme anspreche.“ Also eine Art Doppelagent? „Kann man so sagen. Außerdem kann ich so meiner sozialistischen Gesinnung treu bleiben.“ Ich fragte, ob er gelernter DDR-Bürger sei. „Bin ich bescheuert? Ich habe mein Leben lang in Hamburg gewohnt!“

„Sie müssen nach der Reise bestimmt hungrig sein. Kommen Sie, wir wollen eine Kleinigkeit essen. Ich lade Sie ein.“ Und schon betraten wir das Wandlitzer Schlemmerstübchen. An der Stirnseite des leeren Speisesaals genoss man einen reizenden Ausblick auf die gepflegten Gärten. Also platzierte uns die Kellnerin an einem Tischchen neben der Küchentür. Das Menü war reichhaltig. Allerdings währte meine Freude nicht lange. Ob ich Kochklops oder Rostbrätl, Soljanka oder Goldbroiler wählte, die Abschnittsbevollmächtigte der Wurtscheiben stierte an mir vorbei und gab stets nur ein muffiges „Is aus“ von sich. Auch bei Karlsbader Schnitte oder Würzfleisch war mir kein Erfolg beschieden. So fragte ich denn, was überhaupt noch vorhanden sei. Das Jägerschnitzel, eine daumendick panierte Jadgwurstscheibe, die breiigen Nudeln und die pappig süße Tomatensauce fanden wir unter einem Haufen faden Rotkrauts. Ich war begeistert. Das war wirklich lebensecht.

Kügel prostete mir mit dem Weißburgunder von der Unstrut zu. „Sie sehen, die Sache ist ein voller Erfolg. Wir werden unser Marketing jetzt auf die alten Bundesländer ausdehnen. Warten Sie es ab, dann sind wir in einem Jahr der beste Ferienclub im ganzen Land!“ Warum die Wessis? „Sehen Sie, so muss man das machen mit dem Sozialismus. Wenn man erst mal begriffen hat, dass er vollkommen sinnlos ist, hat man Spaß an der Fassade.“