Höhenflüge

11 03 2009

Die Nachricht schlug ein wie eine Bombe. Die große deutsche Illustrierte jetzt hatte zur Pressekonferenz geladen. Alle waren sie dem Ruf gefolgt. Die geheimnisvolle Botschaft, die sich von Journalistenmund zu Journalistenohr fortpflanzte, hatte ihres getan: die politische Nachkriegsgeschichte Deutschlands müsse völlig neu geschrieben werden.

In Siegerpose ließ sich Herbert Zwiegelstein ablichten. In Siegerpose sowie mit einem der ersten Bände. Die Tagebücher des Jürgen W. Möllemann waren gefunden worden – endlich!

Im jetzt-Haus wurde eilig ein Spezialtresor angeschafft, um die Überreste des Fallschirms aufzubewahren, die der Club aus Marl gegen die geringe Summe von 750.000 Euro veräußert hatte. Man wolle, so Zwiegelstein, vorerst nicht der Errichtung eines Möllemann-Mausoleums Vorschub leisten. Das leicht lädierte Sportgerät solle nur für spätere Verwendungszwecke sicher verwahrt werden.

Die ersten Veröffentlichungen des Diariums wurden mit Spannung erwartet. Und tatsächlich, das Warten hatte sich gelohnt. Die Notate übertrafen die kühnsten Erwartungen. Die Freidemokraten bemühten sich verzweifelt um Schadensbegrenzung. Wenigstens in Nordrhein-Westfalen. Das Publikum verschlang die Notizen des Riesenstaatsmanns.

„Neuen Deal angestoßen. Tolle Sache. Diese Dinger, mit denen man Einkaufswagen von der Kette lässt. Gut fürs Konsumklima! Werde das Produkt dem Landesvorstand für den Wahlkampf vorschlagen!“

„Schon wieder die Araber. Verdammt, muss man denn alles selbst machen? Ich habe eben keinen Waffenschein! Hirnloses Volk!“

„Heute grandiosen Einfall gehabt. Projekt 18. Treffen mit Neonazis brachte mich auf 18 wegen Buchstabenkombination AH. Wäre gelacht, wenn ich meine Parteikollegen nicht für die nationale Sache begeistern könnte!“

„Glückwunschkarte von der Landsmannschaft der Palästinenser. Soll beim Vertriebenentreffen sprechen. Mal sehen, was der Spiegel dazu sagt.“

„Westerwelle gegen Projekt 18. Meint, er würde lieber noch nicht erwachsen werden. Ich hatte es ja gleich gewusst.“

„Freidemokraten entsetzt wegen Spiegel-Interview. Wusste doch gleich, dass der Friedman dahintersteckt.“

„Die zionistische Lobby hat sich gegen mich verschworen. Keiner kauft mehr Einkaufschips. Ob drei Mark fünfzig zu teuer sind?“

„Schlechte Wahlprognosen. Westerwelle sieht die FDP im freien Fall. Verdammt, es liegt jetzt an mir! Ich muss sie einholen!“

„Das dritte Schaf in zwei Wochen. Die Palästinenser gehen mir langsam auf die Nerven mit ihren Gastgeschenken. Werde ihnen demnächst Einkaufschips in Panzerform mitbringen.“

„Immer noch schlechte Prognosen. Genscher sagt, die Partei muss sich erneuern. Schlägt vor, Westerwelle als Führungsfigur aufzubauen. Das ist nicht gerecht! Ich bin schließlich der Springinsfeld der FDP!“

„Alle zurückgetreten! Alle!“

„Wieder mit Westerwelle telefoniert. Er denkt bereits konkret über seine Kanzlerschaft nach. Will mich aber nicht als Außenminister im Kabinett haben. Ich bin am Boden zerschmettert!“

„Alle sagen, es gibt genügend Feinde. Man muss sie nur entdecken. Aber warum hat sich der Friedman seit Tagen nicht gemeldet? Wittere jüdische Weltverschwörung. Abends mit der Landsmannschaft der Palästinenser gefeiert. Gastgeschenke. Was soll ich mit einem Schaf?“

„Osterkarten von Westerwelle, Gerhardt und Pieper im Briefkasten gefunden. Ungeöffnet zurückgeschickt.“

„Der Mossad geht mir gewaltig auf den Sack. Sollen selbst sehen, wie sie Scharon absägen. Ich opfere mich gerne, aber was zu weit geht, geht zu weit. Außerdem reicht mir ein Schaf als Honorar nicht aus.“

„Wieder Ärger mit Friedman. Hat anscheinend hinter meinem Rücken mit Westerwelle gesprochen. Jetzt muss ich den Wahlkampf alleine organisieren. Luftwiderstand braucht Fantasie.“

„Spiegel will mein Interview nun doch nicht drucken. Ich bin platt.“

„Karsli hat mir gesteckt, Friedman will heiraten. Ich kann doch wegen einer Frauengeschichte nicht auf einen meiner besten Männer verzichten!“

„Palästinensertreffen. Karsli bringt ein Schaf mit. Teilt mir mit, er hat Friedman und Westerwelle verwechselt. Auch sind nun meine privaten Kassen leer.“

„Westerwelle macht’s wohl doch nicht. Wer wird jetzt Kanzler? Soll ich für ihn einspringen?“

„Der Mossad setzt mich unter Druck. Sie wollen Westerwelle outen. Schrecklich. Was soll ich dann den Palästinensern erzählen?“

„Möllemobil nicht wie vereinbart geliefert. Das ist kein Spaß mehr!“

„Jetzt ist es raus. Westerwelle will nicht nur Kanzler werden, er will auch den Parteivorsitz. Karsli hat’s herausgefunden. Ich bin aus allen Wolken gefallen.“

„Die Pieper lässt mich hängen. Wenn alle Stricke reißen, kann ich immer noch zu den Palästinensern. Notfalls schenke ich ihnen die Schafe.“

„Mit Karsli Urlaubsreise geplant. Luxemburg, Spanien oder Liechtenstein im Gespräch. Landsmannschaft schlägt mir Jordanien vor. Könnte ein Praktikum als Selbstmordattentäter absolvieren. Würde meine Popularität in Nordrhein-Westfalen sprunghaft steigern.“

„Die Zeiten werden schwerer. Man muss immer einmal mehr aufstehen, als man hinfällt.“

„Sie werfen mir mangelnde Bodenhaftung vor! Ausgerechnet ich! Intrigantes Schwein! Ich fürchte, dass kaum jemand den Antisemiten, die es in Deutschland gibt, mehr Zulauf verschafft hat als sie mit ihrer intoleranten und gehässigen Art! Und meine Schafe wollen sie mir auch wegnehmen! Alle! Was bleibt mir denn noch zu tun?“

„Vorbei. Scheißspiel. Heute mache ich meinen Einzelstern.“