„So, Krötzke, dann zeigen Sie mal.“ Zack klappte das Notebook auf. Der graublaue Monitor zeigte eine kreiselnde Sanduhr. Das Spiel lud und lud. Nichts tat sich. Aber Posauke war das gewohnt. Die ersten Versionen waren selten ausgereift.
„Eigentlich müssen wir uns langsam Gedanken machen über die internationalen Verträge. Osterloh, die Zahlen. Haben wir irgendwas mit Nordkorea auf Lager? Die Amis fragen ständig nach. Das mit der Atomwaffensuche im Iran war ja nicht so gut gelaufen.“ Osterloh suchte in den Unterlagen und schob die richtigen Blätter über den Tisch. „Wir hatten da Probleme. Anscheinend war unser Ansatz noch zu dicht an Sauerbraten. Die Rechtsabteilung musste das Lizenzgeschäft stoppen.“ Posauke runzelte die Stirn. „Wofür bezahle ich einen Haufen Designer, Programmierer, Psychologen, Juristen und Betriebswirtschaftler? Damit wir zusehen können, wie die Konkurrenz uns an die Wand drückt?“ Osterloh verteidigte sich. „Aber unser Afghanistan-Spiel war…“ „… der größte Reinfall aller Zeiten“, fiel Posauke ihm ins Wort, „und die miserabelste Doom-Kopie, die je erfunden wurde. Aufklärungsflüge mit ferngesteuerten Drohnen! Zu Fuß durch die Kontrollpunkte! Fehlt nur noch, dass Gordon Freeman mit einem Blauhelm auftritt!“ Er grollte. „Da sind ja die Abendnachrichten spannender!“
Noch immer hatte sich nichts getan. Verzweifelt starrte Zack auf den Bildschirm. „Ich verstehe das nicht“, murmelte er, „gestern hat es doch noch funktioniert.“ Posauke schlug ihm auf die Schulter. „Ruhig, Krötzke, ruhig. Das ist doch erst die Demo. Bis das Ding läuft, können Sie uns ja schon mal erzählen, was Sie sich diesmal ausgedacht haben.“ Zack faltete einen Zettel auf. „Also zunächst mal habe ich hier eine völlig neue Intelligenz-Routine eingebaut. Die Spielfiguren beurteilen eigenständig die Gefahr und können je nach Spielstand und Umgebung mehr oder weniger Risiko eingehen. Das alles natürlich kooperativ: die Spieler können Waffen, Munition und Standortinformationen austauschen.“ Osterloh warf ein, dass das nicht besonders neu sei. „Allerdings können die Spieler auch ihre Fähigkeiten wechseln. Sie können beispielsweise einen Anführer austauschen, dessen Charakter für spätere Levels noch benötigt wird, und dessen Werte komplett einer anderen Figur übertragen.“ „Und der flexible Punktwert?“ „Alles integriert, wie abgesprochen. Wenn die Mannschaft das Hauptziel des Levels nicht zerstört, kann sie durch systematisches Vernichten anderer taktischer Einsatzziele ihre Stärke erhöhen. Sehr realistisch.“
Posauke war zufrieden. „Gut, dann kommen wir mal auf die Spieldynamik zu sprechen. Gibt es genug Überraschungen?“ „Jede Menge. Vom Erdrutsch über plötzliche Abgründe und Gewitter bis zur kompletten Explosion von Spielfiguren. Letzteres auch als versehentliche Selbstvernichtung. Wie gesagt, es ist spannender als alles, was Sie bisher gesehen haben.“
„Ich hatte da einige Skizzen zum Zeitverlauf aus ihrem letzten Entwurf in Erinnerung, Krötzke. Haben Sie es in dies Spiel übernommen?“ „Das ging ganz leicht“, sagte Zack, „mit einem Recall-Modus. Es bleibt im nächsthöheren Level alles erhalten, und der Clou ist: wer dies Spiel als Upgrade installiert, hat sämtliche Erinnerungen an die Vorgänger-Version an Bord. Es gibt regelrechte Flashbacks! Die ganze Vergangenheit kehrt durch plötzlich aufklappende Zeitfenster zurück.“ Posauke strahlte vor Begeisterung. „Sie sind einfach ein Genie, Krötzke!“ Und noch immer drehte sich die Sanduhr. Nichts war zu sehen. Nichts war zu hören.
„Ich habe jetzt auch die Bewegungsmodi etwas überarbeitet. Von hinten anschleichen, von vorne angreifen, Zangengriff mit mehreren Figuren gleichzeitig, die Chewbacca-Verteidigung – alles lässt sich von mehreren Spielern simultan ausführen. Sogar virtuelle Feindbilder sind da, eine Art Luftspiegelung, die eine nicht existierende Gefahr vortäuscht, um den Gegner in die Irre zu führen. Und das alles absolut flüssig.“ „Fantastisch! Und wie sieht’s mit der Brutalität aus?“ Zack druckste ein bisschen herum. „Ich hatte Probleme, es wieder so realistisch wie beim letzten Mal zu gestalten.“ Doch Posauke ließ nicht locker. „Was soll denn diese Gefühlsduselei, Krötzke. Es ist nun mal ein schmutziges Geschäft. Es fließt Blut, es rollen Köpfe, man geht über Leichen – wollen wir das alles mit dem Mantel der Liebe zudecken? Nein, Krötzke, das wäre doch albern.“ „Wir könnten ja zwei Versionen auf den Markt bringen“, schlug Osterloh vor, „eine normale und eine weniger brutale. Oder Sie lassen sich eine Art flexible Gewaltenteilung einfallen – am Anfang einige heftige Einsteigerszenen und dann eher moderate Gewalt. Oder umgekehrt: erst die eher milden Spielzüge zum Trainieren der Kooperation, später immer brutalere Action.“ „Darüber kann man reden, aber bitte nicht schon wieder so grauenhafte Splatterszenen wie beim letzten Mal. Besonders nach dem Endkampf war die Öffentlichkeit wochenlang wie paralysiert.“ „Krötzke, Sie machen das schon“, beruhigte Posauke ihn, „wir richten uns da ganz nach Ihnen.“
Mit einem Mal bretterten verzerrte Metal-Gitarren aus dem Notebook. Die Grafik blendete langsam auf und zeigte blutrote, entstellte Gesichter. Satanisches Lachen unterlegte die Szenerie. Langsam schob sich der Titel ins Bild: Crysis of the Nation – Bundestagswahl 2009
Satzspiegel