Die Kommission stellte noch einmal fest, dass gut drei Milliarden Menschen nicht über sauberes Trinkwasser verfügten, sofern sie überhaupt Zugang zu Wasser hätten. Die Zahl war erwartbar. Sie wurde veröffentlicht, erhielt kaum Aufmerksamkeit und geriet knapp drei Tage später in Vergessenheit. Eine Menge von Menschen, einer europäischen Kleinstadt vergleichbar, hatte sich inzwischen an diversen Erregern infiziert, nicht wenige von ihnen waren ohne Kenntnisnahme der Weltöffentlichkeit erwartungsgemäß verstorben. Die internationale Wasserkonferenz in Mombasa stand vor der Tür. Man würde noch genug Zeit finden, während der Veranstaltung in flammenden Sonntagsreden genug Bedauern abzusondern, wenn es nur ausreichend natriumarmes Wasser ohne Kohlensäure zum Ausspülen der Espressotässchen geben würde.
Die Gastrede des Papstes wurde schon im Vorfeld als einer der Lückenbüßer eingeschätzt, die das dreitägige Programm nicht eben informativer zu gestalten geeignet wären. Umso konsternierter war das Auditorium, als der Heilige Vater die Durstigen der Dritten Welt unmissverständlich aufforderte, auf Wasser zu verzichten. Auf jegliches Wasser.
Manche glaubten, sich nur verhört zu haben, doch Benedikt XVI. stellte seine Position noch einmal deutlich dar. Er erklärte, das Trinken von Wasser löse das Trinkwasserproblem nicht, sondern verschlimmere es nur noch. Spirituelles Erwachen sei nun vonnöten, die Solidarität des Katholizismus mit den Verdurstenden einmal ganz abgerechnet.
Möglicherweise hätten es die Beobachter als einen von zahlreichen Lausbubenstreichen des Oberhirten abgetan – man erinnerte sich an die Abschaffung der Vorhölle und an die Rehabilitation des Antisemitismus in der Karfreitagsliturgie – wenn der nicht nachgelegt hätte. Auf Anfrage verlangte der Vatikan nochmals mit ausdrücklichen Worten Enthaltsamkeit. Es gebe weiterhin keinen Diskussionsbedarf.
Erste Kritik setzte ein, als Bundeskanzlerin Merkel sich postalisch mit dem Wunsch nach Klarstellung an den Stellvertreter wandte; die Kritik entzündete sich weniger an der Tatsache, sondern vielmehr an deren Wiederholung – Merkel habe doch wissen müssen, dass sie nicht berufen sei, theologische Fragen zu beurteilen. Offizielle Stellen des Gottesstaates bemühten sich sogleich um Schadensbegrenzung; Ratzinger habe vielmehr symbolisch die Brüder und Schwestern in ihrer gewissermaßen unschönen Lage in die Arme schließen wollen.
Ähnlich albern wirkten die Versuche des Vatikanorgans BILD, die Sicht der Öffentlichkeit zu korrigieren. Franz Josef Wagners dialektische Turnübung, das Wasser des Lebens und die real existierende Wasserversorgung zu synthetisieren, misslang gründlich. Es hätte indes auch nichts geholfen. Der Weihwasserschaden war längst eingetreten.
Der Widerstand formierte sich rasch. Die Aktion Wasserzeichen fand raschen Zustrom. Ihre Idee, die Entwicklungshilfe aus den Fängen der EU zu lösen und stattdessen Genossenschaften in den bedürftigen Ländern zu gründen, stieß auf Zuspruch. Es blieb nicht bei Lippenbekenntnissen. Zu Tausenden verpflichteten sich die Unterstützer, ihre Kirchensteuern, die sie nun nicht länger zu zahlen bereit waren, in die Hilfsorganisation fließen zu lassen. Erste Projekte nahmen konkrete Gestalt an, als sich der Vatikan den Organisatoren anbot, Beistand zu leisten. Zwar sei keinerlei finanzielle Hilfe zu erwarten, doch sei der Papst persönlich bereit, moralische Vorschläge zu unterbreiten.
Einer Analyse des Bundesinnenministeriums, nach der der Verzehr von Trinkwasser hygienisch mangelnder Qualität die Haupttodesursache vieler afrikanischer Landstriche sei, folgte sogleich die Rechtfertigung des päpstlichen Erlasses; der Wasserverzicht sei durchaus als präventive Maßnahme gegen die drohenden Gefahren für Leib und Leben zu verstehen. Dies wurde nicht hinterfragt. Man wusste, das Bundesministerium des Innern kannte sich mit präventiven Maßnahmen zur Abwehr drohender Gefahren bestens aus – vor allem mit Gefahren, die aus derartiger Prävention drohen.
Mit gewohnt vitaler Rhetorik ergriff Joachim Kardinal Meisner das Wort. Er sorgte für nicht unerheblichen Aufruhr, da er in einer Talkshow erklärte, der Verzicht auf Trinkwasser sei auch unter Umweltgesichtspunkten positiv zu sehen. So bleibe mehr Brauchwasser übrig. Während der Wasserkopf der vatikanischen Verwaltung noch über einen Verbleib Meisners im Amt köchelte, meldeten die Agenturen, dass die Wogen der Empörung bereits sieben Millionen Mitglieder aus der katholischen Kirche gespült hatten.
Um der Körperschaft beizutreten – der Vatikan äußerte in diesem Zusammenhang die Hoffnung, dies würde in Afrika geschehen – empfahl die Glaubenskongregation nun die Anwendung der Trockentaufe. Wie dies Verfahren zu handhaben sei, wurde nicht näher erläutert. Da gleichzeitig der konventionelle Ritus allein gültig blieb und die Priester angewiesen wurden, täglich mindestens drei neue Mitglieder für den Bund zu gewinnen, machten sich gewisse kognitive Dissonanzen bemerkbar.
Als bekannt wurde, dass die Vatikanbank einen größeren Teil ihrer Gelder in Aktien sizilianischer Wasserversorgungsgesellschaften angelegt hatte, brachen alle Dämme. Der Vatikan wurde unterspült. Die Sintflut war kaum noch aufzuhalten, als der Papst heftig zurückruderte. Wasser, erklärte Ratzinger, sei ein Menschenrecht.
Seine Anmerkung, die katholische Kirche sei für Menschenrechte selbstverständlich nicht zuständig, soff im allgemeinen Jubel der Erleichterung ab.
Dramatische Ereignisse. Da hat der Papst Wasser doch maßlos unterschätzt. Wer nunmal in der Regel kein Wasser trinkt, sondern nur den Geist Gottes durch sich strömen lässt, darf sich nicht über nasse Füße wundern. So im übertragenen Sinne.
(Sehr fein geschreiben! Ich grinse immernoch!)
Ehrlich, ich habe den Mann mittlerweile ins tägliche Abendgebet aufgenommen und bitte seinen Chef, dass er dem Stellvertreter eiserne Gesundheit schenkt. Besseres Marketing für den Protestantismus ist für Geld nicht zu bekommen.
Abgesehen ist er ein ergiebiger Quell der Erquickung… für gewohnheitsmäßig böse Menschen wie mich 😉
Trockentaufe?
Da stelle ich mich nun einen frischen, sandgestrahlten Täufling vor…
Saubere Sache, das! So klappt das bestimmt noch mit dem Christentum.
Ich vermisse tatsächlich wieder mal den entsetzten Aufschrei der Vertreter der Reinen Lehre™, die mir theologischen Unfug vorwerfen wollen. Dabei existiert selbst der Brauch der Erdkommunion (nicht zu verwechseln mit „Erstkommunion“), wenn keine Sakramentalien mehr aufzutreiben sind und der Mitbruder sowieso kurz vor dem Ableben steht. Wie es denn auch hier der Fall sein dürfte.
Mir scheint dieser Verein mehr und mehr wie ein Rettungsdienst, der sich auf Letzte Hilfe spezialisiert hat…
Ach, lieber eine Erdkommunion mit letzter Ölung, als geteert und gefedert vor das Jüngste Gericht zu treten. 😉
Das lässt sich ja auch leichter sauber machen, während Federn auch nach Jahren noch in irgendeiner Ecke wieder auftauchen können.
Da zeigt sich doch eine gewisse Inkonsistenz der thomistischen Spekulation: früher wurden derartige Reststoffe im Purgatorium einfach weggebraten, heute muss man den Krempel bis zum Kollektiven Endgericht mit sich herumschleppen.
Könnte möglicherweise daran liegen, dass im katholischen Teil des Jenseits ein gewisser Personalmangel seine Spuren hinterlässt 🙄
Lieber Bee, das wird mir jetzt zu hoch. Mein Desinteresse am Religionsunterricht hat mich nun eingeholt; ich musste „thomistisch“ guugeln. 😳 Das kommt davon, wenn im Unterricht nicht aufgepasst, sondern lieber „Schiffe versenken“ gespielt wird. 😉
Drücken wir’s mal BWL-mäßig aus: eine Firma, deren Produkte kontinuierlich schlechter werden und trotzdem im Preis steigen, weil man sich nicht von mittelalterlichen Herstellungsmethoden verabschieden will, während man gleichzeitig an der Qualität der Rohstoffe spart, um die Manager-Boni aufzufetten, sollte auf die Krise nicht mit 100% Gehaltskürzung, Schließung der Service-Abteilung und verstärkter Einstellung von Sadisten in den Werkschutz reagieren 8)
Danke für die Erklärung. Ich habe auch genau aufgepasst und nicht nebenbei „Schiffe versenken“ gespielt. 😀
Dann haben wir’s ja gut… getroffen 😉