Der Wecker klingelte – ein ganz normaler Samstag begann. Nein, kein normaler Samstag, denn heute hatte ich frei. Niemand fragte mich, ob ich beim Umzug helfen könnte. Keiner bat, Gartenzäune zu streichen. Anne war verreist. Ich konnte mich dem Wochenende widmen, und das hieß: Frühstück.
Was leichter gesagt ist als getan, wenn weder Kaffee noch Eier im Haus sind. Marmelade? Fehlanzeige. Die Vorräte waren begrenzt auf eine Dose Katzenfutter. Es ließ sich nicht leugnen, ich würde das Frühstück verschieben und zuerst einkaufen müssen.
Geduldig wartete ich in der Schlange, bis ich endlich vor der Bäckersfrau stand. Sie nahm eine Papiertüte, zückte die Brötchenzange und fragte nach meinen Wünschen. Was mich verwunderte, schließlich kaufe ich seit gut zwanzig Jahren jeden Samstagmorgen zwei Brötchen. Ganz einfache Schnittbrötchen. Bei drohendem Erdbeben würde ich auf Knäcke mit Schmierwurst umsteigen, der besseren Haftkraft halber. Aber so weit waren wir ja noch nicht. Der Rauch aus Breschkes Garten, wo Laub und Plastikabfälle um die Wette kokelten, stieg kerzengerade auf. Marmeladenbrötchenwetter.
Sie atmete sehr tief ein. „Weizen, Roggen, Hafer, Dinkel, Schwarzbrot, Zweikorn, Dreikorn, Mehrkorn, Vollkorn, Sesam, Mohn, Kümmel, Ölsaat, Schinken, Käse, Glyx, Milchbrötchen, Franzbrötchen?“ Irritiert guckte ich sie an. Ich wollte nur Brötchen. Brötchen! „Kaiser, Knüppel, Schnitt, Einfache, Rundstück, Schrippe, Semmel?“ Was denn der Unterschied zwischen Schrippe und Knüppel sei. Ich wurde aufgeklärt. Eine Schrippe sei länglich geformt und geschlitzt, ein Knüppel dagegen geschlitzt und länglich geformt. Das leuchtete mir ein. Das Auge isst schließlich mit.
Eine Stellage mit Konfitüren fiel mir ins Auge. Richtig, ich wollte Marmelade kaufen. Ansatzlos stimmte sie die nächste Litanei an. „Kirsch, Pflaume, Erdbeer, Himbeer, Aprikose, Pfirsich-Maracuja, Orange, Heidelbeer, Dreifrucht, Mehrfrucht, Waldfrucht oder Apfelgelee?“ Als ich nach Erdbeermarmelade verlangte – im Vertrauen, ich hatte mir die anderen Sorten gar nicht gemerkt – hakte sie nach. Unbarmherzig. „Erdbeer, Erdbeer-Rhabarber, Erdbeer-Himbeer, Walderdbeer-Himbeer, Erdbeer-Wildhimbeer oder Diabetiker?“ Ob es inzwischen Marmelade für orthopädische Notfälle gibt? Oder Bananen-Kiwi-Konfitüre, die beim Öffnen des Schraubverschlusses automatisch Paganini geigt? Ich wählte Erdbeer, ganz normal. Ohne Paganini und Rhabarber.
Nachdem ich bar bezahlt hatte – Kreditkarte, Euroscheck, Lastschrift, Rechnung oder Abarbeiten kamen für mich nicht in Frage – griff ich die Brötchentüte. Sofort klappte die Bäckerin ein markerschütterndes Grinsen ins Gesicht: „Vielen Dank, dass Sie sich für die Bäckerei Prillwitz entschieden haben! Haben Sie jetzt noch einen wunderschönen Tag! Guten Tag, was darf ich für Sie tun?“ Der Rest der Sprachschleife wickelte schon die nächste Kundin ein. Also verließ ich die Bäckerei. War diese Schlange immer schon derart lang gewesen oder kam mir das nur so vor? Diese Service-Attacke machte mich jedenfalls stutzig.
Also zum Wochenmarkt. Eier. Am Eierwagen trug ich meine Bitte vor, wobei ich vorsichtshalber nuschelte und nur auf die Eier zeigte. Doch war mir das Glück nicht hold. „Weiß oder braun? Freiland, Bodenhaltung, Legebatterie oder Legebatterie, wo Freiland draufsteht?“ Ich fragte ihn, ob er auch Eier mit kleinem, großem, mittelgroßem oder nicht ganz so großem wie die mittelkleinen Dotter habe. Der Eiermann furchte die Stirn. „Werden Sie nicht frech!“ Feindselig blickte er mich an. „Sie glauben wohl, nur weil Sie dafür bezahlen, können Sie sich hier alles herausnehmen?“ Ich kam nicht umhin, dies vollumfänglich zu bejahen. Mit einem Papiertaschentuch wischte ich die Eireste aus dem Haar und wandte mich dem Wurststand zu. Schinken. Gekochter Schinken. Zweihundertfünfzig Gramm. Aber ach, der Fluchreflex, er wartete auch hier. „Wollen Sie Schweineschinken oder…“ Ich verließ panisch den Markt. Bitte nicht auch noch eine Diskussion um die Blutgruppe der Sau!
Jeglicher Gedanke an ein Frühstück war mir nun verleidet. Nur noch einen Kaffee wollte ich. Stark und schwarz. Und da man auch den auf dem Markt bekam, ging ich zur Kaffeebude.
„Wollen Sie Arabica, Robusta oder Stenophylla? Aus Äthiopien, Kenia oder Kolumbien? Wollen Sie eine kräftige, milde oder Medium-Röstung? Ganze Bohnen oder die fertig gemahlenen? Handgefiltert, French Press oder Espresso-Methode? Viel Crema, wenig Crema, noch weniger Crema, fast keine Crema, gar keine Crema? Wollen Sie Zucker?“ Ich hielt mich fest. „Ich will…“ „Würfelzucker, Streuzucker, Hagelzucker fein, Hagelzucker grob, Puderzucker, weißer Zucker, brauner Zucker, Rübenzucker, Rohrzucker oder Süßstoff flüssig oder Süßstoff als Tablette oder Süßstoff zum Streuen?“ Ich hieb mit der Faust auf den Tresen und schrie ihn an: „Ich will jetzt verdammt noch mal einen schwarzen Kaffee!“ „Wollen Sie Frischmilch, homogenisierte Milch, Kondensmilch mit vier, Kondensmilch mit sieben, Kondensmilch mit zehn Prozent Fett oder Kaffeeweißer auf Pflanzenbasis?“
Mein Schalter kippte um. Mit hektischen Bewegungen beförderte ich Kaffeeumrührstäbchen und Servietten in eine annähernd kreisförmige Umlaufbahn und griff den Standknecht am Kragen. „Ich will nicht! Kein Kaffee! Will nicht!“ Schon näherte sich der Marktaufseher. Mit einem Regen von Pappbechern samt Schnabeltassendeckeln überschüttete ich ihn und ergriff die Flucht. Schreiend lief ich davon. Erst hinter meiner Tür fand ich mich wieder. Ich lag auf dem Boden und zitterte am ganzen Leib. Doch der Schlüssel steckte. Die Brötchentüte war noch in meiner Hand. Und im Küchenschrank befand sich ein kleiner Rest Früchtetee.
Danke, dass Sie sich für mich als Kunden entschieden haben.
Frei nach dem Motto: Es sind auch schon Menschen beim Essen holen verhungert. 😉
Da lobe ich mir doch, wie gestern mal wieder, den gepflegten Sonntags-Brunch. Kellnerfreie Nachschub-Organisation, der Heringssalat fragt nicht, ob man unbedingt Melonenstückchen dazu möchte, und die anderen 499 Gäste rufen eine gewisse Entscheidungsfreudigkeit am Saftautomaten hervor
Geh mal zu Starbucks,da is das alles n Dreck gegen*beömmel*
Besser: lass Dich nie bei Subway blicken, wenn Du 274 Salatsorten in den Ohren haben willst 😈
Bei den Brötchen gibt es bei mir nur „die, die und die“. Beim Kaffee nur schwarz, ist ja kein Mixgetränk. Und Aufschnitt „200 Gramm einmal quer durch“. Alles andere ist Stress. 😉
Du solltest besser nicht meinen türkischen Gemüse- und Marinadenhändler kennen lernen, bei ihm musst Du auch noch alle neuen Olivensorten mit Zitronenstückchen oder Rosmarin durchprobieren, bevor Du kaufst… da kommt man schon gut gesättigt vom Wochenmarkt zurück 😀
Ich würde mich immer wieder für Sie entscheiden. Herr Bee 😉 !
Wollen Sie einen kurzen Artikel, einen langen Artikel, ein mittelkurzes Posting, ein Sonett, eine Stichwortsammlung in freien Rhythmen, eine Stichwortsammlung in Prosa oder einen Kommentar mit oder ohne Link? 😀
Oder? Was bitte heißt denn oder?
Also Sonett und Stichworte in Prosa geht ja nun technisch eher gar nicht.
Ok, dann das Sonnett, aber gut durch, bitte!
Gut, ich habe eine halbe Idee. Samstag ist Lyriktag, dann kommt ein Sonett. Ganz klassisch.
(Hoffe ich doch.)
*notiert* Freitag Badetag, Samstag Lyriktag, Brötchen nicht vergessen!
[…] TV, Show und schrägem Alltag ‘mit’ einfärbt, manchmal mehr, manchmal minder gelungen. Zum Beispiel hier, wo’s schlicht um Brötchen geht […]