Integrationskindergarten

26 03 2009

Letzten Donnerstag hatte das Bügeleisen noch tadellos funktioniert. Aber letzten Donnerstag war letzten Donnerstag und heute eben heute – da stand ich nun, einen Haufen Hemden im Waschkorb, und das einzige heiße Eisen war die Tatsache, dass ich schon anderntags ein frisches Hemd benötigen würde, um bei Kollauer & Seeck Consulting den Unternehmensberatern die Grundrechenarten möglichst schonend beizubringen. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass es eng würde, wenn ich nicht auf der Stelle das Haus verließe, um ein neues Plättgerät zu besorgen. Und selbst das nur, wenn mein Elektrohändler am Ende der Straße noch ein solches vorrätig haben würde.

Hastig warf ich mich in den Mantel und rannte die Straße entlang. Die Leuchtreklame blendete mich. Da, wo noch vor einer Woche Elektro Sühlke sein Geschäft gehabt hatte, befand sich nun der Multifunktionsgeräteshop All in One. Da ich keine Wahl hatte, betrat ich den Laden. Ein Verkäufer begrüßte mich.

„Wenn Sie sich vielleicht einmal umschauen mögen? Wir führen eine reiche Auswahl an kleinen Helfern für Ihren Haushalt. Sie haben also Interesse an einem multifunktionalen Gerät?“ Wenn ich recht überlegte, hatte ich tatsächlich schon mit demselben Hammer Nägel in die Wand sowie versehentlich Scheiben eingeschlagen und mir mit dem Brotmesser Paprikaschoten, zähes Rinderfilet und in die eigenen Finger geschnitten.

Ich fragte ihn, was denn genau unter einem Multifunktionsgerät zu verstehen sei. Mir schwebte schon seit längerem eine neue Espressomaschine vor. „Was Sie meinen, ist ein Vollautomat – Kaffee mahlen, Kaffee brühen und Milch aufschäumen, das hat ja letztlich alles mit Kaffee zu tun, also handelt es sich nicht um ein multifunktionales Gerät, sondern eher um ein Gerät mit Zusatznutzen. Richtige Multifunktionsgeräte hingegen sehen Sie hier.“ Damit führte er mich an den Stand für Büroelektronik. Die Maschinen druckten, faxten, scannten, und manchmal kopierten sie auch. Ich fragte den Verkäufer nach dem Vorteil. „Nun, sie drucken, faxen, scannen und kopieren, nicht wahr?“ Man soll sich dem Evidenten beizeiten beugen, wenn es nicht zu leugnen ist, soviel war mir bewusst, allein ich sah den Sinn nicht ein. „Das fängt beim Platzbedarf an. Sie brauchen nicht mehr vier Geräte in Ihrem Büro, es reicht eines.“ Meinem Einwand, die technische Leistungsfähigkeit solcher Doseneintöpfe sei im Regelfall kaum mit einzelnen Geräten zu vergleichen, begegnete er mit einem schlagenden Argument. „Dafür sind natürlich auch die Stromkosten wesentlich niedriger. Sind Sie etwa nicht für Umweltschutz?“ Da seine Stimme einen leicht schnippischen Tonfall angenommen hatte, erinnerte ich ihn nochmals an meine Frage. Zur Illustration wählte ich Jonas’ Kompaktanlagen, vielmehr die Tatsache, dass er Plastebrüllwürfel im Jahreszeitenwechsel zu kaufen pflegte, die in seinem Wartezimmer nur selten die Garantiezeit überlebten. Was mir bedeutete, dass ich mit einem kaputten Scanner, der nicht mehr faxen will, auch keinen Drucker mehr hätte und als Dreingabe ein defektes Kopiergerät. Herablassend lächelte er. „Ich weiß, was Sie jetzt denken, und Sie haben Recht. Ist es da nicht wesentlich praktischer, wenn Sie im Falle eines Falles Ihre Garantieansprüche nur gegen einen einzigen Hersteller durchsetzen müssen? Und bedenken Sie, während Sie auf einen Apparat warten, sparen Sie vierfach Strom!“

Ich begriff. Ich war hier in einem Integrationskindergarten. Warum hatte er mir das nicht gleich gesagt?

„Schauen Sie zum Beispiel diese drei Geräte an.“ Er wies zu einer Konsole, auf der drei silberne Geräte ruhten. „Dies ist ein Mobiltelefon mit integrierter Videokamera und Musikspieler. Können Sie mir folgen?“ Ich versuchte es. „Dann passen Sie auf. Dies ist nämlich eine Videokamera, die auch Musik abspielt und ein eingebautes Telefon hat. Und das da ist ein Musikspieler, mit dem Sie Videos aufzeichnen – und jetzt kommt der Knaller – und zusätzlich telefonieren können! Ist das nicht unheimlich praktisch?“ Ein Wunder der Technik, nein: drei Wunder der Technik. Und dazu sehr entspannend. Ich ließe eins dieser Dinger wohl aus Versehen im Vorortzug liegen und wäre auf einen Schlag drei Sorgen los. Faszinierend.

Ich zog den Kauf eines Multifunktionshemds in Erwägung. Es müsste doch ein Hemd geben, das nicht nur zum schwarzen Anzug, sondern auch zu Freizeithosen passt. Dezent gemustert und trotzdem bügelfrei. Leider hatten sie keine Herrenbekleidung.

„Wie gesagt, das Bügeleisen…“ Er blickte sich hilflos um. „Sie könnten diesen Heizlüfter mit Kaltgebläse und integriertem Luftfilter verwenden.“ Ich fragte vorsichtig, ob nicht auch ein Nudelholz, das zugleich als Waffe benutzbar sei, zum Wäscheplätten dienen könnte, doch dies wurde mir abschlägig beschieden. Elektrische Nudelhölzer seien seit dem Preisverfall bei mechanischen Nudelmaschinen völlig vom Markt verschwunden, elektrische Nudelbereiter zwar inzwischen schon als Vollautomaten erhältlich, aber noch immer nicht mit Teigwalzen in Hemdenbreite. „Warten Sie mal“, unterbrach er, „ob das geht?“ Er fingerte an dem Multifunktionsding herum. „Wenn Sie das Fax vorher genügend aufheizen, könnten Sie unter der Scannerklappe vielleicht sogar Hemden bügeln.“

Ich würde einen Rollkragenpullover tragen. Und ich würde es Kollauer & Seeck Consulting vorsichtshalber faxen. Mit dem Brotmesser.