Germany’s next Topmodel

1 04 2009

„So, und jetzt mal ein bisschen mehr Ruhe, wenn ich bitten dürfte!“ Beyrich schlug mit dem Teelöffel gegen sein Glas, um sich Gehör zu verschaffen. Doch keiner hörte. Namen schwirrten durch den Raum, Zahlen, die allgemeine Verwirrung war ausgebrochen. Was auch kein Wunder war, ging es doch um eine Personalie von höchster Brisanz.

In all dem Tumult hob Lehmeier zaghaft die Hand. „Meiner Meinung nach sollten wir als Schlüsselqualifikation auf langjährige Erfahrung in der Branche setzen. Einige unserer Kandidaten sind bereits in ihren Unternehmensbereichen…“ Doch Beyrich ließ ihn gar nicht erst ausreden. „Ich bitte Sie, nicht schon wieder diese Mitleidsnummer! Bensel, Breuel, Garber, das sind doch alles keine Lösungen. Die kommen aus demselben Stall, die ziehen ihren alten Stiefel runter, die sind nicht mehr lernfähig. Eine Führungspersönlichkeit brauchen wir, die Kompetenz vermittelt, die integrativ wirkt gegenüber den Kunden und den Gewerkschaften, die wirklich Rückhalt genießt in der Öffentlichkeit – und Sie kommen mir hier mit alten Kamellen!“

„Immerhin“, schaltete sich Schikorra ein, „ist auch Thilo Sarrazin auf der offiziellen Liste, und ich finde das gar nicht so übel.“ „Sarrazin? Als Bahnchef? Sie belieben zu scherzen!“ Doch das wollte Schikorra nicht auf sich sitzen lassen. „Als Vorstand der Bundesbank hätte man ihn ja auch genommen, weil er nun mal mit Zahlen umgehen kann. Vergessen Sie nicht, der Mann ist Volkswirt.“ „Und dann gibt’s in den Speisewagen bald die Hartz-IV-Bewirtung mit dem zweiten Teeaufguss und einer halben Scheibe Toast.“ „Kämmler, lassen Sie doch mal diesen Unfug! Er ist außerdem ein scharfer Mehdorn-Kritiker, immer gewesen. Der macht seine Fehler nicht nach – der nicht!“ „Übrigens Kritik“, warf Beyrich ein, „Ihnen ist doch klar, dass er als erstes die Beschwerdestelle abschaffen wird? Kritik kann der gar nicht leiden.“ „Wenigstens ist er ein CDU-Mann“, beruhigte ihn Schikorra, „der passt dann auch der Merkel in den Kram.“ Mit ätzendem Tadel fiel Kämmler ein: „Der ist SPD, falls Sie’s noch nicht wissen sollten.“ „Ach du Scheiße, auch das noch“, stöhnte Lehmeier, „SPD geht ja gar nicht. Wahrscheinlich würde er am liebsten jeden Fahrgast einzeln auf die Schienen schmeißen, wenn ihn einer auf die Preise anspricht. Das können wir vergessen.“ Beyrich pflichtete ihm bei. „Eben, und lassen Sie den Abfindungsjäger mal auf die Gewerkschaften los, das gibt Hauen und Stechen.“ Sie schwiegen angestrengt.

Plötzlich schlug Kämmler mit der flachen Hand auf den Tisch. „Ich hab’s! Schröder! Dem kann man nun wirklich keine Nähe zur SPD mehr nachsagen, und als Aufsichtsrat hat er ja auch einschlägige Erfahrungen gesammelt. Vielleicht funktioniert dann auch die Anbindung an die Schweiz wieder reibungslos?“ „Und die Fahrkarten“, unkte Beyrich, „druckt dann die Transsibirische Eisenbahn und wir dürfen sie uns unter Lizenz kaufen. Klasse Idee.“ So verschwand die Kanzlerfrage aus der Pipeline.

„Glos?“ „Zu alt.“ „Guttenberg?“ „Zu jung.“ „Moment mal“, insistierte Lehmeier, „was heißt hier ‚zu jung‘? Etwas Sex-Appeal ist doch für ein Unternehmen von solcher Potenz gar nicht schlecht. Stellen Sie sich die nächste Werbekampagne vor. Die Bahn kommt – da lässt selbst die schnöselige Jura-Studentin ihr Cabrio stehen und fährt freiwillig im Großraumwagen, um vom schnieken Schaffner gelocht zu…“ „Lehmeier, Sie faseln. Wenn Sie keine Argumente haben, halten Sie gefälligst den Mund.“ „Natürlich habe ich die. Der Kabinettspraktikant hat so gut wie keine Ahnung von Wirtschaft, man kann ihn in jedes Unternehmen schieben und er arbeitet sich leicht ein. Außerdem wird es ihn nicht stören, wenn er merkt, dass man sein Parteibuch gekauft hat und nicht ihn.“

Doch er biss auf Granit. „Politische Spielchen“, setzte Beyrich fest, „bringen uns nicht voran. Wir brauchen Köpfe aus der Wirtschaft. Los, Schikorra, assoziieren Sie mal was.“ „Zumwinkel?“ „Dann fährt die Bahn am Wochenende gar nicht mehr und Verspätung kostet noch Zuschlag.“ „Schrempp?“ „Wenigstens würde der nicht hintenrum die Auto-Industrie unterstützen.“ „Franjo Pooth?“ „Um Gottes Willen, der kauft überteuerte Bildschirme für die Polstersitze. Am Ende haben wir eine LCD-Katastrophe mit Schaltergebühr!“

Das Gespräch drehte sich mehr und mehr im Kreis. Wie eine Spielzeugeisenbahn, die stur ihre Runden um ein Stuhlbein fährt. Die Headhunter wollten die entscheidenden Weichen stellen, doch sie waren unversehens auf ein totes Gleis geraten und rollten auf den Prellbock zu. Noch einmal probierte es Kämmler. „Beckenbauer?“ „Der liebe Onkel Franz – nee, völlig has-been. Kann man nicht mehr machen.“ „Steinmeier?“ „Wieso Steinmeier, ich dachte, der will jetzt Kanzler werden?“ „Dann hat die Merkel ihn aber von der Backe und Müntefering auch.“ „Hmja, kann man machen. Aber ist der krisensicher?“ „Bei Kurnaz hat er den Hintern auch nicht bewegt.“ „Das bringt doch alles nichts. Leute, mehr Kreativität!“ „Thomas Gottschalk?“ Schikorra tippte sich an die Stirn. „Also Gummibärchen und Hamburger geht ja noch, aber dann noch die Bahn? Außerdem macht er sowieso eine Spaßveranstaltung aus der Sache.“ „Oder er lässt nur noch Postzüge fahren.“ Sie sanken wieder in dumpfes Nachdenken. Die Köpfe rauchten, da hob Lehmeier zögernd den Finger. „Und wenn wir Stoiber nehmen?“ „Ja sicher“, höhnte Schikorra, „bis diese Notbremse jemandem erklärt hat, wie man am Münchener Flugzeug in den Hauptbahnhof einsteigt, ist der Zug längst abgefahren.“ Das hämische Gelächter wirkte fast befreiend, allein es brachte die Runde nicht weiter. Und schließlich ergaben sie sich in ihr Schicksal. Es war nichts mehr zu machen. Beyrich griff zum Telefon und wählte die Nummer. „Beyrich noch mal. Hatte ich mir gedacht. Ja, ist mir klar. Ja. Können Sie mich trotzdem noch mal mit Herrn Doktor Schäuble verbinden? Wir hätten da eine sehr reizvolle Aufgabe im Bereich Datenschutz.“