Samstags versorge ich mich mit dem Nötigsten – Katzenfutter, Katzenstreu, Kondensmilch – und bugsiere unter Kindergeplärr und Müttergefauch meinen Einkaufswagen durch den Supermarkt. Was es da alles zu entdecken gibt! Den elften Joghurt, die neunzehnte Knoblauchsauce. Plötzlich dickt sich das Blut in meinen Arterien ein. Vor mir steht etwas, das ich nicht sehen will, und doch starre ich es an. Wie kopulierendes Ungeziefer auf der Torte. So abstoßend, dass es schon wieder ethnologisch interessant wird. Tütenbratkartoffeln.
Was macht man damit? In der Pfanne verkokeln lassen und statt Schrot verschießen? In Kunstharz gießen und an die Wand nageln, um Kinder zu erschrecken? Angehenden Medizinern als Ekeltest vorsetzen, damit sie später im Sektionssaal nicht in offene Leichen brechen?
Zwei Forderungen stellt der Verbraucher und wäre zum Morden bereit, um sie durchzusetzen. Zum einen will er oben Abfall reinstecken und unten Qualitätsware rausziehen. Von der Kunst, Kartoffel gemächlich bei richtiger Temperatur im richtigen Speckfett zu braten, hält er nichts, denn es muss ja zweitens auch schnell gehen. Inzwischen verfügt die deutsche Durchschnittsküche nur noch über dschungelerprobtes Survival-Kit: Dosenöffner plus Kochgeschirr. Nach der Kindheit an der Gulaschkanone lassen Deutsche nichts verkommen und schlucken noch die letzten Reste. So sie nur abgepackt sind. Geschwindigkeitsrausch beim Garen, so sieht das aus. So schmeckt es auch. Denn satt reimt sich nicht zufällig auf platt.
Nun hat, was viele Esser inzwischen erfolgreich verdrängen, selbst Paul Bocuse Konserven auf den Markt gebracht. Er hätte es lassen sollen. Denn war der Normalhedonist der Siebziger auch mutiger geworden, akzeptierte er außer Braten mit Kartoffel auch Ente in Rosa unter Japan-Lampen und Fisch, der an der Gräte glasig war, es blieb nicht bei vernünftigen Neuerungen. Ab sofort wurde jedwede Schandtat für die Ewigkeit aufbewahrt, teils in Blech, teils in Glas, und sie waren fruchtbar und vermehrten sich. Sie bevölkerten als mutierte Mischgemüse- und Krokettensimulationen das Territorium von TK-Tuka-Land.
In den schlimmsten Nächten, nach Erbsensuppe mit Speck im Vereinshaus und einer ganzen Flasche Korn im Schädel, sehe ich die Bilder aufsteigen. Da sind sie, 1968 ist gerade verarbeitet, sie füllen den Tisch mit Rahmspinat, Scampispießen und Pizza, eben noch knackhart im Schockfrost, jetzt schon labberig auf orangefarbenem Geschirr. Sie brechen sich reihenweise die Knöchel, weil sie auf ihren Plateaustiefeln im Flokati hängen bleiben. Ich erwache schreiend. Mit dem Flokati auf der Zunge.
Denn die Verzehrteufel haben nicht nur hirnverbrannte Pfannengerichte dem unschuldigen Konsumenten aufgeschwatzt, sie haben mit der Penetranz von Zwiebelhackern – nur Vollignoranten nutzen den Hau-drauf-und-Schluss, um noch die letzte Zelle zu zerfetzen, und sind verwundert, dass die ätherischen Öle sich flugs aus der Knolle verabschieden – puren Dreck in die Supermärkte getragen. An der Spitze dieser Qualzüchtungen in Weißblech steht unangefochten jene Fischhappen-Brühe, die sich rotzfrech Bouillabaisse nennt. Eine Bouillabaisse ist kein Eintopf. Sie ist eine Platte von Fisch, Gemüse und Meeresfrüchten, zu denen der Sud gelöffelt wird, sekundiert von geröstetem Brot und Rouille oder, je nach Konfession, Aioli. Wer eine Lauge jener Art als Bouillabaisse zu bezeichnen wagt, hat auch keine Skrupel, Tierfutter in Mehltunke einzudosen und dem Kunden via Etikettenschwindel als Tafelspitz anzudrehen.
Manche Sünden hat der Satan überhaupt nur in Verbindung mit der Blechbüchse unters Volk jubeln können. Allen voran die Ravioli, den Fehltritt von Pseudopasta und überwürzter Restbratwurst ins Tomatenplasma. Aus folkloristischen Gründen kann man die Dinger noch im Supermarkt aufbewahren. Etwa in der Spielecke für unsere Kleinen, die sich eine Ration Teigbrei aus der Dosenpyramide ziehen dürfen. Von ganz unten, versteht sich. Auch zum Dosenwerfen sind sie geeignet, da ihre kompakte, quasi texturfreie Masse beim Schleudern keinerlei Unwucht erzeugt. Mit einer Portion Ravioli bekäme man die Glasfront eines Schnellrestaurants in Scherben. Das nenne ich mal angewandte Kulturförderung.
Nun gibt es kleine Helfer, die auch ich gerne auf Vorrat stehen habe, um ungeladene Gäste schnell und unbürokratisch mit einer warmen Mahlzeit im Bauch wieder in die raue Wirklichkeit zu entlassen, ohne mir ein schlechtes Gewissen und zu viel Abwasch aufzuhalsen. Da wären zum Beispiel die Linsen mit Suppengrün, die einer improvisierten Kartoffelsuppe körniges Gepräge verleihen. Dose auf, den Inhalt in den Durchschlag schütten – erstens ist die Kochsalzlösung geschmacksfrei und zweitens bedarf ein solide bereiteter Eintopf keiner lebensverlängernden Maßnahmen, im Gegenteil – und in die zuvor mit dem Pürierstab in samtige Geschlossenheit überführte Suppe einrühren. Gerne darf ein Döschen Sauerkraut an der Häckselpartie teilnehmen, woraufhin Mettwurstscheibchen in der Sache versteckt werden. Das ist von Haute Cuisine so weit entfernt wie Karl Moik von Musik. Aber im Gegensatz zum Mutantenstadl hat dies Tradition und bleibt nach der Einnahme drin.
Und manche konservativen Ansätze haben feine Lebensmittel neu verfügbar gemacht. Da wären Pfirsiche, die im Dosendunkel ihre Unterzuckerung loswerden. Oder Ananas. Oder die Schwarzwurzel, als Spargel des kleinen Mannes geschmäht und der Garant, wie man die ganze Küche im Nu in einen Schweinestall verwandeln und dabei das Gemüse noch unappetitlich braun anlaufen lassen kann. In konservierter Form machen die Stangenabschnitte problemlos Salate, Suppen und einen Auflauf, von dem niemand etwas übrig lässt. Das ist nicht nur Bequemlichkeit, das ist eine Erweiterung der kulinarischen Durchschlagskraft jenseits aller konventioneller Mittel. Vorausgesetzt, man bedient sich der Dinge nur in homöopathischen Dosen.
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