Was das Herz begehrt

28 04 2009

Jedes Jahr dasselbe Theater. Kaum ist der Bodenfrost einigermaßen abgeklungen, kommen sie wieder auf mich zu. Gnaßfurth und Mutzigkeit belagern tagelang meinen Anrufbeantworter, sie bombardieren meinen Postkasten mit Bettelbriefen, wann ich denn endlich käme, um das anstehende Straßenfest planungstechnisch zu unterstützen. Gut, Hörstenbroich ist nicht groß, nicht zentral gelegen, geschweige denn verkehrsgünstig. Um die Wahrheit zu sagen, es ist eins der zahllosen Kaffs, deren Ortseingangsschild man erst bemerkt, wenn man die geschlossene Ortschaft schon wieder verlassen hat. Doch Hörstenbroich will die Meisterschaft um das Straßenfest des Jahres gewinnen – seit der Stiftung des Pokals gab es noch keinen Sieg.

„Das ist der bisherige Ablaufplan“, setzte mich Mutzigkeit ins Bild, „wir sind verzweifelt.“ Es war erwartungsgemäß ein Feuerwerk der Trostlosigkeit. Außer der Hüpfburg und einer Altkleider-Tombola war dem Komitee nichts eingefallen. Damit war der Pott nie zu holen. „Das Schlimmste ist aber“, bemerkte Gnaßfurth, „dass Krätzenroda und Schwitteringshausen in der Endrunde sind.“ Man habe, ergänzte Mutzigkeit, die Internetauftritte beider Metropolen im Auge, denn sie würden jede Entwicklung sofort publik machen. Keine geringe Herausforderung für Hörstenbroich, diese Perle am äußersten Rand der mondänen Welt.

Im nahe gelegenen Auwäldchen – zwei Bäume und ein leicht zu übersehendes Rinnsal – pflegt der Heimatverein Jahr um Jahr die Stelle, an der die napoleonischen Truppen vorbeigeritten sein sollen, um Hörstenbroich zu verschonen. Vermutlich haben sie die beiden Milchkannen schlicht ignoriert, was nichtsdestoweniger zu einem fünfzig Zentimeter hohen Gedenkstein reichte, den die Hörstenbroicher mit der Jahreszahl 1813 versahen. Die touristische Attraktivität des Denkmals unterstreicht eine Bude, die an Sonn- und Feiertagen zwar geschlossen ist, dazwischen aber körperwarme Kaltgetränke in sehr individueller Auswahl und Preisgestaltung offeriert. Von 1965 bis 1978 befand sich im Zentrum ein Wäschegeschäft, das nach dem Hintritt des Inhabers einem Ladenlokal für Unterhaltungselektronik mit integriertem Fußpflegeangebot wich; seit 1982 wird die Idylle lediglich zwischen sechs und halb eins von den Lebenszeichen der Bäckerei Breitjohann kontrapunktiert, die sowohl für völlig ungenießbare Backwaren als auch für den erbitterten Widerstand gegen jegliche Art von Service bekannt ist und dennoch stattliche Gewinne abwirft. Der älteste männliche Nachkomme der Breitjohanns ist seit dem Ende des Kaiserreichs jeweils mit dem Bürgermeisteramt sowie mit dem Vorsitz des Gewerbevereins betraut, was die Verwaltungskosten erheblich zu senken geeignet ist, von deren Qualität ganz abgesehen.

Unterdessen wartete das eine Kuhdorf mit einer Sushi-Meile auf, das andere mit einer Modenschau, moderiert von der Siegerin des ad hoc anberaumten Miss-Titten-Contest. Vorsichtig fragte ich nach der jüngsten Einwohnerin. Breitjohanns Tochter sei zwar mit ihren 38 Lenzen gut erhalten, befände sich aber derzeit in einer Spezialklinik zum Abspecken.

„Vielleicht könnte man ja über den Namen eine gewisse Weltläufigkeit kommunizieren?“ Was aber macht man in diesem Dorf? Eine Auwäldchen-Fete, eine Fuchs-und-Hase-Party mit anschließendem Abschied ins Koma? Fressen für die Umwelt? Intergalaktisches Schnarchsack-Jamboree? Von den Überlegungen, einen Orient-Basar mit China-Ecke einzurichten, hatte der Gewerbeverein sich rabiat distanziert. Bereits ein Schinkenfest besäße ihnen zu wenig Lokalkolorit; Hörstenbroich sei nun mal keine Hochburg der Schweinezucht.

„Da, es gibt Neuigkeiten“, berichtete Mutzigkeit und tippte auf den Bildschirm, „Krätzenroda hat es geschafft, Giros Rambazamba und seine Gitarreros für den musikalischen Teil zu engagieren!“ „Das ist das Ende“, stöhnte Gnaßfurth, „Freddie Calypso hat das Hunsrück-Schunkelfest für Schwitteringshausen abgesagt. Wir können einpacken.“ Hörstenbroich besitzt keine freiwillige Feuerwehr, so erübrigte sich die Frage nach einer Blaskapelle. Wie ein Orgelkonzert in der Kirche des Nachbarortes sich ins Programm einbinden ließe, wusste auch keiner.

„Wir müssen kein Kulturevent daraus machen“, tröstete ich die Verwalter, „etwas Straßentheater und Puppenspiel sind ja auch ganz hübsch.“ Das akzeptierte Mutzigkeit nicht. „Wir wollen diese Mistkrähen einfach nur von der Platte putzen, koste es, was es wolle! Herrgott, tun Sie doch etwas!“

Eine flüchtiger Blick auf die Elastizität der Finanzen, dann verteilte ich die Aufgaben. „Mutzigkeit, Sie grasen die Baumärkte ab. Hundert Kugelgrills, Holzkohle und Grillanzünder. Und Sie, Gnaßfurth, besorgen je 400 Kilo Schweinenacken und Schinkengriller.“ Sie guckten lethargisch. „Ja los“, trieb ich sie an, „haben wir Zeit?“ Schon warf sich das Festkuratorium in die Mäntel und stob aus dem Büro. Verschmitzt rieb ich die Hände. Dann griff ich zum Telefon. „Seffering, ich brauche zwei Tanklastzüge. Einmal zu Krätzenbräu, einmal in die Abfüllanlage von Flieges Pilsner. Tempo, Mann!“

Das Fest, das den Hörstenbroichern zum Sieg verholfen hatte, zählt zu den glanzvolleren Kapiteln der Ortsgeschichte. Die Hauptstraße war am folgenden Tag kaum zu identifizieren, befahrbar schon gar nicht, aber dafür hatte es sich gelohnt. Und es war der Jury nicht zu verdenken, dass weder Schwitteringshausen noch Krätzenroda bei ihnen einen bleibenden Eindruck hinterlassen hatte. Was ist schon ein Straßenfest ohne Bier.