Lemminge

29 04 2009

Es ging hektisch zu bei Trends & Friends. Alle Telefone piepten durcheinander, wichtig aussehende Gestalten liefen durch die Gegend und traten sich gegenseitig auf die Füße. Die Empfangsdame teilte mir mit, Frau Schwidarski sei noch nicht im Hause, werde aber jeden Augenblick zurückerwartet. Der Kaffee im Pappbecher hielt sich an die Vorschrift, er schmeckte nach aufgewärmtem Plastik.

„Wie schön, Sie zu sehen“, schmetterte ein schlaksiger Jüngling und rannte auf mich zu, „wir hatten Sie bereits sehnsüchtig erwartet. Mandy ist leider noch nicht da, aber wenn Sie mit mir vorlieb nehmen möchten? Minnichkeit, angenehm.“ Er reichte mir die Hand und deutete eine Verbeugung an. „Vielleicht gehen wir gleich schon mal ins Besprechungszimmer, dann können Sie sich noch ein wenig vorbereiten auf die Präsentation.“ So bugsierte er mich durch die von schwitzendem und schwatzendem Volk beklebten Gänge. Die meist jugendlichen bis immer noch jugendlich gehaltenen Mitarbeiter redeten, ohne Luft zu holen.

Da stürzte abrupt ein Mann im schneeweißen Anzug aus einer Tür und stieß im Korridor mit mir zusammen. „’tschulljung“, nuschelte er, „muss den Flug kriegen. Sind Sie der Typ für die Radiosache?“ Offenbar hatte sich meine Anwesenheit schnell herumgesprochen. Bei einer Trendscout-Agentur hätte man das allerdings auch erwarten können. „So, ich muss jetzt. Urlaub. Jemand ’ne Idee, wo man so hinfliegt diesen Monat?“ Ich schlug spontan Irland vor, erntete aber skeptische Blicke von dem Weißen. „Nee, Irland geht gar nicht. War vor zwei Monaten schwer in für einige Wochen, wird sicher erst nach Weihnachten wieder hip. Oder nächsten Sommer, kein Plan. So, ich muss jetzt aber echt. Jacqueline meinte vorhin, Beirut ist im Kommen. Muss sehen, dass ich noch ein Last-Minute-Ticket kriege.“ Und er verschwand, wie er gekommen war.

„Maxim ist unser Travel-Experte“, klärte mich Minnichkeit auf, „er muss unbedingt immer alle Locations sofort abchecken. Unter uns, ich finde, dass er letztens ein bisschen nachlässt.“ Fragend blickte ich ihn an. „Naja, der Anzug. Seit dem Frühjahr trägt man höchstens noch Wollweiß. Und seitdem er weiß, dass Zahnspangen hip sind, hat er sich mit 38 eine angeschafft.“ Ich war in eine Lemmingherde geraten. Alle rannten sie unsinnigen Direktiven hinterher und übersahen die Abgründe.

Rechts wichen wir dem Fotokopierer aus, da kam eine Praktikantin auf uns zu. „Guck mal!“ Sie hatte eine Menge Bilder in der Hand. „Das ist Fashion Week, können wir das so weitergeben?“ „Auf gar keinen Fall“, mischte ich mich ein, „Steghosen sind out, die Schuhe sind grauenhaft, total unsexy, und die Frisuren kann man nur noch beim Jahresball der Geschmacklosen-Gewerkschaft tragen.“ Sie sah mich verwirrt an. „Ändern Sie die Bildunterschriften, damit die Leser das nicht für trendy halten. In sind gerade Leggins mit floralen Mustern und Sandalen.“ „Aber die tragen doch Sandalen“, begehrte sie auf. „Das da sind aber Riemchensandaletten“, wies ich sie zurecht, „nur Sandalen mit weißen Socken sind mega-in. Tirolerhut! Meine Güte, leben Sie hinter dem Mond?“ Sie zog ab. Minnichkeit klappte sein Telefon zu und schaufelte unbeirrt den Weg frei.

Einige Türen weiter drangen enthemmte Disco-Rhythmen auf den Flur. Nichts gegen die Musik der Siebziger, nur war dies etwas laut. Ich stieß die halb geöffnete Tür auf; in dem winzigen Büro stapelte ein junges Mädchen Akten und schwang ihre Hüften zu dem ohrenbetäubenden Lärm. „Allô!“ Sie schrie mir auf einen halben Meter Abstand ins Ohr. Ob sie ihr Französisch in einem telefonischen Fernkurs gelernt hatte? Jedenfalls ließ sie sich nicht stören, nicht einmal durch die Blondine, die sich mit ins Zimmerchen zwängte und mir unvermittelt um den Hals fiel. „Hi Friend“, kreischte sie, „muss mal updaten: heute Abend was vor?“ Updaten? „Dates, you know. Ob Du heute schon nachtmäßig planned bist, you know.“ Sie fingerte ein Stück Papier vom Schreibtisch und suchte einen Bleistift. Dabei hatte sie ein iPhone an der Kordel um den Hals hängen. „Wollen Sie das nicht lieber gleich eingeben?“ „Oh well“, antwortete sie gelassen, „so phonemäßig ist das ja voll okay, aber die anderen Features sind irgendwie too complicated, you know. Da geht das mit dem… na, sag schon…“ „Zettel“, half ich ihr ein. „Worksheet, genau. Finnsten eigentlich mein Outfit? Zu overdressed?“ Ich blickte an ihr herunter. „Wollweiß ist okay, aber bitte ziehen Sie sich über die Unterwäsche noch etwas drüber. Blazer. Marineblau ist momentan sehr angesagt. Passt bestimmt.“ Dann wandte ich mich der Aktenstaplerin zu. „Wussten Sie eigentlich“, brüllte ich sie an, „dass man jetzt in Venezuela bei der Arbeit Marschmusik hört? Die Motivation ist enorm, probieren Sie es unbedingt einmal aus!“

Minnichkeit zog mich aus dem Raum und schob sich vor mir durch den Gang. „Haben Sie eigentlich den Kostenrahmen schon abgesteckt? Naja, machen Sie das mal besser mit der Chefin. Ah, da ist sie ja, sie muss den Hintereingang genommen haben. Hi Mandy!“ Frau Schwidarski drückte sich von der anderen Seite auf das Besprechungszimmer zu, im marineblauen Kostüm mit rosa geblümten Leggins, an den Füßen derbe Jesuslatschen über wollweißen Tennissocken. Aus dem Ghettoblaster auf ihrem Arm wummerte der Bayerische Defiliermarsch. Ihren Hut krönte ein gewaltiger Gamsbart.

Nun gut, reaktionsschnell war sie. Das musste ich ihr lassen.