„Es arbeitet nämlich mit Quantensprüngen“, sagte Professor Spröckel, „gewissermaßen werden die Raumzeit-Teilchen auf den vorigen Energiezustand zurückgesetzt – allerdings hat das Gerät bis jetzt nur ein recht beschränktes Wirkungsquantum, mehr ist derzeit noch nicht zu bewerkstelligen.“ Und er nahm einen kleinen, flachen Gegenstand aus der Schatulle, der ungefähr wie ein Schlüsselanhänger aussah. Oben befand sich ein Drehrädchen. „Hier können Sie das Quantum regulieren. Danach auf den Knopf drücken.“ Ich wog das Gerät in meiner Hand. „Und dann setzt sich die Zeit zurück?“ „Dann setzt sich die Zeit zurück. Für einen Augenblick, für eine, für zwei, für zehn Sekunden. Aber jeweils nur für das gerade aktive Quantum – Sie können nicht den Finger auf dem Knopf halten und so Ihr ganzes Leben wieder rückwärts laufen lassen!“ Ich fragte ihn, wie lange die Batterie halten würde. „Nun, je nachdem, wie oft und wie lange Sie es einsetzen. Einen Tag oder zwei vielleicht.“ Ich steckte das Maschinchen in die Hosentasche. „Sie werden einige seltsame Erlebnisse machen“, kicherte Professor Spröckel, „und am Schluss werden Sie begreifen.“ Ernst sah er mich an. „Sie werden den letzten Grund finden. Sie werden zum Augenblick sagen: ‚Verweile doch!‘ Und Sie werden schließlich begreifen, junger Freund.“
Als ich an Nisselmanns Laden vorbei lief, stellte die Gemüsefrau gerade eine Stiege Äpfel auf den Gehweg. Da blieb sie mit dem Schuh an einem Pflasterstein hängen. Äpfel schossen in die Gegend, die Kiste flog auf mich zu – geistesgegenwärtig zog ich das flache Ding aus der Tasche und drückte. Da trat Frau Nisselmann wieder aus der Tür, und just bevor sie den Kasten wegschmeißen würde, fiel ich ihr in den Arm. Ein Apfel kullerte herunter, den sie aufhob und mir schenkte. So also funktionierte das!
Sein Gesicht kam mir bekannt vor, aber wer war das doch gleich? Der Mann rannte auf mich zu und bestürmte mich gleich mit Fragen: ob ich denn das Manuskript schon fertig hätte, ob ich schon wüsste, dass er zum Abteilungsleiter befördert worden wäre und unbedingt sieben neue Folgen der Sendereihe Kochen wie die Azteken bräuchte, nur wer war er? „Ernst Pröppelhusen! Haben Sie meine Visitenkarte nicht aufgehoben?“ Er war sichtlich beleidigt, die Azteken-Sendungen würde ich mir wohl in die Haare schmieren können. Da drückte ich auf den Knopf. Er rannte auf mich zu. Sofort breitete ich die Arme aus und legte ein strahlendes Lächeln aufs Gesicht. „Pröppelhusen, altes Haus! Herzlichen Glückwunsch zur Beförderung – na sicher, gute Nachrichten sprechen sich doch schnell herum, ich weiß alles. Manuskript ist fertig, kriegen Sie morgen schon. Wissen Sie was, ich habe eine fantastische Idee für diese Azteken-Sache, was, das machen Sie ab jetzt selbst? Naja, das hätte ich mir denken können – ein Mann in Ihrer Position!“ Und ich ließ ihn in der Landschaft stehen, wo er mir noch lange nachsah, verwirrt, aber selig. Es war sein Glückstag. Sonst erkannte ihn keiner.
Im Stadtpark begann ich ein bisschen mit dem Quantending zu spielen. Zweimal, dreimal ließ ich einen dicken Mann, der schnaufend seinem Hund hinterher rannte, über seine Schnürsenkel stolpern. Ein köstlicher Anblick. Den Landeanflug einer Amsel auf einen Busch genoss ich aus allen Perspektiven, und aus lauter Übermut warf ich eine Papiertüte so oft auf den Abfallkorb, bis ich ihn schließlich getroffen hatte. Dann wurde mir die Sache doch ein bisschen langweilig. Es zog mich zu den geistigen Dingen hin.
Zwei alte Männer saßen vor dem Schachbrett. Sie schwiegen und spielten. Eine Weile beobachtete ich sie, wie sie grübelnd auf das Spiel blickten, da zog Weiß. Ich trat näher und sah, wie ein Turm gefährlich stand – einen Zug oder zwei, dann würde der gegnerische König in der Zange hocken. Weiß lenkte mit dem Springer ab und versuchte eine Diagonale. Schwarz ahnte nichts, ging in die Falle, schon bot ihm Weiß Schach. Ich drehte das Rad bis zum Anschlag und drückte auf den Knopf. Mit einer unauffälligen Handbewegung zeigte ich auf den weißen Turm und zwinkerte dem schwarzen Spieler zu. Da fiel ihm die Falle auf. Er zog den König auf die Grundlinie; der Weiße furchte stumm seine Stirn. Ich musste nicht einmal Gedanken lesen können und veränderte doch den Lauf der Dinge. Jede Gegenwart, die sich wandelte, führte in eine andere Zukunft. Mir schauderte davor, was der Apparat in falschen Händen alles anrichten könnte, und sei es nur dadurch, dass ich nicht in den Gang der Geschichte eingriffe.
Kaum war ich zu Hause, stopfte ich das Manuskript in einen Umschlag. Aus der Küche drang gefährliches Rumoren. Da fiel es mir ein: ich hatte nicht eingekauft. Kein Spargel, kein Käse, nicht einmal ein Stück Brot war noch da. Hildegard steckte den Kopf herein. Tückisch freundlich fragte sie, ob ich alles fürs Abendessen bekommen hätte. Ich drückte auf den Knopf. Schon erschien ihr Gesicht wieder in der Tür. „Hast Du auch alles fürs Abendessen bekommen?“ Schon wollte ich zu einer Antwort ansetzen, da schnitt sie mir einfach das Wort ab. Ich drückte nochmals. „Hast Du auch alles fürs Abendessen bekommen?“ „Ach, weißt Du“, sagte ich, „ich dachte, ich lade Dich heute Abend mal ein beim…“ Schon zischte sie zurück: „Mal wieder eine Deiner typischen Ausreden. Der Herr geht lieber im Park spazieren und lässt sich die Sonne auf den Bauch scheinen, statt einzukaufen.“ Also noch mal. „Ich dachte, heute Abend könnten wir…“ „Mal wieder eine Deiner typischen Ausreden“, schalt sie mit schneidendem Unterton, „der Herr geht lieber im Park spazieren und lässt sich die Sonne auf den Bauch scheinen, statt einzukaufen.“ Verzweifelt drückte ich und drückte und drückte. „Wollen wir zu einer Luxuskreuzfahrt aufbrechen? Jetzt gleich?“ Grimmig machte sie alle meine Hoffnungen zunichte. „Mal wieder eine Deiner typischen Ausreden. Der Herr geht lieber im Park spazieren und lässt sich die Sonne auf den Bauch scheinen, statt einzukaufen.“ Ich versuchte, nochmals zu drücken aber da war die Batterie leer. „Und glaub bloß nicht, dass Du mich mit Deinen Einladungen einwickelst! Das zieht bei mir nicht!“
Das also war des Pudels Kern.
Satzspiegel