„Sagen Sie mal, wollen Sie sich etwa zum Affen machen?“ Seyboldt war gar nicht zu beruhigen. Er ist penetrant, rechthaberisch, spricht zu laut und mit arrogantem Unterton. Dafür bezahle ich ihn ja. Und er ist kein schlechter PR-Berater. Aber dass er so übertreiben muss?
„In Ihrer Position haben Sie doch überhaupt nicht den Überblick. Wir können Sie nur öffentlich zugeben, dass Sie nicht twittern? Ist Ihnen klar, was Sie damit angerichtet haben?“ „Moment mal“, fiel ich ihm ins Wort, „ich habe nicht behauptet, nicht zu twittern. Ich habe gesagt, dass mir dieser ganze Quatsch vollkommen egal ist. Wörtlich. Prüfen Sie es gerne nach.“ „Das ist es ja“, stöhnte Seyboldt, „damit machen Sie es nur noch schlimmer. Keiner wird Sie mehr ernst nehmen. Ich sehe schon die Schlagzeilen: Gefeierter Star-Autor kehrt freiwillig in die mediale Steinzeit zurück.“ Schmeichelhaft oder nicht, dass ich gefeiert würde, hatte sich bisher meiner Kenntnis entzogen. Jedenfalls macht mir der PR-Erzieher fast täglich klar, dass ich ohne seine unermüdlichen Versuche noch in zehn Jahren völlig unbekannt sein dürfte. Ich müsse meine Akzeptanz steigern, sonst wäre ich innerhalb kürzester Zeit weg vom Fenster. „Es ist nun mal so, man muss sich heutzutage eben völlig entblößen. Sie werden da nicht umhinkommen.“
Das reichte mir. Wer nicht hören will, muss eben fühlen. Und so packte ich den Berater am Arm und zog ihn aus seinem Büro in den Fahrstuhl, aus dem Fahrstuhl in den Flur und von dort aus direkt auf die Einkaufsstraße. Es war mir gelungen, ihn zu überrumpeln. Widerstand war nicht zu spüren, so perplex war er, als wir plötzlich im Freien standen. Wild gestikulierte ich mit den Händen. „Ich mache einen Spaziergang mit meinem PR-Berater“, rief ich, „heute morgen habe ich geduscht und eine frische Unterhose angezogen. Das da ist mein PR-Berater. Er trägt vermutlich auch Unterwäsche.“ Verärgert riss sich Seyboldt von mir los. Er wollte mich zurückhalten, doch ich war schneller. Ich baute mich vor einem Passanten auf. „Ich stehe in der Kaiserallee!“ Der Mann tippte sich an die Stirn und ging an mir vorbei. Schon kam der nächste, auch ihm versperrte ich den Weg. „Ich stehe in der Kaiserallee!“ Er blickte mich über den Rand seiner Brille hinweg an. „Was Sie nicht sagen.“ Begeistert dreht ich mich zu Seyboldt um. „Ich habe Response gekriegt. Super! Was meinen Sie, kann ich ihn zu einem Follower aufbauen?“
Offenbar war ihm die Angelegenheit peinlich. Was soll’s, schließlich befolgte ich nur seinen Rat. Wenn ich alles so machen würde, wie er es mir empfohlen hatte, stünde ich schon am folgenden Tag in der Zeitung. So oder so.
Seyboldt versuchte, mich in einen Hauseingang zu zerren. „Hören Sie mit dem Blödsinn auf“, schnauzte er mich an, „Sie machen sich ja zum Affen!“ „Ach was“, replizierte ich kühl, „und ich dachte immer, das sei der Sinn der Sache?“ Damit griff in die Jackentasche und holte ein Halsbonbon hervor, das ich mir zwischen die Zähne schob. Sekunden später lief ich neben einem jungen Mädchen her, griff sie an der Schulter und deutete auf meinen Mund: „Iff lutffe gerabe eim Pfeffermimpffbombom!“ Sie sah mich für einen Augenblick völlig entgeistert an und brach dann in prustendes Gelächter aus. Selig sah ich ihr nach. Mein Marktwert war endlich im Steigflug.
Zwischendurch ließ ich mir noch kurz die Schuhe putzen – Seyboldt stand unterdessen mit hochrotem Kopf auf der anderen Straßenseite und raufte sich die Haare – und zog dann eine Zeitung aus dem Automaten. Was für ein Nachrichtenwert! Das musste ich natürlich sofort ausnutzen. „Hypo Real Estate wird nicht komplett verstaatlicht!“ Wie ein Marktschreier lief ich auf und ab. „Somalische Piraten haben erneut deutsches Schiff gekapert!“ Ein kleiner Junge guckte mich skeptisch an. Dann fragte er seine Mutter, die mit der Einkaufstasche in der Hand neben ihm herging: „Mammi, ist der Onkel besoffen?“ „Nein“, antwortete sie, „der ist einfach nur bekloppt.“
Da war Seyboldt der Geduldsfaden gerissen. Er nahm mir die Zeitung aus der Hand, das heißt: er probierte es. Um die Blätter entbrannte ein heißer Kampf. „Lassen Sie doch den Schwachsinn“, schrie er mich an, „Sie geben sich komplett der Lächerlichkeit preis! Man muss sich ja für Sie schämen!“ Flugs eroberte ich die Zeitung zurück. „Ich war ja noch gar nicht fertig. Da ist etwas über Annemarie Eilfeld, und ich bin auch noch gar nicht bis zum Sportteil mit Felix Magath gekommen.“ Er stampfte mit dem Fuß auf den Boden. Doch ich ignorierte ihn einfach. Sicher wären auf der Witzseite neue Berlusconi-Bilder.
„Belästigt Sie dieser Herr?“ Ich hatte den Polizisten gar nicht bemerkt. Seyboldt fingerte schon wieder an meiner Zeitung herum. „Nein, lassen Sie nur. Er hat zwar gesagt, ich solle mich völlig entblößen, aber ich habe ihn im Griff. Besten Dank.“ Seyboldt stierte mich an. Schon wollte er sich auf mich stürzen, da packte der Beamte ihn am Schlafittchen. „Sie erregen öffentliches Ärgernis! Mitkommen! Sofort!“
Der Wachtmeister verhielt sich erfreulich kooperativ. Seyboldts Anwalt musste nur eine knappe Stunde verhandeln, dann ließ man den sichtlich angeschlagenen Öffentlichkeitsprofi aus der Ausnüchterungszelle heraus. Er würdigte mich keines Blickes. Möglicherweise bereitete er sich innerlich schon auf seine Schlagzeile am nächsten Tag vor. Ich würde es erfahren. Ganz sicher.
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