Kreative Technologie

25 05 2009

„Meine Güte, sind Sie nass!“ Traute Rupfmöller half mir, als ich mich aus dem Mantel schälte. Es hatte überraschend geregnet. „Geben Sie her, das ist schnell gemacht.“ Vorsichtig hängte sie das tropfende Ding über einen Kleiderbügel und knipste ihn an. Das Kleidungsstück blähte sich im Nu auf, als wäre es ein Einmannzelt. Aus dem Haken röhrte es wie in einem voll besetzten Frisörsalon. „Das Gebläse wird Ihren Mantel schonend trocknen, in weniger als einer Stunde werden Sie ihn schon wieder anziehen können.“ „Das ist ja großartig“, staunte ich, „haben Sie noch mehr auf Lager?“ Sie lächelte geschmeichelt. „Sie werden sehen, ein Besuch auf unserer Erfindermesse ist immer ein Gewinn. Ich schlage vor, wir beginnen bei den Haushaltswaren. Mir ist jetzt nach einem Kaffee.“

Schon hatte sie mich zu einem großen Stand mit vielerlei Küchengeräten geführt. „Schauen Sie, so sieht die perfekte Küche für Singles aus.“ Und sie zeigte mir einen kleinen, formschönen Kasten. „Links die Mikrowelle, rechts eine Kaffeemaschine. Seien Sie ehrlich, mehr ist doch für einen Studenten gar nicht notwendig.“ Im Nu hatte die Maschine den Kaffee durchgefiltert. Ob sich das lohnte? „Im WG-Zimmer haben Sie sonst keine Möglichkeit, sich mal schnell einen Imbiss zuzubereiten. Diese Maschine schließt eine echte Lücke. Nehmen Sie Milch und Zucker?“ Frau Rupfmöller hielt mir eine vibrierende Tasse hin. „Sie rührt automatisch um.“ „Sagen Sie“, fragte ich zwischen zwei Schlucken, „wer denkt sich diese ganzen Sachen aus?“ „Ganz normale Leute. Menschen wie Sie und ich, die von einer Sache genervt sind oder es gerne bequemer hätten. Man entdeckt etwas, was es noch nicht gibt, man definiert dies als Problem, und schon hat man etwas erfunden. Man muss es nur noch bauen.“ Das transparente Plastikrohr weckte mein Interesse. „Das könnte ich gut gebrauchen. Oben steckt man die hartgekochten Eier hinein, und unten kommen sie in Würfelgestalt heraus. Wie praktisch!“ Doch sie winkte ab. „Das Konzept ist nicht ausreichend durchdacht. Der Eierwürfelformer dürfte auf dem Markt keine Chance haben.“ Was denn das Problem sei, fragte ich sie. „Haben Sie je würfelförmige Eierbecher gesehen?“ Ich schwieg betroffen.

„Aber schauen Sie hier. Dieser Personal Toaster ist ein Messeschlager.“ Sekunden später fluppte das Röstbrot aus dem Schlitz und zeigte ein Bärchen. „Die Schablone ist wechselbar.“ Es gab Blümchen- und Streifenmuster. „Da hätte ich spontan eine Idee: bieten Sie das mit der Marienerscheinung an. Der Toast war seinerzeit der Renner.“ „Warum nicht“, meinte sie und zog einen großen Lippenstift aus der Tasche. Musste sie sich gerade jetzt schminken? Doch sie strich damit über die Toastscheiben. „Für das Hotelfrühstück ist das ideal, wo bekommt man noch gute Butter? Man kann das Streichfett damit viel besser dosieren. Und es nimmt kaum Platz weg auf dem Tisch.“ Ob es auf dieser Messe auch einen Dosierspender für Marmelade gäbe?

Der Kühlschrank mit Glastür ließ mich ratlos. „Das ist ungemein praktisch“, belehrte mich Frau Rupfmöller, „Sie müssen nie mehr die Tür öffnen, um den Inhalt zu kontrollieren. Und es ist endlich Schluss mit dem Märchen, die Industrie hätte einen Pakt mit den Stromkonzernen geschlossen und würde Geräte herstellen, in denen sich heimlich wieder das Licht anschaltet.“ Ich stellte mir den Kühler in meiner Küche vor – kein Bier mehr würde ich vor Jonas verstecken können, keinen Pudding vor den Argusaugen meiner Großnichte.

Was sollte diese unförmige Metallplatte mit den Schlitzen nur sein? „Passen Sie auf.“ Sie legte die Platte am Handgriff auf einen Bierkasten und zog. Zwei Dutzend Kronkorken ploppten, zwei Dutzend Biere zischten simultan. „Für eine Grillparty ist so ein Multiflaschenöffner bestimmt gut“, gab ich zu, „und dieser Synchrontrinkhalm ist für den Sangria-Eimer gedacht?“ Sie nahm mir das Schlauchbündel aus den Fingern und drehte es um. „So wird das verwendet. Entweder Sie stellen Mischgetränke aus verschiedenen Flaschen her – beispielsweise Bier und Cola – oder Sie benutzen es einfach im Liegestuhl. Dann müssen Sie nicht so oft für Nachschub sorgen.“ Der Korken knallte und landete wie vorgesehen im Schlauch. „Und wenn’s mal ein Schlückchen Sekt sein soll, fliegt Ihnen der Stopfen nie mehr um die Ohren.“

Das Bad war mit allen Schikanen versehen. Das Klosettbecken leuchtete matt von innen. „Wenn Sie nachts raus müssen, braucht es nicht das grelle Deckenlicht.“ Wozu aber diente der Kalender am Duschvorhang? Und warum innen angebracht? „Oft hat man die besten Einfälle unter der Dusche. Oder man sortiert gleich morgens den Tagesplan. Das geht nun mit wasserfestem Stift.“ Ganz erstaunlich. „Und mit diesen Badeschuhen haben Sie gleich den Boden blitzblank gewischt.“ An den Sohlen der Pantoffeln waren Wischmoppfäden befestigt.

„Haltet den Dieb!“ Der Wachmann hatte einen hochroten Kopf. Er stürmte durch das Gelände und fuchtelte mit den Händen. „Haltet den Dieb! Er hat die Kasse mit den Tageseinnahmen von gestern geklaut!“ Das kleine Männchen mit dem Revolver lief genau auf die Rutsche zu. „Unsere Antwort auf den Treppenlift – wenigstens abwärts haben die Senioren ihren Spaß, und es spart natürlich Strom.“ Frau Rupfmöller zog einen Stift und eine Spraydose aus der Handtasche. Doch nicht schon wieder Kosmetik? Sie sprühte den Boden ein. Dann drückte sie einmal auf den Stift. Es klackte leise.

Da kam der Bösewicht angerannt. Noch ein Schritt, dann würde er auf der Rutsche liegen – zu meinem grenzenlosen Erstaunen strauchelte der Langfinger über die eigenen Füße und schlug der Länge nach auf den Boden. Dort blieb er in seltsam verdrehter Stellung liegen, die Handflächen wie angenagelt auf dem Parkett und die rechte Wange an seinem Knie.

„Wie haben Sie das denn gemacht?“ „Alles eine Frage der Technik“, lächelte Frau Rupfmöller beschwichtigend, „dieses kleine Gerät ist an sich eher dazu gedacht, eine Wäscheleine in eine Wand zu schießen.“ Tatsächlich, ein Nylonfaden spannte sich beinahe unsichtbar in Knöchelhöhe durch den Raum. Ich wollte den Schurken am Schlafittchen packen, doch sie hielt mich davon ab. „Vorsicht, sonst bekommen Sie Sprühkleber an die Finger!“