Gernulf Olzheimer kommentiert (IX): Hotlines

29 05 2009

Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer


Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Fern sind die Zeiten, da der durchschnittliche Schollenbewohner noch alles selbst bewerkstelligen konnte: dem Hornvieh hinter dem Pflug über die Krume folgen, auf dass die Feldfrucht gedeihe, das Korn händisch mahlen, den Teig kneten, sich die Griffel am Ofen verbrennen und das alsbald zum Verzehr geeignete Brot sich in die Wampe panzern, um hernach von der holden Gattin zu erfahren, dass Kind Drei gerade eben beim lustigen Spiel mit dem noch nicht ganz gezähmten Wolf in gulaschartigen Aggregatzustand überführt wurde und Kind Sieben es für nötig hielt, an einer aus dem Nachbardorf eingeschleppten Virusinfektion zu versterben. Da ging’s dann lustig auf die Alte rauf, Rente sichern, und die liebe Seele hatte einmal mehr Ruh.

Anders heute. Der durchschnittliche Vollspaten lebt so fern der Scholle, dass er sie noch im Balkonkasten für suspekt hält, sperrt sein Brot in funkferngesteuerte Gefrierkästen und pflegt seine paranoiden Anfälle, wenn die Dinger nach dem Auspacken ein Eigenleben entwickeln und sich einen Dreck darum kümmern, was die aus dem Altkoreanischen über Volapük und Vulgärlatein nach Neusprech übersetzten Bedienungsanleitung anweist: Wenn dem loch die Ausweisen, klebe des nasen Neben ihre enddarm Oeffnung. Täte man gerne, birgt aber leichte technische Schwierigkeiten, weshalb man die Rufnummer der Hotline wählt.

Schon wenige Jahre später erfährt der Kunde, dass gerade die Baugenehmigung für ein neues Call-Center erteilt wurde; die Sprechverbindung wird noch innerhalb der nächsten drei Generationen möglich sein. Risiken und Nebenwirkungen stehen nicht zur Debatte. Viele Produktgenerationen später – inzwischen sind DDT, Wählscheibentelefone und kohlebefeuerte Plätteisen auf wundersame Weise aus der Mode gekommen – meldet sich eine verschlafene Stimme und fragt mit sächsischem Akzent nach der Fahrgestellnummer des Traktors. An sich hatte man wegen einer Digitalkamera angerufen, doch der junge Schwachmat am anderen Ende des Drahtes betreut außer landwirtschaftlichem Großgerät und Vibratoren nur defekte Heizdecken. Nichts zu machen. Wollte man nur kurz einhaken, hängt man schon wieder in der Warteschleife und darf sich erneut Mozarts Gesamtwerk in der Einspielung für elektrisches Fiepsen anhören, zur Sicherheit gleich dreimal. Die Verbindungskosten haben unterdessen den Wert des Bruttoinlandsprodukts überschritten.

Da meldet sich eine Stimme – mutmaßlich derselbe Bekloppte, der in der Zwischenzeit eine Nachschulung in aufrechtem Gang, hochdeutscher Phonetik und Unterhaltungselektronik absolviert und die Prüfung schon im vierten Anlauf bestanden hat – und fragt, ob man bei dem batteriebetriebenen Toaster den Netzstecker in die Dose gepröppelt habe. Dann zitiert er altkoreanische Lyrik; es handelt sich um denselben Sondermüll, der bereits beim Lesen der Bedienungsanleitung für Lochfraß auf der Netzhaut gesorgt hatte.

Andere Versuche ergeben, dass Hilfskräfte von Service-Hotlines erst nach dem Einsalzen der letzten verfügbaren Hirnzelle voll berufstauglich sind. Wer beispielsweise über das jähe Verstummen seiner Festnetzleitung klagt, darin inbegriffen auch der als Internet landläufig bekannte Datenverkehr, lässt sich jederzeit gerne von einem Vollspaten fragen, warum er seinen Hilferuf nicht in aller Ruhe als E-Mail von der heimischen Kiste verfasst habe. Wer einfach nur mal wissen wollte, warum die im Trockenrasierer befindlichen Scherfolien, obzwar mit der korrekten Artikelnummer ausgezeichnet, die auch auf der Verpackung steht, nicht ins Gerät passen, weil sie anderthalb Zentimeter zu breit sind, um sie in den Kinnhobel reinzuschwiemeln, erlebt ein heiteres Frage- und Antwortspiel. Wann man das Gerät und zu welchem Zweck wo erworben habe. Ob vergleichbare technische Probleme bereits vor der ersten Ingebrauchnahme der Neuware aufgetreten seien. Ob die Differenz von fünfzehn Millimetern möglicherweise kein Baufehler sei, sondern auf die unterschiedliche Stromspannung in Südostasien zurückzuführen wäre, wo der Rasierer eigentlich zum Einsatz hätte kommen sollen, wäre da nicht zwischendurch die Globalisierung passiert.

Am Ende eines langen Tages begreift man, dass dieser Service zu den Wahrzeichen seiner Nation gehört, dem Lande der Behämmerten, und zieht die Konsequenzen. Raus mit dem ganzen Schamott. Beherzt pfeffert man Kamera und Zugmaschine auf den Abfallhaufen hinter der Doppelhaushälfte, wo schon diverse Fernseher, Hörgeräte, Schusswaffen und Sportwagen in buntem Lack dem Niederschlag trotzen, und übereignet das Konvolut den Archäologen künftiger Jahrtausende, die daraus ablesen mögen, mit welcher Geschwindigkeit die Postmoderne ihrem Verfall entgegen gerottet sein muss. Man ahmt die stoische Ruhe des Objekts nach, akzeptiert das unangemeldete Ableben des Organischen und überlegt kurz, ob es sich noch lohnt, dem Ehegespons zwecks Rentensicherung beizuwohnen. Allein dies kann man vergessen; der Unrasierte ist chancenlos auf dieser Welt.