Gernulf Olzheimer kommentiert (XIV): Progressive Eltern

3 07 2009

Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer


Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Die Welt tickte noch sauber, als Mütter und Väter noch das waren, als was sie von der Natur und den Ansätzen diverser gründlich missratener Zivilisationsversuche vorgesehen sind: Mütter. Und Väter. Teils Laktationsautomat und Maschine zum Windelwechseln, teils der bärtige Teilnehmer am ordnungsgemäß absolvierten Ödipuskonflikt, der in letzter Sekunde vor dem Abtanzball demonstrieren darf, wie man sich einen Strick unter den Kragen nudelt. Andere Kulturtechniken wie Bierflaschen öffnen, Bierflaschen leeren, Bierflaschen in der Landschaft verstreuen eignet sich der Jungspund lieber durch teilnehmende Beobachtung im Kreise der Gleichaltrigen an. Gehen die ersten Versuche von Komasaufen, erotischer Annäherung oder akrobatischen Übungen auf dem Zweirad gründlich in die Hose, so ist es dem Adoleszenten immer noch lieber, sich in Anwesenheit der Klassenkameraden schlagartig bewusst zu werden, dass ein Abgrund gähnt zwischen dem Realen und dem unter der Schädeldecke köchelnden Schwachfug, der sich nach und nach an den Tatsachen abschmirgelt. Er zieht sich gerne zurück ins Elternhaus, wo ihm die dumpfe Heile-Welt-Spießigkeit zwar voll auf die Plomben geht, doch weiß er, dass er aus dieser Zwangslage spätestens am nächsten Wochenende wieder entwischen wird und dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis er als Volljähriger den Ort seiner Gefangenschaft endgültig verlassen kann.

Nicht so der progressiv gehegte Halbwüchsige. Wo prügelnde Megären und dauerbesoffene Nulpen mit ihrem Latein am Ende sind, die folgende Generation für das eigene sinnlose Dasein büßen zu lassen, da fallen die Behämmerten par excellence ins weite Feld der Bevormundung ein, marodierend und verbrannte Erde hinter sich lassend. Es sind progressive Eltern, die sich an den Stammhalter ungefragt heranwanzen, als hätte der noch nicht genug Katastrophen am Hals. Mama und Papa als Kumpeltypen – ein Weltuntergangsszenario aus dem Bilderbuch für Grenzdebile.

Zunächst haben die Erziehungsberechtigten einen solchen Vorrat an Verständnisinnigkeit, dass es dem Sprössling graut. Er sucht sich mühsam seine Chancen zur Rebellion zusammen, vergiftet ein Rudel Kois in Daddys Gartenteich und nagelt Mammis Prada-Sammlung zwölfzöllig ans Cabrio. Die Altvorderen analysieren es kritisch und sehen, dass der Bankert durchaus nachvollziehbar handelt. Väterchen findet auch gar nichts dabei, er wollte den Sportwagen ohnehin abwracken, weil er denkt, dass ein Motorrad zu einem modernen Mann mit Kind ohnedies besser passt. Dass die Chrommühle nur angeschafft wird, damit er seinen Erben damit entspannt zur Engtanzfete kutschieren kann, steht auf einem anderen Blatt. Dass der Knabe vor dem anwesenden Damenflor lieber erektile Dysfunktion zugäbe als die Anwesenheit seines Erzeugers, steht für letzteren gar nicht zur Debatte. Er meint es gut, und genau das ist das Problem.

Mehr noch, die Erziehungsberechtigten maßen sich an, jedes noch so intime Detail ihrer Brut in sämtlichen Erscheinungsweisen mit dem klebrigen Überzug ihres Einfühlungsvermögens zu beschmieren. Wer weiß, wie Pubertierende ticken und dass eine Auseinandersetzung unter kleinen Mädchen – Chantal mag nicht mehr neben Jacqueline sitzen – die klassische Vorstellung von Harmageddon dagegen in ein minder schweres Kaffeekränzchen verwandelt, kann sich ausmalen, wie es die Blagen empfinden, wenn Mutti ihren eigenen missratenen Reifungsprozess als Parallele zu Töchterleins ersten zarten Erfahrungen auf dem Rücksitz eines Personenkraftwagens heranzieht. Sie hätte vielleicht gleich eine tiefenpsychologische Interpretation des Tagebuchs anfertigen sollen, um aus dem Mädel eine Portion Leibesfruchtsalat zu basteln. Die Hauptsache ist, es geht den Alten gut. Sie genießen nicht das Leiden ihrer Abkömmlinge, sie bemerken es nicht einmal.

Peinlichkeit ist ihre zweite Natur. Subfontanell unmöbliert wie sie sind, treiben sie glühende Krampen unter die Nägel ihrer kleinen Schatzis, indem sie sich als deren beste Freunde bezeichnen, öffentlich und ungefragt. Hatte der Rebellionsdrang schon keine Chance, so wird das Seelenleben der Jugendlichen hiermit endgültig in die Grütze geritten, denn die Gruftis kapieren nicht, dass man sich Freunde im Gegensatz zur Familie aussucht – jede Sozialisation der gesellschaftlichen Debütanten ist damit ausgeschlossen, die Bande wächst zu einem Haufen Psychoarschlöcher heran, die sich nur durch grobe Gewalteinwirkung von den Tentakeln der Mutterliebe und des Vaterstolzes lösen können.

Nach schweren Träumen kommt es dem Sohn mal wieder so vor, als hockte Pappi auf der Bettkante und gäbe seinen Sermon von sich. Die Sicherung brennt durch, und während die Nachbarn schon auf das Sondereinsatzkommando warten, verarbeitet das Kind seinen Schnödipus mit Hilfe der Laubsäge in handliche Päckchen. Alle sind fassungslos. Wo doch seine Eltern immer so viel Verständnis für ihn gezeigt hatten.


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7 responses

3 07 2009
brokenspirits

Böse… absolut böse. und doch so wahr….

3 07 2009
Donkys Freund

Ich hänge mir diesen Artikel auf blutrotem Papier warnend über mein Bett. Nur so zur Vorsorge. 😀

3 07 2009
bee

Die Sache hatte sogar einen recht realen Auslöser vor einigen Tagen: am Nebentisch in einem Gartenlokal saß so ein berufsjugendliches Paar inklusive einer (um und bei) zwölfjährigen Tochter, die ihre Alten sicher todpeinlich fand. Mir gegenüber rührte der in der Tasse, der hier als Rolf bekannt ist, Vater zweier Töchter; er schaute kurz über die Schulter und sagte dann trocken: „Wenn wir mal so werden, erschieß uns bitte rechtzeitig.“ 😉

3 07 2009
Donkys Freund

Kann ich mir gut vorstellen. Ich habe bis zur Pubertät noch paar Jahre (also nicht ich, sondern mein Sohn, 9) Die Mischung zwischen Authorität (gern benutzte Floskel: Konsequent sein…) und Verständnis ist aber schon recht schwierig.

Deshalb halte ich es mit meinem Lieblingswort: Authentisch! Das ist angenehm unverkrampft und wirkt unverschlüsselt. Und eigentlich auch nicht wirklich peinlich. Klappt leider nicht immer.

Nicht nach pädagogischen Büchern, Theorien oder Projektionen eigener Defizite in die Erziehung.

3 07 2009
bee

Konsequenz muss ja nicht gleich nach „Strafrahmen abstecken“ aussehen, sie hat auch mit Authentizität zu tun: wenn die Eltern nicht vernünftig handeln, wie soll es das Kind begreifen, dass sein Verhalten Folgen hat? Insofern ist die Glaubwürdigkeit vielleicht die kompliziertere Aufgabe an sich selbst.

(Wobei natürlich auch klar ist, dass man das eigene Verhalten nicht 1:1 übertragen kann; Schwierigkeiten gibt’s immer dann, wenn Erziehung eigentlich gar nicht stattfindet und man zusätzlich noch ein schlechtes Vorbild zur Nachahmung abgibt, und das führt dann leider meist in die eine oder andere Form der Verwahrlosung oder deformiert Kinder durch kognitive Dissonanzen: man flucht und drängelt am Steuer und raucht Kette und legt sich auf die faule Haut, verlangt aber von seinem Kind frühzeitig Engagement und Eigenverantwortung.)

Ein Erlebnis hatte ich vor Jahren, als ich mal ein Kinderkonzert besuchte – da stand ein Mann auf der Bühne und erklärte den Pubertierenden Mozart, als hätte er einen Kindergarten vor sich. Kein Wunder, dass das Interesse gegen Null ging. Es steckt in dieser Art Erziehung einerseits sehr viel Festhalten an dem Kind, das es einmal war und nicht mehr ist (man kann einen 15-Jährigen nicht mehr in der Elternbindung halten, die ein Vorschulkind braucht, sonst klemmt man ihn ein), andererseits die Vorstellung, Kinder seien im Grunde nur kleine Erwachsene, deren Wahrnehmung und Denken gleich fertig auf die Welt kommen. Beides katastrophal.

Aber ich habe leicht reden. Hildegard konfrontiert mich regelmäßig mit den Früchten ihres Pädagogikstudiums – und muss feststellen, dass Dressur bei mir einfach nicht klappt :mrgreen:

8 07 2009
Tante Jay

Oh, du kennst meine Eltern? *g*
Die verstehen bis heute nicht, das ich auf die sauer bin, weil MEINE Freunde immer (!) irgendwann IHRE Freunde waren, aber nicht mehr MEINE.

Ging soweit, dass meine beste Freundin dann die von meiner Mutter wurde und als „Ersatztochter“ tituliert wurde…

Klasse Text. 😉

8 07 2009
bee

Manchmal hat es auch seine Vorteile, wenn man in einem deutlich preußisch geprägten Haushalt aufgewachsen ist. Das Türenknallen bei den Ausbruchsversuchen ist echter 😉

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