Nicht nur zur Weihnachtszeit

30 09 2009

07:31 – Eine Rentnerin macht Friedbert K. (41), den Leiter der örtlichen Supi-Filiale, auf die nicht ordnungsgemäß angefüllte Regalreihe mit Schoko-Weihnachtsmännern aufmerksam. Sie kündigt unter Protest an, den Discounter fortan nicht mehr zu betreten, wenn das Personal nicht schleunigst daran ginge, die erforderlichen Jahresendfiguren in Vollmilch nachzuräumen. So beginnt der 30. September, ein Tag, der im Gedächtnis dieser Kleinstadt bleibende Spuren hinterlassen soll.

08:02 – Kurz nach der Öffnung der Kaufdas-Niederlassung auf der gegenüberliegenden Straßenseite beschließt Helmut M., sein Geschäft solle im Existenzkampf nicht unterliegen. Er kontert mit einem ursprünglich für die Adventszeit vorgesehenen Sonderaufsteller, der sich unter zentnerweise Spekulatius biegt.

08:06 – M.s schändliches Treiben war weder den Angestellten des Supi-Marktes noch den unentschlossenen Passanten verborgen geblieben. Hastig schiebt K. vier Paletten mit Pfefferkuchen und Mandelgebäck in den Laden. Um Platz zu schaffen, kündigt er an, den Kunden bis auf weiteres kein Frischfleisch mehr anbieten zu können. Die Stimmung ist angespannt.

08:34 – Mit quietschenden Reifen stoppen die Lieferwagen des Feinkost-Großhändlers vor den Türen von Kaufdas. Binnen Sekunden stemmen Möbelpacker Honigkuchen, Königsberger Marzipan und Dresdner Christstollen im Großgebinde. Das Obst- und Gemüsesortiment wird auf dem Parkplatz entsorgt.

08:50 – K. kontert mit einer Blitzoffensive; bereits im Eingangsbereich ist kein Durchkommen mehr, da die deckenhohen Regale die Lagerbestände an Dominosteinen und Nussmakronen tragen. Baustatische Bedenken wischt K. mit einem markig geäußerten „Basta!“ beiseite.

09:04 – Der Gebieter über die Kaufdas-Filiale kann nur schwer beruhigt werden. Als die Konzernzentrale ihm mitteilt, dass die Konkurrenz bereits jegliche Adventskalender im Landkreis aufgekauft hat, schleudert er den Telefonhörer an die Wand. In äußerster Entschlossenheit greift er zum Tresorschlüssel und stattet die Lagerkraft Sigurd P. (39) mit größeren Bargeldbeständen aus, um das vorfestliche Naschwerk zu besorgen.

09:11 – Es kommt nicht dazu. Mit einem Teppichmesser bedroht P. den Aushilfsfahrer, der die Adventskalender bei Supi abliefern sollte. In einem wilden Handgemenge gelingt es Kassiererin Waltraut U. (55), die Wagentür von innen zu verschließen. Ungefähr die Hälfte der süßen Fracht erreicht ihren Bestimmungsort. P. wird gekidnappt und bei den Resten des Frischfleisches verstaut.

09:32 – Während Kaufdas-Mitarbeiter Roland Z. (29) die Ausgestaltung der Filiale mit Lametta dirigiert, spricht K. der Supi-Einzelhandelskauffrau Sonja N. (22) gegenüber die fristlose Kündigung aus; N. hatte sich strikt geweigert, eine rote Mütze mit Puschel aufzusetzen und die Kundschaft mit „Ho, ho, ho!“ zu begrüßen.

10:04 – Fast simultan treffen die beiden Tieflader ein, die jeweils mehrere Tonnen Nordmanntanne und Blaufichte vor den Schaufenstern abladen. Die Hauptstraße gleicht einer vorbildlich bewachsenen Schonung in den deutschen Mittelgebirgen.

10:22 – Polizeiobermeister Hans-Joachim F. (44) setzt den Filialleitern eine 15-minütige Frist, die Fahrbahn zu räumen; der Durchgangsverkehr war zwischenzeitlich zum Erliegen gekommen und hatte einen Stau von sechs Kilometern Länge verursacht.

10:50 – Unter dem Murren der Anwohner walzt ein Tanklastzug die verbliebenen Christbäume nieder. Gurgelnd ergießt sich industriell gefertigter Glühwein in die eilig rekrutierten Geräte vom Typ Taktische Feldküche 250 des ortsansässigen Panzergrenadierbataillons. Der verwesungsartige Geruch macht das Betreten von Kaufdas zu einem Survival-Erlebnis.

11:00 – K. überwacht mit militärischer Strenge die Bestückung der Vitrinen mit Stimmungsleuchtern. Im Glanz von 273 sechsfarbigen Blinkapparaturen à 850 Watt bietet Supi ein verstörendes visuelles Pendant zu einem surrealen Fiebertraum.

11:09 – Glück im Unglück: der Rettungswagen war gerade in der Nähe. Bei einer Routinekontrolle gleitet Fritz D. (61) auf einem unter knöchelhoch liegendem Lametta unsichtbaren Adventskalender aus; der Oberamtsrat von der Gewerbeaufsicht vollführt nach einem exzellent eingesprungenen Schraubensalto einen dreifachen Rittberger und legt eine Punktlandung auf dem Verkaufstisch mit mundgeblasenen Christbaumkugeln hin.

11:23 – Inzwischen hat sich auch Sigurd P. wieder aus dem Kühlraum befreien können. Er kommt gerade noch rechtzeitig, um sein Teppichmesser zum zweiten Einsatz zu bringen, indem er die Anlieferung einer übermannshohen erzgebirgischen Weihnachtspyramide bei Kaufdas erzwingt.

11:27 – Friedbert K. holt zur letzten, verzweifelten Generalmobilmachung aus. Das bereits komplett in rote Mäntel gehüllte Supi-Personal wird abkommandiert, kilometerweise Lichterketten in der Halle zu spannen. Einen normalen Geschäftsbetrieb kann das Unternehmen längst schon nicht mehr aufrecht erhalten.

12:54 – Die Verkabelung ist abgeschlossen; hämisch grinsend schiebt K. den Stecker in den Wandkontakt, um die an 47 Verteilerdosen gebündelte Illumination ihrer Bestimmung zu übergeben. Ein mildes Knistern beendet den Plan. Dass in diesem Moment zwischen Delmenhorst und Espelkamp die Versorgung mit elektrischem Strom zusammenbricht, ist reiner Zufall.

12:55 – Längst ist die erste Ladung Glühwein verzehrt oder in den Feldküchenkesseln verdampft, als eine größere Gruppe aus dem Obdachlosenheim Kaufdas betritt, um das Frühstück einzunehmen. Substitutin Tanja W. (29) ist nicht in der Lage, das Absperrventil des Tanklastzuges vollständig aufzudrehen und fürchtet, dass die Gulaschkanonen durchglühen. Beherzt füllt sie die Kessel mit weißem Rum auf. Das zusehends blasser erscheinende Heißgetränk stößt bei der Verkostung auf hohe Produktakzeptanz seitens der Laufkundschaft.

13:03 – Nach dem Stromausfall kann die Beschallungsanlage im Supi nicht mehr mit festlichen Klängen locken. K. nötigt das Personal, Jingle Bells einzustudieren und unter seiner Leitung im Schaufenster zu singen. Die erste Beschwerde wegen Ruhestörung wird gemeldet. Ein Passant, der die Szene mit seinem Mobiltelefon filmt und das Ergebnis unter dem Titel The Nightmare before Christmas im Internet verbreitet, verhilft Praktikantin Mandy Ö. (17) ungewollt zu einer großen Karriere als Erotikdarstellerin und Volksmusik-Star.

13:20 – Mit mehrstündiger Verspätung treffen die beim AStA georderten Weihnachtsmänner ein. In Unkenntnis der Sachlage verpasst die Studentin der Soziologie und Anglistik Sarah A. (21) zunächst Helmut M. eine Standpauke, weil sich der Kaufdas-Chef selbst für säkulare Jahreszeiten außergewöhnlich kindisch aufführt. M. weigert sich daraufhin, das vereinbarte Honorar zu zahlen, so dass die Hochschüler als Rache einen Flashmob inszenieren; „Yeah!“-Rufe gellen durch den Ortskern.

13:22 – Zwar sind die Motorschlitten, die auf Geheiß von K. vor den Supi-Toren abgeladen werden, in makellosem Zustand, doch es stellt sich keine rechte Freude bei den Passanten ein. Das Angebot, ab einem Einkaufswert von zehn Euro gratis nach Hause gefahren zu werden, scheitert an der sommerlichen Temperatur, die kaum baldigen Schneefall erhoffen lässt.

13:32 – Waltraut U. dringt in den Sozialraum von Kaufdas ein und findet unter dem Tisch Sigurd P. vor. Der Lagerist flieht. Mit dem Teppichmesser durchtrennt er den Tankschlauch; ein klebriger Schwall schwappt heraus, so dass die Kassenfee am Boden festklebt. Unglücklicherweise läuft P. ungebremst in die Weihnachtspyramide, die im knisternden Schein mehrerer Reihen von handgezogenen Wachskerzen behagliche Stimmung schafft. Das Meisterwerk ostdeutscher Schnitzkunst neigt sich in Zeitlupe Richtung Feldküche.

13:33 – Von der Stichflamme in Panik versetzt verschanzen sich Einzelhändler, Anwohner, Kunden, Lieferanten sowie ein Student der Kunstgeschichte in vollem Nikolaus-Ornat mit Umhängebart und Bischofsstab hinter den Sattelschleppern der Event-Agentur X-Mas 4 U. Es dauert Sekunden, bis eine ungeheure Detonation die Stille zerreißt. Wo jahrelang sich Kaufdas befunden hatte, gähnt ein Krater. Noch Stunden später gehen Mandelsplitter über Belgien nieder und in der Ukraine regnet es Lametta. So endet ein Tag in einer Kleinstadt, in der die Menschen einfach nur in Ruhe ein paar Einkäufe erledigen wollten.





Im Spielzeugland

29 09 2009

Ein Pulk von Jobbern in roten und blauen Westen stürmte vorbei und hätte mich fast umgerannt, wenn ich nicht zur Seite gesprungen wäre. „Ja, der Parketthandel verlangt schon Geschwindigkeit, das ändert sich nicht. Aber damit wird es ja wohl bald vorbei sein.“ Fast wehmütig blickte Kranichstein den Jungen nach, die schreiend in den Saal wetzten.

Wir setzten uns in eine stille Ecke der Lounge. Kranichstein winkte der Kellnerin und ließ zwei Kännchen Tee bringen. Er klappte das Notebook auf und drehte es um, so dass ich den Monitor betrachten konnte. „Das ist unser neues Spielzeug. Es steuert einen Supercomputer, mit dem wir in kürzester Zeit die schnellsten Berechnungen für den Aktienhandel durchführen.“ Dies unscheinbare Ding faszinierte mich. Kranichstein lächelte selbstgefällig. „Aktionen im Millisekunden-Takt. Tausend Käufe pro Sekunde. Wir waren nie schneller.“ „Und wo“, fragte ich skeptisch, „liegt der Vorteil dieser Maschine?“ „Sie erlaubt uns, den Menschen aus dem Aktienhandel herauszuhalten. Er stellt doch eine enorme Fehlerquelle dar.“ Ich erinnerte mich mancher Schauernachricht; vor einigen Jahren hatte ein japanischer Händler mehr als 600.000 Aktien für einen einzigen Yen verschleudert, statt die letzte verbleibende Aktie für 600.000 zu erwerben. So wurde er nicht Mehrheitseigner, sondern Bankrotteur. „Das ist alles richtig, aber denken Sie an den wahren Fehler. An die Gier.“ Ich blickte ihn säuerlich an. „Sie wollen mir weismachen, Gier habe nichts zu suchen im Aktienhandel? Sie ist doch die Triebfeder, die dies ganze System erst ermöglicht. Sie handeln nicht mit Wertpapieren – Sie handeln mit Unternehmen. Sie handeln mit Arbeitsplätzen, Existenzen, Menschenleben. Ein Knopfdruck lässt ein paar Tausend Menschen verarmen. Eine Welle von Käufen enteignet die Menschen auf einem fernen Kontinent, die das Pech hatten, da geboren zu werden, wo das Land Eisenerz und Kupfer trägt. Sie wollen mir etwas von Ethik erzählen? Sie?“

Kranichstein hatte meinem Monolog fast nachsichtig gelauscht und faltete die Hände vor dem Bauch. Wie ein Priester saß der große, hagere Mann nun vor mir. „Ethik ist nicht das richtige Stichwort. Sondern Psychologie.“ „Psychologie?“ „Ja, Börsenpsychologie. Denken Sie sich folgendes Beispiel. Ein Händler stößt auf einmal ein großes Aktienpaket ab, fünfzig-, hunderttausend Aktien auf einmal. Die Bänker bemerken das und schmeißen sofort sämtliche Aktien hinterher, weil sie paradox handeln: sie fürchten den Kursverfall, deshalb führen sie ihn durch ihre Panikverkäufe selbst herbei. Sie sind gierig. Sie sind dumm.“ „Und Ihre Maschine?“ „Die Maschine stückelt die Verkäufe, sie verkauft die Aktien eine nach der anderen. Das dauert eine gewisse Zeit, sagen wir mal fünf Minuten, und da keiner die Zahl der insgesamt gehandelten Aktien überblicken kann, bleibt der Kurs stabil.“ „Keiner sieht die Größe des Aktienpakets? Das heißt doch im Klartext, dass diese Maschine intransparent ist.“ „Nun“, lächelte Kranichstein, „es ist wie mit der Heisenberg’schen Bewegungsrelation. Ein wenig Unschärfe muss man schon einkalkulieren, wenn man etwas beobachten will.“

„Was passiert eigentlich, wenn dieser Rechner selbst Unsinn baut? Das lässt sich doch gar nicht mehr aufhalten.“ Kranichstein nickte ernst. „Da haben Sie Recht. Nicht allein die fehlerhaften Aufträge bergen ein enormes Risiko – stellen Sie sich eine Maschine vor, die 60.000 Fehler pro Minute begeht, schrecklich! – sondern vor allem die Folgen. Jeder verpatzte Verkauf zieht eine ganze Reihe von an sich korrekt ausgeführten Aktionen nach sich, die sich aber in diesem Kontext zu einem verheerenden Szenario auswachsen können. Stellen Sie sich Dominosteine vor, viele Dominosteine. Durch eine winzige Unachtsamkeit, durch einen Luftzug kippt einer um und setzt eine Welle in Gang, die…“ Ich winkte ab. „Die Chaostheorie, ich begreife. Was wollen Sie dagegen tun? Beten?“ Er schaute verlegen zu Boden. „Mehr bleibt uns derzeit nicht übrig, denn es ist durch einen einzigen Rechenfehler durchaus möglich, die Weltwirtschaft in den Abgrund zu reißen.“

„Und die anderen Börsen?“ „Welche anderen?“ „Tokio, London, New York?“ „Ach so. Ja, die haben natürlich auch ihre Computer. Das macht die Sache ja so angenehm. Sie erledigen ihre Arbeit und handeln, wir müssen eigentlich nur noch zuschauen, wie sich die Kurse entwickeln.“ „Sie wollen mir also erklären, dass sich jeder Standort so einen Großrechner anschafft, und diese Kisten treiben dann munter ihren Aktienhandel, während der Mensch nach Ihrer Maßgabe in dieser ganzen Angelegenheit nichts mehr zu suchen hat? Sie eliminieren eine Fehlerquelle? Sie schaffen die Gier ab? Sie schaffen den Menschen ab, das ist es!“ Ich hatte mich in Rage geredet und bemerkte gar nicht, wie ein irres Flackern in Kranichsteins Augen erglomm und sich seine Wangen zu röten begannen. „Sie wissen ja gar nicht, was das bedeutet. Bald werden wir einen Aktienhandel haben, der komplett ohne den Menschen auskommt. Die Computer werden mit sich selbst kommunizieren und eine komplexe Struktur aus dem Nichts erschaffen! Wir werden endlich frei sein von dieser ganzen Arbeit, und wir werden sehen, wie sich das Spiel von selbst beschleunigen wird, schneller und schneller.“ Ich sah, wie seine Hände zitterten. „Sagen Sie mal, wie heißt Ihr Computer eigentlich?“ Kranichstein glotzte mich erstaunt an. „Laplace. Hatte ich Ihnen das nicht gesagt?“





Schachmatt

28 09 2009

„Gut, gut. Wir werden da natürlich nicht gleich das optimale Ergebnis erzielen, aber darauf kommt es ja auch gar nicht an.“ „Sondern?“ „Auf den langfristigen Erfolg. Wenn wir die Partie gewinnen wollen, müssen wir taktisch sehr klug vorgehen. Aber wir schaffen das auf lange Sicht. Und darauf kommt es an, sonst bräuchten wir es gar nicht erst zu versuchen.“

„Haben Sie schon daran gedacht, welche Ministerien Sie an die Liberalen abtreten werden?“ „Auf jeden Fall brauchen wir deshalb einen sehr starken Innenminister. Einen Betonkopf. Einen, der auch durch Tatsachen nicht von seinem Kurs abgebracht wird.“ „Aber wer soll das denn werden? Hat denn die FDP überhaupt jemanden, der das leisten kann?“ „Wer spricht davon, dass wir der FDP freiwillig das Innenressort in den Rachen werfen?“ „Aber Sie haben doch gerade eben selbst gesagt, dass…“ „Gegen Westerwelle.“ „Was hat denn Westerwelle damit zu tun?“ „Weil er partout Außenminister werden will.“ „Ja und?“ „Dieser egozentrische Schwätzer wird die Bundesrepublik innerhalb kürzester Zeit außenpolitisch derart isolieren, dass wir aus dem Land nur noch einen Hochsicherheitstrakt machen können, ohne dass uns hier alles um die Ohren fliegt.“ „Ah ja, ich verstehe. Und wer macht das?“ „Schäuble wird alt und milde. Aber das Risiko können wir uns nicht leisten.“

„Ob Frau von der Leyen hier eventuell…“ „Dachte ich mir auch schon.“ „Allerdings muss ich zu bedenken gaben, dass sie keine Ahnung von der Materie hat.“ „Eben. Im alten Ministerium war sie auch schon eine gute Marionette, dann können wir sie auch vier Jahre hier zappeln lassen.“ „Genial!“ „Tja, wir haben eben die Kraft dazu.“

„Und neue Kräfte?“ „Schwebt Ihnen da jemand vor?“ „Ich dachte, Sie könnten… also wegen des Wahlausgangs…“ „Gibt es da etwas zu kritisieren?“ „Wir haben doch unser Ergebnis ganz gut verfehlt.“ „Und? Sind wir die stärkste Kraft?“ „Doch, schon. Aber die parteiinterne Kritik wird schon noch kommen, und dann müssen wir gerüstet sein.“ „Wie stellen Sie sich das vor?“ „Wenn man den Wulff als Wirtschaftsminister nehmen könnte. Oder den Koch ins Justizressort.“ „Sind Sie verrückt geblieben? Koch als Justizminister? Der erzählt doch mehr Unsinn, als man auf nüchternen Magen verträgt!“ „Weiß ich, aber dann schlagen Sie zwei Fliegen mit einer Klappe. Hessen hat endlich eine vernünftige Regierung, und im Justizministerium wird’s nicht groß auffallen. Nicht nach dem Müll, den Frau Zypries da vier Jahre lang verzapft hat.“ „Gut, so gesehen haben Sie schon Recht. Aber Wulff als Wirtschaftsminister? Was machen wir mit diesem CSU-Bübchen?“ „Nach Bayern zurückschmeißen und erwachsen werden lassen?“ „Hm. Ja, das klingt nicht übel. Und unter welchem Vorwand.“ „Weil er bei der CSU ist. Das hat in Personalfragen mit der Schwesterpartei noch immer gereicht.“

„Und Ulla Schmidt?“ „Was ist mit der?“ „Kann ich die so einfach … also kann man die entfernen oder ist das gesetzlich bereits so geregelt, dass die im Gesundheitsministerium sitzt?“ „Wer hat Ihnen das denn erzählt?“ „Hätte ja sein können. Vielleicht als eine Art Gewohnheitsrecht.“ „Quatsch! Weg mit der, das macht so eine FDP-Nase, die Koch-Mehrin vielleicht.“ „Wie kommen Sie gerade auf die? Weil sie die Arbeit auch nicht erfunden hat?“ „Zum Beispiel, weil… halt! Ich hab’s! Berufsschwanger, Aufmerksamkeitsjunkie, blond… na? Klingelt’s?“ „Gesundheitsministerin! Dass ich darauf nicht gleich gekommen bin!“ „Sie sehen, nach und nach kriegen wir das neue Kabinett gewuppt.“

„Aber auf Steinbrück kann ich nun wirklich nicht verzichten.“ „Warum denn nicht?“ „Er war irgendwie so unangenehm kompetent.“ „Hat er den Staatshaushalt saniert?“ „Das waren aber auch die Krisenfolgen, und er hat rausgelassen, dass wir uns die versprochenen Steuersenkungen gar nicht werden leisten können.“ „Egal. In drei Monaten erinnert sich keiner mehr an ihn.“ „Und wen machen wir da zum Nachfolger?“ „Waigel?“ „Wie? Den alten Sack soll ich wieder ins Kabinett nehmen? Kommt gar nicht in die Tüte!“ „Schäuble haben Sie damals auch exhumiert.“ „Der kam aber auch nicht von der CSU.“ „Pah! Erfahrung zählt.“ „Geißler?“ „Lassen Sie die Spekulationen. Das reißt sich sowieso die FDP unter den Nagel.“

„Und irgendwie muss ich den Pofalla auch noch abspeisen.“ „Abspeisen? Was hat der Ihnen denn getan?“ „Er könnte größenwahnsinnig werden.“ „Warum, der Wahlsieg war doch…“ „Wahlsieg, Wahlsieg, da hat ja Stoiber damals noch mehr gekriegt! Der Mann hat versagt und lässt sich jetzt auch noch dafür feiern, als ob er Ackermann wäre!“ „Und was machen Sie mit ihm?“ „Mal sehen. Irgendein Abstellgleis. Entwicklungshilfe oder Bildung.“ „Oder Kanzleramt.“ „Bloß nicht! Wenn ich den ständig sehen müsste, käme ich ja auf gar keinen klaren Gedanken mehr!“ „Dann entsorgen Sie ihn als Staatssekretär. Den Hintze sind Sie so auch losgeworden.“ „Könnte klappen.“

„Aber irgendwie…“ „Was?“ „Ich habe so das Gefühl, irgendwie wird es krachen. Mit der FDP. Die Innenpolitik, die Bürgerrechte, Sozialabbau, Steuererhöhungen, die Managergehälter, ich weiß nicht: wie soll das klappen?“ „Das klappt schon.“ „Aber Sie wollen sich doch nicht bei jedem Punkt in die Haare kriegen, sonst bekommen Sie nie eine Mehrheit hin. Woher soll das kommen?“ „Machen Sie sich da mal keine Sorgen. Dafür habe ich immer noch eine SPD in der Tasche.“





Eia popeia

27 09 2009

Schlaf ein, Du kleine Republik.
Es wird nun langsam dunkel.
Nun kommt in einem Augenblick
schwarz-gelbes Sterngefunkel.

Schlaf ein, schlaf ein. Des Tages Müh
sollst Du Dir fein wegträumen.
Dort draußen Dir im Glanze blüh
das Glück in allen Bäumen.

Nun ruh und schlummre. Morgen kommt
vielleicht ein bessrer Tag,
der Dir mit seinem Urteil frommt –
was das auch bringen mag.

Schlaf ein! Du merkst es doch nicht mehr,
was man Dir singt und gaukelt,
solange man Dich hin und her
nur wiegt und sanft verschaukelt.

Schließ Deine Augen. Lösch das Licht,
eh sich Dein Sinn verliert.
Schlaf endlich ein! Und tust Du’s nicht,
wirst Du chloroformiert.





Hin ist hin

26 09 2009

Bauz! Das Ding ging glatt in Scherben.
Fegt es auf, dann ist es gut.
Darum streiten keine Erben,
darum gibt’s nie wieder Wut.
Alles lässt sich schnell verschmerzen,
liegt’s Dir auch so sehr am Herzen.
Wirf es weg, hol’s neu im Laden.
    Weg mit Schaden.

Ach! Malwine, diese Perle,
liebenswert, doch herzlich doof,
schmeißt sich ran an andre Kerle
und die machen ihr den Hof.
Lass sie ziehn. Wein keine Träne
um die furchtbar schnöde Schöne.
Trauer nicht um Brust und Waden.
    Weg mit Schaden.

Aus! Es gibt nichts mehr zu retten.
Dieses Land bleibt nicht verschont.
Unsre Freiheit liegt in Ketten.
Wer besitzt, wird noch belohnt.
Alles hin. Die Geier kreisen.
Hier ist nichts mehr zu beweisen.
Deutschland? Jetzt geht alles baden.
    Weg mit Schaden.





Gernulf Olzheimer kommentiert (XXVI): Nippes

25 09 2009
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Es gibt viele Gelegenheiten, das Inventar der Behausung eines durchschnittlichen Bescheuerten unter die Lupe zu nehmen; Zimmerbrand mit und ohne Ableben, Ableben mit und ohne Zimmerbrand, Wohnungseinbruch oder der finale Ausbruch des Lebensabschnittspartners aus der Plattenbauhölle sind nur einige davon und nicht einmal unbedingt die beliebtesten. Was neben den zweckgebundenen Dingen – Käsereibe, Klappcouch, schussfähige Replika von Wehrmachtsfeuerwaffen – jedoch den größten Teil ausmacht, ist entweder Kunst oder das genaue Gegenteil, denn hier gilt der ästhetische Grundsatz: um das Schöne zu erkennen, muss man das Hässliche gesehen haben. Und man sieht es.

Nippes beherrscht die Dreidimensionalität der Beknacktenbutze – Kruscht, wo man hinfasst, Krimskrams und Schnickschnack in psychotisch ausufernden Mengen. Jede stecknadelkopfgroße, halbwegs ebene Fläche ist mit Wauwaus aus blauem Acrylglas, Nachbildungen des Eiffelturms im Maßstab 1:4224 in langjährig versteinertem Marzipan oder einer kubistischen Neuinterpretation des alten Sujets „Flaschenöffner“ im zeitlosen Neuschwanstein-Design bedeckt, gerne deutlich an die Errungenschaften des Siebdrucks erinnernd, meist unbenutzbar, selten überlebenswichtig. Der ganze Schamott besitzt neben der Aufgabe, etwaige Insekten durch die Unmöglichkeit eines gezielten Landeanfluges via Depression und Herztod zu dezimieren, nur den Daseinszweck, die also ins Jenseits geschrammten Kerbtiere unter einem fingerdick sich im Laufe der Jahre ansammelnden Hausstaubsediment von der Wahrnehmung seitens des Bekloppten zu entziehen. Da hätte es ein Fliegenfänger auch getan, aber die Dinger sind ja optisch nicht halb so schnieke herzustellen.

Unter der majestätischen Ewigkeitsruhe des Drecks, eine Vorahnung der eigenen biologischen Abbaubarkeit, west die Ästhetik des Widerstands, und zwar des Protests gegen das Sinnvolle an sich – lieber einmal unter der Kalotte die Stromversorgung durchnagen, statt ständig das Licht auszuknipsen, wenn die Pupille über die dreistellige Anzahl angelnder, kotzender oder kopulierender Zwerge aus gebranntem Ton, Sperrholz und im Ofen ausgehärteter Knete in surrealistischer Farbstellung schweift. Überflüssig wie Harndrang auf dem Hochseil, doch immerhin gibt das zu Material geronnene Grauen der Torfnase, die es stapelt, ein angenehmes Lebensgefühl. Hier ist Ordnung, spricht der Hirnprinz zwischen all dem Killefit in greifbarer Nähe; hier kann ich vegetieren.

Eine Theorie besagt, dass der Behämmerte dem Sammelzwang als Ausweichmanöver vor weitaus übleren Spielarten des Fetischismus erliegt; untrennbar verquickt mit der Erinnerung an den Moment, an dem man den Schrott erwarb, im Sperrmüll vorfand oder nicht ohne Verlust der letzten verbleibenden Sozialkontakte als Geschenk ablehnen konnte. Das Gefühlte lasert sich ins limbische System rein, schwiemelt die Blutbahn hernach reflexartig mit Endorphinen zu, sobald ein Gedankenblitz die aus Weichplastik geschnitzte Darstellung zweier offensichtlich unter Lähmung der unteren Körperhälfte leidender Hundeartiger flüchtig touchiert, und brettert zielsicher in eine posttraumatische Belastungsstörung, sobald der Ramsch unter den Einwirkungen von Sonnenlicht und Materialermüdung wegerodiert. Eher volkswirtschaftlich ausgerichtete Denkansätze gehen davon aus, dass der Bescheuerte sich die Hütte mit dem Krempel zuschaufelt, um eine solide Alterssicherung zu besitzen; vereinzelt werden komplette Warenlager auf den Flohmarkt gekarrt, um Tabula rasa zu schaffen für einen Reboot des Stapelzwangs. Muss man zugestehen, dass sich bei vorherigem Abkärchern der Milbenreste von hüpfenden Delfinen und Porzellanenten aus der Periode des Neokitsch die ganze Sache nicht mehr vom Sortiment einer großzügig bestückten Geschenkboutique unterscheidet, so ist doch der Erlös meist deutlich unterhalb dessen, was man mit industriell gefertigter Neuware erzielen könnte. Die Differenz bezeichnen Betroffene als so genannten Sammlerwert; er tendiert gern zum Negativbetrag.

Der Hortungstrieb speziell der Frau, die die emotionale Nulllinie ansteuert, sobald der Firlefanz flöten geht, bestätigt die Annahme, dass hier eigene Hirnareale in Mitleidenschaft gezogen werden. Während der Doofdödel mit dem Y-Chromosom seine autoaggressiven Neigungen primär mit dem Gartenzwerg demonstriert, entwickelt das andere Geschlecht intermittierende Anfälle, bei denen vorwiegend Gold und Glitzer, rauschhafte Farben und die Form beflügelter Himmelsboten sich als Plunder inkarniert, flächendeckende Scheußlichkeit zum Fest der Liebe, des Konsumterrors und der von Grund auf versaubeutelten Familienaufstellungen. Pünktlich zum Advent brennen bei der Beknackten die Kerzen durch, flakscheinwerfermäßiges Zucken aus unzähligen Glühwendeln hüllt Zinkspritzguss und Steingut in die Schönheit einer Folterkammer. Doch auch hier Memento mori – warte nur, balde ist’s vorbei. Dann gammelt das alte Zeugs wieder im Vordergrund. Mit einer Staubschicht mehr.





Gewinnwarnung

24 09 2009

Die lautstarken Anweisungen waren bereits auf dem Korridor zu hören. Als ich die Tür öffnete, stand mein PR-Berater Seyboldt vor dem Pult. „Was habe ich Ihnen die ganze Zeit vorgebetet? Was sagen Sie? Noch mal von vorne!“ Und er setzte sich in den Regiestuhl. „Auch wenn wir die Wahl… diese Wahl… verloren haben, ist das…“ Wie von der Tarantel gestochen sprang er auf. „Was habe ich Ihnen gesagt? Das existiert gar nicht in Ihrem Wortschatz, klar!? Meine Güte, das kann doch nicht so schwer sein!“ „Auch wenn diese Wahl nicht unsere Erwartungen…“ Jetzt wurde Seyboldt ungemütlich. „Sagen Sie mal, rede ich Chinesisch? Lesen Sie doch Ihre Unterlagen, wozu mache ich mir denn die ganze Arbeit!“ Der Coach war sichtlich ungehalten. Ein staatsmännischer Ruck, Räuspern, ein fester Blick in den Kameradummy. „Wir sind nicht so stark wie erwartet aus der Wahl gekommen, trotzdem steht fest, dass dies ein klares Signal an das Parlament ist, unsere Forderungen in einer Koalition, die sich erst einmal aus den Verhandlungen der nächsten Tage und Wochen…“ „Na also! Es geht doch!“ Seyboldt war zufrieden. „Danke, gestorben. Fünf Minuten Pause.“ Er eilte auf mich zu und begrüßte mich.

„Und das bringt etwas?“ „Sicher“, antwortete er im Brustton der Überzeugung, „als Politiker ist man doch nach einer Wahlniederlage aufgeschmissen, wenn man im Fernsehen zugeben muss, dass man rettungslos abgestunken hat. Was meinen Sie, wie schnell Sie da weg vom Fenster sind! Da müssen Sie durchhalten. Keine Niederlagen. Nur Erfolge. Und ich glaube, wir packen das. Wird auch nötig sein. Denn bei dem Blödsinn, der da in letzter Zeit kommt, kann doch jeder froh sein, der überhaupt fünf Prozent bekommt.“ Seyboldt klatschte in die Hände. „Es geht weiter! Wir wiederholen noch mal den Wahlkampfteil.“

Und weiter ging’s. „Unser politischer Gegner hat im Wahlkampf keine Gelegenheit ausgelassen, die Ängste der Bevölkerung zu…“ „Bitte: in der Bevölkerung. Weiter!“ „… in der Bevölkerung zu schüren. Es ist uns nicht gelungen, den Bürgerinnen und Bürgern zu vermitteln…“ Seyboldt schlug die Hand vor die Stirn. „Herrgott im Himmel, das darf doch nicht wahr sein! Lesen Sie doch einfach Ihren Text!“ „… den Bürgerinnen und Bürgern vermittelt, dass eine andere Politik in diesem Land notwendig ist… notwendig ist…“ Ein Gesicht wie ein Fragezeichen glotzte den PR-Trainer an, der langsam Schweißausbrüche erlitt. „… um die Krise, in der wir uns befinden, und ich möchte das in aller Deutlichkeit hier einmal sagen…“ „Aus! Aus!“ Er tobte zum Rednertisch und hieb mit der Faust darauf ein. „Sie benehmen sich ja wie der letzte Wahlkampftrottel! Da“, schrie Seyboldt und zeigte auf den imaginären Zuschauer hinter der Aufzeichnungsattrappe, „sitzt der Wähler vor dem Fernsehschirm und will Klartext, kapiert? Klartext!“ Entnervt stapfte er zu seinem Stuhl.

„Das Ergebnis hat uns nicht überrascht…“ Ich zog eine Augenbraue in die Höhe. „Lassen Sie nur“, beschwichtigte Seyboldt, „das ist in Ordnung.“ „… denn es zeigt, wie viele Menschen in diesem Land einen Politikwechsel wollen und sich mit ihrer Stimme dafür eingesetzt haben.“ „Nicht schlecht“, sagte ich anerkennend, „wenngleich es für mich etwas überraschend kam.“ Seyboldt lächelte. „Ein paar kleine Volten in Richtung Intellekt kann man schon einbauen. Nicht zu viel, aber für ein paar ist da immer noch Luft.“

„Natürlich muss man auch berücksichtigen, dass der Gegner viel mehr Mittel zur Verfügung hatte und in der Tagespresse…“ Ich stutzte. „Diese Argumentation zeigt ja, dass unser politisches Konzept auf einer breiteren Grundlage…“ Seyboldt brauchte wohl einen kleinen Augenblick, um richtig zu explodieren. „Aufhören!“ Er rannte durch den Raum. „Das ist doch der größte Blödsinn, den ich je gehört habe!“ „… akzeptieren selbstverständlich das Votum des Wählers, auch wenn wir hier klar festhalten wollen, dass wir es als ein klares und unmissverständliches Signal an das Parlament sehen, unsere Politik…“ Er sah aus wie ein heißer Kandidat für ein Dutzend Bypässe. „Schluss jetzt mit diesem Schwachsinn, oder ich vergesse mich!“ Doch er konnte sich nicht durchsetzen; wie aus einem leck geschlagenen Fass rann die trübe Brühe und suppte durchs Studio. „Wir haben erreicht, dass den Wählern bewusst ist, wie viele Mängel in den vergangenen vier Jahren nicht…“ Er raufte sich die Haare. „Gemessen an der Kommunalwahl 1967 im Regierungsbezirk Südbaden sind unsere Ergebnisse auch ein Plus von fast elf Prozent, so dass wir…“ Ich konnte es nicht mehr ertragen und floh vor die Tür. Drinnen schwabberte und schwafelte es weiter. Seyboldt war mit den Nerven fertig.

Die Sicherheitsbeamten checkten den Korridor. Frank-Walter Steinmeier schritt mit federnden, elastischen Schritten dem Ausgang zu, während sich der Kommunikationskatastrophenhelfer den Schweiß abtupfte und das Taschentuch auswrang. „Was mache ich hier eigentlich“, weinte er, „ich kann doch genauso gut die Wand anbrüllen.“ „Jetzt haben Sie’s ja geschafft“, tröstete ich ihn, „der Steinmeier war zwar ein harter Brocken, aber sehen Sie es positiv: es ist vorbei und Sie haben das ganze Theater hinter sich gebracht.“ Ein waidwunder Blick traf mich, dass ich erschreckt zusammenfuhr. „Geschafft, sagen Sie? Ich ziehe mir jetzt ein trockenes Hemd an, in einer Viertelstunde kommt die Bundeskanzlerin, und dann darf ich genau denselben Scheiß noch mal veranstalten.“





Innendienst

23 09 2009

Ich zuckte heftig zusammen, als der Wachmann donnernd von seinem Stuhl hochsprang und mir ins Gesicht brüllte. „Sie werden sich daran gewöhnen“, beschwichtigte mich Krempp zu Greiffenklau mit einem sanften Lächeln, „das ist nur beim ersten Mal etwas exotisch, aber lassen Sie ein paar Monate ins Land gehen. Dann finden sich alle damit ab.“ Wir nahmen den Aufzug und fuhren in den ersten Stock. Die Glocke läutete. Der Lift hielt an. Der junge Offizier ließ mir mit einer artigen Handbewegung den Vortritt. Da waren wir also.

Eine hektische Stille lag im ganzen Gebäude. Man meinte, die Vorgänge in den Aktendeckeln knistern zu hören. Wir schritten den Korridor zum Besprechungszimmer ab, als plötzlich eine Tür aufflog. „Gazzekoppaniiiiiie – stillstann!“ Das kleine, rotgesichtige Männchen trug silbernen Stern mit Eichenlaub auf dem Schulterstück. „Augäääään – likks!“ Er hackte abrupt die Fersen aneinander und knallte die Tür wieder zu. Was war denn das? „Major Schlottberg, gerne genannt Major Neese. Er hat sich noch nicht so richtig im Bundesministerium des Innern eingelebt und, sagen wir mal: er tickt manchmal ein bisschen aus.“ Krempp zu Greiffenklau markierte eine wischende Bewegung vor seiner Stirn. „Er hat doch tatsächlich neulich verlangt, dass die ganze Abteilung vor der Kaffeepause im Hof antritt und abzählt. Natürlich war hinterher der Kaffee kalt, weil die Angestellten die Begrüßung nicht hinbekommen haben.“ Ich hatte es mir ungefähr so vorgestellt, dennoch war ich von den Auswirkungen ziemlich überrascht.

Wir hatten das Zimmer erreicht; ein kleiner Raum mit Glastüren, Fenstern auf den Innenhof und vielen Grünpflanzen, einem Konferenztisch und Stahlrohrstühlen. Krempp zu Greiffenklau goss Wasser in zwei Gläser. „Sagen Sie“, fragte ich ihn, „wie ist es eigentlich dazu gekommen?“ „Nun“, begann er, „der Bundestag ist nur zur Hälfte daran Schuld. Sie haben wie stets alles durchgewunken, ohne die Gesetzesvorlagen zu lesen. Man macht sich im Parlament die Arbeit ja außerordentlich leicht, wenn es um verfassungsrelevante Fragen geht.“ „Aber wie ist dieses Gesetz denn überhaupt entstanden?“ Er seufzte tief auf. „Das ist es ja, es war eine Verkettung inkompetenter Umstände! Schauen Sie, der Verteidigungsminister hatte in der ganzen Aufregung – es war Wahlkampf, jeder redete von Afghanistan – ein paar Rabattmarken in seinem Schreibtisch gefunden. Von der Kanzlei, die auch der Wirtschaftsminister immer nimmt für seine Gesetze. Nun, alles sollte schnell-schnell gehen, es waren Juristen damit beauftragt, die sich gar nicht mit dem deutschen Recht auskannten, sie haben nur die Rabattmarken gesehen, und dann ist es auch schon passiert. Und jetzt haben wir den Schlamassel.“ Was genau war da passiert? „Diese Anwälte sollten ein Gesetz zum Einsatz der Bundeswehr im Innern formulieren, und weil sie nur auf die Rabattmarken geschielt haben – das Honorar war dann auch geringer – wurde daraus versehentlich ein Gesetz zum Einsatz der Bundeswehr im Bundesministerium des Innern. Im Ministerium! Wie konnte so ein Schnitzer bloß passieren!“ „Tja, immer noch besser als das Zugangserschwerungsgesetz“, warf ich mit einem süffisanten Grinsen ein, „bei Ihrem ist wenigstens auch das drin, was draufsteht.“

Er war sichtlich verärgert. „Stellen Sie sich einmal diese Blamage vor! Der Generalinspekteur war persönlich im Justizministerium und hat einen Tobsuchtsanfall bekommen. Natürlich wusste die Zypries wieder einmal von nichts. Stellen Sie sich die Kommentare im NATO-Hauptquartier vor, der blanke Hohn! Die Armee sei jetzt an die Aktenfront verlegt worden, wir würden mit der Gulaschkanone den Beschuss mit Kalorienbomben vornehmen – nicht auszuhalten! Da trösten einen die positiven Aspekte auch nicht mehr.“ Positive Aspekte? Ich konnte mir keinen vorstellen. „Doch, die gibt es durchaus. Stellen Sie sich einmal die Zeitsoldaten vor, vor allem die Mannschaftsdienstgrade. Wenn die ausscheiden, ist doch der Drops gelutscht – die können nichts, weil sie nichts gelernt haben, und brauchen für jeden Nagel, den sie in die Wand hauen sollen, einen eigenen Befehl. Auf dem Arbeitsmarkt haben Sie da keine Chance. Nehmen Sie dem Staatsbürger seine Uniform, dann ist aber Holland in Not!“ „Und damit wollen Sie die Soldaten retten?“ „Es bleibt uns ja nichts übrig“, sagte er verlegen, „hier lernen sie wenigstens am Objekt, wie Innere Führung funktioniert. In der Truppe wird ihnen ja meistens gar nicht erst erzählt, was politisch notwendig, militärisch sinnvoll und moralisch begründet ist.“

Vom Gang erscholl lautes Geschrei. „Aus dem Weg! Wenn ich Ihnen befehle, dass Sie grüßen, dann haben Sie zu grüßen!“ Krempp zu Greiffenklau wurde aschfahl. „Nicht schon wieder! Herrgott, nicht schon wieder das!“ Er riss die Tür auf und stürzte hinaus in den Flur. „Major Neese hat wohl wieder seine komischen fünf Minuten“, mutmaßte ich. „Allerdings“, murmelte der Offizier, „und es wäre besser, wenn Sie jetzt…“ Jählings begann der Kriegsheld wieder zu schreien. „Das ist mir scheißegal, was Sie meinen! Sie haben hier als Zivilist überhaupt nichts zu sagen! Sie stehen jetzt aus Ihrer verdammten Krüppelkarre auf und grüßen, und dann will ich, dass Ihre Beine zwei rotierende Scheiben bilden, die den Boden nur noch zur Richtungsänderung berühren, sonst reiße ich Ihnen den Arsch auf, dass Sie da einen Schützenpanzer quer einparken können! Abtreten!“





Märchenstunde

22 09 2009

„Wenn Ihr alle brav seid, dann lese ich Euch das versprochene Märchen vor. Aber dass mir keiner mehr so ungezogen wird wie beim letzten Mal, hört Ihr? Da setzt Euch her, dann fange ich an. – Es war einmal vor einem großen Wald, da wohnte ein armer Holzhacker mit seiner Frau und seinen zwei Kindern. Die hatten gar nichts mehr zu essen, und als eines Tages… nein, Guido, Du kannst denen nicht die Regelsätze kürzen, damit sie wieder Arbeit bekommen, das geht nicht im Märchen. Nein! Und ich will auch nie wieder ‚Sozialschmarotzer‘ von Dir hören, hast Du mich verstanden? Sonst höre ich sofort auf, Euch vorzulesen! Basta!

Also die beiden waren so arm, dass sie nichts mehr zu essen hatten, denn es gab kein Holz mehr im Wald. Da beschlossen sie… Angie, wie soll das denn funktionieren? Abwrackprämie für Bäume? Hör mal, bis so ein Baum wieder nachgewachsen ist, das… hör mal, Angie, Du lässt mich jetzt bitte das Märchen weiterlesen. Wenn Du groß bist, kannst Du Dir selbst welche ausdenken, ja? Gut. Sie waren also so arm, dass sie die Kinder im Wald… Uschi, es gab damals keine Jugendämter. Nein. Auch keinen Kinderschutzbund. Ja, ich weiß, aber… hör mal, ich will doch nur… Guido, jetzt hör endlich auf, Uschi an den Zöpfen zu ziehen! Guido! Was ist das für ein Unsinn! Den Eltern das Arbeitslosengeld streichen als Erwerbsanreiz, damit sie den Brotkonsum fördern… Guido! Jetzt lass das nach, sonst setze ich Dich gleich hinaus!

Da wollten sie die Kinder im Wald aussetzen. Und als der neue Tag anbrach, da… Uschi, ich sag’s Dir doch, es gibt keine Jugendämter im Märchen. Die beiden Leute hatten eben kein Geld für… nein, davon gibt’s keine Bilder im Internet, Du brauchst nicht wieder mit den Stoppschildern anzufangen. Das hier ist ein Märchen, da geht’s vernünftig zu. Nix mit Stoppschildern. Ja. Also, sie brachten die Kinder in den Wald und… Angie, jetzt hör doch mal mit dem Kombilohn auf. Selbstständig machen als freiberufliche Holzhacker? Guido, es gibt kein Holz im Wald, also nützt denen auch kein… Nein, Guido, und wenn Du ihnen das Haus wegpfändest, wächst da immer noch nichts! Herrschaftszeiten! Also die Kinder in den Wald gebracht, und die beiden haben… nein, Angie, kein Mindestlohn und auch keine Teilverstaatlichung der Bäume, das ist doch alles Blödsinn!

Und wie die Kinder da so gehen, da werfen sie alle paar Schritte einen Kieselstein hinter sich, dass sie den Weg im Wald… ja, Claudia? Die untere Landschaftsschutzbehörde? Nein, ich glaube nicht, dass das Ausbringen von Feinkies in Mischwäldern nach § 324a StGB strafbar ist. Meinetwegen kann man das ja ins neue Umweltgesetzbuch schreiben, da hast Du ja Recht, aber… Claudia, hör mal, dies hier ist ein Märchen und… ja, kann ja alles gut möglich sein, dass das Umweltgesetzbuch auch… jetzt hör mal zu, ich erzähle das mal zu Ende, und dann kannst Du gerne… also da haben sie dann die Kieselsteine auf den Boden gestreut, und dann wurde es Nacht und sie… natürlich war das nach Einbruch der Dunkelheit, Uschi, das ist nun mal nachts meistens der Fall. Wohin? Erziehungsheim? Weil sie sich nach Einbruch der Dunkelheit noch… also Uschi, jetzt wird’s aber langsam albern, das ist doch … also langsam habe ich keine Lust mehr!

Da kamen die beiden Kinder an ein Haus, das war ganz aus Brot gebaut und mit Kuchen gedeckt, da haben sie… Angie, natürlich ist das gegen die Bundesbauvorschriften, aber ich kann mich nicht erinnern, dass hier die Bauaufsicht… nein, Uschi, das kann man kaum als ‚Kinderfalle‘ bezeichnen, deshalb ist Dein Stoppschild hier auch völlig… ja, meinetwegen, aber wenn Du es nicht abreißen willst, dann ist doch auch Dein Stoppschild hier… hört mir hier überhaupt noch jemand zu? Die Kinder knabberten also an dem Haus, und da… Claudia, jetzt lass doch mal gut sein. Ja, Claudia, natürlich muss man immer darauf achten, ob im Brot auch Konservierungsstoffe sind, aber deshalb… ja… gut, waren also keine drin… sie knabbern an dem Haus, und da kommt plötzlich die Hexe… Wolfgang, das ist keine Terroristin. Nein. Auch wenn sie nachts mit einem Besen über den Wald fliegt, dann darf man sie nicht einfach so… nein, Wolfgang, das ist auch keine terroristische Vereinigung. Hänsel und Gretel werden nicht von der Hexe angeworben, deshalb darfst Du auch nicht… Telefonleitungen anzapfen? Wolfgang, in dem Land gibt’s kein Telefon… jaja, Du weißt alles besser, war klar. Ja, beschwer Dich ruhig über mich. Machst Du doch sowieso jeden Tag.

Die Hexe hat nun den Hänsel eingesperrt, um… Wolfgang, was willst Du denn nun schon wieder? Guantanamo? Gretel muss auch eingesperrt werden, weil sie vorher Kontakt zu ihrem Bruder hatte? Bei Dir piept’s wohl! Lernt Ihr so einen Stuss in der Schule? Meine Herren, jetzt langt es aber langsam!

Dann hat die Hexe also den Hänsel in den Käfig eingesperrt und ihm lauter gute Sachen… Guido, was denn jetzt wieder? die Verpflegungskosten auf die Hartz-IV-Bezüge der Eltern anrechnen? Hörst Du jetzt wohl auf, Uschi an den Zöpfen zu ziehen! Nein, das ist keine Verwahrlosung, Du kannst der Hexe nicht das Sorgerecht entziehen, weil sie die Kinder falsch ernährt… Uschi, Du sollst den Guido nicht treten! Jetzt hab ich aber langsam die Faxen dicke hier! Dass Ihr Euch auch nicht ein einziges Mal ordentlich benehmen könnt!

Zur Strafe lese ich Euch jetzt etwas ganz anderes vor. Wolfgang, unterbrich mich nicht immer! – Artikel 1. Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen…“





Phrasenschweinerei

21 09 2009

„Boah ey! Möllering, Sie blöde Pissbirne! Hat man Ihnen ins Hirn geschissen?“ Brauns Tonfall irritierte mich zutiefst. Wo war ich hier bloß reingeraten? Hatte sich die oft zitierte moralische Verrohung der Gesellschaft bis in die Abgründe der Tagespolitik fortgefräst? „Sie müssen entschuldigen“, druckste Braun, „wenn man sich erst mal ein paar Stunden warmgearbeitet hat, dann fällt einem diese Diktion selbst gar nicht mehr auf. Da langt man schon mal kräftig daneben. Ist aber auch ein hartes Brot hier, das kann ich Ihnen flüstern!“ Er zündete sich mit zittrigen Fingern die nächste Zigarette an.

„Sie dreschen hier also Phrasen“, konstatierte ich, „und verscherbeln das Zeug an Ihre Kunden.“ „So ist es. Wir basteln Argumentationskrücken, an denen Politpimpfe durch die Wahlkämpfe humpeln. Denk-, Sprechblasen, Gefasel, Geseier, Geblubber: alles, was sich denken lässt, in dümmstmögliche Form verknappt.“ „Eine besonders hohe Meinung haben Sie ja von Ihren Kunden nicht gerade.“ „Wenn Sie wüssten, was wir alles liefern müssen, würden Sie auf diese Kundschaft auch gerne verzichten.“ Braun blätterte die Kundenkartei auf. „Unsere Referenzen. Hier, Rüttgers und die rumänischen Arbeitnehmer: von uns. Philipp Mißfelder, die Hüftgelenke, Hartz-IV und die Alkoholindustrie: auch wir. Oder Lafontaine, hach, ich weiß ja gar nicht, wo ich da anfangen sollte!“ „Er lässt häufiger bei Ihnen arbeiten?“ „Aber hallo! Genau wie Westerwelle. So viel populistischen Quark kann sich doch ein Mensch alleine gar nicht mehr ausdenken!“ „Ein ganzes Team für Guido Westerwelle?“ „Na klar, der braucht das! Den können Sie ja inzwischen schon nicht mehr nach der Uhrzeit fragen, ohne dass er Ihnen irgendeine Stammtischparole in die Ohren drückt.“

Zwölf Ordner mit populistischem Plattmaterial lagen auf Brauns Schreibtisch, beredtes Zeichen für den ungeheuren Bedarf. „Sie kommen ja heute schon in keine Talkshow mehr, wenn Sie nicht in einem Satz die ganze Welt erklären, ein paar Minderheiten diskriminieren und gleichzeitig noch für Ihre Partei werben können. Die Anforderungen steigen, deshalb müssen da unbedingt Profis ran.“ Ein Fensterchen poppte auf. Möllering hatte neuen Laber-Content produziert. „Der Mann ist doch wohl gegen den Prellbock gelaufen“, stöhnte Braun, „haben Sie den als Kind zu oft vom Wickeltisch fallen lassen?“ „Na, zeigen Sie mal her“, sagte ich und begutachtete den frischen Verbalauswurf des Angestellten. „‚Kein Benzin in Kinderhände!‘ – Hm, das klingt doch etwas zahnlos. Der Attentäter von Ansbach ist ja auch schon volljährig, also zieht das sowieso nicht.“ „Eben“, nickte Braun, „ganz schwache Nummer. Normalerweise ist Möllering deutlich besser.“ „Auch wenn Sie es nicht zugeben, im Grunde mögen Sie den Mann.“ „Allerdings, er ist auch wirklich eine Spitzenkraft, beste Zeugnisse – erst Schlagzeilenredakteur bei BILD, dann eine Haftstrafe wegen Volksverhetzung, inzwischen CSU-Mitglied – und arbeitet auch gut unter Zeitdruck. Unverzichtbar ist er schon.“ „Ob man nicht eher in die gesellschaftliche Mitte gehen sollte?“ Braun war ratlos. „Wie meinen Sie das?“ „Zum Beispiel: ‚Schützenvereine doch unschuldig!‘ Da keine Schusswaffen im Spiel waren, lässt dich das auch nicht widerlegen, und man braucht keinen Schuldigen zu präsentieren.“ Braun pfiff durch die Zähne. „Sieh mal einer an“, sagte er anerkennend, „Sie verstehen ja eine ganze Menge von unserem Business. Sie bringen es noch weit.“ Ich wies ihn darauf hin, dass ich bereits einem verhältnismäßig ansprechenden Beruf nachginge. „Aber hier haben Sie eine Menge Möglichkeiten. Sie können sich wirklich weiterentwickeln, Sie arbeiten für eine Menge Medien, und Sie haben, wie gesagt, viele prominente Kunden. Mögen Sie Bashing?“ Angewidert zog ich die Augenbrauen hoch. „Sie meinen Klatschen? Nein, ich bin eher zivilisiert.“ „Aber hier haben Sie ein gut bestücktes Schussfeld dafür“, drängte Braun, „probieren Sie es aus. Sehen Sie die aktuellen Zeilen über die Piratenpartei? Na, was sagen Sie jetzt?“ „Das sind größtenteils Lügen, Platitüden und an den Haaren herbeigezogener Blödsinn“, antwortete ich hart. „‚Internet-Chaoten fordern kostenlosen Kinderporno‘ – Sie glauben doch wohl selbst nicht, dass das jemand mit etwas Hirn unterm Pony für bare Münze nimmt.“ „Und ob“, brüstete er sich, „sie gehen uns alle auf den Leim. Unsere crossmediale Kampagne ist doch ein toller Erfolg? Haben Sie das nicht längst gelesen?“ „Sie klimpern ein bisschen auf der Klaviatur der Schlagzeilen herum, Braun, und kommen sich dabei wer weiß wie intelligent vor. Vergessen Sie’s. Sie überschätzen sich maßlos.“ Er blickte mir höhnisch ins Gesicht. „Wenn ich mich hinstellte und das von mir gäbe, dann vielleicht. Aber wenn Dieter Nuhr das sagt, das klingt doch gleich ganz anders.“ „Braun, es ist egal, welcher Aufmerksamkeitshure Sie Ihren Wortschwall eintrichtern, damit es wieder hervorgekotzt auf mich herabregnet. Sie sind ein kleines Rädchen in der Maschinerie, das dreht sich noch ein paar Mal um sich selbst und wird dann ersetzt. Halten Sie sich nicht für so wichtig, wie Sie nie sein werden.“ Er sah mich mit einer Mischung aus Feindseligkeit und Arroganz an. „Ich werde Sie kriegen. Irgendwann werde ich Sie kriegen, und dann werden Sie es glauben.“ Sanft lächelte ich. „Meinen Sie? Bewahren Sie Ihre Angst gut auf bis dahin. Nicht, dass sie sich selbstständig macht.“

Braun stierte mir nach, während ich das Büro verließ. Er war mir doch tatsächlich eine Antwort schuldig geblieben. Neben der Aufzugtür sah ich den Spruch an der Wand kleben: „Besser aber und beglückender ist es, das Herz eines Volkes zu gewinnen und es auch zu behalten.“ In kleinen, sehr kleinen, aber vergoldeten Kapitälchen prangte der Name seines Urhebers darunter. Joseph Goebbels.