Unverrückbar

31 10 2009

Der Affe geht in Seide,
er dünkt sich als Baron,
behängt sich mit Geschmeide
und hockt auf einem Thron.

So geht’s in allen Ländern,
so ging’s zu aller Zeit
und wird sich niemals ändern
und bleibt in Ewigkeit.





Gernulf Olzheimer kommentiert (XXXI): Comedians

30 10 2009
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Nicht allen ist es gegeben, die Wonnen der Muße in Genügsamkeit auszukosten; während der eine stille Freude empfängt bei der Betrachtung eines Grashalms, stolpert der andere bereits in eine existenzielle Krise beim Malen nach Zahlen, weil er sich die Reihenfolge zehn komplexer Krickel seit dem Schulabbruch nie hat einprägen können. Wo Heiterkeit übergangslos in Spaß mündet, sind doch noch Menschen, die fidel Skat spielen, verbissen Picassos Guernica im Originalformat aus handgeknüpften Knoten benutzter Zahnseide nachempfinden, Minigolf spielen. Suum quique. Von den Abhängen der Allotria nun klatscht der Beknackte in die Schlucht der passiven Bespaßung, die ihm Fun verschafft – die Gefilde des Amorphen bleiben aus guten Gründen so ungefeudelt wie das Herrenklo einer Autobahnraststätte, deren Odeur nur mit Hilfe einer Abrissbirne zu begegnen ist.

Als Prototyp der Bespaßungsspezies hat sich der Animateur als Berufsbild für den Vollkontakt mit Minderbemittelten herausgemendelt. Wer mühelos lebergeschädigte Grützbirnen mit Männertitten dazu bringt, sich gegenseitig rhythmisch auf die Gesäßmuskulatur zu schlagen, ohne homophobe Panikattacken in ihnen auszulösen, hält sich im Geschäft. Die erfolgreichsten Arbeitnehmer dieser Branche profitieren davon, dass sie der Mischpoke aus Besoffenen und Beschränkten intellektuell durchaus das Wasser reichen kann, wenngleich von ganz weit unten. Manche entfliehen nicht und scheitern sich langsam, aber todsicher in den noch erbärmlicheren Aggregatzustand rein, der die Nahrungskette im Boden verankert: Comedians.

Was so harmlos, beinahe ulkig klingt, ist nichts anderes als die Stellenbeschreibung für Pfleger, die denselben Dachschaden haben wie ihre Patienten. Abend für Abend verrenken zappelnde Zombies ihre Resthirnwindungen, um mit Brachialgewalt die Debilitätsgrenze im Zuschauerraum auszuleiern. Bietet Malen nach Zahlen dem naiven Pinsler, dem jegliche Vorstellungskraft abgeht, noch das Staunen bei der mählichen Genese von Blumenstillleben, so ist die Symbiose von Bühnenbrülltüte und die Sessel einnässendem Klatschvieh bis tief in die niedermolekulare Ebene von Überraschungen frei – die Parkettparasiten reagieren mit stumpfer Ablehnung auf jeglichen Ansatz einer Pointe im engeren Sinne, weil ihre Zwerchfellresonanz nur bei sorgfältig ins Stammhirn eingefrästen Reizen die Arbeit aufnimmt. Witze, die man erklären muss, sind per se scheiße, und der Begriffsstutzige braucht eine Menge Erklärungen.

So hampeln flächendeckend die Statisten des Humorrecycling an die Rampe, ohne Beipackzettel direkt ins Programm der Unterschichtensender geschwiemelt, um Besucher der Hirnrückgabestelle zu beglücken, die Atze Barths und Ingo Mittermeiers dieser Republik, die mit jedem mühsam unterkellerten Scherz zwanghaft zeigen, dass sie nicht alle Rillen auf der Erbse haben, Eigenwitzlacher, denen kein Gag zu platt und kein Schelmerei zu müffelig ist, als dass sie ihn nicht zur lustigen Leichenschändung ausbuddelten.

Was da als Zotenwiederaufbereitungsanlage über die Bretter humpelt und dem Betrachter seine eigene Hirnverdübelung vorturnt, genießt bisweilen Kultstatus – Säle und Stadien voll sabbernden Gesocks, prustende Prolls goutieren konvulsivische Auswürfe von Gossenvokabular, das die widerliche Wirklichkeit ihrer verpfuschten Lebensentwürfe abbildet. Antiproportional zur Bodenhaftung, die der immerwährende Niveaulimbo rausmöllert, steigt das Ansehen der Schwachstromclowns, die für ihren gesellschaftlichen Selbstmord auf der Mattscheibe immense Summen an Schmerzensgeld kassieren; jeder abgekupferte Unflat, jeder in Verwesung übergehende Schülerulk wird für die Spezialisten der Zasterfahndung nutzbar gemacht, bis in die Niederungen des Sekundärschmonzes, wenn Olli seine jeweilige Bettunterlage noch einmal für die Galerie pochert.

Längst bezahlen die Ratten ihren Fängern vergoldete Flöten, schärfen den Kosaken des Klamauks die rostigen Schwerter. Längst wird auch das kollektive Ablachen zu auswendig gelernten Witzmustern eine quasi-rituelle Handlung, die Identität stiftet, wo vorher nur Satzkonstruktionen aus der Arbeiterfachpresse an den Innenseiten des Zwischenohrhohlraums sich ansaugen konnten. Was an Intelligenz beim Empfänger nicht vorausgesetzt werden kann, vergrößert den Resonanzraum, der über das Reizleitungssystem in direktem Kontakt mit dem Beckenboden steht. Sie zahlen, damit man ihnen auf die Eier geht.

Und doch haben diese Jammerlappen eine reinigende Wirkung. Wie die Losung des sanften Rindes myriadenweise Schmeißfliegen anlockt und hält, die ansonsten ihre Kackstelzen in harmloser Leute Heißgetränk tunken, so hält der geistlose Saukram die Rüpelgarde wenigstens davon ab, Streichquartettabende, griechische Tragödie und Tanzkunst mit ihrer Anwesenheit zu beleidigen. Tiefer Trost wohnt dieser Vorstellung inne. Wie unerträglich peinlich müsste es sein, würden die Volltrottel dabei an der falschen Stelle lachen.





Der Kämmerer des Schreckens

29 10 2009

Der Fahrstuhl ruckelte und zuckelte – plötzlich schoss er in die Höhe, obwohl es mich an die Decke zu drücken schien. Wie in Trance sah ich, dass der Anzeiger auf 9¾ stehen blieb. Die Türen öffneten sich. Da stand Fählske. „Pünktlich auf die Minute“, lobte er, „treten Sie gleich herein, junger Freund!“ Kisten und Kästen verstopften die Korridore des Bundesministeriums der Finanzen. Sicher war noch Zeit, dass Peer Steinbrück einpacken könne. „Das kann er in der Tat“, bestätigte der Ministerialrat, „aber das hier gehört schon der neuen Führung. Wir stellen um.“ Umstellung? Würde es Aktendeckel in neuen Grautönen geben? ordentliche Buchführung? Was sollte das bedeuten? Fählske druckste herum. „Kommen Sie mit. Sie glauben es mir doch nicht, wenn Sie es nicht mit eigenen Augen sehen.“

Wir durchschritten die ministeriellen Korridore. Zwei Handwerker waren damit beschäftigt, eine Menge neuer Schilder an die Türen zu nageln. Ich stutzte. „Raum der Wünsche? Was hat denn das nun wieder zu bedeuten?“ Fählske zeichnete mit der Schuhspitze Kreise auf das Linoleum. „Es ist ja so: der Haushalt ist momentan, wie soll ich sagen… also es sieht gar nicht so gut aus, genauer gesagt, wir wissen eigentlich noch gar nicht, wie groß die Katastrophe ist. Und da muss man vorbeugen.“ „Sie wollen ernsthaft behaupten, dass Sie Ihren ganzen Laden jetzt nach dem Harry-Potter-Prinzip… nein, sagen Sie mir, dass das nicht wahr ist!“ „Ich weiß es doch selbst“, jammerte der Fiskalbeamte, „aber wir konnten nichts machen. Der Chef hat ja schon vorher einen Schatten gehabt, aber jetzt dreht er komplett durch!“ „Und was wird hier gemacht?“ „Nicht viel. Der Chef sitzt hier herum und murmelt stundenlang etwas von Aufschwung oder beschwört Wirtschaftswachstum von zwanzig Prozent herauf. Was sollen wir denn machen?“ Ja, was sollte man?

Weiter ging’s, rechts lag die Heulende Hütte für die Planungskommissionen des Koalitionsvertrags, links führte eine Tür zu Zonkos Scherzartikelladen, wo sich ein Team von Unternehmensberatern neue Steuern ausdenken sollte. „Die Rückwärtslauf-Abgabe, den progressiven Montag-bis-Mittwoch-Spitzensteuersatz und den Schluckauf-Freibetrag haben wir schon durchgekaut, aber der Verbotene Wald sagt, das ginge alles nicht.“ „Der Verbotene Wald?“ „Das Bundesverfassungsgericht natürlich. Ich vergaß zu erwähnen, dass wir auch einige neue Sprachregelungen eingeführt haben.“

Die Tür zur Magischen Menagerie war abgeschlossen. Fählske bedauerte: „An sich gar nicht so schlimm, es sind in Wirklichkeit nur kleine Puschelkätzchen und Wauwaus, die als reißende Raubtiere verkleidet werden. Völlig harmlos.“ Ich blieb skeptisch. „Und warum leisten Sie sich nicht richtige Giftschnecken?“ „Ich bitte Sie! Echte Steuerprüfer bei den Industrieunternehmen – das kann man der Wirtschaft ja nun wirklich nicht zumuten!“

„Cheffe? Wo stell ick’n Deluminator hin?“ Der Möbelpacker schleppte einen gewaltigen Karton die Treppe hinauf. Ich sah ihm interessiert zu. „Sie benutzen das Ding als Ortungsgerät, wenn Sie auf Sicht fahren?“ „Keinesfalls“, korrigierte Fählske, „wir setzen es seiner eigentlichen Bestimmung gemäß ein: als Verdunkelungsapparat.“ Das wollte ich nun genauer wissen: „Warum dies?“ „Wissen Sie eigentlich, wie lästig der Bundesrechnungshof sein kann?“ Ich begriff. „Und sicher haben Sie irgendwo auch ein Denkarium versteckt?“ „Das steht im Büro vom Herrn Minister. Wir wollten es eigentlich mit der Vorratsdatenspeicherung koppeln, aber die fällt jetzt ja nicht mehr in Schäubles Ressort. Und da mussten wir uns eben einiger anderer Mittel bedienen, wie Sie sehen.“

Das Zimmer am Ende des Flügels war mit schwarzem Samt ausgeschlagen; kryptische Zeichen an den Wänden ließen es wie einen Tempel erscheinen. „Das hier“, erklärte Fählske stolz, „wird der Durchbruch sein! Ab sofort gibt es keine Steuerausfälle mehr – das Problem ist für alle Zeit gelöst!“ „Online-Überwachung?“ „Viel besser“, warf er sich in die Brust, „ein Spickoskop! Ab jetzt gibt es keine Heimlichkeiten mehr. Wir erkennen jeden Steuerhinterzieher!“ „Na, das wird ja die Kollegen im Wirtschaftsministerium freuen. Oder wie handhaben Sie das mit den Steuergeschenken für die Großkonzerne?“ Fählske schlug eine Portiere zu einem Schränkchen auf. „Für unsere Leistungselite haben wir selbstverständlich noch an ein Verschwindekabinett gedacht. Bei genügend hohen Umsätzen sind Sie dabei – oder bei genügend hohen Schulden, je nachdem.“

Beschwingt lief er vor mir her. „Sogar die Kantine hat sich völlig verändert. Gut, der Bohneneintopf mit Ohrenschmalz ist nicht jedermanns Sache, aber Sie sollten einmal die Schokofrösche kosten – einfach zauberhaft!“ Und schon standen wir am Ende des Flurs. Die Tafel an der Wand verzeichnete alle Abteilungen des Finanzministeriums. „Magische Strafverfolgung“, las ich, „Internationale Magische Zusammenarbeit, Mysteriumsabteilung – das dient wohl auch Ihrer Verschleierungstaktik?“ „Ganz recht“, bestätigte er, „aber wir haben die Abteilung noch nicht besetzt. Vorerst brauchen wir alle im Deluminationsressort.“ „Und was machen Sie mit diesem Fachbereich?“ „Wir bereiten uns darauf vor, dass man den ganzen Mist, den wir hier produzieren, nicht merkt. Haushaltslöcher, Milchmädchenrechnungen, die ganzen Schuldenberge.“ Fassungslos blickte ich ihn an. Er legte mir tröstend seine Hand auf die Schulter „Na, halb so schlimm. In vier Jahren ist der ganze Zauber ja sowieso vorbei.“





Zimmer frei

28 10 2009

„Du, Angela?“ „Ja, Horst?“ „Sag mal, hast Du den Stecker vom Kühlschrank rausgezogen?“ „Ich habe ihn gar nicht erst reingesteckt.“ „Aber warum denn, Angela?“ „Der Guido hat noch keinen Strom legen lassen, und ich dachte, wir könnten vielleicht die ersten paar Tage mal ohne…“ „Ja Himmisakrament, wo soll ich denn jetzt hin mit meinem Weißbier und dem Leberkäs? Seid’s denn narrisch geworden?“ „Jetzt reg Dich doch nicht so auf, Horst. Der Guido brauchte halt das Geld für die Betten.“ „Welche Betten? Ich dachte, wir haben gar kein Geld dazu?“ „Der Guido wollte aber neue Betten, da habe ich’s ihm erlaubt. Er hat mir keine Ruhe gelassen.“

„Shalim-Shalom-Shalömchen, ich bin’s, Euer Guido! Na, was geht ab?“ „Ich geb Dir gleich was-geht-ab, Du Bazi! Den Strom hast nicht bezahlt! Das geht doch nicht!“ „Mensch Horst, jetzt bleib mal locker – Deine Wurst kannst Du auch frisch kaufen und das Bier stellst Du einfach auf den Balkon!“ „Du Guido, wir haben keinen Balkon.“ „Wie, keinen Balkon?“ „Wenn ich’s Dir doch sage, wir haben keinen.“ „Aber ich will einen!“ „Du hast schon neue Betten gewollt, was war das wieder für ein Schmarrn?“ „Da sind sie doch, Horst. Gestern angeliefert.“ „Was? Wo?“ „Die kommen um halb elf zurück.“ „Wieso zurück?“ „Horst, der Guido hat halt die aus dem Kanzleramt genommen.“ „Aber dann haben wir doch im Kanzleramt keine mehr?“ „Eben. Aber wir werden eine Lösung anstreben für diese Problematik.“ „Sag einmal, Angie, bist jetzt auch deppert? Wir haben keine Betten hier!“ „Weil der Guido nicht die von Frank-Walter wollte. Da hat er ganz fest versprochen, dass es neue gibt.“ „Ja aber es gibt keine neuen und auch keine alten!“ „Jetzt macht hier mal keine Welle, Freunde! Wir haben neue Betten. Die stehen bloß im Kanzleramt. Die alten Feldbetten aus dem Keller. Die müssen wir bloß jeden Abend hier herüber…“

„Horst, jetzt lass doch! Der Guido meint es doch nur gut.“ „Der hat die Betten neu gekauft, die uns sowieso schon gehören und…“ „Ist ja gar nicht wahr!“ „Du hast da Geld zum Fenster rausgeworfen und wir haben immer noch keine Betten!“ „Ist ja nicht wahr, ist ja gar nicht wahr!“ „Und wo soll ich jetzt schlafen?“ „Du, Horst, das kriegen wir schon in den Griff. Wir können doch auch mal auf den Matratzen schlafen.“ „Äh, nein.“ „Wieso, Guido?“ „Das ist, ääh… ich habe die neuen Matratzen erst mal ins Leihhaus gebracht.“ „Wofür denn?“ „Damit ich die Bettgestelle kaufen kann.“ „Die uns sowieso schon gehören? Kruzitürken, und wo sind die alten Matratzen?“ „Die sind… also wir müssen da als Liberale auch eine eigene Note setzen und uns…“ „Jetzt sag’s halt endlich!“ „Horst, jetzt bleib doch mal ruhig! Es hat doch keinen Zweck, wenn Du Dich aufregst, es ist ja nicht mehr zu ändern jetzt. Der Guido hat sie auf den Sperrmüll gebracht.“ „Aber wir haben doch noch die Bettgestelle.“ „Im Kanzleramt.“ „Dann erhält das eben ab sofort die Aufgabe, uns ein attraktives Angebot zur freiwilligen Zusammenarbeit zu unterbreiten.“

„Und die Mietkaution? Habt Ihr die hinterlegt?“ „Ich dachte, das machst Du, Angela?“ „Warum denn ich?“ „Du bist doch die Hauptmieterin.“ „Ach Guido, das hatten wir doch schon besprochen. Ich mach das wie immer: ich halt mich aus allem raus.“ „So geht’s aber nicht, Angela! Du hast den Vertrag unterschrieben, also musst Du auch die Miete…“ „Miete? Ich dachte, das Haus gehört uns?“ „Horst, erklär ihr das doch noch mal, was ein Mietvertrag ist.“ „Zwecklos, Guido. Sie kapiert’s ja doch nicht.“ „Guido, das ist gemein von Dir! Ich finde, wir sollten Geschlossenheit zeigen und…“ „Angela, woher soll denn überhaupt die Miete kommen?“ „Sag Du’s mir.“ „Hast Du Dir da überhaupt keine Gedanken gemacht?“ „Also ich plane, ob eine Planfindungskommission…“ „Angela, das hilft uns nicht weiter.“ „Wir müssen uns etwas überlegen.“ „Das fällt Dir ja früh ein!“ „Wie können wir denn die Mietkosten wieder reinkriegen.“ „Arbeit?“ „Prima Idee, Guido! Damit erhöhen wir für uns den Anreiz, uns eine voll sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu suchen und anzunehmen. Das kann auch dazu beitragen, die Sozialkassen zu entlasten!“ „Kann, kann, kann – so ein Gelump, so ein damisches! ‚Kann die Hirndurchblutung fördern‘ – das hatte ich doch schon mal irgendwo gelesen?“ „Das sind die Pillen auf ihrem Nachttisch, Horst.“ „Ich hab’s! Wisst Ihr, wie viel so eine Poolreinigung kostet? Wir lassen einfach den Pool nicht mehr…“ „Angela, das Haus hat gar keinen Pool.“ „Hm. Das ist doof, Guido.“ „Warum?“ „Ich hatte das nämlich schon so mit dem Haushaltsgeld verrechnet.“ „Wie das denn?“ „Weil ich sonst die kapitalgedeckte Altersvorsorge für uns nicht bezahlen kann.“ „Welche Altersvorsorge?“ „Da war dieser nette Herr von der Versicherung, und ich wollte…“ „Was hast Du Dir da wieder für einen Blödsinn aufschwatzen lassen?“ „Also ich finde das voll okay, Horst. Da hat Angie mal richtig mitgedacht. Dann können wir nämlich im Alter die Miete davon…“ „Sakradi, und wovon bezahlen wir sie jetzt?“ „Horst, jetzt rede doch nicht alles klein. Ich hatte so schöne Zielvorstellungen, dass sich der Wettbewerb der Ideen im ständigen Bemühen um eine Erbringung des Mietzinses entfalten kann, wenn wir…“ „Ah bah, ein Schmarrn ist das!“ „Horst, jetzt sei kein Spielverderber! Et is noch immer jot jejange, wie wir Rheinländer…“ „Ein Schmarrn, sag ich! Wir sind hier schneller wieder draußen, als wir einziehen können!“ „Das glaube ich nicht. Wir haben uns nämlich ein tolles Gesetz ausgedacht. Damit dauert eine Räumungsklage jetzt mindestens vier Jahre!“





Abgewickelt

27 10 2009

„Hallo, Zentrale? Stellen Sie mich doch jetzt mal in die Chefetage durch, das dauert ja wieder ewig! Arbeitet denn in dem Laden überhaupt noch einer? Hallo! Hallo! Na endlich, Menschenskind, das ist aber auch… Was soll ich denn da sagen, ich telefoniere Ihnen doch schon seit gestern hinterher, nie kriegt man mal einen ans Rohr. Ist doch wahr!

Also das muss ich Ihnen ja mal sagen, also wie Sie da gewirtschaftet haben – sagenhaft, die Karre an die Wand gefahren und dann schmeißen Sie das Geld mit beiden Händen zum Fenster… Jetzt unterbrechen Sie mich nicht, das kann ich gar nicht leiden! Jawohl, zum Fenster raus! Und Sie wundern sich, wenn Sie jetzt rechtliche Schwierigkeiten am Hals haben? Na Prost Mahlzeit, da werde ich doch gleich… Konzept erstellen, neue Impulse, ach hören Sie doch auf mit diesem ganzen Gewäsch. Das glaubt Ihnen doch keine Sau mehr. Sie haben die Leute von vorne bis hinten belogen, so sieht’s doch mal aus! Anstatt, dass Sie an Arbeitsplätze denken, nein, da muss die Dame natürlich auf dem internationalen Parkett… Ihre Aufgabe? Ich will Ihnen mal sagen, was Ihre Aufgabe ist. Ihre Aufgabe ist es, den Laden zusammenzuhalten und eine ordentliche Bilanz zu machen, so! Aber statt mal die Bücher unter die Lupe zu nehmen, warten Sie ja lieber, bis die Hütte brennt, und dann…

Jetzt mal ganz langsam – Sie haben das Geld einfach beiseite geschafft. An der Bilanz vorbei. Jawohl, an der Bilanz vorbei! Und dann immer mal hier und mal da noch in Schnickschnack investiert, aber keine Substanz mehr in der Kiste. Was soll man denn da noch groß sanieren? Da ist doch nichts mehr! Da ist doch einfach nichts mehr!

Stabile Entwicklung, ich bitte Sie, was ist denn heute noch stabil? Das stabilste ist doch Ihr ganzes Krisengejammer, so kriegt man doch keinen Aufschwung hin! Investitionsfreundliches Klima, das ist doch Kokolores, was glauben Sie eigentlich, was der kleine Mann auf der Straße von Ihnen denkt? Sie sind doch längst bankrott, und das wissen Sie genau so gut wie ich. Was reden Sie denn um den heißen Brei herum, das hätte man doch alles schon vor der… Kredit? Sie haben wohl einen Triller unterm Pony! In der Situation auch noch die Schulden vergrößern, wer macht denn so einen Unfug? Für die Wirtschaft? Wie bitte? Was glauben Sie denn, was die Wirtschaft von Ihnen erwartet? Die erwartet, dass Sie sich still und leise zum Sterben in die Ecke legen und uns nicht weiter mit Ihrer Inkompetenz belästigen!

Weil das eben alles von Vorgestern ist! Meine Güte, das ist doch so was von out, was Sie da machen. Haben Sie sich eigentlich schon jemals ernsthaft mit dem Thema Internet befasst? Ach Gott, das ist ja rührend, dass Sie sogar wissen, was ein Browser ist… Also jetzt alles nachmachen, was die anderen schon lange vor Ihnen gemacht haben, das bringt doch auch nichts. Das ist doch bloß Kosmetik. Sie haben eben den Zug der Zeit nicht mitbekommen, die Geschichte ist über Sie hinweg, da kommt auch nichts mehr. Da kommt nichts!

Das verstehen Sie unter sozialer Gerechtigkeit, wenn Sie ein Drittel ersatzlos streichen? Sind Sie denn vom Wahnsinn umzingelt? Damit können Sie sich doch nicht mehr vor Ihre eigene Mannschaft stellen, die werden Sie glatt… Ach, die Leute sind Ihnen egal? Was? Die haben zu kuschen? Das nenne ich mal Verantwortungsbewusstsein – in der Krise mit Geld um sich schmeißen, das dann später fehlt, große Versprechungen machen, dass jeder weiß, Sie können sowieso nichts einhalten, und wenn das Ding platzt, dann dürfen es die kleinen Leute ausbaden, weil Sie gerade keine Lust haben, sich damit zu befassen. Nein, ist es nicht! Ich nenne das Feigheit, damit Sie’s nur wissen! Feigheit, Charakterlosigkeit und Opportunismus! Ihnen kommt es doch gar nicht auf eine Lösung an, Sie wollen doch bloß in die Medien, um ein bisschen über die Probleme zu schwafeln und eine möglichst hübsche Figur zu machen. Was ist denn daran bitte Verantwortung? Das wollen Sie mir doch nicht ernsthaft weismachen!

Vorfinanzierung, das ist doch lächerlich, haben Sie denn eine Glaskugel? Drucken Sie Ihr Geld selbst? Was soll denn eine Vorfinanzierung? Sie können doch aus dem Budget nicht mehr rausholen, als drin ist. Wo nehmen Sie denn das Geld her? Also an das Märchen mit der Portokasse glaube ich ja schon lange nicht mehr, das können Sie Ihrer Großmutter erzählen. Und wenn Ihr Management sowieso der Meinung ist, dass diese ganze Blase platzt, was tricksen Sie denn jetzt noch damit herum? Um die letzte Glaubwürdigkeit auch noch zu verspielen? Wollen Sie das wirklich?

Gehen Sie mir doch ab! Strategische Neuausrichtung, das hat doch noch nie geklappt! Was wollen Sie denn da auch groß ausrichten, der ganze Laden ist doch leer! Da ist doch nichts mehr zu holen! Ja, Öffentlichkeitsarbeit, Bürgernähe – ich will es mal so sagen: der Bürger ist doch inzwischen froh, wenn er mal einen Tag lang nichts von Ihnen mitbekommt. Die Leute können es doch nicht mehr hören, die schalten doch den Fernseher ab, wenn sie nur… Hallo? Hallo? Sind Sie noch dran? Hallo? Sie haben gar keinen Grund, hier die beleidigte Leberwurst zu… Das Spiel ist aus, Karstadt und Quelle sind pleite, Sie können jetzt nur noch den Insolvenzverwalter… was, nicht Arcandor? Mit wem rede ich denn da die ganze Zeit? Was? Hallo? Frau Merkel? Hallo! Hallo! – Falsch verbunden. Oder doch nicht?“





Schneegestöber

26 10 2009

03:19 – Schwere Träume vom Stalingrader Kessel, nächtlicher Harndrang sowie das Schnarchen seiner Gattin reißen den Rentner Karlheinz D. (85) aus dem Schlaf. Ein Blick aus dem Wohnzimmerfenster lässt ihn augenblicklich jede Müdigkeit vergessen. Eine weißliche Substanz flirrt im matten Licht der Straßenlaterne – der erste Schnee. Unverzüglich schlüpft D. in Hemd und Hose, um seinen Pflichten als Hauswart nachzukommen.

04:54 – Karlheinz D. hat inzwischen die komplette linke Seite des Kiebitzwegs zwischen Amselstraße und Drosselredder mit Rollsplitt abgestreut; der Gehsteig liegt mit geringen Schwankungen unter sieben Millimetern Brechsand, was D., bäuchlings an der Straßenkante liegend, unter Zuhilfenahme einer Halogenleuchte penibel kontrolliert.

04:56 – Erwin M. (88), wohnhaft auf der rechten Straßenseite des Kiebitzwegs, tritt den ersten Kontrollgang des jungen Oktobermorgens an. Aufgeschreckt durch die Mineralausbringung auf dem gegenüber liegenden Gehsteig betrachtet er intensiv die Fahrbahn, worauf ihm, der noch seine Lesebrille trägt, ein Styroporteilchen ins Auge fällt. Er handelt unverzüglich und ruft seinen Neffen Ernst P. (59) an.

05:01 – Trotz der frühen Stunde zeigt sich Ernst P. zum Handeln entschlossen. Die beiden von M. auf der Fahrbahn verstreuten Eimer Sand werden nicht die einzige Maßnahme gegen den verfrühten Wintereinbruch bleiben. P. verspricht, sich bei den Frühschichtkollegen der Straßenreinigung für einen flächendeckenden Einsatz von Räum- und Streufahrzeugen auszusprechen.

05:39 – Als der Sozialpädagoge Lutz G. (45) wie immer um diese Zeit das Haus verlässt, um beim Bäcker in der Amselstraße Frühstücksbrötchen zu holen, bemerkt er die Straßenverhältnisse. Minuten später holt er die Schneeketten aus dem Keller, um sein Auto an die saisonalen Verkehrsbedingungen anzupassen.

06:22 – Mild, ja frühlingshaft bescheint das Morgenlicht die Szenerie, in der dreiundvierzig mitten im Berufsleben stehende Bürger ihre Kraftwagen winterfest machen. Eifrig montieren sie Winterreifen, tragen rhythmisch Schutzpolitur auf und befüllen die Scheibenwaschanlagen mit Frostschutzmittel. Vereinzelte Feindseligkeiten schlagen der Verkäuferin Amelie K. (33) entgegen; die alleinerziehende Mutter erdreistet sich, ohne jegliche Vorsorgemaßnahmen in ihren Kleinwagen zu steigen und zur Arbeit zu fahren.

06:52 – Der Appell hatte gefruchtet. Unter der Oberleitung von Kolonnenführer Ernst P., der mit schwerem Räumfahrzeug die Geröllschicht um eine vertikal gemessene Handbreite an Schlacke ergänzt, schütten die folgenden Laster jeweils genug Sand und Streusalz aus, um den sibirischen Permafrost in Schneematsch zu verwandeln. Keiner bemerkt die heldenhafte Handlung; die vorbeugenden Familienväter befinden sich noch beim Frühstück oder entledigen sich schon der Schmierölreste.

07:11 – Trotz zahlreicher Versuche, die Fahrertür seiner Limousine zu öffnen, scheitert Lutz G. an der schieren Menge des Schleuderschutzes. Mit einem Wutanfall konstatiert er, dass das zwanghafte Schieben an der Türunterkante zu erheblichen Lackschäden geführt hat.

07:23 – Durch den herzhaften Einsatz einer Schneeschaufel befreit Gunnar Sch. (38) den Bodenbereich vor seinem Geländewagen. Das hochbeinige Gefährt ermöglicht dem passionierten Stadtverkehrsfahrer zunächst mühelos, auf die Sandschicht zu steigen, bevor das Sperrdifferenzial seine Mitarbeit verweigert. Während die Räder mit unmelodiösem Knirschen sich in den Splitt fressen, neigt sich der Offroader majestätisch zur Seite, um endlich seine Stabilität wiederzufinden. Ein letztes Aufheulen des Motors, dann ruht das robuste Auto auf der Fahrertür.

07:31 – Mit gehöriger Verspätung biegt der Auszubildende Kevin W. (17) auf seinem Mofa in den Kiebitzweg ein. Zwar bringt die Maschine nur die ordnungsgemäßen 30 Stundenkilometer auf den Tacho, doch erweist sich der plötzliche Wechsel des Bodenprofils als problematisch. Trotz gekonnter Lenkimpulstechnik neigt der Zweitakter hier und da stark zum Ausbrechen, namentlich in unmittelbarer Nähe des Luxuswagens, den Dr. Heiko F. (33) bereits mit Schneeketten ausgerüstet hatte, um den Weg in die Zahnarztpraxis anzutreten. Ein dumpfer Stoß, dann trifft die Wucht des Aufpralls den Außenspiegel, der seine Flugbahn bis in die Blumenrabatten des Vorgartens fortsetzt. W. entscheidet sich, nicht mehr als zweimal pro Woche zu spät in seinem Lehrbetrieb zu erscheinen.

07:32 – Wutentbrannt stürmt F. aus dem Haus. Zunächst glaubt er, der Knall sei eine Folge des Wiedereinparkens des auf der gegenüber liegenden Straßenseite stehenden asiatischen Kleinwagens, der den Spuren im Rollsplitt zufolge in die Mulde gesunken sein muss. In einem zweiten Schritt interpretiert er jedoch die schlingernden Abdrücke als Tatbeweis für eine stattgefunden Kollision mit seinem Wagen.

07:35 – Der Dentist bahnt sich seinen Weg über Sand und Schlacke, um den eilig aus dem Keller gewuchteten Vorschlaghammer zum Einsatz zu bringen; unter groben Hieben klirrt Scheibe um Scheibe splitternd auf, bis F. die Karosserie einer systematischen Materialkaltverformung unterzieht.

07:38 – Kleinwagenhalter Zbigniew D. (35), bei einer Körpergröße von 1,84 m mit dem Gewicht von 90 kg Muskelmasse ausgestattet, schaut dem destruktiven Treiben an seinem Eigentum für Sekundenbruchteile zu, bevor er auf die Straße stürzt. Der ehemalige polnische Meister im Hammerwerfen schlenzt das Instrument mit grazilem Schwung durch beide Seitenscheiben von F.s Nobelkarosse, bevor er den Zahnmediziner zur Rede stellt. Ein Wort gibt das andere. Später ist nicht mehr festzustellen, wann genau F. den etwas komplizierteren Kieferbruch erlitten hatte.

08:02 – Das markante Klopfen an seiner Haustür veranlasst Erwin M., die Pforte zu öffnen; erstaunt muss er sehen, dass sich drei Dutzend Mitglieder der Initiative BürgerInnen für Umwelt und Nachhaltigkeit versammelt haben, um dem unverantwortlichen Streusalzverbrauch mit dem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung zu begegnen. M. ist nachhaltig irritiert.

08:19 – Die UmweltbürgerInnen entrollen Transparente mit den Aufschriften Hier wohnt ein Ökonazi und Erst stirbt der Wald, dann stirbt der Gürtelgrasfink. Eine mitgeführte Trittleiter sowie ein batteriebetriebenes Megafon dienen Gundemarie-Anita G.-L. (46), ein mehrseitiges Manifest über politische Aspekte der Grundwasserneutralität zu verlesen. Sprechchöre unterbrechen sie mehrmals und deutlich jenseits der Lärmschutzverordnung.

08:30 – Schichtarbeiter Diether A. (55) weiß sich nicht anders zu helfen. Er reißt die Flügel seines Schlafzimmerfensters auf und fordert G.-L. mit den Worten „Schnauze, Ökomuschi!“ zum Überdenken ihrer konzeptuellen Herangehensweise auf.

08:34 – Völlig unbemerkt hat sich der Durchgangsverkehr aus Richtung Berseburg-Nord bereits sieben Kilometer lang aufgestaut. Die Berseburger Chaussee, obzwar sie der Durchfahrt durch die Siedlung Kiebitzweg nicht zwingend bedarf, ist ab Höhe Drosselredder dicht. Der Verkehrsfunk warnt vor Auffahrunfällen.

08:44 – Karlheinz D. entdeckt beim Betreten der Fahrbahn ein zusammengeknülltes Stück Papier. Vom optischen Eindruck der weißen Substanz angestachelt begibt er sich sofort in den Keller seines Hauses, um die Vorräte an Streusalz in Blecheimer zu verladen, mit denen er kurze Zeit später zurückkehrt.

08:58 – Die nachhaltig für Gewässerschutz eintretenden Frauen treten nun nachhaltig auf D. ein, der sich mit jeweils einem Eimer in der Hand erbittert zur Wehr setzt. Beim Ausweichen gerät die umweltpolitische Sprecherin der just gegründeten Kleinpartei Menschen beiderlei Geschlechts und/oder Haarfarbe für den Weltfrieden unter besonderer Berücksichtigung legasthenischer VeganerInnen Belinda M.-N. (51) ins Stolpern und bricht sich einen Fingernagel ab. Man beschließt, D. vor das Internationale Kriegsgericht zu stellen.

09:04 – Farbenfroh berichtet Zbigniew D. der Einsatzleitstelle vom Geschehen im Kiebitzweg. In seiner Aufregung fällt ihm manches Wort nur in seiner Muttersprache ein, so dass er sich auf die Mitteilung des Sachverhalts in recht konzentrierter Form beschränkt. Die Kombination von Schnee, Bande und Krieg auf Straße hinterlässt bei seinem Gesprächspartner einen tiefen Eindruck.

09:13 – Das sonore Geräusch der Helikopterstaffel verunsichert die tätige Menge. Erst als sich die Antiterroreinheit abseilt und den Straßenzug stürmt, bricht Panik aus. Die Kampfhandlungen sind verhältnismäßig einseitig; das Gemisch aus Splitt, Sand und Salz gibt schon nach wenigen Schritten nach, so dass die Kontrahenten nicht selten knietief in die Decke einsinken. Die Mannstoppwirkung der Gummigeschosse vermag sich nur eingeschränkt zu entfalten, die mit Holzpflöcken und Besen ausgerüsteten Naturfreundinnen sind taktisch klar im Vorteil.

09:27 – Ingrimmig öffnet Diether A. erneut das Fenster, um den Tagesschlaf des Werktätigen einzufordern. Er zieht dabei deutliche Parallelen zwischen den uniformierten Staatsdienern und übel beleumundeten Nagetieren. Im Eifer des Gefechts feuert Einsatzleiter Kai T. (29) den letzten verbliebenen Gummipfropf in die Radarfalle an der Ecke Amselstraße. Es fällt nicht weiter auf; mit einem Knall zieht A. zeitgleich die Fensterflügel zu. So endet ein Morgen in einer Vorortsiedlung, an dem die Menschen einfach nur die milde Luft eines Herbsttages genießen wollten.





Geschichtsbetrachtung für Fortgeschrittene

25 10 2009

für Robert Gernhardt

Adolf Hitler, sagt man heute,
war ein dummes Schwein.
Dabei muss man stets bedenken:
er war’s nicht allein.

Joseph Goebbels, hört man öfters,
war ein feiger Hund.
Nicht gelogen, doch genauso
war er Führers Mund.

Hermann Göring, liest man manchmal –
diese blöde Sau!
Ebenso bleibt das historisch
reichlich ungenau.





Le cœur a des raisons que la raison ne connaît pas

24 10 2009

Was mich berührt, bleibt mir doch fremd,
und sei es mir auch so vertraut
und nah und hüllend wie das Hemd,
das eng sich schmiegt an meine Haut.

Das Äußerliche, Wort und Welt,
lässt mich nicht schließen auf den Sinn,
der sich darin verbirgt. Kaum fällt
ein Schatten davon auf mich hin.

Der Mensch isst, weil er hungrig wird –
doch alles andre sich verbirgt
und selten sich das Garn entwirrt,
davon das Leben Fäden wirkt.





Gernulf Olzheimer kommentiert (XXX): Mobile Gesellschaft

23 10 2009
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Früher war es einfacher. In Ermangelung eines Hahns auf der Biomassedeponie hinter dem Carport rasselte der Wecker, der Bürger begab sich in die Vertikale, markierte Körperpflege, schmierte sich Ei in den Bart und bestieg den Vorortzug, um in der Kreisstadt acht Stunden lang Formularvordrucke zu lochen. Telefone klingelten noch, hatten Schnüre, die direkt in der braungrauen Tapete verschwanden und als obskure Stolperfallen über Perserbrücken mäanderten. Die Welt war so unhektisch wie eine Betriebsbesichtigung in der Leichenkühlkammer.

Doch was ist schon für die Ewigkeit, abgesehen von Wahlversprechen, Vorurteilen und Johannes Heesters; die Postmoderne bietet dem Stiesel jede Möglichkeit, sich zum Vollhorst zu machen in einer Gesellschaft auf Speed. Er stolpert multitaskend durchs verschwiemelte Dasein, wie im Wahn, drei Sachen synchron in die Grütze zu reiten, während er sonst schon damit überfordert scheint, zeitgleich Glotze und Großhirn anzuknipsen. Getrieben vom Drang zur draht- und nahtlosen Erreichbarkeit legt er Schwafelspuren quer durch alle zivilisatorisch eroberten Gebiete; mobiles Telefonieren, mobiles Internet machen es möglich, dass der Bescheuerte schon auf dem Weg ins Office dreimal pro Minute checkt, ob ihm eine Torfnase etwas auf die Mailbox gerülpst hat. Indessen lässt er sich die Synapsen vom Reklameschotter zermarmeln, der ihn aus der Medienlandschaft anspringt.

Wäre es nur das. Er will Lebenszeit sparen. Also schlürft er Koffeinplempe-to-go auf dem Fahrrad, während er auf dem Bahnsteig die Börsenkurse kontrolliert und die Gastritis mit ersten Fast-Food-Dosen anstachelt. Bald schon werden Beknackte auf Kickboards durch die Schnellbahn trudeln, um außen an der Relativitätstheorie vorbei noch zehn Sekunden eher ans Ziel zu gelangen. Sie werden sich auf dem Weg rasieren und sich beim Laufen die Schuhe zubinden. Demnächst wird beim Speed-Dating auch an Ort und Stelle das Paarungsmaterial angetestet und, der Behämmerte will ja die Mittelschicht nicht sterben lassen, gleich zur Fötenfertigung in die Horizontale geschlenzt: fünf Minuten mehr Nettoexistenz. Hurra.

Was bleibt, ist neben den Kaffeeflecken auf der Bundfaltenhose die lästige Sinnfrage – wozu tobt dieser Gesichtsschnitzelverein den Gewaltexzess am eigenen Leben aus? Die Antwort liegt tief verborgen in dem Schrott, den die Evolution als Genom des Homo sapiens zusammengehäkelt hat; was die Erbmasse nicht versaut hat, versagt im Verhalten – der Krieg wird zum Lebensmodell, der Angriff verteidigt den Knalldeppen gegen die Welt an sich. Heimat- und konturlos, aber offensiv paddeln quallengleiche Populationsdarsteller durch das feindliche Konstrukt namens Realität, um sich im amorphen Geblubber des Jetzt eine Barriere gegen das Andere zu schaffen; hat sich der Haufen aus Knochen und Gammelfleisch erst einmal als Ego definiert, hockt in der Limousine, da kehrt auch schon die kampferprobte Aggression des Höhlenmenschen zurück, der freie Fahrt für freie Würger fordert. Sie schlagen sich die Fresse ein, wenn der Vordermann Sekunden zu lange die Rotphase ausdehnt, das Kapitalverbrechen besteht darin, den Trottel in der Blechkarre ganz hinten für die Dauer eines Wimpernschlages länger an der gelebten Mobilität zu hindern und ihn so bis zum Stehkragen mit Adrenalin zu füllen; der Begriff Bewegungsdichte bekommt da eine ganz andere Bedeutung. Längst erlebt der Auto-Pilot Stresszustände, die frühere Generationen nur aus der Kanzel des Kampfjets kannten.

Es liegt in der Natur des Bescheuerten. Der erste Halbaffe, der auszog, bessere Jagdgründe zu orten, war evolutionär im Vorteil – und fing sich den Schlamassel ein, die Arschkrampen wegbeißen zu müssen, die ihm nachrannten. Statt die Nachteile des widersinnigen Gehetzes zu sehen, schwindelt sich der Mobilkasper die groß- und überholspurige Lebensweise auch noch als jung, dynamisch und endflexibel schön. Brüder, zur Sonne, zur Freizeit – bloß, dass Latte-macchiato-People das Ausspannen gar nicht mehr kennen, weil sie sich ihre Plörre im virtuellen Shop ertwittern müssen, denn sie haben keine Zeit mehr, eine Milchbude anzusteuern. Sie haben Navigationsgeräte, um die Banalisierung der Kontinente wie einen Fetisch auszukosten, aber sie sind zu behämmert, um die Bremsspur zu finden, die sie aus den Kampfhandlungen führt.

Hat sich der Bekloppte in der Welt eingerichtet, die ihm nach einem Arbeitstag im Kreisverkehr per Pizzaservice die Kalorien ranmobilisiert, bemerkt er gar nicht mehr, dass seine ständige Jagd umsonst ist. Dank moderner Kommunikationselektronik wäre er bereits jetzt in der Lage, die Schutzhöhle nicht mehr zu verlassen, Arbeit und Versorgung vom Bett aus zu erledigen und einen Fixpunkt zum Annageln von Hutablage und Charakter zu finden.

Endpunkt: das mobile Grab. Schießen wir den Krempel möglicht linear an der Sonne vorbei. Dann nervt das Zeug nicht mehr im Orbit und etwaiges intelligentes Leben ist gewarnt, diesen Planeten mit seiner deutlich zu hohen Bescheuertendichte besser in Ruhe zu lassen.





Fluchtlinientreu

22 10 2009

„Ja, stellen Sie gleich durch. Ich warte. Was wollen Sie denn schon wieder, Schwarzkopf? Ich hatte Ihnen doch ausdrücklich gesagt, der Artikel über den Gesundheitsfonds kommt nicht auf den Titel, sonst macht der Verlag wieder Stress! Was soll ich denn mit so einer Negativschlagzeile, da werden die Aktionäre doch in der Pfanne verrückt. Außerdem ist das alles an den Haaren herbeigezogen, da haben sich ein paar Idioten eine völlig unfinanzierbare… Nein, nicht Sie. Ich rede mit meinem Redakteur. Ist er denn inzwischen wieder im Haus? Nicht? Und was mache ich jetzt?

Ja, das wäre mir am liebsten, aber wir hatten das doch letzte Woche auch alles schon fest abgemacht. Na selbstverständlich, es war alles abgemacht. Mit dem Fotografen, und wie er sich ein Brot schmiert, im Schlafzimmer mit… Sahra Wagenknecht? Nö, die will hier auch keiner. Trotzdem. Es gibt noch ein paar mehr Schnallen mit einer hübschen Fresse, deshalb kommt mir die Frau trotzdem nicht ins Blatt. Schon gar nicht für eine Homestory. Ach hören Sie doch auf, das haben wir schon so oft durchgekaut. Die Alte zieht nur bei den Ultras.

Dann haben wir noch den Termin bei der nächsten Demo. Da schicken wir einen Fotografen hin und den Bericht macht der Blömelein aus der Lokalredaktion. Was ist denn an dem auszusetzen? Ach, ich bitte Sie. Im RCDS, da waren wir doch alle mal, und das ist jetzt fast dreißig Jahre… Gut, wer wäre Ihnen denn genehm? Grigoleit? Der arbeitet doch seit Jahren nicht mehr bei uns. Was heißt hier, das hätten wir wissen können? dass er IM war, weil er aus Jena kommt? Ist doch albern!

Also was jetzt, Demo oder nicht Demo? Keine Zeit? Da ist er im… Aber Sie wollten doch die Homestory und den ganzen… Was ist denn jetzt schon wieder? Schwarzkopf, können Sie nicht einmal etwas selbstständig machen? Müntefering? Ja, auf die Titelseite. Oder warten Sie mal: Headline auf den Titel, warten Sie mal… ‚Müntefering: Das war’s dann wohl‘, Bild und dann weiter auf Seite 2. Und lassen Sie Pitrowski den Leitartikel schreiben. Sind Sie noch dran? Was heißt hier abgelenkt, ich muss mich um den laufenden Betrieb kümmern, wer hier stört, das sind doch wohl… Populismus? Wir? Das müssen gerade Sie sagen!

Dann wäre da noch die Antiamerikanismus-Konferenz nächsten Monat, wo Sie unbedingt den Redebeitrag abgedruckt haben wollten. Wir haben mit dem Verlag gesprochen, das wäre nicht das Problem, wenn Sie… Nicht? Aber die Plakate sind bereits gedruckt! Ja Herrschaftszeiten, Sie haben ein halbes Jahr lang gebettelt, dass wir das Ding ins Feuilleton aufnehmen, wir haben unsere Inserenten bearbeitet, dass sie mitspielen, und dann hat der Herr keine Lust mehr? Terminschwierigkeiten? Ach, auf einmal. Das ist ja großartig. Dabei hat er doch wochenlang vorher dem Veranstalter immer wieder erzählt, was er alles besser machen würde, wenn er denn tatsächlich mal… So, und deshalb hat er auch seine Mitwirkung nicht… hören Sie mal, das ist doch lächerlich!

Wählertäuschung? Wer hat das denn abgelehnt, das war doch wohl er selbst! Wählertäuschung – da kann er sich doch an die eigene Nase fassen. Lang genug dürfte die ja sein! Dass wir was? Für ein Drei-Minuten-Interview mit vorher eingereichten Fragen? einen ganzen Tag mit zwei Reportern? Das ist doch nicht Ihr Ernst! Nur, weil wir Springer-Presse sind, werden wir doch nicht Ihrem Herrn Kandidaten hinterher hüpfen!

Er hat bitte was gesagt? Er hat sich über meinen autoritären… Schwarzkopf, was ist denn jetzt schon wieder? Die Junge Union? Was soll die Merkel gesagt haben? Das glauben Sie doch selbst nicht! Nein, ausgeschlossen. Nicht, weil das justiziabel wäre, aber einen so klaren Gedanken in einem einzigen Satz auszudrücken, das traue ich ihr einfach nicht… Sind Sie noch dran? Also was meinen autoritären Führungsstil angeht, ich bin hier der Chefradakteur, und wenn Sie der Meinung sind, dass ich in meinem eigenen Unternehmen nicht… ja, aber ich mache das dann auch. Hier wird nämlich gearbeitet, wenn Sie das noch nicht bemerkt haben sollten.

Unmöglich! Das machen wir nicht! Nein, und wenn Sie sich auf den Kopf stellen! Warum? Weil wir das schon im letzten Jahr hatten. Zwei Wochen lang haben sich unsere Kollegen im Fitness-Studio abgestrampelt, um Kondition zu bekommen, dann treten sie zum Marathon an und stellen fest, dass er gar nicht erst… Ach was, Haarspalterei, wenn wir das hätten vorher wissen können, wären wir sicher nicht erschienen. Ich will Ihnen mal etwas sagen, Sie jammern uns hinterher mit irgendwelchen Interviewterminen, und dabei wissen wir doch längst vorher, was er uns sagen wird, weil er das immer schon gesagt hat: er hat das ja immer schon gesagt. Glauben Sie echt, dass wir das brauchen?

Selbstkritik? Wir sollten mal wieder Selbstkritik üben? Sind Sie denn von allen guten Geistern verlassen? Wir? Was? regierungsfreundlich? vor der Wahl? Herr, wir sind ein überparteiliches Blatt und lassen uns nicht vorschreiben, wie wir vor der Wahl die Kandidaten… Und deshalb hat er seine Selbstdarstellung gar nicht erst bei uns? Weil wir was sind? Ein rechtes Schmierblatt? Ich geb’ Ihnen rechtes Schmierblatt, dann… Hallo? Sind Sie noch dran? – Verdammt noch mal, dass dieser Lafontaine aber auch nie etwas zu Ende kriegt!“