Fluchtlinientreu

22 10 2009

„Ja, stellen Sie gleich durch. Ich warte. Was wollen Sie denn schon wieder, Schwarzkopf? Ich hatte Ihnen doch ausdrücklich gesagt, der Artikel über den Gesundheitsfonds kommt nicht auf den Titel, sonst macht der Verlag wieder Stress! Was soll ich denn mit so einer Negativschlagzeile, da werden die Aktionäre doch in der Pfanne verrückt. Außerdem ist das alles an den Haaren herbeigezogen, da haben sich ein paar Idioten eine völlig unfinanzierbare… Nein, nicht Sie. Ich rede mit meinem Redakteur. Ist er denn inzwischen wieder im Haus? Nicht? Und was mache ich jetzt?

Ja, das wäre mir am liebsten, aber wir hatten das doch letzte Woche auch alles schon fest abgemacht. Na selbstverständlich, es war alles abgemacht. Mit dem Fotografen, und wie er sich ein Brot schmiert, im Schlafzimmer mit… Sahra Wagenknecht? Nö, die will hier auch keiner. Trotzdem. Es gibt noch ein paar mehr Schnallen mit einer hübschen Fresse, deshalb kommt mir die Frau trotzdem nicht ins Blatt. Schon gar nicht für eine Homestory. Ach hören Sie doch auf, das haben wir schon so oft durchgekaut. Die Alte zieht nur bei den Ultras.

Dann haben wir noch den Termin bei der nächsten Demo. Da schicken wir einen Fotografen hin und den Bericht macht der Blömelein aus der Lokalredaktion. Was ist denn an dem auszusetzen? Ach, ich bitte Sie. Im RCDS, da waren wir doch alle mal, und das ist jetzt fast dreißig Jahre… Gut, wer wäre Ihnen denn genehm? Grigoleit? Der arbeitet doch seit Jahren nicht mehr bei uns. Was heißt hier, das hätten wir wissen können? dass er IM war, weil er aus Jena kommt? Ist doch albern!

Also was jetzt, Demo oder nicht Demo? Keine Zeit? Da ist er im… Aber Sie wollten doch die Homestory und den ganzen… Was ist denn jetzt schon wieder? Schwarzkopf, können Sie nicht einmal etwas selbstständig machen? Müntefering? Ja, auf die Titelseite. Oder warten Sie mal: Headline auf den Titel, warten Sie mal… ‚Müntefering: Das war’s dann wohl‘, Bild und dann weiter auf Seite 2. Und lassen Sie Pitrowski den Leitartikel schreiben. Sind Sie noch dran? Was heißt hier abgelenkt, ich muss mich um den laufenden Betrieb kümmern, wer hier stört, das sind doch wohl… Populismus? Wir? Das müssen gerade Sie sagen!

Dann wäre da noch die Antiamerikanismus-Konferenz nächsten Monat, wo Sie unbedingt den Redebeitrag abgedruckt haben wollten. Wir haben mit dem Verlag gesprochen, das wäre nicht das Problem, wenn Sie… Nicht? Aber die Plakate sind bereits gedruckt! Ja Herrschaftszeiten, Sie haben ein halbes Jahr lang gebettelt, dass wir das Ding ins Feuilleton aufnehmen, wir haben unsere Inserenten bearbeitet, dass sie mitspielen, und dann hat der Herr keine Lust mehr? Terminschwierigkeiten? Ach, auf einmal. Das ist ja großartig. Dabei hat er doch wochenlang vorher dem Veranstalter immer wieder erzählt, was er alles besser machen würde, wenn er denn tatsächlich mal… So, und deshalb hat er auch seine Mitwirkung nicht… hören Sie mal, das ist doch lächerlich!

Wählertäuschung? Wer hat das denn abgelehnt, das war doch wohl er selbst! Wählertäuschung – da kann er sich doch an die eigene Nase fassen. Lang genug dürfte die ja sein! Dass wir was? Für ein Drei-Minuten-Interview mit vorher eingereichten Fragen? einen ganzen Tag mit zwei Reportern? Das ist doch nicht Ihr Ernst! Nur, weil wir Springer-Presse sind, werden wir doch nicht Ihrem Herrn Kandidaten hinterher hüpfen!

Er hat bitte was gesagt? Er hat sich über meinen autoritären… Schwarzkopf, was ist denn jetzt schon wieder? Die Junge Union? Was soll die Merkel gesagt haben? Das glauben Sie doch selbst nicht! Nein, ausgeschlossen. Nicht, weil das justiziabel wäre, aber einen so klaren Gedanken in einem einzigen Satz auszudrücken, das traue ich ihr einfach nicht… Sind Sie noch dran? Also was meinen autoritären Führungsstil angeht, ich bin hier der Chefradakteur, und wenn Sie der Meinung sind, dass ich in meinem eigenen Unternehmen nicht… ja, aber ich mache das dann auch. Hier wird nämlich gearbeitet, wenn Sie das noch nicht bemerkt haben sollten.

Unmöglich! Das machen wir nicht! Nein, und wenn Sie sich auf den Kopf stellen! Warum? Weil wir das schon im letzten Jahr hatten. Zwei Wochen lang haben sich unsere Kollegen im Fitness-Studio abgestrampelt, um Kondition zu bekommen, dann treten sie zum Marathon an und stellen fest, dass er gar nicht erst… Ach was, Haarspalterei, wenn wir das hätten vorher wissen können, wären wir sicher nicht erschienen. Ich will Ihnen mal etwas sagen, Sie jammern uns hinterher mit irgendwelchen Interviewterminen, und dabei wissen wir doch längst vorher, was er uns sagen wird, weil er das immer schon gesagt hat: er hat das ja immer schon gesagt. Glauben Sie echt, dass wir das brauchen?

Selbstkritik? Wir sollten mal wieder Selbstkritik üben? Sind Sie denn von allen guten Geistern verlassen? Wir? Was? regierungsfreundlich? vor der Wahl? Herr, wir sind ein überparteiliches Blatt und lassen uns nicht vorschreiben, wie wir vor der Wahl die Kandidaten… Und deshalb hat er seine Selbstdarstellung gar nicht erst bei uns? Weil wir was sind? Ein rechtes Schmierblatt? Ich geb’ Ihnen rechtes Schmierblatt, dann… Hallo? Sind Sie noch dran? – Verdammt noch mal, dass dieser Lafontaine aber auch nie etwas zu Ende kriegt!“