Stimmt so

4 11 2009

„Mein Name ist Lara Kroffsky und ich bin Ihre persönliche Service-Kraft!“ Abgesehen von ihrem Namensschild hätte ich das auch so bemerkt; schließlich hatte ich selbst die Kellnerin vor einem Jahr dem Landgasthof Bückler empfohlen. Anne schaute ratlos. Wir ließen uns zu Tisch geleiten.

„Kalbssteaks in Rosmarinbutter?“ Wir nippten am Aperitif und blätterten durch die Speisekarte. „Ich bin für Rotbarbe“, befand Anne. „Die ist sehr zu empfehlen“, ließ sich eine Stimme von unten vernehmen, „als Vorspeise passen dazu sautierte Jakobsmuscheln in Estragonsauce.“ Irritiert blickten wir uns an. Die Kroffskysche hakte ihr Kinn an der Tischkante fest. „Wir haben einen sehr schönen Riesling, Böckesheimer Rumpelkammer, 2004-er Kabinett, halbtrocken.“ Als sie sich mühevoll wieder aufrappelte, sah ich, dass sie auf quittegelben Plateaustiefeln stand. „Offensichtlich wird man hier als Gast auf Augenhöhe bedient“, spöttelte Anne. Wir bestellten. Mit einem geradezu manischen Grinsen stakste die Kellnerin ab. Erst jetzt fiel uns auf, dass um uns herum seltsam kostümierte Wesen Trank und Speise durch die Gegend trugen. Was hatte das zu bedeuten? Schon nahte sich unsere Aufwärterin. „Ich serviere Ihnen eine klare Tomatenessenz mit Kräuterklößchen“, deklamierte sie und servierte klare Tomatenessenz mit Kräuterklößchen.

Sichtlich verdrossen linste Bruno in den Gastraum, er, der Lenker von Töpfen und Pfannen, der als Fürst Bückler seinem Haus den tadellosen Ruf sicherte. Er hatte uns entdeckt und wollte schon in der Küche verschwinden, doch ich winkte ihn an unseren Tisch. „Es ist rein zum Weglaufen“, stöhnte er, „hier geht mal wieder alles drunter und drüber.“ Ich warf ihm einen forschenden Blick zu. „Hansi?“ „Hansi“, knurrte er. Seine Faust ballte sich „Dieser Trottel von meinem Bruder hat einen Verkaufstrainer engagiert, um das Servicepersonal zu schulen. Eine Schnapsidee!“ „Aber was soll das denn bringen? Es ist fast immer ausgebucht, Du brauchst Dir keine Sorgen zu machen.“ Bruno seufzte auf. „Die Trinkgelder.“ „Trinkgelder? Wo liegt denn das Problem?“ „Dieser Fatzke hat Hansi den Floh ins Ohr gesetzt, dass man aus den Gästen noch mehr rausholen könnte. Dann bräuchten wir die Gehälter nicht zu erhöhen.“ Ich lächelte. „Und darum laufen hier alle in bunter Karnevalsmontur herum und kauern am Tisch?“ „Das soll angeblich Individualität schaffen“, bestätigte er, „und Kundennähe – sie wiederholen deshalb auch die Bestellung. Manche verteilen Bonbons und malen bunte Bilder auf die Rechnung, weil die Gäste das lustig finden sollen. Das ging gestern in die Hose.“ „Nicht lustig?“ Bruno knirschte mit den Zähnen. „Wir hatten gestern die Beerdigung vom alten Pinschelmann, da hat dieser Möppel doch… Augenblick mal!“ Und schon war er wieder in der Küche.

Es klackerte auf dem Parkett. Der Ober im grün glitzernden Frack steppte einmal um den Tisch herum. „Hier kommt Fischchen auf Ihr Tischchen“, trällerte er, „die Baharbe von roter Faharbe!“ Anne verfolgte entgeistert, wie der Mann die Teller vor ihr absetzte und seinen Zylinder zog. „Mein Name ist Hubertus Möppel und ich wünsche Ihnen einen guten Appetit!“ Ein knatterndes Stakkato folgte ihm durch den Raum. Anne rang nach Luft. „Was war denn das?“ „Fred Astaire hat soeben den zweiten Gang aufgetragen“, replizierte ich trocken. „Er holt inzwischen die Salzkartoffeln – nein, er wird sie vermutlich bis an den Tisch jonglieren.“ „Lass den Quatsch“, fauchte sie zurück, „ich will in Ruhe essen!“ „Gönn ihnen doch das bisschen Spaß“, witzelte ich, „für sie ist das Erlebnisgastronomie.“

Ein Tumult unterbrach uns. „Herr Senator“, rief Hansi quer durch den Saal, „aber Herr Senator! So bleiben Sie doch!“ Anne glotzte. „Das ging in die Hose“, kicherte ich. „Was ist denn passiert?“ „Er hat vermutlich Order bekommen, alle Gäste mit Namen anzusprechen. Nur, dass dieses blutjunge Ding nicht Senator Plötzmeiers Frau ist – er kommt wochentags immer gerne inkognito her.“ Gleich nebenan begrub die Kroffsky sich selbst unter Tischwäsche, Blumenschale und zwei Portionen Filetsteak. „Diese Hocknummer will geübt sein“, kommentierte ich. „Sie sollte einen Melkschemel benutzen, meinst Du nicht auch?“

Inzwischen hatte sich Möppel von hinten angeschlichen und legte Anne seine Hand auf die Schulter. Sie zuckte zusammen. „Welch zarte Haut, unter der ein fühlend Herz doch pocht!“ Anne gefror; sie krächzte einige unverständliche Worte. Möppel beugte sich weit herab. „Wie meinen?“ „Sie will damit zum Ausdruck bringen“, half ich ein, „dass Sie besser jetzt sofort Ihre Pfoten von ihr nehmen, ansonsten wird sie ein bisschen böse.“ Er grinste überlegen. „Die Damen mögen das aber, wenn man ihnen…“ Weiter kam er nicht. Annes Ellenbogen war ein bisschen ausgerutscht. „Das Dessert“, sagte sie mit einem beunruhigend sanften Unterton in der Stimme.

Auf Rollerblades sauste Möppel heran und balancierte dabei die Mousse au chocolat. „Sühüßes zum Ahabschluhuss!“ Wie von Zauberhand rutschte Annes Handtasche von der Stuhllehne. Möppel bremste abrupt und flog mit einem weiten Satz in den Beistelltisch mit der gebratenen Gans. Geschirr splitterte. „Wenn der Kassenclown wieder stehen kann“, teilte sie mir ungerührt mit, „sag ihm doch bitte, er soll abziehen.“ Maliziös lächelnd zückte Anne ihre Kreditkarte. „Das stimmt so. Und dann lass uns gehen, bevor er Bonbons verteilt.“