Kornmöller zupfte an den silbernen Girlanden, die wie überdimensionales Lametta im Tannengrün klebten; der Budenzauber sah aus wie die Bad-Salzschlirf-Variante einer Las-Vegas-Dekoration, bunt, glitzernd und penetrant. Er beugte sich zu mir herunter. „Und, wie finden Sie’s?“ Ich teilte ihm mit, dass mein Magendurchbruch unmittelbar bevorstünde. „Wunderbar“, jubilierte Kornmöller, „wenn Sie es nicht ausstehen können, werden die anderen Kunden es lieben!“
Der kleine Karren an der Seite des Korridors war mir schon zuvor zwischen den weihnachtlichen Versatzstücken aufgefallen. Ob es sich um einen umgebauten Golfwagen handelte? „Ganz recht“, bestätigte der Geschäftsführer der Superkauf-Passage, „wir nehmen Carts dafür. Die Windschutzscheibe haben wir natürlich komplett umgebaut, wie Sie sehen.“ Ich riskierte einen Blick. Tatsächlich, das Flachglas war einem Plasmabildschirm gewichen. „Damit werden wir die Umsatzrekorde brechen“, jauchzte Kornmöller. „Wir werden das ganze Weihnachtsgeschäft revolutionieren mit unserem total neuartigen, kundenfreundlichen Shopping-Angebot. Es wird einfach grandios sein!“ Mir schwante Schlimmes; ausgehend von den schauderhaften Adventsdekors in Kunststoffspritzguss sah ich goldbeflitterte Engel Haushaltswaren anpreisen, leicht bekleidete Damen im Autozubehör und jede Menge Nikoläuse im Spielwarenbereich. Mein geistiges Auge tränte ergriffen. Doch Kornmöller wischte das alles mit einer Handbewegung fort. „Das alles war gestern! Wenn Sie heute noch jemanden erreichen wollen, müssen Sie mit der Zeit gehen und ein völlig neues Einkaufsgefühl kommunizieren – Shopping wie im Internet!“ „Soso“, antwortete ich mokant, „wie im Internet. Ich kann die Ware nicht anfassen, das Produkt sieht so ähnlich aus wie das Symbolfoto, die Ware ist nicht lieferbar, da noch nicht hergestellt oder noch nicht auf Lager, und zu guter Letzt bin ich einem Betrüger aufgesessen?“ „Quatsch“, schnaubte er, „alles billige Vorurteile! Setzen Sie sich, ich zeige es Ihnen!“
Wir bestiegen den Einkaufs-Wagen. Kaum saß ich in auf der unbequemen Bank, begrüßte mich die leiernde Stimme meiner virtuellen Ladenhüterin. „Herzlich willkommen bei Ihrem persönlichen Einkaufsbummel Sie werden jetzt im Menü die einzelnen Abteilungen sehen wenn Sie eine Abteilung auf dem Touchscreen berühren halten wir an.“ „Sehr praktisch“, befand ich, „mehrere Abteilungen, und ich darf mich frei entscheiden – revolutionär!“ Kornmöller musste den leisen Spott in meiner Stimme überhört haben, jedenfalls fragte er sofort nach. „Sie sagten doch vorhin, dass Sie eine Krawatte und neue Schuhe bräuchten.“ Er tippte auf die Schuhabteilung. Bilder zischten über den Schirm. Die Stimme hub wieder an zu leiern. „Der Vacuumat Z-3000 ist die völlig neue Synthese aus Sandstein und schonend feuervergoldeter Schafschurwolle mit 30% Majoran er setzt Maßstäbe dank seiner enormen Strahlungssicherheit bei gleichzeitig vollverzinkter, kalorienarmer Beschleunigung und ist auch in Ihrem Garten das modische Accessoire für den Weltfrieden.“ „Sehr gut! Ich bin begeistert!“ Er grummelte. „Nein, ich bin wirklich begeistert. Jetzt noch etwas über Herrenschuhe, und ich könnte dieses Ding glatt ernst nehmen.“
Das Gefährt teilte mir mit, dass es gar keine Schuhe im Einkaufszentrum gäbe; gleichzeitig schossen lauter Pop-ups mit Aktionsangeboten in die Höhe, darunter auch edles Schuhwerk für Herren. Ich piekte den Finger hinein und lauschte der monotonen Botschaft: „Die Abteilung die Sie gewählt haben ist derzeit nicht verfügbar bitte besuchen Sie stattdessen auch unsere Abteilung Herrenschuhe und feine Lederwaren.“ „Das nennt sich jetzt bestimmt Multitasking“, schätzte ich. „Wie toll muss dann erst Multimedia sein. Fast so, als hätte man den Schuh in der Hand.“
Wir navigierten durch die Schuhregale, die es offiziell gar nicht gab – das Ressort befand sich in einer Seitennische der Baustoffe, links neben dem Zubehör für Perlstickerei und Völkermord – und ich fand einen halbwegs akzeptablen Budapester. „Sie können das Modell natürlich heranzoomen und drehen.“ Kornmöller fingerte auf dem Screen herum, doch nichts tat sich. Ich kratzte mich am Kopf. „Vielleicht sollten wir das System jetzt neu starten, um die Veränderungen anzuzeigen?“ „Das ist völlig normal“, beeilte er sich, mir mitzuteilen, „es hakt manchmal ein bisschen. Ah, da ist ja die Produktinformation.“ Und wieder schnarrte das einschläfernde Getön vor sich hin. „Dieser Herrenschuh in klassischem Schwarz ist ein Schuh den Sie zu vielen Gelegenheiten kombinieren werden er besteht zu 100% aus Llllllllllllllllll…“
Das Ding hing. „Sie hatten Recht“, höhnte ich, „ein völlig neues Einkaufsgefühl.“ Da Kornmöller bereits hektische Flecken im Gesicht trug, legte ich nach. „Ihre Karren fahren also auf einem Crash-Kurs? Da müssten wir uns jetzt überlegen, was wir machen. Ach Gott, er ist ja offen – alle Fenster schließen fällt also flach.“ Er lief krebsrot an und stieg aus dem Fuhrwerk. „Hübsches Blau übrigens. Was halten Sie davon, die Fehlermeldungen auch farblich individuell zu gestalten?“ Wutentbrannt trat der Weihnachtsgeschäftsmann gegen die Karre. Ich tröstete ihn. „Lassen Sie den Kopf nicht hängen, Kornmöller. Das wird schon. Und bis dahin drücken Sie den Leuten am Eingang einfach einen schönen Katalog in die Hand. Das ist ja auch fast wie Einkaufen.“
Satzspiegel