„Nein, kommen Sie ruhig herein. Wir bauen zwar gerade mal wieder um, aber davon brauchen Sie sich nicht stören zu lassen. Treten Sie nur nicht unbedingt in die Pfützen. Das braune Zeugs kriegen Sie nie wieder von den Schuhsohlen.
Das? Das sind die Kisten von Frau Steinbach. Wird diese Woche noch abgeholt. Ja, wir gehen davon aus. Natürlich hat man uns noch keinen genauen Termin genannt. Aber das wird schon werden. Bis jetzt haben sie es ja auch sehr gut ohne eine Chefin hinbekommen. Wenn das Schule machen würde… Da haben Sie Recht, in der CDU ist das allerdings nichts Neues.
Aber ja doch! Das ist eine historisch durchaus wichtige Aufgabe. Wir arbeiten ja seit Jahren daran, die Geschichte des 20. Jahrhunderts einmal objektiv zu durchleuchten und die vielen Befindlichkeiten unter einen Hut zu bekommen. Endlich mal wieder einen wirklich sinnvollen Dialog führen können mit unseren europäischen Nachbarn, wäre das nicht wunderbar? Was uns davon abhält? Lassen Sie mich überlegen – die europäischen Nachbarn? Oder dass längst keiner mehr weiß, was ein Dialog ist?
Das da wird unsere neue Rathenau-Ausstellung. Schauen Sie mal – Originalkostüme! Hübsch, nicht wahr? Ja, ganz schön teuer. Man muss das ja schließlich gut versichern. Schauen Sie, in dem Stresemann hat damals… Sie, die Stellwand da hinten hin! Neben die Tafeln mit… wie heißt er noch… der Typ, der sich für Westerwelle hält…
Ja Herrgott, dann hat sie eben nicht für die deutsch-polnische Grenze gestimmt. Haben Sie eine Ahnung, wie viele nationalistische Wirrköpfe im Sejm das auch nicht getan haben? Sie denken doch nicht, da drüben sei jetzt auf einmal die große, europabegeisterte Demokratiewelle über das Land hereingebrochen? Ach wo! Wir werden doch hier keinen internationalen Konflikt heraufbeschwören. Dazu sehen wir einander doch auch viel zu ähnlich. In Deutschland sind es revanchistische Dummköpfe und Neonazis, in Polen eben Neonazis und revanchistische Dummköpfe. Wundert es Sie? dass man Pole und Revisionist sein kann?
Wo wir gerade beim Sejm waren, nehmen Sie sich ein Beispiel an der Polnischen Partei der Bier-Freunde. Die verfolgt zwei Ziele: die Brauereien zu stärken – und den Alkoholkonsum abzuschaffen. Und mit dieser Logik wollen Sie Europapolitik machen? Das ist nicht Ihr Ernst!
Ich weiß ja auch nicht, warum sich der Westerwelle da hinstellt, freiwillig übrigens, es hat ihn keiner gezwungen, das wird er erst in ein paar Jahren behaupten, dass er sich da also hinstellt und dann sagt: ‚Das hier ist Deutschland.‘ Ich weiß ja auch nicht, was das bedeuten sollte. Vielleicht, dass er sich in alles einmischt, wovon er keine Ahnung hat? oder dass er schon Deutschland ist und damit Deutschland auch so eine Chimäre wird wie er, der schwatzt und keine eigene Meinung hat? Das müssen Sie doch aber sagen, eine eigene Meinung hat doch der Westerwelle nicht, der ist doch eine Sprechpuppe der Industrie, und da musste er sich in seinem neuen Amt gar nicht groß… Sie, nicht zu weit nach rechts damit, ich muss das nachher wieder wegtragen! Meinetwegen, stellen Sie’s an die Wand. Ich kümmere mich später darum.
Es ist doch merkwürdig. Väterchen Stalin griff begierig in den großen vaterländischen Krieg ein und radierte ein schönes Stückchen Osteuropa von der Landkarte, um die Grenze ein bisschen kürzer zu machen und nach dem Kriege den Ostblock besser unter Kontrolle zu haben. Die polnische Exilregierung hat diese Vertreibungen entschieden gefordert; die tschechoslowakische übrigens auch. Beschwert sich jemand heute bei den Russen? beispielsweise die Nachfahren der Polen, die bei der Befreiung durch die Rote Armee gleich mit umgesiedelt wurden?
Und letzte Woche hatten wir Sudetendeutsche hier. Nachwuchskräfte, verstehen Sie? Frisch von der Schulbank, noch nichts vom Leben gesehen. Und wie sie gegen die Polen waren! Am liebsten hätten sie Polen gleich wieder annektiert, für ihre Heimat, die sie nie gesehen haben.
Ist das nicht schreiend komisch? Eine Funktionärin, die sich auf Kosten des Außenministers profiliert, der sich auf Kosten von Vertriebenen profiliert, die sich profilieren, weil es sie nichts kostet. Ganz großartig. Hoffen wir, dass die Kanzlerin nicht zu schnell das Spiel beendet.
Der Stiftungsbeirat? Bisher sind da keine sichtbaren Zeichen. Gegen Vertreibungen? Warum nennt man es nicht gleich offiziell Zentrum für Verdrängung, das wäre mal überraschend ehrlich. Und wenn sich dann auch noch die Herren Beckstein und Schäuble zur Integration der Vertriebenen sowie ihrer gesellschaftlichen Rezeption in der Bundesrepublik Deutschland nach den mit Hilfe von deutschem Kapital in besondere, fast kriegsähnliche Situationen überführten Heimatländern einbringen könnten, dann hätten wir etwas, das an historische Aufarbeitung grenzte. Ach was, die wird den Mund halten. Schließlich will sie es sich mit den paar richtigen Nazis in ihrer Partei nicht ganz verscherzen.
Bitte hier herüber, nebenan wird gerade der Balkankonflikt schöngeredet. Ja, Herr Stoiber wird eine schöne Eröffnungsrede halten. Er wird auch nachweisen, dass Srebrenica gar nicht so schlimm war. Und das ist für unseren Workshop. Die Leute haben schon mal ihre Transparente mitgebracht. 1800 Jahre Vertreibung reichen – die Landsmannschaft der Ostgoten fordert: Die Ukraine ist unser!“
Satzspiegel