Gernulf Olzheimer kommentiert (XXXIV): Dichterlesungen

20 11 2009
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Diese unsere Schriftkultur zeigt mehrere Arten, das inhaltlich Fixierte dem unschuldigen Konsumenten zur Aneignung zu überlassen; ungebrochen in neutralem Druckbild, gebrochen in neueren Formen wie dem Hörbuch, brechend in allerlei theatröse Formgebilde inszeniert, bei denen lediglich herauskommt, dass die Beschäftigung mit dem Text für die Regiebirne zu schwierig war. Schlimm wird es, wenn alle Sicherheitsmaßnahmen versagen und die Mutter aller Katastrophen zuschlägt: der Autor lebt, ist noch nicht dement und hat sich – mit oder ohne Drogen, Bares oder die Aussicht auf ein baldiges, gewaltsames Ableben – herbeigelassen, die Erzeugnisse seines literarischen Getues in Anwesenheit mehrerer Bekloppter vernehmlich vorzutragen. Im Anfang war das Wort, und der Schrott, der daraus entstand, vernichtet alles, was nur halbwegs nach Hoffnung aussieht.

Die Dichterlesung räumt auf. Was gerade eben noch an ekstatischen Kunstgenuss gegrenzt hatte, läutet nun die banale Phase der Restexistenz ein, prickelnd vor Langeweile, bis sich der Rahmen verzieht – Literatur, egal ob halbwegs gelungenes Gedicht oder Erzählprosa von der Resterampe für Nichtleser, kleckert wie vorgekautes Verbalgemüse in den sauerstoffarmen Raum; nasse, zumindest nicht trockene Sozialpädagogenoberbekleidung schlurrt auf wackeligem Klappgestühl, das nur dem Einpferchen wehrloser Gelegenheitskonsumenten in heimtückisch zu Verhörzimmern umfunktionierten Buchhandlungen dient; Zwiebelmett, Rheumasalbe und krankhafter Fußschweiß amalgamieren sich zu einem Odeur von so unvergesslicher Intensität, dass selbst die Bücherregale osteuropäischer Provenienz dagegen fast erträglich anmuten. Doch alles das schafft auch ein billiges Vorstadtkino, alles das zwingt auch ein Elternabend in die trübe Realität. Den entscheidenden Unterschied macht der Autor.

Hatte die praktische Vernunft beim Lesen der verschwiemelten Adverbakrobatik noch die Stimme ihres Herrn imaginiert, so schrammt der Glaube an das Gute beim Auftritt des Urhebers unvermittelt ab. In graumäusigem Polyesterverschnitt hockt eine Patzfratze hinter dem Campingtisch und sondert erratische Wortspenden ab; was als Hörbuch noch einen gewissen Unterhaltungswert besessen hatte, wird in den Artikulationsversuchen des Satzbauers zur ganzheitlichen Folter. Bar jeglicher Kurzweil gniedelt sich die aufreizend monotone, jede Betonung einzeln versemmelnde Poetenstimme durch Absatzschwierigkeiten, wirft sich keuchend von einer Hypotaxe zur anderen und lässt den also Belesenen mit einem Gefühl jäh einsetzender Nüchternheit zurück: das ist ein Dichter, so sieht der Reimschmied aus, dessen Phänotyp noch vereinzelt Sympathiepunkte durch die optische Nähe zum Etagennachbarn – Balkan-Smoking mit Badeschlappletten – gutmachen konnte, der aber ansonsten spannend wie ein leerer Pappkarton ist und jeden Abend in den Gipfelpunkt des zweckfreien Wartens auf etwas anderes verwandelt. Dem Schriftsteller, eben noch Objekt höchster Verehrung, da er scheinbar absichtslos jede Menge Kohle einstreicht, Frauen abgreift und seine besonnte Physiognomie in den Klatschspalten der von Bescheuerten goutierten Totholzmedien breit macht, drischt die Spontanentzauberung das Dauerlächeln aus der Fresse und katapultiert ihn vom drohenden Nobelpreis augenblicklich ins gesellschaftliche Apogalaktikum. Wer nun vergeblich die vom Puschenkino gewohnte Stummtaste sucht, um das ganze Geplapper körperlich unversehrt zu überleben, statt zum frühestmöglichen Zeitpunkt ins Eigenheim oder wenigstens zur nächsten Bratwurstbude zu fliehen, der zeigt, dass er eine wesentliche Prämisse dieser raumgekrümmten Daseinsform nicht kapiert hat: die Hölle, das sind die anderen. Und sie sind es.

Kaum tupft sich der zitternde Vertreter der Verlegenheitsprominenz nach stattgehabter Laberei den Angstschweiß von der Stelle, an der andere ihre unveränderlichen Merkmale aufbewahren, da schlägt das Heer der Beknackten zu. Gestählt im jahrelangen Training mit anatolischer Liebeslyrik zu Nasenflötenbegleitung wringt sich der literarisch unbedarfte Grützkopf Fragen aus dem Synapsenkonvolut, die selbst gelangweilte Gewebelose zu selbstzerstörerischer Aggression brächten. Wer noch rätselt, was der Dichter sagen wollte, legt seinen intellektuellen Offenbarungseid gleich an Ort und Stelle ab. Weder Geschmacks- noch Gefühlsbildung sind die Motivation des Behämmerten, sich in das Gemeinschaftserlebnis Literatur zu fügen; es ist das kollektive Ungewusste und damit das solidarische Fremdschämen, das die kognitiv Suboptimierten in die Stuhlkreise treibt: hier ist der Minderbemittelte unter seinesgleichen und braucht sich nicht zu verstellen. Damit der Bekloppte einmal ungestört seine Blödheit heraushängen lassen kann, ist er sogar dazu bereit, ein kulturelles Rahmenprogramm über sich ergehen zu lassen. Womit jetzt auch geklärt wäre, wozu Ärztekongresse abgehalten werden.


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6 responses

20 11 2009
VEB wortfeile

glücklicherweise gibt es ausnahmen. nur leider ist es allzu oft so, wie du es hier beschreibst. und deswegen lese ich bücher ganz gerne selbst, um mich nicht ständig zu fragen, hat der lesende das wirklich geschrieben und wenn ja, warum behandelt er dann den gesprochenen text so talentfrei? wahrscheinlich, weil er sich am liebsten hinter den buchstaben verkriechen würde und sich nicht aus der isoliertheit des schreibens lösen kann, die zugleich seine absage an die welt ist, der er geräuschlos etwas mitzuteilen versucht.

20 11 2009
bee

Ich gestehe, hier steckt etwas Autobiografisches drin, der Vorlesewettbewerb, den man als Sechstklässler an meiner Schule damals absolvieren musste. Unschuldige Kinder, ein Buch an die Hände getackert, werden auf die Bühne der Aula geschubst und müssen kindgerechte Literatur zum Vortrag bringen – natürlich nichts anderes als der durchsichtige Versuch, die Opfer zu konditionieren auf ein System, dem wir später nicht mehr mit heiler Haut entrinnen können und das wir annehmen, als sei es freiwillig. Irgendwann fängt man an, selbst zu schreiben, um sich am System zu rächen – und das System rächt sich, weil wir den Kram vorlesen müssen.

20 11 2009
Morla

„Kaum tupft sich der zitternde Vertreter der Verlegenheitsprominenz nach stattgehabter Laberei den Angstschweiß von der Stelle, an der andere ihre unveränderlichen Merkmale aufbewahren, . . .“

Tja, so ist das mit dem Dilemma, dass aus dem Unterschied zwischen Eigen- und Fremdsicht herauskommt – welche „unveränderlichen Merkmale“ sind damit gemeint?

Ich glaube, wer gut die „Schrift stellen kann“, muss sie nicht auch noch gut feilbieten können.

Allerdings, Ihre „Beobachtungen“ finde ich wieder köstlich – konnte herzhaft lachen. Ob es wohl auch so wäre, wenn Sie sie im Rund einer Buchhandlung vortragen würden – und vor so einem illustren Publikum?

20 11 2009
bee

Ich meinte damit das Gesicht – manche verlieren es ja gerne mal in der Hektik eines öffentlichen Auftritts 😉

Nein, das wäre für alle Beteiligten schmerzhaft; wie an anderer Stelle bereits angedeutet, ich hatte hier und da Bühnentexte geschrieben und bekam dann einmal unmittelbar vor der Generalprobe die freudige Nachricht, dass der Hauptdarsteller eines Varieté-Stücks aus der Produktion ausgestiegen sei. Nähere Einzelheiten entziehen sich meiner Kenntnis, ich habe das komplett verdrängt.

20 11 2009
VEB wortfeile

ich finde das nicht weiter tragisch. zur rampensau muß man auch irgendwie geboren sein. bühnentauglich fühle ich mich jedenfalls nicht. zu der erkenntnis habe ich bei meinem ersten geigenvorspiel im alter von acht jahren gefunden 🙄 bin ziemlich froh, daß es so zeitig passierte und mir weitere blamagen auf den brettern erspart blieben. jedenfalls kann so ein auftritt zu deutlichem leserschwund führen. das kann ja niemand wollen.

20 11 2009
bee

Sollte ich tatsächlich irgendwann wider Erwarten eingeladen werden, Gedrucktes vorzulesen, werde ich es wie Harry Rowohlt machen: Schausaufen mit Betonung.

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