„Komm schon“, flehte ich, „sprich zu mir! Sag etwas! Lass mich jetzt nicht im Stich!“ Doch das kleine Ding in meiner Hand ließ sich davon gar nicht beeindrucken. Es verstarb. So saß ich plötzlich da, einen Klumpen sinnlosen Plastikmülls vor mir, und ärgerte mich, dass mein Mobiltelefon ausgerechnet an einem Nachmittag um kurz vor fünf den Geist aufgeben musste.
„Die Kamera hat nur zehn Megapixel“, teilte mir der freundliche Verkäufer im Telefonladen mit, „aber ansonsten kann man dies Gerät durchaus empfehlen. Siebenstimmige Klingeltöne, Radio, Flugmodus, Videoanruf, Blitzlicht mit Multifunktionsvorwahl, Touchtasten, also alles drin, wenn Sie mich fragen.“ Ich fragte ihn, allerdings wollte ich wissen, wie man mit dem Telefon telefoniert. „Es müsste irgendwo so eine Online-Bedienungsanleitung haben. Sie müssen es bloß anschalten und können nachschauen, wie man es anschaltet.“ Das nächste Modell war unerheblich größer, dafür etwas flacher und doppelt so schwer. „Aber Sie können natürlich nicht nur Videos ansehen, sondern auch aufnehmen. Wenn Sie mit dem Internet verbunden sind und gleichzeitig die Freisprecheinrichtung auf Bluetooth umstellen.“
Wie gut, dass Jonas just in diesem Augenblick vor der Schaufensterscheibe stand und aufmerksam in die Auslage des Geschäfts blickte. Ich winkte ihn heran; kaum eine Viertelstunde später hatte er mich bemerkt und den Laden betreten. „Du musst mir unbedingt helfen“, bat ich, „ich kenne mich überhaupt nicht aus und muss mir ein neues Telefon kaufen. Mach was!“ Der beste Freund lächelte. „Kein Problem“, versicherte er. „Ich werde Dir mit Rat und Tat zur Seite stehen.“ Und wandte sich an den Verkäufer: „Haben Sie noch irgendwelchen Billigscheiß im Keller?“
Sekunden später hatte der Sprechgerätewart eine Reihe abgrundtief hässlicher Objekte unter dem Ladentisch hervorgezogen. „Das hier ist die Vorjahreskollektion“, informierte er uns, „natürlich zum halben Preis für Sie – wenn Sie auf einen gewissen Luxus und die technischen Selbstverständlichkeiten der Gegenwart also keinen Wert legen sollten, dann wäre vielleicht etwas für Sie darunter.“ Jonas klappte hier und da einen der Plapperate auf. „Haben Sie das SVG-21-HMTK-II vielleicht auch in Trendpink mit Strass?“ Ich stieß ihm die Faust in den Rücken. „Bist Du bescheuert? Was soll ich mit einem Mädchenhandy?“ „Klappe“, zischte er zurück, „das ist die Sex-and-the-City-Sonderausgabe mit dicker Speichererweiterung für sinnlose Videos und Klingeltöne – einmal mit dem Filzstift schwarz anmalen und fertig ist die Laube!“ „Ich will das aber nicht!“ Er stöhnte auf. „Meine Güte, es ist kostenlos! Dafür hat es natürlich auch nur eingeschränkte Office-Funktionen und keinen programmierbaren Vibrationsalarm.“ „Bei einem Modell für die Damen“, monierte ich, „hätte ich zumindest das erwartet. Nicht mit mir. Da geht doch wohl hoffentlich mehr.“
„Wir hätten da noch ein P-200 in Altsilber“, brachte sich der Fernsprechhändler in Erinnerung. „Das hat aber nur Infrarot und keinen Touchscreen. Und der SMS-Speicher ist auch auf 3000 begrenzt, wenn ich mich richtig erinnere.“ „Auf 5000“, empörte sich der Verkäufer. „Und Sie können sogar Klingeltöne in CD-Qualität abspeichern, wenn Sie die Speicherkarte durch eine größere Erweiterung ersetzen!“ Da fiel mein Blick auf das Plakat an der Tür. „Sie überlegen sich“, stand auf der Affiche, „um dieses Telefon kaufen, oder Sie schon eine haben, aber das Gefühl von ihm langweilig?“ Ich fühlte mich spontan als Kunde angesprochen – endlich ein sinnloses Wort.
„Ich will“, forderte ich mit Nachdruck in der Stimme, „ein Telefon, mit dem ich Bügeln, Kunst und Aufwachen verbinden kann.“ Der verworrene Anschlag hatte mich in letzter Sekunde gerettet. „Wie wäre es mit einem SK-401E?“ Der Verkäufer hatte ein bläulich schimmerndes Aluminiumteil aus der Schublade gezogen. „Immerhin hat es einen integrierten Wecker und zwei Videospiele.“ Er fuhr sich mit dem Finger unter dem Kragen entlang. „Wenn Sie die Ausgabe mit dem rosa Klappcover nehmen, bekommen Sie auch gratis ein Jahresabo mit Froschklingeltönen. Oder was hatten Sie noch mal mit Kunst gemeint?“ „Ich will bügeln“, maulte ich. Jonas kratzte sich am Kopf. „Haben Sie denn gar kein idiotensicheres Handy?“ Da strahlte der Verkäufer. „Warum sagen Sie das nicht gleich?“ Und er zog ein CSU-009 aus der Schublade. Modell Oachkatzlschwoaf in Blau-Weiß. Ich tippte mich umständlich durchs Menü. „Sie sollten als erstes die Sprachauswahl anpassen“, riet mir der Handyhausierer. Ståd-Såizburgarisch las ich, und: Westlichs Nordboarisch (Owerpfoiz). Aber das Gerät konnte nichts, lag in der Hand wie ein Riegel Gussbeton und gab mir das beruhigende Gefühl, dass sich nun nichts mehr ändern würde in meinem Leben. Jedenfalls nicht so schnell. Jonas beäugte das Gerät kritisch. „Das dudelt beim Ausschalten bestimmt die Bayernhymne“, mutmaßte er. Ich drückte den roten Knopf und lauschte, wie die zuversichtliche Stimme von Horst Seehofer ertönte. „Morgen werde ich ganz bestimmt zurücktreten!“ „Das nehme ich“, beschloss ich. „Es hätte allerdings einen kleinen Nachteil. Der Teufel im Detail.“ Der Verkäufer druckste etwas herum. „Beim Modell CSU-009 spricht immer nur einer. Sie kriegen nichts mit. Erst ganz zum Schluss, aber dann ist es zu spät. Da zerlegt sich das Ding in seine Bestandteile.“
Satzspiegel