Kalter Kaffee

25 11 2009

Anne fuhr sich hektisch durchs Haar. „Ich wusste ja nicht, ob Du überhaupt zu Hause bist!“ „Wenn der Telefonanschluss eine halbe Stunde lang besetzt ist“, erklärte ich ihr geduldig, „dann ist die Wahrscheinlichkeit entsprechend hoch, dass ich derweil in meiner Wohnung bin und telefoniere – tagsüber soll das ab und an passieren. Du hättest also ein Fax schicken, mir auf die Nachrichtenbox sprechen oder mich auf dem Mobiltelefon anrufen können, wenn Du es hättest wissen wollen.“ Sie verteidigte sich. „Aber es hätte ja durchaus sein können, dass Du den Hörer daneben gelegt hast.“ „Und das lässt Dich sofort darauf schließen, dass ich danach auch die Wohnung verlassen habe?“ Da stampfte Anne mit dem Fuß auf den Boden. „Weil Deine Eifersucht einfach kindisch ist!“

Ich konnte mich dem Argument nicht entziehen; Max Hülsenbeck, der schmierige, unrasierte Typ, der bereits die dritte Kippe im Spülbecken ihrer Nichtraucherküche ausdrückte, wurde zwar erst alarmiert, als ich nicht greifbar war, doch war das ein Grund, nicht eifersüchtig zu sein? Wo doch Anne mich gegenüber Hülsenbeck zunächst nur als Verlobten und dann erst als Vater ihrer zukünftigen Kinder ausgegeben hatte, während er unermüdlich versuchte, sie in Lokale einzuladen, in denen er sich noch blicken lassen konnte. Jetzt aber stand der Staatsanwalt, erkennbar schon an seinem schwarzen Sportwagen mit dem MH auf dem Nummernschild, vor der Anrichte und begutachtete die Kaffeemaschine mit dem geschulten Blick eines Ignoranten. „Sie zischt noch ein bisschen“, gab Anne zur Auskunft an, „aber es kommt dann kein Wasser mehr.“ „Wann hattest Du sie zum letzten Mal entkalkt?“ Max, der alles Wissende, kam ihr zuvor. „Dieses Modell muss gar nicht entkalkt werden“, teilte er im Brustton der Überzeugung mit, „das weiß ja jeder Anfänger!“ „Richtig“, wandte ich mich an Anne. „Genau deshalb hat’s ja auch diesen sündhaft teuren Original-Entkalker, den man ausschließlich für dieses Modell einsetzen darf.“ Mit säuerlicher Miene schmiss er die Bedienungsanleitung auf den Küchentisch und drehte den Brühapparat um sämtliche Achsen. „Es kann sich eigentlich nur um das Rückschlagventil handeln.“ Mit gespielter Begeisterung klatschte ich in die Hände. „Nein, wie begabt!“ Völlig überrascht blickte mich Hülsenspeck an. „Wie man durchs Gehäuse erkennen kann, dass dieses Ding über ein Rückschlagventil verfügt – sagenhaft!“

Ein Klingeln an der Etagentür unterbrach das thermoelektrische Fachkolloquium; Anne verließ das Operationsgebiet, um zwei adrett gekleideten Hausierern Auskunft zu erteilen, was sie im Falle eines plötzlichen Weltuntergangs täte, während Hülsenschreck mir die genaue Funktionsweise einer Membranpumpe erklärte – allerdings verwechselte er die Dampfmaschinerie mit einer Mammutpumpe und unterschlug den Thermostaten in seiner Konstruktion. Er musste ein Schüler des seligen Professor Bömmel gewesen sein.

Anne war schon wieder auf dem Weg in die Küche, da packte mich ihr Galan plötzlich am Kragen. „Pass gut auf, Du Klugscheißer“, zischte er, „diesmal vermasselst Du mir nicht die Tour – versuch es am besten gar nicht erst, sonst…“ „… könnte natürlich § 437 BGB nicht in Anwendung kommen durch unsachgemäßen Einsatz eines Schraubendrehers! Ach ja, wie gut ist es doch, wenn man sich als Jurist mit der Mängelhaftung auskennt, nicht wahr?“ Und ich drückte ihm mit maliziösem Lächeln das große japanische Hackmesser in die Hand. Er schluckte trocken.

„Habt Ihr’s denn gleich?“ Anne war sichtlich unruhig – verständlich, wenn man seit fast zwei Stunden auf den Beinen ist und noch keinen Kaffee bekommen hat. Max, der Staatsanwalt, ermittelte inzwischen auf Messers Schneide; er fuhrwerkte mit der Klinge am Boden der Kaffeemaschine entlang und versuchte, das Gehäuse zu öffnen. Unter dem unmerklich leise knacksenden Geräusch einiger abplatzender Teile gelang ihm dies auch, wie ich feststellte. Sein leerer Blick irrte zwischen den Leitungen des Siedegeräts. „Die blaue Litze hier könnte über den Kaltleiterwiderstand laufen – aber der weiße Draht hier?“ Möglicherweise hatte er mehr Ahnung von elektrischen Bauelementen, als mir lieb war, aber sollte mich das kümmern? Ich fasste Anne vertraulich um die Schultern. „Dein strammer Max bezieht seine Allgemeinbildung vermutlich eher aus den billigen Gangsterfilmen, in denen Höllenmaschinen nur rote und grüne Drähte haben.“ Dabei rutschte ihm das Messer ab, das eine längere Kratzspur auf der Anrichte hinterließ. Anne ging in leichte Vibration über.

Der Widerstands-Kämpfer war entschlossen, zwei Baugruppen kurzzuschließen – wahrscheinlich hatte er gerade Tunneldioden um einen Glimmerkondensator ausfindig gemacht – als ich wie zufällig auf die Uhr sah. „Jetzt muss ich aber wirklich“, verkündete ich, „die Kunden aus Tokio werden bestimmt nicht auf mich warten.“ Das leise Schnarren ignorierte ich; kurz vor der Haustür wurde das Brummgeräusch zum gellenden Pfeifen, das nach einigen Sekunden in einen schmatzenden Detonationssound mündete – offenbar hatte Mad Max die Forschung um die Rekonstruktion des Urknalls um eine Facette bereichert. Fröhlich pfeifend betrat ich die Straße. Eine geschmacklose Blumenvase segelte aus der Höhe direkt auf den Sportwagen auf dem Gehsteig. Ich würde mich beeilen müssen; nicht auszudenken, wenn Anne mich jetzt anriefe, um sich bei mir auf einen Kaffee einzuladen, und ich wäre nicht zu Hause.