Arbeits-Los

1 12 2009

Die Tür war verschlossen. Ich rüttelte und rüttelte, aber nichts tat sich. Nur die roten Stoppschilder grinsten hämisch von der Innenseite heraus. „Jetzt machen Sie schon auf“, rief ich, „oder glauben Sie, ich warte auf den Pförtner?“ Eine Ewigkeit verging; endlich öffnete Billerbeck. „Das muss bei der Übernahme passiert sein.“ Hastig zupfte er die Schilder von den Glastüren. „Die sollten eigentlich gar nicht hier hängen. Es ging alles so plötzlich, als Frau von der Leyen gestern kam.“

Billerbeck knüllte die Schilder zusammen, schloss die Türen hinter mir und führte mich durch die Vorhalle des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. „Wir haben ja gerade eben noch das Pieck-Zimmer vor ihr retten können“, teilte er mir mit. Interessiert betrachtete ich die Ahnengalerie; manch hübsches Porträt schmückte die Wand. „Da ist auch der Erfinder des Flecktarn – wir verwenden ihn auch heute noch recht gerne, wenn die neuen Arbeitslosenzahlen präsentiert werden.“ „Jaja“, antwortete ich spöttisch, „Amt Blank.“ Der Arbeiter im Blaumann drehte sich auf der Trittleiter um und spie sein Streichholz an uns vorbei. „Da jeht et nich weita“, sprach er mit lethargischer Stimme. „Nach rechts ha’ck keen Ssentimeta, wa? Da is nua noch Wand.“ „Dann bringen Sie Frau von der Leyen eben um die Ecke“, schimpfte Billerbeck. „Meine Güte, hängen Sie sie halt auf – ob hier oder da, das macht doch keinen großen Unterschied!“ Ich schaute an den Bildern entlang. „Wir ich hörte, soll sich Frau von der Leyen bereits wie zu Hause fühlen.“ „Durchaus“, nickte Billerbeck, „schließlich saß hier einst Goebbels’ Reichslügenministerium.“

Wir durchliefen den Ostflügel. Billerbeck betete ein bisschen aus dem Armutsbericht herunter, ich hörte mit halbem Ohr zu und stupste spielerisch an die Notrufknöpfe – zu meinem grenzenlosen Erstaunen sah ich, dass sie nur aufgemalt waren. „Also bitte“, empörte sich der Beamte, „die Farbe ist doch noch frisch!“ „Und was genau soll dieser Firlefanz bedeuten?“ „Die Gelder waren noch vom Internet-Alarm übrig, irgendjemand hatte dort ein paar Millionen Euro zur Verfügung gestellt, und da die Chefin nur Symbolgesetzgebung zu betreiben gedenkt…“ Ich begriff und wusch mir die Finger.

Hier und da schleppten Möbelpacker Tische und Lederdrehsessel die Treppenflucht hinunter. Türen standen sperrangelweit offen. Aktenrollschränke gähnten aktenlos in öde Korridore. „Ist das hier eine Demontage“, fragte ich bestürzt, „oder schon ein Teil der Schuldenfinanzierung?“ Billerbeck winkte ab. „Keins von beidem. Was Sie hier sehen, ist der Triumph der schwarz-gelben Bundesregierung: die Arbeitslosigkeit findet nicht mehr statt.“ „Und das Soziale?“ „Auch nicht.“

Er reichte mir wortlos den Aktionsplan zum sozialen Umbau. „Arbeitslosigkeit abschaffen – soziale Probleme lösen“, las ich, „das ist doch alles ausgelutscht! Ist hier auch irgendetwas Neues drin enthalten?“ „Lesen Sie mal das Internet-Kapitel“, riet mir Billerbeck. „Sie will die Jobbörse abschaffen? Wieso das denn?“ „Weil sich Arbeitslosigkeit durch das Internet verbreitet.“

Verdutzt blätterte ich den wirren Papierhaufen durch. „Das ist doch alles hirnverbrannter Unsinn! Das Arbeitslosengeld wird ab sofort nicht mehr ausgezahlt, die Ein-Euro-Jobs bekommen zur Steigerung des Leistungsanreizes eine 100%-ige Lohnkürzung. Was soll denn dieser Quark?“ „Denken Sie mal logisch“, erläuterte Billerbeck. „Dieser eine Euro ist zwar niederschwellig, aber durchaus eine Einstiegsdroge. Oder versetzen Sie sich einmal in die Lage eines Arbeitssuchenden – glauben Sie denn, die haben an einem Jobangebot genug? Die wollen immer mehr, die sind nie zu befriedigen!“ Er hatte sich in Rage geredet, ein irres Feuer glomm in Billerbecks Augen. „Das sind Zustände, die können Sie sich gar nicht vorstellen! Da werden Sie Scheußlichkeiten erleben…“ Ich klopfte ihm leicht auf den Hinterkopf, doch er schien es gar nicht zu bemerken. „Wir werden gar nicht mehr vermitteln – aber das brauchen wir auch gar nicht, weil es ja keine Arbeitslosen mehr gibt.“ „Das sah Ihre letzte Prognose aber noch ein wenig anders“, sagte ich schnippisch. „Nein! Wir nennen das jetzt einfach ‚Bundesbürger in undefinierten Umständen‘ – es sind ja immer höchst individuelle Einzelschicksale, sagt die Kanzlerin – und damit gibt es sie gar nicht mehr, die Arbeitslosen.“ Sein Grinsen wurde langsam debil. „Alles weg. Alles!“

Ich packte ihn am Kragen und schüttelte ihn durch. „Billerbeck“, brüllte ich, „sind Sie denn völlig chloroformiert?“ „Die Arbeitslosenindustrie ist an allem Schuld!“ Er ruderte wild mit den Armen umher. „Da werden jeden Monat Milliarden ausgegeben! Und das Arbeitsministerium darf kein rechtsfreier Raum mehr sein für die Alkohol- und Zigarettenindustrie!“ Er begann zu lallen. „Wurf… die Wurf… die Prämie, wenn Akademiker freiwillig arbeitslos bleiben…“ Da zerrte ich ihn in den Waschraum. Billerbeck wehrte sich heftig, aber ich bekam ihn unter den Wasserstrahl. Langsam wurde er wieder zurechnungsfähig. Wie ein begossener Pudel stand er vor mir, wrang seine Krawatte aus und putzte sich die nasse Brille. „Also, dass die Alte hier überhaupt noch als Ministerin arbeiten darf, Sie wissen schon, nach dem Herumgelüge vor der Wahl…“ „Was soll denn damit sein?“ Billerbeck versuchte ein Lächeln, was ihm aber nur höchst unbeholfen gelang. „Dass sie hier noch arbeitet, das grenzt doch schon an das Jobwunder.“