Milchmädchen

2 12 2009

„Also jetzt hab Dich doch nicht so, das geht aber bestimmt. Natürlich geht das! Das ist doch noch immer… ja, das eine Mal, das war nicht einfach, aber jetzt ist ja sozusagen eine besondere Situation, oder? Na siehste. Da muss man auch mal sehen.

Ich brauche gar nicht so viel. Vielleicht fünfzig oder sechzig für die Hauptkasse. Na, ich muss doch ausgleichen, verstehst Du? Da kommt nämlich jetzt nicht mehr so viel rein, wegen dem… Habe ich Dir nichts gesagt? kein Wort? Na, aber das finde ich skandalös, da hättest Du mich doch mal erinnern müssen! Also echt, schändlich ist das! Wie konntest Du nur! Also fünfundsiebzig, mehr aber auf gar keinen Fall. Und da ist natürlich die Pacht für den Gemüsegarten schon drin. Na, das kleine Gärtchen in der Wilhelmstraße, Du weißt doch – haben jetzt aber alle, und da spart man im Jahr… aber höchstens zwanzig. Na gut, letzten Monat waren es fünfundzwanzig. Ja. Ja doch! Ich wollte es Dir ja auch sagen, aber dann habe ich es aus der Kleiderkasse genommen, die andere Hälfte ist aus dem Urlaubsgeld. Also jeweils dreißig, macht dann zusammen… nur im Mai einmal, und dann von Juni bis Februar, einschließlich, also so viel ist das gar nicht, warte mal eben, das sind… zehnmal fünfzig sind… warte…

Dafür gehe ich doch nicht ans Haushaltsgeld! Aber was denkst Du denn bloß von mir! Meine Güte, das würde ich doch nie machen! Die Kinder müssen ja schließlich satt werden. Bei Tante Klara? Wer? Die alte Bierbaum? Die wird sich wohl versehen haben, die ist doch auch schon… an der Haustür geklingelt? jeden Tag?

Soll ich denn die Kinder verhungern lassen? Eben, dann müssen sie auch… Aber natürlich jeden Tag – sie müssen doch jeden Tag etwas zu essen bekommen, wie stellst Du Dir das denn vor? Nur alle zwei Tage eine warme Mahlzeit? Na, Du bist mir ja ein Herzloser! Merkt man doch gleich, dass Du keine Kinder hast – Unverschämtheit, ich und meine Kinder hungern lassen! Warum gebe ich mich überhaupt ab mit einem solchen Sittenstrolch wie Dir? Das ist doch wohl die Höhe! Woher sollte ich denn bitte das Geld nehmen?

Na, fast geschenkt eben. Fast geschenkt! Hast Du eigentlich eine Ahnung, was so ein Pelzmantel sonst kosten würde? Na siehste – Du hast keine Ahnung, aber ich soll hier angeblich… aber ich bitte Dich, das ist doch aus der Luft gegriffen. Das sind ehrliche Leute, ich kenne doch die Nachbarn, die wohnen schon fast drei Wochen hier gegenüber, und noch nie ist die Polizei bei denen… Gut, aber das hat doch wohl nichts zu bedeuten.

Geh mir doch fort mit Kistlers! Die müssen doch nicht unbedingt… Aber ja doch, natürlich sind das wohlhabende Leute, Kistlers haben sich gerade erst eine neue Küche gekauft und ein neues Schlafzimmer und das Haus und im Urlaub waren sie doch auch. Im Süden, natürlich im Süden, was erzähle ich Dir das eigentlich, natürlich im Süden, man wird doch wohl noch fragen dürfen bei denen? Einer muss doch die Wirtschaft ankurbeln! Ich kann die doch nicht noch länger warten lassen auf die vierhundert – na gut, neunhundertachtzig, aber die Zinsen gehen bestimmt extra.

Ja, seriös! Da muss man auch durchaus ehrbar und gediegen auftreten, sonst verkaufen Sie einem so einen Wagen nie. Meine Güte, ich kann da doch nicht in Lumpen hingehen! Dreihundertdreißig. Aber dafür kann ich’s noch in die Oper tragen. Oder auf dem Ball. Oder in die Oper. Wenn Du mich mal einladen würdest. Aber dann bräuchte ich auch wieder jemanden für die Kinder. Oder wir gehen vielleicht im Winter in Paris, wenn wir sowieso…

Was, zu teuer? Na, wenn die Versicherung aber so viel Geld haben will? Ich kann doch mit dem Auto nicht ohne Versicherung… Davon hat mir der Händler auch kein Wort gesagt. Wie findest Du das? Ja, ich war ganz baff – muss man sich mal vorstellen, die verkaufen da den ganzen Tag lang diese teuren Autos, aber von den Versicherungen haben sie alle keine Ahnung. Darüber müssten die Zeitungen mal etwas schreiben!

Und ob ich gespart habe – da, sieh mal. Vorigen Monat für die Kegelkasse: siebenunddreißig. Diesen Monat nur noch elf. Gut, oder? Ja. Da habe ich natürlich sofort die vorletzte Rate, nein, die vorvorletzte Rate für die Schrankwand bezahlt, also die Rate von vorvorletzten Monat, also: die zwölfhundert, die seit vorvorletzten Monat noch fehlen. Von den siebenunddreißig minus elf, macht nach Adam Riese: dreisechzig. Also jetzt sei nicht pingelig! Bei dem Wetter, und dann trägt ja auch jeder jetzt diese Stiefelchen. Hilde meint, sie kriegt billiger. Und da habe ich drei Paar genommen.

Aber das hatten wir doch längst besprochen! Wenn nun die Kinder ganz unmusikalisch sind, da muss ich ihnen doch später kein Klavier kaufen. Und wenn sie nun gar nicht studieren wollen? Vielleicht können sie es sich ja auch gar nicht mehr leisten, bei den Gebühren im Moment – na, was soll ich dann mit dem ganzen Geld? Doch, das war eine todsichere Sache. Sagte Flädderer auch. Den haben sie aber nicht sofort mitgenommen, der war erst noch ein Vierteljahr beurlaubt. Seine Frau meint, wenn er sich gut aufführt, ist er in zwei Jahren wieder draußen, und wenn man ihm da nichts nachweisen kann, in spätestens sieben Jahren.

Ich mache Dir eben gerne mal eine Freude! Sag doch, wenn Du nichts zum Geburtstag haben willst. Dann schenke ich Dir nichts. Ja, sind wir denn bei armen Leuten? Was Du immer hast – Chaos, Chaos, ich will das hier nicht mehr hören! Wir sind doch nicht im Bundeshaushalt!“