„So eine gottverdammte Schweinerei!“ Die junge Frau drosch mit der Tasche auf den Papierkorb ein. „Danke, gestorben!“ Siebels lehnte sich zurück und gab dem Kamerateam ein Handzeichen. „Und jetzt wieder Position B, bitte!“ Ich schlürfte vorsichtig am heißen Kaffee. „Ob das eine so brillante Idee war, den Sendeplatz direkt nach dem Original zu buchen?“ „Aber ja“, bekräftigte der TV-Produzent, „nur so haben wir auch eine reelle Chance, dem Zuschauer die Flöhe wieder aus dem Ohr zu holen.“
Unterdessen hatte sich die Blondine mit dem deutlich erkennbaren Babybauch wieder beruhigt und stapfte nach einer kurzen Absprache mit der Continuity aus dem Bild. „Wir machen dann den Innendreh mit ihr nächste Woche Montag um halb vier, vorher bekommt sie keinen Termin.“ „Kein Problem“, antwortete Siebels, „dann machen wir ihren Nervenzusammenbruch gleich in einem Aufwasch mit. Spart uns eine Stunde Drehzeit.“ „Sie entwickeln sich langsam zu einem richtigen Ekel“, bemerkte ich angewidert. Siebels zog eine Braue in die Höhe. „Nur, weil ich der Republik zeige, was passiert, wenn sie schwanger wird?“ „Sie scheinen sich sehr sicher zu sein, dass Sie mit Ihrem Sozialporno noch ankommen. Ich bezweifle, ob sich das Fernsehpublikum den galoppierenden Niveauverlust noch lange antun wird.“ „Was? Ich? Sozialporno?“ Er kicherte. „Wir zeigen die wirklich unappetitlichen Sachen, die niemand erträgt. Das, was das Unterschichtenfernsehen sich nicht zu zeigen traut – die Wirklichkeit.“
Inzwischen waren ein Sanitäter und der Beleuchter schon damit beschäftigt, die nächste Schwangere aufzurichten; sie hatte den Gegenwert eines Gebrauchtwagens investiert, um ihre Sterilisation wieder rückgängig zu machen, und erfuhr nun, dass ihre Krankenkasse die Kosten des Eingriffs nicht tragen würde. „Was soll ich jetzt machen“, heulte sie, „ich bin völlig überschuldet, wenn das Kind kommt!“ „Hervorragend“, lobte Siebels. „Das Bild ist wirklich gut gelungen. Dazu als Gegenschnitt eine der Wahlkampfreden von Westerwelle oder Merkel mit ihrem üblichen Familiengewäsch, und der Zuschauer weiß, was Phase ist. Großartig!“
Mesemann klopfte an die Tür des Trailers. „Ah, Sie sind’s!“ Siebels strahlte. „Schieben Sie die Aufnahme gleich rein. Wir wollen sehen, was wir für die erste Sendung verwenden können.“ Die Supermarktkassiererin, die bereits fünf Kinder von vier Männern hatte und sich neben ihrem Halbtagsjob größtenteils von Kindergeld ernährte, wurde gerade vom Personalchef angebrüllt. Ihre Schwangerschaft passte nicht ins Konzept des Gebietsleiters. „Damit haben wir dann auch Innenaufnahmen in der Sozialbehörde“, nickte Siebels tief befriedigt, „und können uns ansehen, wie sie jetzt ihr sechstes Blag füttert, wenn man ihr wegen der Hartz-IV-Leistungen das komplette Kindergeld streicht. Vielleicht begleiten wir sie sogar auf Wohnungssuche.“ Begeistert klatschte er in die Hände. „Arbeitslose Schwangere mit fünf verwahrlosten Kindern sucht eine Sozialwohnung – das klingt nach einer satten Einschaltquote!“
Ich blätterte die Unterlagen durch. „Das Ding sieht mir sowieso aus wie eine Dauerwerbesendung für künstliche Befruchtung.“ Siebels nickte. „Das kommt noch dazu. Aber das ist es nicht. Haben Sie schon die gynäkologischen Befunde gelesen?“ Ich verneinte. „Ein bunter Reigen. Die Mittvierzigerin mit psychotischem Kinderwunsch trifft auf die Risikopatientin, die mit einer Schwangerschaft ihr Leben aufs Spiel setzt. Allesamt bekloppt.“ „Und die Sendung zeigt das, um den Kinderwunsch beim Zuschauer durch eine Art Trotzreaktion zu verstärken?“ „Genau, wenn Sie das sehen, wissen Sie: jeder Depp kann ein Kind kriegen. Jeder noch so absurde Kinderwunsch, wenn Sie beispielsweise HIV-positiv und hoch verschuldet sind, schon ein halbes Dutzend Kinder haben, die Ihnen das Jugendamt regelmäßig wegnimmt oder die mit Ihnen nichts mehr zu tun haben wollen – jeder Kinderwunsch ist grundsätzlich legitim. Gesunder Menschenverstand nicht.“
Die nächste Kandidatin hätte die Tochter des geistig völlig überforderten Vaters sein können; tatsächlich war sie die Mutter seiner Kinder. „Da kleben wir dann Wurfprämien-Gefasel von der Ex-Familienministerin rein und als Gegenschnitt die kinderfeindliche Politik, die sie jetzt als Arbeitsministerin betreibt.“ „Also wollen Sie aufklären, dass die Gesellschaft kinderfeindlich ist?“ „Mitnichten“, winkte Siebels ab, „ich zeige, dass das Unterschichtenfernsehen das irrationale, da die Realität ignorierende Diktat der Lebensentwürfe kopiert und sich zum willfährigen Sprachrohr einer Politik macht, die das NS-Repertoire abkupfert und die Wirkung durch neoliberales Klientelgeschleime gleich wieder zerstört.“ „NS-Politik?“ „Was dachten denn Sie, woher die Perfektionierung der Malthus-Theoreme kam? Beine breit für den Führer! Bisschen BDM-Charme, gebärfreudige Vaterlandsliebe, das wird doch gerne gepredigt in Parteien mit christlichem Anstrich. Fragen Sie mal einen katholischen Priester in Paderborn, was er von muslimischen Säuglingen hält. Der entdeckt ganz neue Toleranzen, wenn’s um Abtreibung geht.“ Ich war entsetzt. „Und diese psychotischen Ideen treffen auf die Wirklichkeit.“ „Die auch nicht viel besser ist“, bestätigte Siebels. „Aber wir kriegen das schon hin. Der Sendeplatz stimmt. Schwangere gibt es in Deutschland auch genug. Und Eva Herman ist froh, endlich mal wieder im Fernsehen zu sein.“
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