Herchenkötter kam gründlich zu spät. Verzweifelt klopfte er an die Tür des Computerfachgeschäfts. Ich sprach den pensionierten Kriminalbeamten an. „Kann ich Ihnen vielleicht helfen?“ Er winkte ab. „Das glaube ich kaum. Diesmal haben sie es geschafft. Ich werde das Ding wohl am besten wegschmeißen.“ Und er machte bereits Anstalten, sein so gut wie neues Notebook in den Schlitz des Papiercontainers zu schieben.
„Was haben Sie denn mit dem Gerät gemacht?“ Umgehend brauste Herchenkötter auf. „Gar nichts“, gab er verbittert zurück, „diese Kiste zeigt ständig obskure Fehlermeldungen und weist mich zurecht. Ich lasse mir das nicht mehr länger gefallen!“ Beruhigend fasste ich ihn an der Schulter. „Zeigen Sie mal her. Vielleicht lässt sich das Problem ja mit einfachen Mitteln an Ort und Stelle lösen. Oftmals ist es gar nicht so schlimm, wie…“ „Ihr Computer ist infiziert“, teilte mir der infizierte Computer mit. „Sehen Sie“, jammerte Herchenkötter, es geht schon die ganze Zeit so! Seit gestern! Immer, wenn ich die Fehlermeldungen wegklicke, kommt diese Zurechtweisung.“ Welche Zurechtweisung denn? „Warten Sie einen Augenblick, es geht gleich los.“ In einem kleinen Fensterchen erschien ein bedrohlich aussehendes Gesicht. „Sie gefährden die Sicherheit des Staates“, schnarrte die Stimme, „deshalb werden wir dieses Gerät sperren, wenn Sie nicht unverzüglich die Daten entfernen, die den Fortbestand unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung in der… Scheißendreckterrorarsch, weisstu konkret Bescheid, Du Opfa, isch mach Disch Arbeitslager!“ „Hoppala, da muss ich wohl wieder an die Sprachoptionen gekommen sein.“ Er lächelte säuerlich. „Ja, ich weiß. Aber in der Home-Version wird das Betriebssystem automatisch mit Bad Simple German ausgeliefert.“
„Gut, lassen Sie uns methodisch vorgehen.“ Ich versuchte, den Virenscanner aufzurufen. „Das ist nicht möglich“, informierte mich Herchenkötter, „er hat sich bereits selbst als Schadsoftware geortet.“ „Also ein Autoimmundefekt“, seufzte ich. „Was kann man da noch machen?“ „Eigentlich müsste jeden Augenblick der Anruf des Support-Teams kommen. Sie sagten vor drei Wochen, sie würden heute im Laufe des Abends anrufen.“ Das klingelte auch schon sein Mobiltelefon. „Gehen Sie dran“, bat er mich. „Ich habe schon beim letzten Versuch nichts als Bahnhof verstanden. Vielleicht haben Sie ja mehr Glück.“
„Sie haben Virenbefall auf Ihrem Computer“, teilte mir der Callboy am anderen Ende der Strippe mit. „Haben Sie denn schon die Maßnahmen zur oberflächlichen Schadensbekämpfung aus dem Internet durchgeführt, Herr Herchenkötter?“ „Wie soll das funktionieren, wenn Sie mich vorher vom Netz abklemmen?“ „Woher soll ich das wissen? Ich sitze hier in einem Raum mit neununddreißig anderen Studenten.“ „Sehr professionell“, höhnte ich. „Haben Sie etwa Urheberrechtsverletzungen begangen? Man weiß das ja nie.“ „Was eine Urheberrechtsverletzung ist?“ „Was gerade als Urheberrechtsverletzung gilt. Entschuldigung, ich kenne mich doch nicht aus mit Computern!“
Wir sahen einander entgeistert an. „So ein Vollidiot“, knurrte Herchenkötter. „Wozu zahlt man seine Steuern als gesetzestreuer Bürger, wenn man dann…“ „Soll ich Ihnen vielleicht die Broschüre Sicherheit im Internet – ein praktischer Leitfaden für Virenopfer schicken? Sie müssten mir dann nur noch Ihre Kontonummer nennen, damit ich eine Bankeinzugsermächtigung einrichten kann.“ „Sind Sie noch ganz bei Trost?“ „Jetzt werden Sie mal nicht pampig hier. Sie gefährden die Sicherheit, und zwar in erheblichem Maße! Sie sind ein Risiko für Millionen unbescholtener Staatsbürger, die gegen Sicherheitsrisiken wie Sie sind!“ Langsam wurde ich wütend. „Was schwafeln Sie da eigentlich für einen Unfug?“ „Sie gefährden mit Ihrem Computer die vielen unschuldigen Internet-Benutzer, die sich gegen die Viren von Ihrem Computer gar nicht wehren können, weil Sie mit Ihren Viren deren Sicherheitsmaßnahmen unterlaufen!“ „Hm. Sie behaupten also, ich sei ein Sicherheitsrisiko?“ „Eben. Wie ein Auto, das mit defekten Bremsen auf der Autobahn fährt.“ „Nur mit dem Unterschied, dass andere Nutzer, die den Virenschutz nach den nationalen Sicherheitsrichtlinien installiert haben, sich eigentlich gar nicht infizieren dürften – es sei denn, Ihr Virenschutz wäre durchlässig. Also gefährdet derjenige, der sich ohne Virenschutz im Netz bewegt, nur diejenigen, die sich ebenfalls ohne Virenschutz im Netz bewegen und andere gefährden, die sich ohne Virenschutz im Netz bewegen. Können Sie mir das mit der Fahrlässigkeit noch mal genau erklären?“
Eine Viertelstunde später saß Herchenkötter in meinem Arbeitszimmer. „Wir booten das Ding vom USB-Stick“, verkündete ich. „Und dann?“ „Lassen Sie mich mal machen.“ Endlose Kolonnen von Dateien rasselten herunter. Dann hatten wir plötzlich den Bösewicht. „Herchenkötter, darauf hätten Sie aber auch von selbst kommen können.“ Mit tadelndem Blick zeigte ich auf den Monitor. „Wer bewahrt denn nach der Bundestagswahl auch den Koalitionsvertrag auf?“
Satzspiegel