Gernulf Olzheimer kommentiert (XXXVII): Postmoderne Inneneinrichtung

11 12 2009
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Draußen, das ist da, wo die ganzen Spacken herumtapern, sich zielgerichtet vor einem an der Supermarktkasse aufbauen, durch derart garstige Kleidung auffallen, dass es ihres Körpergeruchs eigentlich gar nicht bedürfte, um in unangenehmer Erinnerung zu bleiben, oder aber sich von hinten nahen, um einem voll in die Hacken reinzumöllern und dann auch noch pampig zu werden, als seien sie Gesichtsschmerzfetischisten auf Prügelentzug. Draußen, das ist da, wo alles, was nicht als existent nachgewiesen ist, aber immerhin denkbar wäre, einem ab einer gewissen Luftfeuchtigkeit, Uhrzeit oder Adrenalinmenge schon einmal prophylaktisch am Arsch lecken könnte, bevor es den Zustand des Seienden beglaubigt betreten hat. Das Gegenteil von Draußen ist Drinnen: der Rückzugsraum ins Eigentliche, wo Kollegen, Kanzlerette und Konsumjunkies nichts zu suchen haben und erst recht nichts zu melden. Es sei denn, man muss nach draußen, um anderer Leute Häuser zu ertragen.

Schon Søren Kierkegaard, der komplett ohne Designermöbelkatalog, Farbberatung und Feng-Shui-Seminar erkannte, dass das Bewusstsein, von Flachmaten mit Vollmeise umgeben zu sein, ein furchtbares Gefühl von Einsamkeit erzeugt, ließ keinen Zweifel daran, dass Innerlichkeit zugleich ein Symptom für die Endlichkeit ist – wo Wände im Weg stehen, kann man sich die Flucht schon mal in die Haare schmieren. Nichts ist mit Sportschau, Nachmittagskaffee oder einfach mal Fressehalten, wenn Ästhetikterroristen aus der Nachbarschaft einem den Fluchtweg mit Minimalismus in Buche geflammt versperren. Zu Gast bei Freunden lässt man die Fleischersatz gewordene Profilneurose ohne nennenswerten Widerstand über sich ergehen und sagt auch nichts, wenn der Schmadder vor lauter Scheußlichkeit detoniert und an den Tapeten des Universums klebt. Man bleibt äußerlich, und das ist gemäß Kierkegaard eh ohne Bedeutung.

Der Magen des postmodernen Menschen hält eine Menge aus; je nach Altersklasse hat er sich im Eltern- oder Großelternhaushalt vom Brunftschrei des schlechten Geschmacks in den furnierten Hallkorridoren der Adenauer-Ära die Trommelfelle eindrücken lassen, röhrendes Rotwild, neckische Nöcke und Leda mit dem sterbenden Schwan in Öl auf Pressspanplatte haben seinen Ekel trainiert, die blubbernden Farborgien des Flokati-Dezenniums und die aseptische Heimeligkeit des Wohnklo-mit-OP-Trakt-auf-Krankenschein durchzustehen, bevor das Behausungsbrauchtum endgültig die komplett geräumte Dachgeschossbude zum Status quo und den Horror vacui zum No-Go erklärte: wer die Hose so dick hat, dass seine Klöten eine eigene Postleitzahl brauchen, schreddert Schrankwand und Ledersofas und deklariert die dadurch entstehende Öde zum Nonplusultra, das bei Gelsenkirchener Barock und ähnlichen Verwirrungen hilft. Ob der Beknackte nun in Stammheim, Neukölln oder auf der Veddel vegetiert, Hipness definiert sich aus dem Verhältnis von Mobiliar zu Grundfläche. Weniger ist mehr, noch weniger ist leer.

Man muss keine Geheimdienstausbildung genossen haben, um zu sehen, wie verbissen die Konsumopfer Margarine in die Luftlöcher von Graubrotscheiben kratzen, damit sie sich zum Jahresende den Stahlrohrhocker eines bulgarischen In-Designers leisten können – alles, was kein Einzelstück ist, würde die sorgfältig arrangierte Asymmetrie des Raums zerstören – neben dem eine billige Tàpies-Reproduktion im Heimwerkermarkt-Hinterglasrahmen die Peinlichkeit zu vertuschen sucht, die ein affektiert vor sich hin welkendes Anthurium ins Zimmer zaubert. So wohnlich ist es, dass keiner weiß, wo man die Champagnerflöte parken könnte – aber bestimmt saugen sich die Schöngeisterbahnfiguren die Snob-Brause aus der Pulle rein oder bieten gleich eine Nase Neuschnee an, falls sich Besuch in die Gegend verlaufen sollte.

Das verschwiemelte Wirrwarr auf abgehobelten Dielen demonstriert vordergründig, dass der Bonze von Besitzer eigentlich viel zu wichtig ist, um einer Bleibe überhaupt Beachtung zu schenken; möglich, dass er den kranken Gedanken nährt, wer so wenig Tisch und Stuhl besäße, könnte sich dafür auch mehrere Wohnungen leisten. Doch das Gegenteil ist der Fall. Der Bekloppte im Wahn lustloser Tristesse inszeniert ein Eindruck-to-go um sich herum, damit auch ja keine Sau merkt, wie in der aufgebrezelten Kulisse ein sozialamputierter Jammerlappen vor sich hin leidet, weil ihn das Vorrücken der Scham an die tragenden Wände drückt, die er mit Regalen und Beistelltischchen zu verstellen vergessen hat. Da hockt er, winselt mit dem Stylisten um die Wette und hat nicht einmal eine Schublade, um den Neun-Millimeter-Schläfenlocher fürs Finale aufzuheben. Die Beziehung zur Außenwelt lässt selbst den Zahnbelag früher oder später absterben, und wer noch eine eigene Hütte hat, tritt rechtzeitig den Rückzug aus der Parkettsteppe an, bevor Trübsal in die eigenen Synapsen bläst. Lasst die Bescheuerten auf Kacheln kuscheln, wenn die Nacht hereinbricht. Das Mitgefühl setzt ein, sobald die gute, alte Reihenhausnormalität dafür wieder Platz lässt. Denn Drinnen ist das neue Draußen.