Der Leierkastenmann

16 12 2009

„Freut Eu-heuch des Le-bens, weil no-hoch das Lä-hämp-chen glüht!“ Der dick vermummelte Mann stapfte von einem Fuß auf den anderen. Es war kalt in Tiergarten, von der Spree pfiff ein scharfer Wind herauf und zog unter den Mantel. Mich fröstelte. Der Alte lächelte sein verknittertes Lächeln und drehte emsig an der großen Kurbel. „Pflü-cke-het die Ro-se, eh’ sie-hie ver-blüht!“

Ich legte ein Geldstück in das kleine Körbchen auf der Drehorgel. „Bedanke mir“, dienerte der Musikant. „Wenn ick mir vorstellen dürfte: Aujust Knille is der Name, den mia meene Mutta jejehm hat, wie ick hochwohljeborn war in Moabit. Wenn’s um Musike jeht, denn is Knille Ihr staaka Partna! Sahrense ja nu in Mitte imma, ha’ck jeheert.“ Er steckte die Münze in seine Manteltasche. Und griente. „Von Knille beorjelt, det is fast so jut wie von Zille jemalt, wa?“ Ich lachte. „Und da stehen Sie hier den ganzen Tag am Reichpietschufer und kurbeln?“ „Det is wejen de nationale Stümmung.“ „Nationale Stimmung?“ Er blickte verschwörerisch. „Aa nich weitasahren!“ Und kam ganz dicht mit dem Gesicht an mein Ohr heran.

„Det is ja, weil Truppe nich uff Truppe schießen dhut. Im Jrunde jenomm. Da hamse aa in’n Bendlerblock ooch nüscht von jesacht, wie SA uffmarschiert is.“ „Sie meinen“, fragte ich skeptisch zurück, „dass hier im Bundesministerium dicke Luft sei?“ „Schönet Wetta heute.“ Knille knurrte mich an. Holte einen blau angelaufenen Flachmann aus dem Überzieher. „Ick wer ma alaum, wa?“ Und trank einen tiefen Zug aus dem Fläschchen.

„Hamse den ma jesehn, den Pomadenkalle? Det is ’ne Quetschvisage! So’n Spack! Un denn hatta nüscht wie Butta uffn Kopp.“ „Meinen Sie?“ „Sahrick doch, det is’n Erbbejräbnis. Un so alt wie der Jung aussa Wäsche kiekt…“ „Dann müsste er ja das Parlament belogen haben.“ „Schlümma! Schlümma, sahrick Ihn. Det Milletär.“ „Das Militär belogen?“ „Nich belohren – aa betuppt hatta! Der is doch anjebufft jewesen, sahrick Ihn!“ Und er schneuzte sich heftig in Richtung Spree.

„Na, nun sagen Sie mal: was ist denn hier im Ministerium eigentlich genau los? Warum dieser ganze Aufstand?“ „Det wer ick Ihn sahren: der Minista, der hat ja keene Ahnung vons Jeschäft. Det isn komischa Ssuch an ihn. Wie a inne Wüchtschaft is jesessn, wennse Ihn noch ainnern – aa inne Wüchtschaft isses ja nu nüscht, wennse nich inne FDP sinn, da wissense ooch nüscht, aa ditt is ja von keene so jroße Wichtigkeit, wa?“ „Kommen Sie mal zum Punkt, Knille!“ Mir wurde langsam auch ein bisschen kühl; der Himmel sah allgemein etwas ungemütlich aus. „Sie wollen mir doch jetzt nicht erzählen, man habe sich über den Herrn Minister beschwert, weil er keine Ahnung von der Verteidigungspolitik besäße? Das können Sie mir nicht weismachen – der Mann ist Unteroffizier der Reserve, der wird sich bei der Bundeswehr doch wohl auskennen.“ „Weeß ick“, antwortete der Alte, „weeß ick doch. Jebirgsjäjerbatalljong. Aa det is ja nich der Punkt.“ Und wieder genehmigte er sich einen der größeren Schlucke aus der Pulle.

„Det issn Hallodrikus. Schon, wie a inne Wüchtschaft is jesessn – det Famijenuntanehm, wo a sso lang jearbeet hat, det hats ja nie jejehm. Hats nie jejehm! Fürn Fuffsja Jrips, un denn hätta sich det Ding aus Lehm jebackn. Aa wenn eena etepetete is, denn denkta jar nich an.“ „Das war in der Tat unbedacht“, nickte ich. „Aber keine Ahnung vom Geschäft?“ „Ehmt. Aa wenna det richtig inne Jrütze kloppn will, denn machta det sso, als hätta würkich Ahnung vons Janze. Un denn jreifta voll danehm, weil a det eene Mal det Ding richtich drehn will.“ „Sie sprechen doch jetzt von dem Bericht, den er doch gelesen haben soll, obwohl er sich nicht daran erinnern kann.“ „Nee, det hatta ja zujejehm, wie det nich mehr ze vatuschn war.“ „Also von der Entlassung des Generalinspekteur? Knille, jetzt reden Sie doch nicht um den heißen Brei herum, davon wird’s doch nicht besser!“

Fast konspirativ sah der Orgeldreher mich an. „Er hat det bessa machn wolln, als wie det jedacht war. Könnse Ihn noch besinn, wie det anfing? ‚Ick sahre ma so‘, hatta doch jesacht jehabt, ‚det is ja keen Kriech, aa fürn nationalen Sprachjebrauch sahrick ma, det is eena.‘ Ham die doch jebrillt, det kanna nich sahrn, det is ja jar nich seine Befugnis, un mitten Jrundjesetz passt det ooch nich – jroßa Fehla.“ „Ja, das war nicht besonders elegant gelöst“, gab ich zu. „Man hätte das doch vorsichtiger machen können.“ „Sahrick doch. Aa war a uff’n Kien? Denn hatta de Malessen von wejen den Jeneral. Jrundlos kündijen hätta solln, aa mussta wieda Fisimatenten machn. Lästich!“ „Weil er das Dienstrecht missachtet hat, meinen Sie?“ „Ehmt. Nu denkense sich det ma inne Wüchtschaft. Sachta Kaiser: ‚Knille‘, sachta, ‚ick will Ihn nu nich länga hörn, un Ihr ff. Jeorjel könnse sich an’n Hut schraum. Jehnse mit Jott!‘ Kann ick nüscht untanehm.“ „Das ist eben so“, bestätigte ich ihm, „das gehört in einem demokratischen Staat dazu.“ „Un denn ssweetet Ssenarjo: wird der Kaiser ze Rumpelmann sahren, det ick ’n olla Stänkafritze wär. Sie, da klahre ick! Det darfa ja nich!“ „Und darüber soll der Freiherr stolpern? Über eine Lappalie?“ „So hätt ja keener wat jesacht. Aa wenn Truppe uff Truppe schießen dhut?“

Er schnalzte genüsslich mit der Zunge, während er wieder den Leierkasten ankurbelte. Und noch lange hörte ich, wie der alte Knille die Orgel tuten, pfeifen und quinquilieren ließ, während er mit rostiger Stimme sang: „Freut Eu-heuch des Le-bens, Groß-mut-ter wird mit der Sen-se ra-siert!“