Lebensecht

4 02 2010

„Sie hier?“ „Und nicht in Hollywood“, kalauerte Siebels, ließ sich in den Regiestuhl fallen und fingerte nach seinem Kaffeebecher. „Hatten Sie nicht einmal gesagt, Sie würden nie eine Seifenoper drehen? Und jetzt sehe ich Sie hier? Beim Dreh von Rosen des Schicksals?“ „Wenn schon, denn schon!“ Der Meister der Fernsehunterhaltung grinste. „Schließlich ist das das Flaggschiff auf der deutschen Mattscheibe.“

Der dickliche, grauhaarige Darsteller des Schreibwarenhändlers Benno Beutler sah in Wirklichkeit noch viel dicklicher aus und hatte noch weniger graue Haare als auf den Fotos in der Programmzeitschrift. Dafür fluchte er wie ein Droschkenkutscher, dass seine TV-Gattin penetrant nach Knoblauch roch. Siebels seufzte. „Immer dasselbe. Er weiß doch genau, dass er die nächsten 800 Folgen noch abdrehen muss. Scheidung ist nicht drin.“ „Aber die Serie ist doch für ihre wirklichkeitsgetreue Darstellung berühmt“, wandte ich ein, „was spräche denn dagegen, dass Beutler seine Frau verließe?“ „Die CDU.“ „Die CDU? Was hat denn die CDU in einer Seifenoper zu suchen?“ „Raten Sie doch mal, wer die Drehbücher schreibt. Bei den Privatsendern wäre ja vieles einfacher, aber hier im Öffentlich-Rechtlichen, da müssen wir ein bisschen aufpassen in moralischen Fragen.“ „Licht ist noch okay“, brüllte der Beleuchter, während das Continuity-Girl dem Taxifahrer die Zigarette in der Mitte durchschnitt. „Damit kein Anschlussfehler passiert“, informierte mich Siebels, „sonst hat sie in einer Szene eine halb aufgerauchte Kippe, und in der folgenden Einstellung ist sie wieder neu. Wobei uns diese Einflussnahme auf das Drehbuch schon vor große Herausforderungen stellt.“ „Die EU mit ihren Rauchverboten?“ Siebels verzog schmerzlich das Gesicht. „Die Regierung hat uns dazu noch die Tabakindustrie auf den Hals gehetzt. Jetzt muss in geraden Nummern geraucht werden.“ „Wo ist das Problem?“ „Wenn jemand mit brennender Zigarette aus der Badewanne auftaucht, führt das zu leichten dramaturgischen Verwerfungen.“ „Und was machen Sie dann?“ „Wir lassen im Hintergrund eine brennende Zigarette qualmen“, gab der Produzent zurück, „laut EU gilt das schon als Rauchen.“

„Was soll das jetzt werden?“ Die beiden Arbeiter räumten eine verwahrloste Kulisse mit Bierflaschen voll und verstreuten Dreckwäsche über den ramponierten Möbeln. „Das sind unsere beiden Langzeitarbeitslosen“, teilte Siebels mir mit. „Die Junge Union war sehr daran interessiert, dass die jungen Leute innerhalb einer einzigen Folge alkoholabhängig waren.“ Ich war entgeistert. „Die haben versucht, Sie zu beeinflussen?“ „Keinesfalls, man hat uns nur daran erinnert, dass die Serie für ihre wirklichkeitsgetreue Darstellung bekannt sei. Und Herr Koch hat es sich nicht nehmen lassen, uns persönlich einige kleine Aufmerksamkeiten zu senden. Dabei sind wir gar nicht beim ZDF.“

„Mein Sohn? Diese Schande!“ Herbert Holm zerlegte das Wohnzimmermobiliar in überschaubare Stücke. Seine Frau riss sich die Perücke Strähnchen für Strähnchen aus. „Ist er…“ „Schwul?“ Siebels guckte mich über den Rand seiner Brille hinweg an. „Nein, er hat nur den Kriegsdienst verweigert, und das in einem katholischen Elternhaus. Dafür wird er in einer der kommenden Folgen zur Strafe in einen bewaffneten Konflikt mit einigen Islamisten verwickelt, wie es das Bundesinnenministerium bestellt hatte. Was das andere angeht, die FDP hat schon für 1,1 Millionen Euro einen schwulen Hausarzt in die Besetzung reinschreiben lassen, die CDU dringt jetzt darauf, dass er Kinderpornografie sammelt, weil er durch eine perfide Bekanntschaft aus den Tiefen des Internet angefixt wurde – bei der Hausdurchsuchung raubt er einem Polizisten die Dienstwaffe und schießt sich mehrmals in den Hinterkopf, damit es so aussieht, als habe ihn der Beamte ermordet. Nach einer längeren Diskussion mit Herrn Bosbach haben wir uns darauf geeinigt, dass er nicht auch noch zwischendurch das Magazin wechselt. Es würden sonst Probleme mit der Beleuchtung auftreten.“

Während der Familienvater sich eine Dose Bier einpfiff, blätterte ich im Skript der Schmonzette. „Und das hier soll die geistig-politische Wende der Medienpolitik darstellen?“ Siebels lachte meckernd. „Geistig-politische Wende? Ich würde das eher Realsatire nennen.“ Der Fachmann für farbenfrohes Flimmern bekam einen stechenden Blick. „Sie glauben doch wohl nicht, dieses Rührstückchen oder irgendeine andere Sendung auf diesem Kanal sei politisch unabhängig? Haben Sie sich nie gewundert, warum in jeder Talkshow das Pack von der INSM hockt und Ihnen einredet, unter einer Million im Jahr seien Sie ein Sozialschmarotzer? Ist Ihnen nie aufgefallen, dass Journalisten plötzlich verschwinden, wenn sie Roland Koch oder Jürgen Rüttgers sattelfest nachweisen konnten, dass sie gelogen haben? Na, klingelt’s bei Ihnen? Das einzige, wo Sie klar erkennen, dass es Propaganda ist, sind die Wahlwerbespots. Da redet Ihnen keiner ins Drehbuch rein, und die Zuschauer wissen wenigstens, dass sie das Gewäsch nicht zu sehen brauchen.“

Herbert Holm riss die Tür auf und torkelte in die Dekoration. Er mimte den Betrunkenen. „Unsere Super-FDP“, lallte der Malermeister, „die steckt’s den Hoteliers und den Ärzten hinten und vorne rein. Aber wir vom Handwerk, wir sind die Dummen.“ Voller Entsetzen blickte ich Siebels an, aber der beschwichtigte mich. „Das ist in Ordnung. Das hat die CSU genau so bestellt.“