Reise nach Jerusalem

11 02 2010

„Das kann man doch nicht mehr mit ansehen! Das hält man doch nicht mehr aus im Kopf!“ „Verstehen kann man’s schon, aber dass die Kanzlerin gleich so radikal durchgreifen will – ich finde, das passt gar nicht in ihr Konzept.“ „Hatte sie je eins?“ „Ha, wie witzig! Sagen Sie mir lieber, wen ich vorschlagen soll.“ „Keine Panik, die Wahl ist erst am 9. Mai!“

„Stellen Sie sich das nicht zu einfach vor; das sind nur noch drei Monate, und Sie wissen genau so gut wie ich, dass der Wähler sich sehr schnell noch mal umentscheiden könnte.“ „Wir können die Leute ja schließlich nicht bis in die Wahlkabine verfolgen, oder?“ „Darum sollte es auch organisch eingefädelt werden. Zielorientiert.“ „Sage ich doch, das nimmt man der Merkel nie ab.“ „Das Organische?“ „Nee, dass sie mal zielorientiert ist.“ „Meine Güte, ich kann Ihr ewiges Geunke nicht mehr hören! Suchen Sie sich doch einen anderen Job, wenn Ihnen die Bundeskanzlerin nicht mehr passt!“ „Warum sucht sie sich nicht einen, mit dem sie nicht überfordert ist?“ „Oder einen, bei dem sie sich nicht ständig blamiert.“ „Schluss jetzt! Unsere Zielvorgabe ist klar: einen Minister zum Prügelknaben machen und vom Hof jagen, damit die christlich-liberale Krisenregierung wieder laut auftreten kann, ohne zu stolpern.“ „Das stand echt so im Briefing?“ „Das Gejammer wollen Sie gar nicht hören.“

„Guttenberg können wir ausschließen.“ „Weil er der aufgehende Stern am Unionshimmel ist? der Kanzler der Zukunft?“ „Die Wirtschaftskompetenz ist es, oder?“ „Ach was, weil er als erster Klartext geredet hat über den Kriegszustand, na? Stimmt’s oder habe ich Recht?“ „Alles Quatsch. Er ist ein Stümper, aber die Schmalzlocke sichert bei den Wählerinnen zehn Prozent.“ „Und qualifiziert ihn?“ „Nicht ganz, das ist die halbe Miete. Er kommt aus Franken, wir wollen das nicht vergessen.“

„Ja, das wird schwierig. Köhler?“ „Wie, den Bundespräsidenten?“ „Blödsinn – die Köhler.“ „Diesen Graukeil aus Hessen? Was haben Sie denn gegen die?“ „Nichts, was wirkt.“ „Sie hat doch noch keinen Fehler gemacht.“ „Das liegt daran, dass sie noch gar nichts gemacht hat. Die ist doch mit dem Hintern…“ „Wo Sie’s gerade erwähnen!“ „Aber aus Hessen, das ist sehr wichtig.“ „Das gilt aber auch nur für die CDU.“ „Und für die kleinen Fische.“ „Kleine Fische?“ „Weil’s Koch egal ist.“ „Ach, dass sie den nicht zum Minister gemacht hat! Mensch, wenn man Roland Koch rausschmeißen könnte…“ „Leute, jetzt mal ernst! Wir können uns nicht mit jedem Dorftrottel befassen!“ „Also auch nicht mit Ramsauer?“ „Der hat doch noch gar nicht gemerkt, dass er in Berlin ist.“ „Am Wetter hätte er es merken können.“ „Hähä!“ „Wo wir gerade vom Wetter reden…“ „Pofalla?“ „Was wollen Sie denn mit dieser Fußhupe?“ „Fußhupe?“ „Ja, der hat doch so was Pinschermäßiges.“ „Ich dachte immer, der holt den Schaumstoff aus dem Kanzleramtskeller, wenn die Merkel mal auf den Tisch hauen will.“ „Wieso Pofalla?“ „Weil er jetzt schon das richtige Opfergesicht hat.“ „Hat oder ist?“ „Wo wäre der Unterschied?“ „Ob er es auch verdient hat.“

„Wir sollten doch vermehrt in den Reihen des Koalitionspartners suchen, ob wir hier nicht fündig werden.“ „Wieso denn die FDP?“ „Gucken Sie sich doch mal diese Belegschaft an. Nebel, Prösterle, das sind doch alles Schlumpfdarsteller, die Sie mit faulen Kartoffeln totschmeißen können, bevor sie aufwachen.“ „Und wen sollen wir dann nehmen, wenn nicht mal eine Vollnulpe wie die Köhler…“ „Wo Sie es gerade sagen…“ „Meine Güte, jetzt spucken Sie’s schon aus!“ „Ulla Schmidt!“ „Hä?“ „Welche Drogen nehmen Sie denn?“ „Guten Morgen und herzlich willkommen in der Realität.“ „Wieso, was ist denn?“ „Haben Sie denn noch nie etwas von dem Rösler gehört?“ „Die Frage sollte eher sein, ob Sie schon einmal etwas Vernünftiges von ihm gehört haben.“ „Kommt immer darauf an, ob Sie Vorstand eines Pharmaunternehmens oder gesetzlich Krankenversicherter sind.“ „Also?“ „Könnte eher so die klassische Schlusslichtposition sein.“ „Der etatmäßige Watschenmann?“ „Das wäre aber nicht leicht zu kommunizieren.“ „Wie meinen Sie das?“ „Nun, Sie wollen ein Baueropfer. Aber die Kanzlerin will, dass der Unfähigste ausscheidet. Die Reise nach Jerusalem, verstehen Sie?“ „Wenn die Musik aufhört, hat einer verloren?“ „Bingo.“

„Röttgen?“ „Der Mann denkt nach, bevor er etwas sagt.“ „Das ist ja der Haken.“ „Aber deshalb gleich…“ „Außerdem hat er ein klares Profil. Das kann man dem FDP-Personal nicht nachsagen.“ „Aber gegen Ulla Schmidt…“ „Ruhe jetzt!“

„Dann sehen Sie sich einmal die Kardinalfehler an: keine Spur von Souveränität, eine Luftnummer auf nationalem und internationalem Parkett, viel Geschrei und Getöse und keine Folgen, keine Kompetenz für Fiskalpolitik, die Belange der Wirtschaft sind nicht berücksichtigt, weil die Kenntnis der Grundrechenarten offenbar eine unüberwindliche Hürde darstellt, eine geradezu lächerliche Pressearbeit, die im Angesicht des Abgrundes hysterisch nach mehr kopfloser Hektik blökt – und zu allem noch dieses Schmierentheater um die Hotelspenden.“ „Moment, Sie meinen doch nicht im Ernst – nein, das kann ich nicht glauben!“ „Wie das denn, der Mann ist doch staatstragend!“ „Meinen Sie?“ „Zumindest der Geschäftsordnung nach.“ „Selbst wenn man korrupt bis auf die Knochen ist, sollte man über Takt, Geschick und Intelligenz verfügen, wenn man nicht absaufen will. Und Sie wollen doch nicht ernsthaft behaupten, Guido Westerwelle besäße etwas davon?“