Gernulf Olzheimer kommentiert (XLIV): Halbwissen

12 02 2010
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Nicht alle Menschen können schwimmen und nicht allen gereicht diese Unkenntnis zum Nachteil – wenngleich es wesentlich wahrscheinlicher ist, während einer Überschwemmung sein Leben zu lassen, als durch Unfähigkeit zur topologischen Kombinatorik den Löffel abzugeben. Der Mensch sortiert, schließlich hatte die Evolution Beiwerk wie Rechtswissenschaft, Pädagogik und Philosophie noch nicht im Pflichtenheft, und tatsächlich ist mancher, der heute einen Aushilfsjob als unterste Schublade abgekriegt hat, glücklicher dran, wenn er dem Lochfraß im Schädelrund freien Lauf lässt. Es ist möglich, der kognitiven Durchschnittsbegabung im Limboschritt zu entwischen, und es macht den also gearteten Hominiden nicht einmal unglücklich, solange er Gas und Bremse grob unterscheiden, den Glasgegenstand um das Bier herum ohne großen Blutverlust öffnen und sein Erbgut weiterreichen kann. Eine friedliche Koexistenz in den wenigen Augenblicken, in denen man diese Primaten mit Personalpapieren nicht mehr ausblenden kann, wäre möglich, hätten sie nicht einen folgenschweren Fehler begangen. Sie wollten dazugehören. Sie haben es versucht. An uns bleibt es hängen.

Eins nur ist noch gefährlicher als Unwissen – das Halbwissen, der Todfeind von Aufklärung und Geist. Wer immer sich dem Thema Zivilisation von der Unterseite her nähert, versteht schlagartig, dass zahlreiche Kulturtechniken kognitives Vermögen erfordern; ebenso schlagartig geht diese Erkenntnis jedoch auch wieder verloren, und mit nassforscher Treuherzigkeit hebeln die Nachtjacken, deren genetische Dropouts gabelähnliche Gegenstände zum Irrwitz werden lassen, forstwirtschaftliches Großgerät durch die unschuldigen Koordinaten der Existenz. Den alltäglichen Kleinkram, Kochen, Kindererziehung, Schusswaffengebrauch, lernen sie aus dem Nachmittagsprogramm im Unterschichten-TV, weil Blanchieren und Ballern ja so leicht ausschauen, wenn die Onkels mit dem anwesenden IQ das erledigen. Aber ach, mundus vult decipi, und da haben wir den Salat: es scheitert an Feinheiten.

Im Kleinen ist es noch amüsant, wenn etwa das Personal aus der Riege mit Optimierungsbedarf die Mär vom eisenhaltigen Spinat für bare Münze hält, Arbeitgeberbeiträge als Geschenk der Brotherren preist oder Kolonien als Absatzgebiete fordert; man sieht’s mit leichter Heiterkeit, bevor man zu den wichtigeren Dingen übergeht. Unschön wird es, ginge der Bekloppte dazu über, seinen Nachwuchs mit Nitrit zu stopfen und ihm volkswirtschaftliche Knalldeppereien einzuflößen.

Denn der intellektuell seitlich leicht eingedellte Torfschädel ist nur unterwegs, um sich selbst und anderen maximalen Schaden zuzufügen. Er reibt die Brandwunden, die er sich aus reiner Dusseligkeit zugefügt hat, nach jahrhundertealten Hausrezepten mit absurden Substanzen ein, stellt die Finanzen komplett auf Flaschenpfand um und sucht die ganz große Blamage, wenn er bei der Zehn-Euro-Frage elend abschrammt. Dabei hält er sich selbst noch für einen Experten, der die aus kurzen Wachphasen in der Klippschule memorierten Grundregeln spielend aufsagen kann – keinen gelben Schnee essen, den Tankfüllstand nicht mit dem Streichholz kontrollieren, Steuersenkungsversprechen penetrant salbadernder Nervensägen für glaubwürdig halten – und bei günstigen Umgebungsvariablen bisweilen auch befolgt. Halbwissen reicht, der Rest ist Kür.

Aber es bleibt nicht dabei. Wird das Halbwissen erst aus der Perspektive des Beharrens betrachtet (der Halbwisser weiß ja zu wenig, als dass er auch noch sein Halbwissen kapierte), so entdeckt der partiell Beknackte vermeintliche Vorzüge seines halbgaren Hirnlottos: Vorteile durch Vorurteile. Was er als Instant-Intelligenz der beliebig griffbereiten Tüte entnimmt, muss wahr sein – folgerichtig fasst er sich Herz und Meinung vor, um mitzupaddeln im Tümpel der Halbschwimmer. Er fühlt sich im Recht und spürt, wie die sozialen Integration ihn am Stammtisch ereilt und die Lektüre gewisser schimpansenkompatibler Postillen erleichtert, die das Werk an den Teilverblödeten zu vollenden sich anschicken mit Papstpropaganda, Untertanengetön und Tittenbildern. Ist er dort angekommen, wo er erst nach längeren Qualifizierungsmaßnahmen geistig wieder auf dem Niveau wäre, um als Materialreserve für einen Zimmerbrand zu arbeiten, schlägt er selbst hartgesottene Abergläubige, Esoteriker und anderweitig verspulte humanoide Chromosomensätze. Was analytisch funktioniert, spielt er analytisch kaputt; seine Herangehensweise an logische Operationen ist ein vollwertiges Äquivalent zum Hirntod. Wo er hindenkt, hilft keine Hoffnung mehr. Und man kann nur rätseln, wann er sich beim Versuch, durch Null zu teilen, in die Luft sprengt. Darwin setzt sich wahrscheinlich durch, früher oder später, wenngleich auf entnervend langfristige Art. Bis dahin tröstet uns nur der Anblick von Elektrozaunpinklern, die die Bremsen ihres Kraftfahrzeugs gerne in Eigenregie heile schwiemeln. Man gönnt sich ja sonst nichts.


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4 responses

12 02 2010
Morla

„Wo er hindenkt, hilft keine Hoffnung mehr.“

Ich kann mir nicht helfen, aber irgendwie erinnern mich Ihre Beschreibungen an manche RednerInnen im Bundestag und natürlich auch an so manchen elitären Kommentator bundesdeutscher (Welt-)Blätter.

12 02 2010
bee

Ja, der Verdacht liegt nahe – momentan marschiert ja schneidig die Riege der Bildungslückenbüßer aufs Glatteis, um sich eine Blamage in Haltungsnoten abzuholen. Es scheint, als sei alles, als sei sogar Halbwissen noch perfektionierbar.

Ich glaube, da muss ich Herrn Olzheimer demnächst mal auf politisches Parkett schicken. Er wird es mir nicht danken, da er ja zunächst Kulturkritiker ist, aber nach einem erheblichen Besäufnis werde ich ihm diesen Beitrag wohl abluchsen…

13 02 2010
Morla

Wieso ist ein „Kulturkritiker“ nicht auch für die politische Welt zuständig? Schließlich gehörte schon in der Antike politeia zum kulturellen Lebensgefüge.

Also, helfen Sie dem Herrn Olzheimer auf die „Sprünge“. Ich bin sicher, er wird an der Erweiterung seines Spektrums gefallen finden.

13 02 2010
bee

Er hat letztens einen schwachen Magen – ich brühe ihm demnächst mal Kräutertee auf, damit er sich ein bisschen beruhigt und Zeit hat für eine messerscharfe Analyse 😉

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