„… mit mehreren Bombenattentaten im Großraum Wiesbaden. Bitte benutzen Sie die rechte Fahrspur, lassen Sie Platz für die Panzerkolonnen und erschießen Sie im Falle einer anlassunabhängigen Durchsuchung zuerst Ihre Kinder. Auf der A2 wird in den späten…“ Bormann gab Gas. „Wenn man sich auf den Verkehrsfunk verlässt! Dabei wollten wir längst da sein!“ Die Kasseler Berge zogen an den Seitenfenstern vorbei. Noch war es hell. Warum hatte man mir im Hauptquartier nicht gesagt, wohin wir fuhren? Hatte sich Professor Fricke wieder in Schwierigkeiten gebracht?
Im wehenden Kittel lief uns der Neurologe entgegen. „Kommen Sie gleich herein“, rief er, „sie ist noch nicht wieder fertig.“ Wovon sprach der Mann überhaupt? „Ja, sie ist eben noch nicht wieder fertig. Wir brauchen sonst nie so lange, aber heute schlägt einfach nichts an.“ Da führten sie die beiden Pfleger in den Saal. Sie schlurfte gebeugt über den Linoleumboden. Das Gesicht hing ihr im Gesicht herunter, die Arme pendelten willenlos. Man hätte sie nicht in einen Hosenanzug stecken müssen, damit sie als Kanzlerin kenntlich geworden wäre.
Professor Fricke war besorgt. „Es bessert sich nicht. Seit Tagen dieser Zustand, ich weiß schon gar nicht mehr, wann es endlich wirkt.“ Die Regiererin blickte verschwommen in den Raum hinein. Ihre Augen fixierten einen Punkt, der kilometerweit hinter der Wand lag. „Blöcher“, befahl der Arzt, „stimulieren Sie die Patientin.“ Der Pfleger tat, wie ihm geheißen; er versetzte ihr einen kräftigen Schlag auf den Hinterkopf. Die Kanzlerin durchfuhr ein Ruck. Sie begann, hin und her zu schaukeln und plapperte leise vor sich hin. „Wir sind in Europa als Europäer, die heute. Den amerikanischen, den alliierten Piloten, die wir in Deutschland. Ohne einen Missbrauch gibt es keine dauerhafte, kann es keine dauerhafte, europäische. Dessen wir uns jetzt in der Zusammenarbeit auf wirtschaftlichem und politischem Gebiet, auch und gerade unter der, und das müssen wir als die Europäer, die hier als Europäer in Europa als Europäer…“ „Sie faselt“, konstatierte ich. „In den ersten Stunden ist das völlig normal“, beruhigte mich Fricke. „Aber sie hat sich jetzt seit Wochen nicht mehr im Griff. Das sind langsam Alarmzeichen. So geht das nicht!“ Ich begriff nicht gleich. „Warum haben Sie sie denn eigentlich hier? Die übliche Entscheidungsunlust?“ „Einmal das“, nickte Fricke, „und dann müssen wir sie ein bisschen nachjustieren.“
Die Kanzlerin hatte wieder begonnen, vor sich hin zu brabbeln. „Herausforderung im Kampf gegen, Demokratie ist, wenn nicht, so doch in einem weiteren Sinne jedenfalls nicht ohne eine vernünftige Ernährung. Wenn wir heute die Frage ausblenden, dessen Vertrauen wir genießen, hätte auch Europa, das wir als europäische Europäer zu dem Europa, dessen große Chancen in der Krise, wo ich nicht nur den Unrechtsstaat DDR, und das ist nicht erklärt, meine Damen und Herren, in Sorge und Zweifel für die Boni unserer Manager, denen wir, weil eine glückliche Zukunft, dem wir in Faschismus und Krieg so oft, auch an Weihnachten oder wenn es ein besonders schöner Frühlingstag ist.“ „Blöcher, bitte.“ Der Helfer teilte einen sauber platzierten Kinnhaken aus. Das Blut lief ihr aus der Nase. „Wir müssen alle Opfer bringen“, bemerkte Fricke trocken. „Wir müssen zu einer gemeinsamen Lösung finden.“ „Halleluja“, jubelte der Doktor, „jetzt hat Sie’s! Blöcher, die Tabletten.“ Er verabreichte ihr zwei kleine Kügelchen, die sie widerstandslos schluckte. „Wir sind uns der großen Verantwortung für den deutschen Binnenmarkt bewusst.“ Ich sah Fricke spöttisch von der Seite an. „Na, das grenzt ja fast an Wahlkampf.“
Die Pfleger zogen die Kanzlerin hoch und führten die Taumelnde quer durch den Raum. Sie konnte sich kaum auf den Beinen halten und knickte fortwährend ein. „Sie sprachen vom Nachjustieren – glauben Sie nicht, Sie könnten eine medikamentöse Einstellung parallel zum normalen Tagesgeschäft durchführen?“ Fricke runzelte erstaunt die Stirn. „Sie haben es wohl nicht verstanden? Wir eichen hier die Bundesregierung. Wir betrieben hier eine Feinabstimmung. Sonst fliegt doch der ganze Laden auseinander.“ Eine Feinabstimmung. „Natürlich eine Feinabstimmung. Wir halten uns an das Inhaltsabstandsgebot.“
Er zeigte mir das wirkliche Geheimnis: das Pflichtenheft. „Unsere Bedienungsanleitung für die Koalition, wenn Sie so wollen. Sehen Sie? ‚Weiter so, nur lauter.‘ Und jetzt passen Sie mal auf.“ Die Kanzlerin hatte inzwischen etwas Sicherheit gewonnen, eine festere Stimme, einen geraden Blick. „Das ist nicht meine Wortwahl.“ Fricke war begeistert. „Na, das nenne ich mal Leben in der Bude!“ „Und der Abstand – wie sagten Sie, heißt das?“ „Inhaltsabstandsgebot – die Äußerungen des Vizes müssen intellektuell immer unter denen der Kanzlerin sein. Sonst gäbe es ja für die Kanzlerin keinen Anreiz mehr, so zu tun, als wäre sie die Regierung, verstehen Sie?“ „Hm. Wenn der Außenminister sich nun öffentlich zu Wort meldet, welchen Anreiz hat er dann?“ „Gar keinen“, erwiderte Fricke, „er ist ja nur der Außenminister. Sie haben das doch noch nicht so ganz kapiert, oder?“ In der Tat schien die Sache etwas verworren. Ich nahm das Röhrchen zur Hand. „Und das lassen Sie die Regierung schlucken?“ Fricke wiegelte ab. „Ach, eigentlich vertragen es alle ganz gut. Bis auf den Außenminister.“
Satzspiegel