Verantwortungs-Los

18 02 2010

„Und das würde Ihrer Ansicht nach wirklich funktionieren? Also ich wäre da ja skeptisch.“ „Alle ungewöhnlichen Ideen sind am Anfang als nicht realistisch belächelt und teilweise deshalb bekämpft worden; insofern ist das gar nichts Neues.“ „Aber Sie müssen doch zugeben, dass das nicht nur etwas völlig Neuartiges ist, sondern eine Umwälzung, die unser Verständnis von Politik mit ihrer…“ „Nein, das sehen Sie falsch. Nicht von Politik. Sondern unser Verständnis von Staat.“ „Meinetwegen, aber ist das nicht dasselbe?“ „Sehen Sie, und genau da liegt der Hund begraben. Das ist der Punkt.“

„Warum meinen Sie denn, dass dies Verfahren den Staat ändern würde?“ „Weil es eine völlig andere Form von Macht etablieren würde.“ „Aber das ist doch verboten! Wir leben hier in einer Demokratie, man kann doch nicht einfach die Demokratie abschaffen!“ „Wer hat denn etwas von Abschaffen behauptet? Wir verändern sie nur. Wir führen eine neue Form der Demokratie ein. Eine Basisdemokratie.“ „Und Sie meinen, dass das auch in der Praxis funktioniert? Wie stellen Sie sich das denn vor – einfach so den Bundestag gegen den kleinen Mann von der Straße ersetzen?“ „Genau. Mit einem Losverfahren. Wir segnen nicht mehr irgendwelche Listen ab, den uns die Parteien vor die Nase hängen, wir wählen aus unserer Mitte die Vertreter des Volkes.“ „Per Losentscheid?“ „Die einzige Form von Wahl, die den Namen verdient.“

„Wie stellen Sie sich das vor? also praktisch, wie sollen wir denn überhaupt so viele Kandidaten für dieses Parlament bekommen?“ „Indem Sie als deutscher Staatsbürger registriert sind.“ „Das ist doch aber wirklich nicht verfassungskonform.“ „Was meinen Sie, wie man zum Wahlhelfer ernannt wird?“ „Hm. Da kann man sich wenigstens wehren, wenn wichtige Gründe dagegen sprechen.“

„Was halten Sie eigentlich von Politikern?“ „Politiker? Gehen Sie mir bloß ab – dieses dumme Pack, den Hals kriegen sie alle nicht voll, keiner von denen hat etwas Ordentliches gelernt, die haben doch die Arbeit auch nicht erfunden, und dann kriegen sie alle hinten und vorne noch das Geld reingesteckt und wollen es nicht offen legen und kriegen die dicken Pensionen und Dienstwagen und fliegen umsonst und bescheißen mit Bonusmeilen und lassen sich schmieren und – faul, korrupt und machtbesessen, was wollen Sie denn noch hören? Denen ist es doch völlig egal, was wir hier machen, haben Sie es je erlebt, dass sich ein Politiker schon einmal für das Leben außerhalb des Elfenbeinturms gekümmert hätte?“ „Und warum haben Sie Zweifel, dass man die Zustände verbessern könnte?“

„Aber Sie müssen dann auch berücksichtigen, dass es nicht mehr genug Kompetenz gibt, um die parlamentarische Arbeit zu machen.“ „Kompetenz? Was fehlt denn Ihrer Ansicht nach? Was haben denn Politiker gelernt?“ „Ja, Politik natürlich. Ist das denn kein Studienfach?“ „Was glauben Sie, lernt man in Kunstgeschichte Malen?“ „Nicht? Was sind denn die Politiker?“ „Das Drittel der überflüssigen Juristen, die es nicht zu einer sauber laufenden Anwaltskanzlei bringt. Arbeitslose in einem Job als Vollzeitschmarotzer.“ „Echt? Hm. Aber wenn man alle Politiker gegen Volksvertreter auswechseln würde, was würde das bringen?“ „Zum Beispiel mehr Aufrichtigkeit.“ „Aufrichtigkeit?“ „Sicher, stellen Sie sich vor, Sie sitzen im Bundestag, hören eine Rede zu einer der vielen Gesundheitsreformen, und da schwatzt der Redner von Kostendeckelung, Arbeitsplatzsicherung, demografischer Schieflage, was würden Sie da denken?“ „Hm.“ „Und was würden Sie sagen, wenn Sie wüssten, das ist eine bezahlte Tröte der Pharmafirmen, die Ihnen erklärt, dass die Großaktionäre 400% Rendite erwarten?“

„Aber Sie müssen sich doch auch einmal klar machen, welche Tragweite so eine Entscheidung hätte.“ „Wir wollen doch hoffen, dass sie es hat.“ „Ich meine, Sie müssen sich doch mal überlegen: Sie werden aus dem Adressverzeichnis ausgewählt, und dann sollen Sie solche Fragen beantworten? Ist das denn realistisch?“ „Und was meinen Sie, wie in den Vereinigten Staaten die Geschworenen in Mordprozessen gewählt werden, um über die Anwendung der Todesstrafe zu richten?“ „Da kann man sich das ja denken, das ist ja nicht so richtig eine demokratische Staatsform.“ „Demokratie ist keine Staats-, Demokratie ist eine Machtform.“ „Und was ändert das?“ „Dass wir dasselbe Verfahren auch benutzen. Schließlich wird auch unser Staatsoberhaupt auf diese Weise gewählt – und Sie wollen doch wohl nicht behaupten, das sei ein undemokratischer Prozess?“

„Also werden die Abgeordneten im Bundestag demnächst zufällig ausgewählt?“ „Gut möglich. Man sollte vielleicht die Größenverhältnisse der Bundesländer noch berücksichtigen, aber das geht bestimmt analog der Wahlkreise.“ „Und dann kann man die Besetzung dem Bevölkerungsdurchschnitt entsprechend bestimmen?“ „Natürlich. Was meinen Sie, was man aus dem Datenspeicherwahn der Bundesregierung alles machen könnte, was die Bundesregierung so alles gar nicht haben wollte.“ „Und das wollen die Leute?“ „45% der US-Bürger meinen, man sollte Kongressabgeordnete per Zufall aus dem Telefonbuch nehmen. Sie haben die Nieten und die Lobbyisten gründlich satt.“

„Ob ich – also ich meine, wenn man sich jetzt rechtzeitig – das wäre zu überlegen… meinen Sie, wenn man sich jetzt…“ „Was wollen Sie? sich bewerben?“ „Naja… dann wäre doch wenigstens die Altersvorsorge geklärt.“