„Das wird man uns nie abnehmen.“ „Haben Sie eine bessere Idee?“ „Ich habe überhaupt nicht vor, das mit Ihnen zu diskutieren – der ganze Gedanke ist doch hirnrissig!“ „Dann überlegen Sie doch mal genau: wenn alles andere Feind ist, wer ist dann in der Minderheit? Na?“ „Ja, Sie haben ja Recht.“ „Natürlich habe ich Recht. Wenn sich Geschichte wiederholt, dann als Farce, und was der Große Vorsitzende alles nicht gelernt hat, wird ihm auch nicht aus der Klemme helfen. Es ist aus.“
„Was lässt Sie so sicher sein, dass es wieder dieselben Umstände sein werden wie damals?“ „Weil sich dieser Typus nicht ändert. Er wird etwas inszenieren, das wie ein Mordkomplott aussieht, auch wenn jeder weiß, dass sich kein anständiger Killer an ihm die Finger schmutzig gemacht hätte.“ „Warum denn?“ „Um im Mittelpunkt zu stehen.“ „Aber das tut er doch jetzt auch, Sie sehen es doch selbst.“ „Nur nicht so, wie er es sich denkt – als Mythos, als ewige Geistgestalt über den Liberalen, die…“ „Neben Möllemann?“ „Statt Möllemann.“ „Na, das wird schwierig. Der hat doch noch nie einen neben sich geduldet.“ „In der Hinsicht sehen sie sich eben auch ziemlich ähnlich.“
„Aber jetzt denken Sie mal ganz logisch nach. Er springt aus dem Fenster oder schluckt Tabletten in der Badewanne…“ „Das glauben Sie doch wohl selbst nicht.“ „Nicht originell genug?“ „Das Foto wäre nicht reißerisch genug.“ „Na gut, dann eben ein Autounfall bei 200 Sachen. Dann ein paar Tage Spekulationen, und auf einmal tauchen wie aus dem Nichts die Tagebücher auf. Meinen Sie nicht, dass das ein wenig unrealistisch wäre?“ „Was ist an Guido Westerwelle denn bitte realistisch?“ „Auch wieder richtig. Aber es müsste doch jemand etwas gemerkt haben.“ „Wer, was, wie gemerkt?“ „Sein Lebensgefährte, der Bruder, irgendein Mitarbeiter.“ „Wieso sollten die etwas merken?“ „Na, man lässt es mal offen liegen, erwähnt mal am Biertisch einen Gedanken, was weiß ich.“ „Ein solches Dokument doch nicht! Das wird gut verschlossen verwahrt, im Safe, im Schließfach, im Geheimversteck.“
„Ganz ehrlich, mir ist das alles zu gruselig. Und überhaupt, was wollen Sie denn in die Westerwelle-Tagebücher reinschreiben?“ „Alles.“ „Alles? Wie, alles?“ „Was man ihm eben so zutraut. Skandale, Spenden, finstere Machenschaften, Erpressung, den Mord an Möllemann…“ „Jetzt übertreiben Sie aber! Das nimmt einem doch kein Mensch ab.“ „Können Sie das Gegenteil beweisen?“
„Es würde doch aber eigentlich ein politisches Testament ausreichen, oder?“ „Wie kommen Sie jetzt darauf? War Westerwelle Reichskanzler?“ „Offiziell nicht.“ „Ein politisches Testament, das hinterlässt man, wenn man die vage Hoffnung hat, dass es irgendwie so weitergehen könnte, wie man sich das vorgestellt hat.“ „Oder wenn man nicht mehr alle Tassen im Schrank hat.“ „Das eine muss ja das andere nicht ausschließen.“ „Das eine kann ja auch der Grund für das andere sein.“ „Mein Reden. Aber warum sollte er sonst die Notbremse ziehen, wenn er wüsste, dass es so weiterginge.“ „Da ist etwas dran.“ „Und deshalb kein Testament.“
„Und was schreiben wir da rein? Also jetzt mal ganz konkret. Da muss doch etwas drinstehen.“ „Die ganze Geschichte. Wie er wurde, was er war.“ „Aber das weiß doch jeder, das steht doch auch in seiner Autobiografie.“ „In der Trallala-Version.“ „Gibt es eine andere?“ „Die spaßfreie.“ „Ohne die Schuhe mit der 18?“ „Mit den Schuhen mit der 18 und mit der Erklärung, was sie bedeutet.“ „Bitte, Sie werden das doch nicht glauben, dass – glauben Sie das etwa?“ „Hauptsache, es wird geglaubt.“
„Und Sie wollen die ganze Geschichte neu aufrollen? Mit Westerwelle als dem Superschurken im FDP-Universum?“ „Erraten. Er wird der Joker. Die ewige Grinsebacke. Das Riesenarschloch, das die Hauptrolle spielen will, ganz egal, in welchem Film.“ „Aber das ist doch nicht ansatzweise realistisch, und das wissen die Leute doch auch.“ „Meinen Sie? Was genau wissen Sie über den Mann eigentlich? Und wenn Sie nichts wissen, woran liegt das?“ „Weil er nur aus Oberfläche besteht?“ „Eben. Und er ist nicht einmal eine besonders originelle Figur. Alle hier haben sich seit Jahren hemmungslos bedient, alle haben sich gegenseitig Pöstchen zugeschoben und haben in die Kasse gegriffen und haben gelogen, betrogen, erpresst, bedroht, unterschlagen, veruntreut, hinterzogen, genötigt, geheuchelt, und weil jeder wusste, dass der andere wusste, dass noch ganz andere davon wussten, fiel es nicht auf und flog es nie auf.“ „Sie meinen, es war… es ist eigentlich auch egal, dass er er ist?“ „Er ist nur das Produkt unserer Gesellschaft: jeder für sich, scheiß auf die anderen.“
„Und wenn jemand die Echtheit anzweifeln sollte?“ „Dann sind wir alle als Zeugen da. Jeder von uns wird sich und alle anderen ganz schnell reinwaschen. Wir sind alle Opfer gewesen. Er wird ganz schnell der Sündenbock sein für alles, was man je an Dreck und Verbrechen finden wird.“ „Sie meinen, man wird es glauben?“ „Es wird nur diese Geschichte geben. Sie werden sich daran gewöhnen und es für die Wahrheit halten.“ „Und wir?“ „Die Nachwelt? Wir werden weiter in die Kasse greifen, nach oben umverteilen und von großartigen Versprechungen leben, die wir leider wegen unserer Koalitionspartner nie werden in die Tat umsetzen können.“ „Hm. Gut, ich sehe es ein. Wir müssen wohl.“ „Dann bringen wir es hinter uns. Und vergessen Sie nicht: er wurde nicht als Vorsitzender der FDP abgewählt, wir teilen ihm nur mit, dass er freiwillig zurücktritt. Wenn ihm sein Leben lieb ist.“
Satzspiegel