Milde Akkordeonklänge säuselten durchs Foyer. Klootjohann stieß mich neckend in die Seite. „Na“, fragte er keck, „das ist doch der rechte Sound für unser Unternehmen, meinen Sie nicht auch?“ Ich wandte ganz langsam den Kopf. „Kein Wunder“, antwortete ich mit mildem Spott. „Ich hätte hier auch sofort etwas mit Quetschkommode assoziiert.“ Das hätte ich wohl besser gelassen, denn er war schon drauf und dran, das alte Lied mitzusingen. Wem Gott will rechte Gunst erweisen, trällerte ich innerlich, den schickt er in die Wurstfabrik.
Wurst um Wurst fluppte aus der Maschine und sank plätschernd in den Brühkessel. „Das ist ja nur das Standardsortiment“, informierte Klootjohann mich. „Wir haben unsere Produktion jetzt ganz auf neue Wurstideen umgestellt. Der Kunde will das so. Das ist der Zug der Zeit.“ Ob der Zug aus Fischwurst bestand oder vielleicht aus Leberwurst, deren Zutaten nicht von unwissenden Blinden zusammengeschüttet wurden? „Keinesfalls!“ Mein Begleiter verwahrte sich heftig. „Die Erzeugnisse müssen sich ja auch nicht unbedingt komplett vom Gewohnten unterscheiden. Schauen Sie mal.“ Damit zupfte er ein kleines Säckchen aus der Maschine, das an einem Faden baumelte; am anderen Ende hing ein Papierschildchen. Es roch säuerlich. „Das ist doch das Zeug, das einem am Frühstücksbüfett angedreht wird.“ In Erinnerung an vertrocknete Schmierwurstportionen schüttelte ich mich. Klootjohann war verwundert. „Erkennen Sie denn nicht?“ Worauf wollte er bloß hinaus? „Tee-Beutelwurst – Sie können hier oben am Etikett zupfen und fetten sich nicht mehr die Finger ein!“
Weiter ging es durch die Fertigungshalle. „Der Kunde“, belehrte mich Klootjohann, „möchte heute eine differenzierte Auswahl haben. Das fängt bei den einfachsten Produkten an!“ Die Apparatur säbelte Scheiben von einem endlosen Wurststrang herunter. Er griff in eines der Behältnisse hinein und zog ein Stückchen Aufschnitt hervor. „Ein Huhn“, konstatierte ich. „Genau“, bestätigte der Metzger. „Diese Sorte beinhaltet – unter anderem – Hühnerfleisch. Genauer gesagt: wir haben hier vier Prozent Geflügel in der Mischung, von denen vier Prozent Huhn und Hühnernebenprodukte sind.“ „Das leuchtet mir ein.“ Tatsächlich konnte ich sofort etwas mit der Intarsienwurst anfangen; der stilisierte Gockel auf der Wurstscheibe sprach mich sofort an. „Sollte man aber nicht eher einen Hühnerfuß oder ein paar Hähnchenschnäbel in diesen Aufschnitt reinpacken?“ Klootjohann schüttelte den Kopf. „Das gäbe große Probleme mit dem Verbraucher. Lebensmittelrechtliche Probleme! Wir können das nicht machen.“ Warum denn nicht? „Man könnte es mit Putenaufschnitt verwechseln.“ Das war plausibel. „Lassen Sie uns weitergehen“, drängte ich, „bevor ich mir noch Ihre Bärchenwurst ansehen muss.“
Der braungraue Brät im Mischgerät sah aus wie verquollener Haferbrei mit Speckstückchen. „Das täuscht!“ Klootjohann triumphierte. „Das täuscht, weil in dieser Halle überhaupt kein Fleisch verarbeitet wird. Hier fertigen wir ausschließlich vegane Wurstspezialitäten, eine völlig neuartige fleischlose Fleischwurst. Toll, oder?“ „Das klingt gewöhnungsbedürftig“, bemängelte ich. „Aber wir erschließen der Wurst damit neue Konsumenten und sichern ihr neue Absatzmärkte.“ Sträubelmann zog Proben aus dem Wurstbrei. „Was ist denn das weißliche Zeug da“, fragte ich. „Feinbackware in Mineralwasser vorgeschwemmt“, gab der Fleischer zurück. „Hoch bindungsfähig ohne Fleischfaser und künstlichen Speckfettzusatz, wir haben darum die Mischung nicht nur im fleischlosen Bereich zum Einsatz gebracht, sondern bedienen uns ihrer auch in der Normalproduktion der Frikadelle in der…“ „Und jetzt wollen Sie sicherlich auch unsere anderen Produkte kennen lernen“, drängte sich Klootjohann dazwischen.
Direkt nebenan schossen Pflanzenschnitzel in einen Bottich. „Das fleischlose Sortiment hat ja noch mehr zu bieten.“ Ich schnupperte. „Weißkohl. Das also ist Ihre berühmte Kohlwurst?“ Er schüttelte den Kopf. „Bis letztes Jahr war das noch unsere Kohlwurst, jetzt haben wir sie in die neue Kombi-Palette überführt. Ein großartiges Ding!“ Ich blickt auf die Verpackungen, die das Laufband in langen Bahnen aus der Fertigungshalle schob. „Würstchen und Kraut“, las ich. „Genau“, stimmte Klootjohann zu, „beides in einem Produkt – das nenne ich mal eine gelungene Verbindung. Und es ist tatsächlich das, was draufsteht.“ Ich schnupperte. „Dann ist das, was da hinten so entsetzlich qualmt, die Rauchwurst?“
Der große Kasten stampfte. Chromblitzend führten Rohre hinaus, das eine gleich nach nebenan in die Bratstraße, das andere durch die Decke in einen anderen Saal. Drinnen quirlte und schleuderte es, die Masse klatschte in der Trommel hin und her. „Hier geht’s also um die Wurst“, mutmaßte ich. „Ganz recht“, bestätigte er. „Hier entscheidet sich die Zukunft der deutschen Qualitätswurst.“ Und was wird hier getrennt, was nicht zusammengehört? „Wir trennen hier die Rost-“ – er zeigte auf den einen Weg, der zur benachbarten Maschinerie führte, dann auf den anderen, der sich gegen den Plafond entfernte – „und die Restbratwurst.“ Wir schwiegen ergriffen. „Aber Sie müssen von der ganzen Wurst ordentlich Appetit bekommen haben. Wollen Sie nicht einen Happen essen? Ich lade Sie ein, drüben in die Kantine der Konservenfabrik. Empfehlenswert!“ Ich war etwas erstaunt. „Na, die würden nie etwas von uns verwenden.“
Satzspiegel