Wischiwaschi

23 03 2010

Der Frühling zog langsam ein, bald würde man nicht mehr Schnee fegen, sondern Pollen. Ein Blick auf den Kalender bestätigte mir meine Vorahnung: es würde knapp, jetzt noch alle Freunde für ein Festtagsmenü zusammenzubekommen. Ich stellte die Kaffeetasse auf den Schreibtisch, schritt in die Küche und fand Hildegard über einem Stapel von Aufsatzheften. „Was hältst Du davon“, schlug ich leichthin vor, „wenn wir Ostermontag…“ Sie hob nicht einmal den Kopf. „Du wäschst ab.“

Aus baustatischen Gründen verträgt die Küche keine Geschirrspülmaschine. Da es sich um meine Küche handelt, kann ich, wenn überhaupt, auch nur leisen Protest anmelden, und selbst hier muss ich zur Kenntnis nehmen, dass die Betonung meist auf dem Anmeldevorgang liegt. Allerdings hält das Hildegard nicht davon ab, für ihre Ess- und Trinkgewohnheiten Besteck und Geschirr in rauen Mengen zu verschmutzen. Kaffeetassen pflastern ihren Weg, wenn sie am Wochenende zwecks Marktbesuch, Briefkastengang und mehrmaliger Ausflüge auf den Balkon die Wohnung verlässt und hinterher eine neue Tasse aus dem Küchenschrank nehmen muss, Löffel inbegriffen, denn sie trinkt ihren Kaffee schwarz. Sonnige Nachmittage, deren Geräuschpegel sie manchmal unentwegt zwischen Arbeitszimmer und Altan pendeln machen, führen rasch zu dem Gedanken, dass auch eine kurzfristig angeheuerte Spülhilfe mit dem 24-teiligen Service nicht mehr rechtzeitig fertig würde, wenn meine Beste einen Anfall von Porzellanmangelsyndrom erlitte. Böse Zungen behaupten, ich hätte nicht alle Tassen im Schrank. Aber was soll ich tun, wenn sie nicht den Löffel abgeben will.

Nun wäre es nicht halb so problematisch, lüde ich mir eigene Gäste ein. Das Verhältnis zwischen meinem Freundeskreis und Hildegard ist einerseits von Befremden, milder Ironie und leiser Furcht geprägt, andererseits von kalter Ablehnung. Jonas treffe ich nur aushäusig, Reinmar hält sie nervlich nicht aus. Ich koche für ihre Kolleginnen, deren Männer vormittags absagen – hartnäckig vermute ich, sie sitzen bei einer guten Flasche Wein um den Tisch und ziehen Streichhölzer; der Gewinner darf anrufen.

„Wir könnten diesen chilenischen Feuertopf machen oder ein Hammelragout“, schlug ich vor. Hildegard war verärgert. „Ich kann nichts dafür, dass Du Deine Suppentassen immer auf den Boden schmeißt!“ Sie hatte Recht; als ich vor einiger Zeit einen großen Topf mit Kartoffel-Lauch-Suppe gekocht hatte, aß sie am Nachmittag und bis in den späten Abend hinein immer noch ein bisschen vom allmählich erkaltenden Eintopf, genauer: sie füllte sich ungefähr einen Esslöffel voll davon in eine der siebzehn Suppentassen ab, die von den dreimal sechs übrig geblieben waren – es war der letzte Geburtstag gewesen, den Hildegard noch unter Nennung des wahren Alters gefeiert hatte, und zwar in meiner Wohnung, wobei sie es sich nicht hatte nehmen lassen, mir die verbleibende Tasse aus der Hand zu schlagen, so dass sie (die Tasse, nicht Hildegard) auf dem Küchenboden zersplitterte. Die Spüle stand voller Suppentassen, so dass ich noch nachts den Abwasch machen musste. Hildegard hatte es abgelehnt, für nur einen Löffel Suppe gleich einen tiefen Teller zu verschmutzen.

Die Krise weitete sich aus. Kaum hatten wir uns auf einen einzigen Hauptgang geeinigt, ließ sie ihre Abneigung gegen Suppen spüren. Als sei nur Suppe geeignet für einen einzigen Gang, weil man sie in einem einzigen Topf kochen und in einer Tasse servieren könne, wobei sie auch nur ein einziges Teil an Besteck forderte. Zur Auflockerung erfand ich aus dem Stegreif das Patchwork-Essen, eine Weiterentwicklung der Bottle-Party mit anderen Mitteln: der Gastgeber bereitet die Speisen zu, Geschirr und Besteck jedoch bringen die Gäste nach Lust und Laune mit. Hildegard stichelte, ich sei zu geizig, ihren Gästen Pappteller zu kaufen. Einen kurzen Augenblick lang hielt ich es für einen passablen Scherz, ich fand mich jedoch in die raue Wirklichkeit zurückkatapultiert, als sie zunächst aus Teegläsern Kaffee trank (die Küchenspüle stand schon wieder voll), dann aber ein Großgebinde an Einwegtassen aus geschmacksneutralem Kunststoff – die Geschmacksneutralität bezog sich offenbar nur auf das Design – in die Küchenecke stellte.

Als ich vor ihren Augen eine Porzellantasse umspülte, abtrocknete und auf den Küchentisch stellte, verlor Hildegard die Contenance. „Das wirst Du bereuen“, presste sie wutentbrannt hervor. Da sie unmittelbar danach anfing, ihre Kolleginnen zum Essen einzuladen, wurde mir klar, dass es sich um keine leere Drohung gehandelt haben sollte. Eine weitere Verhandlungsrunde über Essen auf Rädern, im Karton gelieferte Pizza und Salatboxen aus dem Schnellrestaurant endete in ihrer Ansage, nie wieder meinen Kaffee aus meinen Tassen in meiner Wohnung zu trinken; eine Sekunde lang freundete ich mich mit diesem Gedanken an. Auch die Tatsache, dass Hildegard einen immensen Sack voller Umrührstäbchen durch die Wohnung trug, so dass ich schon nach einer knappen Stunde wieder die Dielenbretter unter den aus dem Riss in der Folie quellenden Plastestäben entdeckte, machte mich seltsam entschlossen, der Sache ein Ende zu bereiten. Schon hielt ich zwei Tassen in der Hand, zögerte jedoch, sie auf die Fliesen zu pfeffern.

Die Stimmung in Bücklers Landgasthof war gelöst, bis Hildegard den von mir geladenen Gästen die Augen öffnete. Ich sei mir nicht zu fein, für sie zu kochen; ich sei mir zu fein, für meine Gäste abzuwaschen.