Da kann ja jeder kommen

31 03 2010

„Das hat doch alles keinen Sinn! Das sehe ich doch jetzt schon, wie das ausgehen wird! Das wollen Sie mir doch nicht weismachen! Guten Morgen, Herr Doktor!“ Holtzmann war mächtig erregt, als er mich vom Eingang abholte. Er schritt kräftig aus und gestikulierte wild mit dem Armen. „Das ist ja vielleicht ein verrücktes Wetter heute“, rief er, wobei er sich plötzlich zu mir umwandte und mir mit dem ausgestreckten Zeigefinger auf die Brust stach, „nein, widersprechen Sie mir nicht! Das muss man noch in aller Deutlichkeit sagen dürfen, dass es draußen regnerisch ist! Wo kämen wir denn da hin? Ich frage Sie!“ Ja, ich war richtig hier. Dies also war das Ausfällige Amt.

„Wir mussten das irgendwann mal administrativ zusammenfassen. Hier Westerwelle, da Sarrazin, diese Kakofonie kann doch nicht lange gut gehen! Wir brauchen eine Regierungsstelle, die den ganzen Populismus koordiniert und endlich für einheitliche Ausdrucksweise sorgt – man merkt ja an jedem Wort, dass Sie von der ganzen Angelegenheit überhaupt keine Ahnung haben!“ Offensichtlich eine Berufskrankheit, denn während wir uns im Besprechungszimmer niederließen, hieb Holtzmann schon kräftig mit der Faust auf die Tischplatte ein. „Und Sie ordnen jetzt das populistische Getöse?“ Er nickte heftig. „Es kann doch nicht angehen, dass in diesem Land – lassen Sie mich ausreden! das muss in dieser Schärfe jetzt wirklich einmal ausgesprochen werden – jeder einfach so seine Meinung äußert, und dann entspricht das nicht gängigen politischen Standards, das geht ja nun wirklich nicht. Das wird man wohl noch verlangen dürfen!“ Ich bat um Entschuldigung, dass ich mich in den Sessel setzte, den er mit angeboten hatte („Wenn Sie meinen, dass Sie hier die ganze Zeit stehen können: das läuft so nicht!“), zog ein Papier hervor und blickte mich im Raum um. „Eigentlich hatte ich erwartet, dass Ihre Behörde nach dem Wahlkampf wieder geschlossen würde – Personal ist ja teuer und man kann die Leute sicherlich viel sinnvoller einsetzen als ausgerechnet hier – aber nun sehe ich Hochbetrieb.“ „Das kann ich Ihnen erklären. Ich habe es ja gleich gewusst! Diese ganze unsinnige Sozialstaatsdebatte, statt man mal das Urteil der Verfassungsrichter umsetzen würde, und auch dies hysterische, jawohl! ich nenne das komplett hysterisch, und Sie können mir nicht sagen, dass mit Terrorgefahr und Personalausweisen mit Chips und Nacktscannern oder – jetzt lassen Sie mich doch mal ausreden, Sie wissen doch gar nicht, worauf ich hinaus will!“

„Sagen wir mal so: Sie bestimmen doch jetzt auch zum Großteil die öffentliche Kommunikation der Bundesregierung mit.“ Holtzmann widersprach nicht. „Und trotzdem muss man immer noch feststellen, dass das in der Öffentlichkeit so nicht wahrgenommen wird. Das ist aber einzig und allein auf gewisse Interessen der Medien zurückzuführen, weil wir…“ Das Telefon klingelte. Holtzmann bellte in den Hörer. „Nein, Herr Bosbach, das geht jetzt nicht. Ich kann Ihnen das auch gerne zweimal sagen: Sie hätten diese Polemik nicht nötig, wenn Sie es vielleicht für nötig erachten würden, mir zuzuhören. Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass Sie Ihre Interessen vertreten, ich vertrete meine!“ Er hieb das Sprechgerät in die Halterung zurück und zuckte mit den Schultern. „Herr Bosbach wollte mich zu Mittag in die Amtskantine einladen mit Frau von der Leyen und Herrn Rüttgers, aber ich esse mittwochs nun mal Stullen.“

Glatt rasierte Beamte mit mächtigen Aktenordnern unter dem Arm schlängelten sich aus den Zimmertüren, stießen auf den Korridoren zusammen, schrien aneinander unbeherrscht an und gingen abrupt weiter. Hier und da hob einer im Rausch moralischer Entrüstung den Zeigefinger, drohte einem imaginären Widersacher und verstummte ebenso plötzlich wieder, um den Gang zurück zu tappen. „Man sagte uns natürlich aus der Opposition nach“, wandte Holtzmann ein, „das hier sei ja alles bloße Theorie – übrigens ist das ein billiger Vorwurf, wenn Sie sich nur ein wenig mit der Materie beschäftigt hätten, wären Sie darauf gar nicht gekommen – und wir haben unser Personal dann auch sofort nachgeschult. Sie werden hier jetzt erstklassig beschimpft, angeschnauzt und auf Wunsch auch mit billiger Polemik – aber was erzähle ich das Ihnen, mit diesen fadenscheinigen Ablenkungsmanövern kennen Sie sich ja bestens aus, Sie und Ihre feinen Freunde!“ „Ist ja gut“, wehrte ich ihn ab. Doch er hatte sich schon fast nicht mehr unter Kontrolle. „Außerdem ist das schon rein verwaltungsrechtlich gar nicht machbar, was Sie da erzählen – sind Sie überhaupt Jurist? Warum gebe ich mich dann mit Ihnen überhaupt noch ab? Haben Sie sich denn mal Gedanken gemacht, was das den Steuerzahler im Jahr, und ich sage hier ganz bewusst, unterbrechen Sie mich gefälligst nicht, wenn ich, das muss ich an dieser Stelle, und ja, das muss auch gerade hier – jetzt lassen Sie mich doch mal!“ Ich hielt ihm den Mund zu. Er ruderte wild mit den Händen. „Holtzmann“, knurrte ich, „Schluss jetzt mit dem Firlefanz! Was soll denn das alles hier? Wozu veranstalten Sie den Zauber eigentlich?“ Er schluckte. „Damit Sie nichts merken.“ Ich blickte ihn fragend an. „Sie haben richtig gehört. Die Regierung berät über Steuererhöhungen, den Bundeswehreinsatz im Inneren, Internetsperren und Sicherheitsgesetze – und Sie sollen sich damit nicht belasten. Sie können sich auf das Geschrei in den Medien konzentrieren.“ Er atmete erleichtert auf. „Das musste mal gesagt werden.“