Gernulf Olzheimer kommentiert (LV): Fernsehserien

30 04 2010
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Ist das Tagwerk vollbracht, sinkt die Sonne, so sehnt sich der sozial eingebundene Mensch nach Muße, weil er ahnt, dass nach dem Hahnenschrei dieselbe Grütze kommt wie jeden Tag – dann doch lieber ein paar Stunden lang vergorene Früchte ins Hirn bembeln, bei Schummerlicht die letzten Zuckungen des Tages genießen und sich fallen lassen. Früher kam noch der Barde und erzählte in einem der beliebten abgeschlossenen Romane, wie Opa seinerzeit die roten Beeren gefunden hatte, mit denen sich das halbe Dorf hernach über die Wupper begab – bis zum Verlust der Muttersprache gehört, doch immer wieder spannend durch eine Nuance im Duktus des Erzählers, der den Drang der Mannen nutzte, sich fremdbestimmt durch die Freizeit zu schaukeln. Genau hier setzt das zivilisierte Grauen ein, das allabendlich aus der Glotzkiste in mehr oder weniger unschuldige Resthirne suppt. Der Bekloppte will es so, weil er es nicht mehr anders kennt. Und umgekehrt.

Längst ist die Fernsehserie, eine den übelsten Infektionskrankheiten gleichziehende Massenplage, zur Geißel der Bevölkerung avanciert. Der Horizont der Bildröhrlinge verengt sich unter dem Einfluss dieses geistigen Tischfeuerwerks zusehends, die Flimmerapparatur bietet, wenn überhaupt, frei Haus Valium fürs Volk. Wohin man umschaltet, die Serie ist schon da; jeder Widerstand ist zwecklos, das Glotzvieh wird gründlich assimiliert. Die Sache ist so interessant wie ein Quadratmeter Asphalt bei mittlerer Sonneneinstrahlung: die Claims sind abgesteckt, wer sich einmal in den Quadranten verirrt hat, findet ohne fremde Hilfe nicht mehr hinaus. Klinikärzte, Pfarrer und Anwälte, bisweilen noch überkandidelte Werber oder Privatdetektive bestimmen das Realitätssurrogat, mit dem sich Millionen von Mattscheibenjunkies regelmäßig die Dröhnung geben – aus Schmierkäse geschnitzte Witzvorlagen, die mit der Wirklichkeit ungefähr so viel zu tun haben wie eine Feuerschutzsirene mit Musik. Sie walzen Genreklischees breit, die passende Auskleidung für den Flach-Bildschirm, ein Abklatschteppich, unter den sich so gut wie jeder Schmarren kehren ließe.

Als wäre der audiovisuelle Arztroman mit dem edel-hilfreich-guten Doktor noch nicht blöd genug für die Beknackten, schwiemeln Drehbuchschnitzer auch noch überflüssiges Fabulierwerk zusammen, spannend wie ein leerer Pappkarton, dafür auf die ewig gleiche Herde von Darstellern gepappt, die staffelweise als eine wie keine den Harry in die Schnarchbaldklinik beimern. Gute Seifen, schlechte Seifen, im Sturm der roten Rosen hat längst die Fortsetzung der Fortsetzung fortgesetzten Horrors das Regiment übernommen. Die Daily Soap, ein der Verarbeitungskapazität angepasster, schnell zu kauender Alltagsbrei, mit dem der im 24-Stunden-Rhythmus sich wieder konfigurierende Verstand auf das Niveau eines lethargischen Schimpansen zurechtgestutzt wird, sie weicht der Telenovela, der vorläufig bittersten Niederlage menschlicher Kultur vor den Profitmaximierungsstrategien einer seelenlosen Kotzkastenbeschickungsindustrie, denn hier wird der zivilisierte Citoyen auf dem Sofa der perfidesten Zumutung ausgesetzt, wenn er via Kommentar sich in den Schädel des lyrischen Ichs, will sagen: der Kackbratze von Protagonist beamen soll, um die Ersatzwelt kreativer Storyschmiede aus eigenem Kopfschmerz zu erfahren. So verdooft, wer nicht das TV-Set von der Brüstung bolzt.

Zudem haben Serien das Widerhakenpotenzial, das eine echte Droge auszeichnet. Sie bestimmen das Leben, pfropfen den Tageslauf in ein Korsett, lassen die Mehlmütze vor dem Elektronenabstrahler zum Kommunikationsvollversager degenerieren, dessen Bedürfnis nach Verständigung bald mit einfach strukturierten Grunzlautkombinationen befriedigt ist. Unvoreingenommene Betrachter meinen wohl, es müsse die Hölle sein, wenn der Gucker während der sendefreien Zwischenzeit vor dem Zifferblatt kauert und mit seiner Restexistenz nicht mehr anzufangen weiß, als sich in einer Warteschleife erledigen ließe. Die Wohlmeinenden meinen wohl, dass erst die verknotete Liebe des Zwergdoktors dem Hell-Dunkel-Rhythmus, den die gesunden Bevölkerungsteile als einen Tagesablauf bezeichnen, so etwas wie ein Orientierungsraster schaffen, das die vom Entwöhnungskasper geplagte Hohlbacke lebensfähig macht – sie meinen richtig, der Proband kann ohne mordendes Sandmännchen nicht einschlafen und verweigert ohne den TV-Koch, der sein grenzdebiles Gebrutzel durch den Äther britzeln lässt, die Nahrungsaufnahme. Er ist in den Stachelhecken des Schemas gefangen und kapituliert schon bei der geringsten Sondersendung zum Vulkanausbruch, denn er muss eine volle Viertelstunde bis zum Showdown der Hormone überstehen. Das schafft man vielleicht ohne Heroin, aber sicher nicht ohne Lindenstraße.

Ganz übel wird es, wenn nicht nur Sicherung oder Sabbelkasten das Zeitliche segnen, wenn nicht die Antenne abwarzt, sondern gleich der ganze Sender. Ohne visuelles Stoffwechselendprodukt ist dieses Sein nicht mehr tragbar; mancher wartet nicht ab, bis das brechende Herz ihn krepieren lässt, er beißt sich selbst die Pulsadern auf. Ist er doch in diesem Moment wenigstens glücklich, weil er weiß, ganz am Ende des Lebens, kurz vor Sendeschluss, zieht noch einmal die Lieblingsserie an ihm vorbei.





Freundschafts-Bande

29 04 2010

„Und heizen Sie dem richtig ein! Ja, immer in die ganz fiese Nummer – hacken Sie richtig auf dem Mann herum. Unterste Schublade. Unmoralisch? Warum soll das unmoralisch sein, wenn Sie ihn als paranoiden Krüppel bezeichnen? Das hat sich Schäuble doch selbst zuzuschreiben. Hätte er sich halt nicht anschießen lassen sollen. Geben Sie ihm ruhig ordentlich Zunder, der ist das nicht anders gewohnt. Immer fest druff!

Klar, das geht. ‚Schuldenwahnsinn‘, das ist gut! Haben Sie noch mehr auf Lager? ‚Der Rollgangster schaufelt die deutsche Ehre in den Gulli‘ – hmja, geht so, haben Sie das eventuell noch eine Nummer gröber? Gott, das ist doch keine Volksverhetzung, das muss der Mann aushalten, er ist schließlich der Bundesfinanzminister. Da machen wir nicht auf Mädchenpensionat. Immer reinhauen, gut so! Haben Sie vielleicht noch etwas zu Griechenland? Och ja, ‚Versager-Kindermädchen‘ ist hübsch, aber auch ziemlich kompliziert. Das versteht dann am Ende wieder keiner so richtig. Hm. Gut, ich denke noch mal darüber nach. Weiter!

Das weiß ich jetzt nicht. Der ‚kriegsgeile Pomadenlackaffe‘ hat mich spontan angesprochen, aber ‚dümmlicher Schleimscheißer‘ hat natürlich auch etwas für sich. Kann man das nicht irgendwie kombinieren? in der Mitte fusionieren? Ja, ich weiß, Sie sind der Ghostwriter. Müssen Sie mir nicht sagen. Aber wir haben den Guttenberg auch schon ein bisschen länger auf dem Radar, das fällt auf fruchtbaren Boden. ‚Der Lügenbaron und sein zwangsengagiertes Zensur-Weibchen‘, hähähä, das ist gut! Breitseite, Mann! Sie sind Ihr Geld wirklich wert! Nee, Dementi und Demenz, das Wortspiel ist doch zu schwierig für die meisten Leute. Das muss man dann auch wieder dem ganzen Präsidium erklären, damit die an der richtigen Stelle lachen, das würde ich dann lieber weglassen. Kleben Sie da noch ein paar diffuse Vorwürfe rein. Dass er zu viel Geld für die Bundeswehr ausgibt. Dass er nicht genug Mittel für die Afghanistan-Mission locker gemacht hat. Dass er keine Berufsarmee will. Ja, ist doch egal, wenn da Widersprüche sind. Die werden alle brav klatschen, und gut.

So zwischendurch kann man das ja mal machen. Die von der Leyen ist jetzt ja gar nicht mehr für das Kindergeld zuständig, deshalb müssen wir uns da trotzdem nicht zurückhalten. ‚Der Mutterkomplex‘, das finde ich gut. ‚Das Celler Loch‘ – ich sag’s doch, Sie setzen zu viel voraus beim Publikum. Sie können denen nicht jede Pointe vorkauen, das geht auf Dauer nicht gut. ‚Evangelikalfaschismus‘ – ja, das hat sehr viel Schönes. Das nehmen wir. Dafür würde ich aber gerne die ‚BDM-Puffmutter‘ in einer entschärften Variante verwenden – nein, das ist mir nicht klar genug, da sind wir wieder zu dicht am Thema Kindesmissbrauch, und das kann man mit der Frau einfach nicht machen. Schon deshalb nicht, weil sie im letzten Wahlkampf gezeigt hat, dass ihr das völlig egal ist.

Meinetwegen den Ramsauer. Ja. So, haben sie? Die Bürger fanden das mit dem Eyjafjallajökull total gut? Also nicht die Asche, sondern das Flugverbot? Kann man den Mann den überhaupt nicht mehr stoppen? Dann eben den Seehofer, diesen – jetzt seien Sie nicht zimperlich, für sein Privatleben wird man sich doch wohl interessieren dürfen? Hatten die in Schleswig-Holstein doch auch schon vorgeschlagen. Na klar, ‚notgeiler Vollhorst‘ geht immer. ‚Weißwurstseppel‘, ich weiß ja nicht. Zu regional, und damit würden wir möglicherweise die bayerischen Parteifreunde auch ungerechtfertigt angehen. Kann ich die Formulierung noch einmal bekommen – ‚Sandkastensozialist‘, das finde ich gelungen. Gut, man könnte es jetzt auch noch etwas schärfer artikulieren, so linksruckmäßig, aber das ist ja auch wieder sehr schwierig, oder? Halt, ich hab’s: wir unterstellen ihm, dass er etwas mit Sahra Wagenknecht hat! Das ist doch der Knaller! Mitfühlender Liberalismus, hähähä – wir wissen nämlich genau, wie weh so etwas tut!

Und dann natürlich die Kanzlerin – nein, schreiben Sie: ‚Die Dame, die sich einbildet, sie sei Frau Doktor Merkel.‘ Bis die das gerafft haben, ist die Wahl im Sack! Das ist doch eine ungeheure Brüskierung, wenn diese Regierungschefin sich vor ihre Minister stellt. Das wird sie bereuen! Wir werden jetzt nämlich sie bloßstellen, indem wir auch dann an der Steuerreform festhalten werden, wenn sie es nicht will! Jawohl! Und wir werden ein ganz böses Gesicht machen, wenn die Merkel als Kanzlerin sagt, dass ihr das völlig egal sei.

Wieso Sparvorschläge? Das war doch vor der Wahl, damit können Sie heute keinen Blumentopf mehr gewinnen – eben, das steht ja auch nicht im Koalitionsvertrag, deshalb kann uns darauf keiner festnageln. Und wenn die Merkel das versuchen sollte, dann werden wir ihr mit dem Bruch der Koalition drohen. Einfach so! Da wird die aber vielleicht geschockt sein, mein lieber Scholli. Das wird ein Heulen und Zähneklappern, wenn sie merkt, dass wir nicht nur nicht regieren, sondern dass wir jetzt gar nicht mehr regieren wollen! Schreiben Sie das mal so, geht das?

Wie immer an die Parteizentrale, ja? Gut, wir erwarten es dann übermorgen, heute ist Herr Doktor Westerwelle sowieso nicht im Haus. Er ist zu einem Freundschaftsbesuch in Berlin, Johannisbeerkuchen essen mit Angie und Horst.“





Zum Schleuderkurs

28 04 2010

„Die Renten sind sicher! Die Renten sind sicher!“ „Eckmann, was ist denn in Sie gefahren? Haben Sie etwas Unrechtes gegessen?“ „Die Renten sind sicher!“ „Jetzt hören Sie aber auf, das ist nicht mehr lustig! Sie sehen doch, wie unsere Kanzlerin sich einsetzt für einen Wahlsieg in Nordrhein-Westfalen, da kann man ja wohl von Ihnen auch ein bisschen Solidarität erwarten.“ „Aber die Renten sind doch sicher!“ „Mein Gott, Eckmann, jetzt platzt mir aber gleich der Kragen – wo sehen Sie denn bitte sichere Renten?“ „Na, in Griechenland.“

„Jetzt mal im Ernst, Eckmann: warum sind Sie noch so fröhlich? Das pfeifen doch die Spatzen von den Dächern, dass die Merkel sich da wieder mal richtig in die – was sage ich denn da, uns! uns natürlich, uns alle hat sie in die Scheiße geritten, dieser uckermärkische Betonklops.“ „Ja, das hat sie schon sehr schön übernommen von dem Kohl.“ „Was?“ „Dies Trägheitsmoment.“ „Jetzt lassen Sie doch diese dämlichen Witze, Eckmann – sie hat uns alle bis auf die Knochen blamiert, weil diese ganze Gurkentruppe doch von Volkswirtschaft keinen blassen Schimmer hat. Die Merkel macht es doch immer wieder auf dieselbe Art falsch!“ „Ist doch auch sehr schön, da muss sie sich halt nicht so viele Fehler merken.“ „Eckmann, das…“ „Ich sehe das förmlich vor mir, wie sie sich an Opel erinnert und an die Deutsche Bank und sich dann sagt: ‚Huch, kaputt – naja, hat ja bei der HRE auch schon nicht geklappt.‘“ „Eckmann, das ist nicht mehr lustig! Sie wissen genau, dass die Griechen sich das selbst eingebrockt haben.“ „Hat doch keiner bestritten. Außerdem kriegen die Brüder ihren ganzen Laden nicht unter Kontrolle. Junge, wenn wir so arbeiten würden, wir wären ja auch innerhalb von ein paar Jahren pleite.“ „Das ist aber keine Entschuldigung. Außerdem hätte die Merkel das sehen müssen, ich meine, der hat man doch keine frisierten Bücher vorgelegt, oder?“ „Das hätte sie gesehen, damit kennt sie sich auch aus.“ „Wieso?“ „Was meinen denn Sie, wie die DDR 1983 die Milliarden von Strauß bekam, da wussten doch auch alle: jetzt ist bald zappenduster.“ „Das wusste die Merkel? Ist ja interessant.“ „Und erst 1989 war die DDR bankrott. Da sehen Sie, wie gut die gewirtschaftet haben.“

„Wenn Sie es vorher schon alles wusste, warum hat sie dann gewartet?“ „Damit es teuer wird.“ „Eckmann, Sie haben doch einen Stich! So blöd ist selbst die Merkel nicht, dass sie seelenruhig…“ „Wer hat etwas von ‚seelenruhig‘ behauptet? Sie hat zugeschaut, wie die Investmentbanker immer mehr Spekulationsmasse gegen Griechenland einsetzen konnten.“ „Eben, aber das ist doch der Wahnsinn! Das macht es doch jetzt so kritisch.“ „Kritisch? Wieso das denn, sie hat doch den Preis sehr gut in die Höhe getrieben.“ „Und da freuen Sie sich noch?“ „Warum nicht?“ „Weil das Land doch jetzt schnellstens wieder finanzmarktfähig werden muss.“ „Wer setzt denn diesen Blödsinn in die Welt?“ „Der Koalitionspartner.“ „Ach, und ich dachte schon, jemand, der etwas von Wirtschaft verstünde.“ „Eckmann!“ „Ist doch wahr. Das sind doch diese Hanseln, die ankommen und sagen: ‚Es wurden mehr Aktien verkauft, als gekauft werden konnten.‘“ „Eckmann, Ihnen ist hoffentlich klar, dass das alles in einer Katastrophe münden wird. Die Hedgefonds werden aus der Sache ordentlich ihre Gewinne rausziehen.“ „Um so besser, wenn es die Deutsche Bank ist.“ „Die Risikoaufschläge gehen durch die Decke, Eckmann – das Ding geht in die Luft! Begreifen Sie es doch endlich, die Spekulanten und die Rating-Agenturen, die jetzt genau das machen, was alle ihnen seit der Kreditkrise längst haben verbieten wollen, die nehmen jetzt das Land in die Zange und lassen es ausbluten. Verstehen Sie, was das bedeutet?“ „Ja, und ich denke, nach menschlichem Ermessen sollte es einigermaßen glatt über die Bühne gehen.“

„Eckmann, ich sage es Ihnen jetzt zum letzten Mal. Wir stehen hier mit der Lunte an einem Pulverfass, und Sie machen auch noch Witze, dass die Kanzlerin…“ „Witze? Mir ist doch auch klar, was gespielt wird. Griechenland wird verramscht. Hier ist nichts mehr zu retten. Das ist wie ein Flächenbombardement. Man weiß zwar, dass es zerstört wird, aber man kann vorher immerhin noch abschätzen, bis zu welchem Grad. Nur wird hinterher niemand sagen können, dass er nicht gewusst hat, was hier abgeht.“ „Und was soll das dann werden? Eine Zerstörung?“ „Wozu? Nein, wir machen das, was die Unternehmensberater immer schon getan haben. Wir fusionieren.“ „Fusionieren? Das ist doch Selbstmord! Wer denkt sich denn so einen Schwachsinn aus?“ „Vermutlich dieselben, die der Merkel die Bedingungen diktiert haben, zu denen sie die notleidenden Banken retten durfte.“

„Und was passiert jetzt?“ „Jetzt wird unsere Mikado-Kanzlerin noch ein bissel warten, und dann wird sie sich bewegen. Bloß nicht zu früh.“ „Zu früh? Sie macht’s doch nur schlimmer, kapieren Sie es endlich! Wenn sie jetzt nicht reagiert, dann…“ „… kriegen wir den Club. Spanien, Portugal, Italien und als Dreingabe Irland. Alles zum Schleuderpreis. Dann haben wir nicht nur Renten wie die Griechen. Dann gehört der ganze Krempel uns. Nennen Sie es europäische Wiedervereinigung. Dann gibt es eine stabile D-Mark, wir haben neue Bundesländer mit Mittelmeerinseln, der Vatikan wird ein Vorort von Altötting, Zeitarbeit kostet nichts, Westerwelle wird in Spätrom dekadenter Statthalter, und ich wette mit Ihnen, Österreich will den Anschluss. Machen Sie Ihr Spiel, Kollege. Ich habe mir Korfu gekauft, aber es gibt noch ein paar Optionsscheine. Alles zum Schleuderkurs. Machen Sie Ihr Spiel!“





Da helfen keine Pillen

27 04 2010

Vorsichtig setzte ich die Schutzhaube auf den Kopf. „Passt perfekt“, lobte Doktor Mierendörfer. „Sie haben einen Pharmazeutenkopf, wussten Sie das?“ Das war mir tatsächlich neu; die einzige Affinität zu jenem Berufsfeld hatte mir mein alter Lateinlehrer bescheinigt, der mir sagte, ich hätte die Handschrift eines Arztes – die Entzifferung einer Klausur über die Menaechmen übernahm ein Apotheker, wie er mir weismachte. Aber denen glaubte ich sowieso nur die Hälfte.

„Schauen Sie sich diese Maschine an. Eine wunderbare Maschine! Sie kann fast drei Tonnen Tabletten am Tag pressen, und sie ist dabei äußerst flexibel.“ Mierendörfer legte einen kleinen Hebel am Steuerpult um. „Jetzt schauen Sie mal.“ Die flachrunden Pillen schienen ein wenig dunkler. Er griff in den Strom der fallenden Ellipsoide und griff sich einige heraus; auf der flachen Hand zeigte er mir die Arznei. „Schauen Sie ganz genau hin – fällt Ihnen etwas auf?“ „Sie sind ein bisschen dunkler.“ Mierendörfer nickte wohlwollend. „Gut beobachtet, und woran liegt das?“ Ich zuckte die Achseln. „Es liegt an der Oberfläche, diese kleinen Noppen werfen Schatten auf die Oberfläche. Nehmen Sie ruhig einmal eine in die Finger.“ Das Ding fühlte sich rau und ungeschliffen an wie Sandpapier. „Das ist sicher erst der Prototyp, habe ich Recht?“ Der Medikamentenmacher krauste die Stirn. „Oh nein! Das Produkt ist vollkommen ausgereift, wir haben es durch eine lange Testreihe geschickt und dabei festgestellt, dass es in seiner Wirkung nicht mehr zu verbessern ist.“ Das aber verstand ich nun nicht. „Versuchen Sie eine“, ermunterte der Doktor mich. „Sie werden es schon finden.“ Doch das Ding ließ sich einfach nicht schlucken – die Pickelchen auf der Oberfläche scheuerten wie Widerhaken. „Sehen Sie? Halswehtabletten! Zwei bis drei Stück, und Sie haben die prächtigsten Schluckbeschwerden!“

Beißende Dämpfe wehten durch die Halle. Es roch wie ein Grillunfall. Meine Augen begannen zu tränen und ich musste unwillkürlich keuchen. „Was ist denn das hier“, japste ich. Mierendörfer reichte mir umgehend eine Wäscheklammer. „Pardon“, näselte er, „sie hätten die hier aufsetzen sollen. Atmen Sie flacher, sonst kommen Sie zu sehr in den Genuss unseres Heiltranks. Sehen Sie den Kessel dort drüben?“ Er führte mich an den Rand eines großen Bottichs, in dem es kräftig blubberte. Blasen kamen an die Oberfläche, denen beim Zerplatzen heiße Dünste entströmten. Ich begriff schlagartig. „Dann muss das hier also Hustensaft sein?“ Der Pharmazeut strahlte. „Sie haben es begriffen!“

Ein altertümlicher Fahrstuhl brachte uns ins Tiefgeschoss. Während die Drahtkabine ratterte, stellte ich mir schon vor, wie es bei der Herstellung von Kopfschmerztabletten zuginge. Der Korb hielt an; ein Glöckchen bimmelte und entließ uns auf einer Plattform, auf dem ein kleiner Pillenautomat stand. Das Ding surrte wie eine Kamera. „Kein Wunder“, klärte Mierendörfer auf, „hier werden ja auch Filmtabletten hergestellt.“ Ein vorsintflutlicher Schalltrichter krönte das Gerät, das unermüdlich einen alten Ragtime vor sich hin dudelte. „Zum Dragieren verwenden wir nämlich nur Schellack.“

Gelbe Kapseln, rote Kapseln, blaue Kapseln – am Ende des Laufbandes fielen die grünen neben den brauen Kapseln in einen Bottich neben den blassrosa-orange-gestreiften Kapseln. „Unsere innere Abteilung“, belehrte Doktor Mierendörfer mich. „Hier haben wir es vorwiegend mit Magen-Darm-Erkrankungen zu tun.“ Ich runzelte die Stirn. „Das hieße ja in letzter Konsequenz, dass Sie Medikamente herstellen, die Krankheiten auslösen. Wie verträgt sich das mit dem Hippokratischen Eid?“ „Ach wo!“ Er lachte hell auf und griff in die bunten Zuckerpillen. „Diese hier beispielsweise machen nur enormes Völlegefühl, wie nach einer zu großen Portion Bratkartoffeln. Ansonsten passiert da gar nichts.“ „Aber das hieße ja letztlich, dass alle diese Medikamente…“ „… Placebos sind“, bestätigte er, „richtig erkannt. Sie haben wirklich einen Pharmazeutenkopf.“ „Und worin besteht dann die Forschung, die Sie hier betreiben? Immerhin sind Sie doch Leiter der Forschungsabteilung, wenn ich mich recht entsinne.“ „Allerdings“, bestätigte Mierendörfer. „Denn nur mit etwas Milchzucker ist es ja in einem Placebo nicht getan. Es braucht Nebenwirkungen.“ „Nebenwirkungen?“ Er nickte.

Ich griff nach einer Packung und zog den Waschzettel heraus. Die Filmtabletten versprachen Übelkeit, Drehschwindel, starke Schweißausbrüche, krampfartige Magenschmerzen und depressive Verstimmung. „Das würde man doch mit zwei Pullen schlechtem Rotwein auch hinkriegen“, sagte ich und rümpfte die Nase. „Aber Sie hätten auch Kopfschmerzen“, trumpfte Mierendörfer auf. „Die macht unsere Tablette eben nicht.“ „Und wozu das alles? Wozu dieser Zauber mit den Wirkungen, die keine sind, und den Nebenwirkungen, die die Hauptwirkungen sein sollen?“ Er faltete die Hände vor dem Bauch. „Schauen Sie“, begann er, „es ist ja so: es wirkt ja doch nichts. Ob Sie die Tabletten nun schlucken oder wegwerfen – alles eins. Und da sollen wir nun (5S,10R)-5-Benzyl-12-hydroxy-2-methyl-9,10-dihydroergotaman-3,6,18-trion und Chinin und andere Stoffe mühsam herstellen, wenn sie doch im Ausguss landen?“ „Aber warum dann die Nebenwirkungen?“ Mierendörfer lächelte feinsinnig. „Wenn es tatsächlich jemand nimmt, muss es die haben – was keine Nebenwirkungen hat, wirkt doch gar nicht, oder? So, und jetzt lassen Sie uns weitergehen. Sie wollen doch bestimmt die neue Rheumasalbe ausprobieren?“





Die Inflationsheiligen

26 04 2010

„Grüß Gott, wie kann ich Ihnen helfen?“ „Ich wollte Sie auf eine neue Vereinigung aufmerksam machen. Vielleicht, dass Sie die noch nicht richtig eingestuft haben.“ „Handelt es sich da um eine gefährliche Gemeinschaft?“ „Ja, absolut! Aber echt brandgefährlich! Da müssen Sie mal sofort etwas tun!“ „Gut, ich nehme das gerne mal für Sie auf. Um welche Sekte geht es?“ „Um die FDP.“

„Sagen Sie, Sie wissen aber schon, dass Sie hier in der Beratungsstelle für Weltanschauungsfragen sind?“ „Freilich, diese Weltanschauung ist ja auch das Problem.“ „Hallo? Wir kümmern uns um Sekten, haben Sie das kapiert?“ „Sicher, da draußen steht’s auf Ihrem Schild, ich kann doch schließlich lesen.“ „Und was wollen Sie hier?“ „Ich hab’s doch schon gesagt, ich möchte Ihnen die FDP anzeigen. Das ist eine ganz gefährliche Sekte, die Sie gut im Auge behalten sollten.“ „Können Sie das auch beweisen?“ „Ich habe hier die Checkliste, die Sie im Internet veröffentlich haben. Es stimmt da fast alles.“ „Lassen Sie mich mal schauen.“ „‚Der erste Kontakt mit der Gruppe eröffnet Ihnen eine völlig neue Weltsicht‘ – genau so ist das bei denen, wenn die einen am Wahlkampfstand mit ihren Parolen zutexten. ‚Mehr Netto als Brutto‘ oder ‚Mehr Elite als Hartz IV‘ oder was die einem versprechen – ganz wirr wird man da im Kopf!“ „‚Das Weltbild ist verblüffend einfach und erklärt jedes Problem.‘ Haben Sie das so empfunden?“ „Allerdings, und das auch: ‚Hier findet man einfach alles, was man vergeblich gesucht hat.‘ Genau so sieht das Parteiprogramm auch aus.“

„Würden Sie sagen, dass diese Gruppe einen Meister oder eine Führerfigur verehrt, die allein im Besitz der ganzen Wahrheit ist?“ „Der Wahrheit? Quatsch, der lügt doch, wenn er bloß das Maul aufmacht!“ „Ja, aber darum geht’s doch nicht. Es geht darum, ob die Gruppe das von ihm denkt.“ „Ja, kann man sagen.“ „Und es gibt in der FDP auch chiliastische Elemente?“ „Das weiß ich nun nicht, ich meine, er war ja schon in Südamerika, da kann er aus Chile etwas eingeschleppt haben.“ „Nein, ich meine, hat er so etwas wie ein Patentrezept gegen den drohenden Weltuntergang?“ „Ja.“ „Und?“ „Was, und – Steuersenkung natürlich.“ „Sonst nichts?“ „Naja, Sozialleistungen müssen gekürzt werden und Löhne und Lohnnebenkosten auch. Aber das dient alles ja bloß zur Steuersenkung.“ „Aber da wären wir ja inzwischen bei der Dogmatik angekommen, oder?“ „Na, sagen wir eher: das ist die Fundamentaltheologie. Hat ja auch etwas mit der Verteidigung vor der Vernunft zu tun.“

„Kommen wir mal zum Selbstbild. Haben Sie bemerkt, dass die FDP sich für erwählt hält?“ „Ja freilich, die sagen immer, dass sie von 15% erwählt wurden. Aber ich glaub’s nicht, da waren doch die Leihstimmen von der CDU dabei.“ „Nein, das Selbstbild!“ „Ich hatte das schon verstanden, Sie brauchen gar nicht so zu schreien! Die haben nur ein Selbstbild. Andere Sachen nehmen die gar nicht mehr wahr.“ „Herrgott, jetzt kapieren Sie es doch! Wie sieht sich denn diese Gruppierung? Halten sie sich etwa für eine Elite?“ „Nein…“ „Dann ist es wohl doch keine Sekte.“ „… aber für eine Partei, die nur für die Elite da ist. Also für die, die so elitär sind, dass sie nicht mehr arbeiten müssen, um das Geld anderer Leute auszugeben.“ „Aha, also doch. Und wenn die anderen nicht mitmachen?“ „Das spielt in dem Zusammenhang keine Rolle. Für die ist die FDP gar nicht da.“

„Gut, nächster Punkt: Realitätswahrnehmung?“ „Hähähä, der war gut! Den merke ich mir!“ „Lassen Sie die Albereien!“ „Pardon, von Realität wollen die nichts wissen. Ich sage nur: zehn Prozent in NRW.“ „Arbeiten sie mit etablierter Wissenschaft zusammen?“ „Nein.“ „Pseudowissenschaftler?“ „Schlimmer.“ „Esoterik?“ „Viel schlimmer. Alles Juristen.“ „Ach Gott!“ „Wem sagen Sie das.“ „Also wird jeder, der mit logischem Denken…“ „Sie müssen bloß mal fallen lassen, dass Sie noch Ihren gesunden Menschenverstand bedienen können, dann sind Sie aber ganz schnell unten durch.“ „Und wie geht man da mit Kritik um?“ „Es gibt keine.“ „Ich meine jetzt natürlich die von außerhalb der Sekte.“ „Ach so, ja. Das Mantra sagt, wer kritisiert wird, hat Recht, weil er ja nur das ausspricht, was die, die ihn kritisieren, in Wahrheit selbst denken.“ „Hä?“ „So habe ich auch reagiert.“ „Und damit wollen die sich von der Masse absetzen?“ „Nein, ganz anders. Da sagen sie, wer nicht genau ihrer Meinung sei, der wäre bloß homophob.“

„Und dann wären da noch die Abgrenzung der Gruppe gegenüber der Welt. Ich nenne Ihnen einige Beispiele, und Sie sagen mir, was Ihnen dazu einfällt.“ „Gerne.“ „Kleidung?“ „Gelber Schlips.“ „Ernährung?“ „Lachshäppchen und Schampus.“ „Eigener Jargon?“ „Sie sagen ‚Elitenförderung‘ zu Steuerbetrug oder ‚Wachstumsbeschleunigung‘ zu Schmiergeldern.“ „Hm. Mussten Sie auch Bücher verkaufen? Kurse? Zeitungen?“ „Versicherungen.“ „Sie mussten Versicherungen verkaufen?“ „Ich musste nicht, man hat es mir nahegelegt.“ „Was für Versicherungen?“ „Krankenversicherungen.“ „Und war um gerade Krankenversicherungen?“ „Weil es da einen Rabatt für FDP-Mitglieder gab. Und da der Konzern Marktführer für Privatversicherungen bleiben wollte…“ „Verstehe.“

„Und? Werden Sie jetzt tätig?“ „Ich weiß nicht. Es scheint so logisch, aber irgendwie… Es fehlt etwas. Dies Wahnsinnige, das…“ „Westerwelle.“ „Gut, Sie haben mich überzeugt. Geht heute noch raus an den Verfassungsschutz.“





Les petits riens

25 04 2010

Es ist, wenn etwas funkelt dort im Sand,
doch meist nicht mehr als Glas in bunten Scherben,
und doch wird es das Licht mit Anmut färben,
das von der Sonne strömt auf See und Land.

In allem wirkt die Wandlung. Wo nichts war,
erhebt es sich gleichwohl auf eigner Schwinge,
ihr Zauber und die Müdigkeit der Dinge
sind ewig, und es bleibt doch wunderbar.





Martje Flor

24 04 2010

für Klaus Groth

Sie schmissen Tisch und Bänke um.
Aus Schwertern stoben Funken.
Sie tasteten um sich herum,
sie krochen und sie lallten dumm,
so waren sie betrunken.

Die Offiziere rauften wild,
sie fraßen und sie droschen.
Der Hof, der war in Qualm gehüllt,
doch ihre Gier war nicht gestillt,
das Feuer nicht erloschen.

Sie plünderten auch gar nicht faul,
es gab kein sichres Fädchen.
Dem Bauern schlugen sie aufs Maul,
die Tochter zerrten sie vom Gaul,
und Martje hieß das Mädchen.

Wie Teufel tobt das Pack so toll,
dass sie den Trinkspruch sage;
allein sie goss den Becher voll,
und Martje sprach: Dat gah uns wol
up unse olen Dage.

Da schwiegen sie. Denn was sie spricht –
und heut noch ist’s im Ohr –
war Mahnung, Warnung und Gericht.
Wer das versteht, vergisst es nicht.
Ihr Spruch war’s, Martje Flor.





Gernulf Olzheimer kommentiert (LIV): Betaisierte Männer

23 04 2010
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Von außen betrachtet zeigt sich die Sache als labil: während der Höhlenbewohner Mammut in transportable Portionen zerlegt, statt selbst von dem Tier aus dem Genpool entfernt zu werden, besucht die Gattin das Fußbekleidungsdepot und langweilt sich zum Sonnenuntergang, weil der Fernseher noch nicht erfunden wurde. Folglich bekommt der Mann neue Pflichten, er erobert goldadernhaltige Kontinente, überwindet reißende Ströme zur Sicherung des Papayanachschubs und darf, in Ermangelung von Stymphaliden, Weberknechte von der Schlafzimmerdecke sammeln. Obwohl diploid, wird der Oberlippenbartträger in seinem Tatendrang zum tragischen Affen, der sich vom Alphawesen in den Hauptdarsteller eines Hieronymus-Bosch-Gemäldes verwandelt – das Leben ein Scheißspiel, die Balance längst gekippt, und je mehr der Mann sich abstrampelt, desto eher wird der betaisiert. Der Underdog wird aus der eigenen Hütte verjagt.

Schon in der Natur sieht der Beknackte, dass sich das Verhältnis zwischen dem schönen und dem unterworfenen Teil der humanoiden Population auf groteske Art fehlentwickelt, wo das Männchen sich breitschlagen lässt, um nicht raumkrümmendem Stress mit der Y-losen Bauform zu erliegen – was in aller Beklopptheit sonst nur die Werbeindustrie dem Jetztzeitler als modisch notwendigen Firlefanz ins Hirn ätzt, hier wird’s lächerliches Ereignis in den schrägen Spielarten des Geschlechtsdimorphismus. Ewigweibliches, das die Alphaposition anstrebt, ist nur der Einstieg zu den Irrwegen einer aus dem Leim geratenen Evolution. Rutenangler schwiemeln sich durch die Tiefsee, das Männchen von marginaler Größe und dem Weibchen am nährenden Bauch festgewachsen, zur Untätigkeit verdammt – kein Kerl, der Flaschenöffner und Glotze bedienen kann, hielte diese entwürdigende Lebensweise einen Tag lang aus. Die Fangschrecke pfeift sich schon während der Nachzucht das Männchen rein. Watvögel und Spinnentiere neigen dazu, ihren Unterleib drastisch zu vergrößern – nicht aus ästhetischen oder bautechnischen Gründen, wie der Gas-Wasser-Installateur vermuten würde, der des Weibchens Bedürfnis kennt, die Nasszelle unter großzügiger Verwendung von Marmor und edlen Metallen zum Zentralpunkt der Plattenbaubutze aufzumotzen, sondern schlicht, um mehr Eier in der Wampe bunkern zu können; ein Verhalten, das der weibliche Humanoide vorwiegend dann zeigt, wenn Balz und Reproduktion eh abgehakt sind und für Monsieur der schwache Trost bleibt, dem anderen Geschlecht allenfalls in der Inkarnation von Bill Kaulitz gründlich ins Gehege kommen zu können.

Der betaisierte Mann wird nicht allein um die Früchte der Phylogenese gebracht, denn diese sind, das Weibchen weiß es ja, zeitweise zu gebrauchen; doch der grunzende Halbprimat, der eben noch gut genug war, tragende Wände mit der bloßen Faust zu beseitigen, darf sich seine neue Rolle als Held ohne Geschäftsbereich im soziologischen Untergeschoss einrichten: als nützlicher Idiot. Als solcher darf er zwar noch ungestraft mit Schlagbohrmaschine, Schwingschleifer und Akkuschrauber umgehen, hat aber ansonsten keine Aktien an der Domina. Egal, wie tapfer er hinfort die Oberfräse schwingt, zur Horizontalgymnastik ist der Tennislehrer zur Stelle, die Blaupause aller Kalkhirne, aber dessen Begehr, bei der Gelegenheit auch gleich seine genetische Konstellation weiterzureichen, erweist sich als frommer Wunsch, den er sich auch in die Haare schmieren kann; dazu ist er nicht privilegiert.

Die letzte Stufe, noch unterhalb des Drohn, der die Bälger bis zur Scheidung aufpäppelt und danach lediglich für sie bezahlen darf, ist schließlich der Frauenversteher, ein gehirngewaschener Knalldepp, der der Maid das triste Dasein durch pure Blödheit verschönert. Er hört sich ihr guantanamotaugliches Gefasel an, berät sie bei Auswahl und Erwerb von Unterwäsche, ohne sie am lebenden Objekt erleben zu dürfen, begleitet sie auf Kulturveranstaltungen, die ohne kulturelles Beiwerk auskommen, kurz: sie verschafft dem Mustermuttersöhnchen die beste Gelegenheit, sich permanent zum Vollhorst zu machen, ohne die Schattenseite seiner verklemmten Psyche mit dem Winkelschleifer an ihrer Garagenauffahrt abzureagieren. Früher oder später ist sie ihn los, weil er depressiv oder, nach dem Durchbrennen der Sicherung, Selbstmordattentäter wird, während sie einen jugendlichen Vorstand-Rambo bereits in seine Nachfolge betaisiert – die Evolution frisst ihre Kinder. Es gibt also nur einen Ausweg, der Mann beharrt auf der angestammten Position und überlässt es Tüpfelhyänen und Kattas, sich als von Alpha-Weibchen geführte Rudeltiere durch die Vegetation kommandieren zu lassen, statt die Wildnis auf eigene Faust zu erkunden. Leider schert er bei dieser Lösung aus dem Masterplan der Population aus, doppelt unschön, da er durch das Absägen des eigenen Astes ja bereits den Fitnesszustand seines Genotyps bewiesen hat – aber da dieser kleine, geschmacklose Planet in ein paar Millionen Jahren sich eh erledigt haben dürfte, kann man es genauso gut vernachlässigen. Als der Mann fürs Grobe tut man es sowieso.





Verbotene Früchte

22 04 2010

Die Situation war nicht mehr hinnehmbar. Die Bürger zeigten kein Unrechtsbewusstsein. Nicht einmal der groß angelegte Kriminalisierungsfeldzug unter Leitung des Bundesinnenministers änderte die Lage. Dutzende, ja tausende Verbrecher ließen nicht von ihren ruchlosen Ernährungsgewohnheiten ab. Es langte; der Gesamtverband Deutscher Obst- und Gemüsebauern forderte die EU zum Kampf auf: Schluss mit illegaler Fruchtzucht in Privatgärten!

Mit Material des Bundeskriminalamts üppig ausgestattet, flankierte die Springer-Presse die Maßnahmen; ganzseitige Anzeigen in BILD zeigten Jugendliche mit Erdbeer- und Kirschmündchen, die Schilder um den Hals trugen: Lump oder Nichtsnutz, ganz so, wie man seit alters Subjekte bezeichnet, die man mit Äpfeln erwischt. Unter der Führung des Bundeswirtschaftsministers zog eine Eingreiftruppe durch die Republik, Birn- und Pflaumenbäume zu fällen. Hier zeigte der Altliberale, was er in langen Parteijahren gelernt hatte: wie man mühsam Gewachsenes ohne Sinn und Verstand kaputt macht, wenn es einer Lobby so passt. Die Gründung des Interessenverbandes für Frucht-Content verlief planmäßig.

Ganz anders die Situation in den Niederungen des Volkes: vereinzelt trieben die Schergen bereits Fruchtpiraten durch die Straßen, Delinquenten, die allem Anschein nach planmäßig Stachelbeeren, Quitten und Haselnüsse in Hinterhöfen zogen – um ein Exempel gegen die (so äußerte sich der Bund Deutscher Kriminalbeamter erschüttert) Nazi-Methoden der Bio-Strolche zu statuieren, musste man einen Bürger verdachtsunabhängig durch die Kölner Innenstadt prügeln. „Ich verdiene in die Fresse, weil ich immer Zwetschgen esse“, kündete der Titulus. Dass man ohne die Hilfe von Vorratsdatenspeicherung, Online-Durchsuchung und den zügigen Ausbau eines Feindstrafrechts für nichts garantieren könne, teilte BKA-Präsident Jörg Ziercke unter Tränen den Reportern mit.

Sogar die vor lauter Moral niedergeschlagene katholische Kirche ergriff das Wort; wo es um Sünde geht, war sie erfahrungsgemäß kaum einen Steinwurf entfernt. „Wer Äpfel isst, missbraucht auch Kinder“, ließ sich Militärbischof Mixa vernehmen. Mehr kam bei seiner Vernehmung nicht heraus, und jener theologisch nicht unumstrittene Rekurs machte auch nicht mehr viel.

Auf unerwarteten, aber erheblichen Widerstand traf die Rechtsprechung im Falle der Monika N. (45), die von einer Urlaubsreise Bananen als Reiseproviant mitgebracht, aber erst in der Heimat verzehrt hatte; gesetzestreue Staatsbürger hatten die Schalen in der Abfalltonne der geschiedenen Frau gefunden, so dass das hessische Landeskriminalamt lückenlos nachweisen konnte, dass kein in der EU gesetzeskonform verkauftes Obst vorlag. Auch eine eilig anberaumte Hausdurchsuchung förderte keine Schalenaufkleber zu Tage, die Schlauchfrüchte waren demnach eindeutig in krimineller Absicht ins Unionsgebiet verbracht worden. Hatte auch das erstinstanzliche Urteil Hoffnung geweckt, die Staatsanwaltschaft ging in Revision und forderte nunmehr eine langjährige Haftstrafe der Sünderin, die mit ihrem niederträchtigen Fruchtverzehr der Wirtschaft vorsätzlich schwere Schäden beibringen wollte – davon war der Staatsanwalt jedenfalls überzeugt – und letztlich ein Darniederliegen des deutschen Vaterlandes billigend in Kauf nahm, was nur als Terrorakt würde gedeutet werden können.

Schwere Schäden löste N.s Anwältin mit der Frage aus, wie viele deutsche Bananenzüchter ihre Mandantin bereits in den Ruin getrieben hätte. Der Staatsanwalt war hernach dienstunfähig, da er das Verfahren einstellen musste; sein Stammtisch distanzierte sich von ihm auf das Schärfste. Weitere Klagen, deren eine wegen Mandarinen in Tateinheit mit Mango besonderes Aufsehen erregt hatte, verliefen danach ergebnislos im Sande.

Indes formierte sich die Opposition, da auch die Obstpreise astronomische Höhen erreicht hatten: für ein Kilo schrumpeliger Birnen, für ein Schälchen wässriger Beeren zahlte man zehn, zwanzig Euro. In den Bahnhofsvierteln wuchs die Dörrobstszene. Ehrbare Menschen deckten ihren Vitaminbedarf mit Balkon-Sanddorn. Gurkensaat statt Schurkenstaat kündeten Graffiti an den Wänden, ein T-Shirt mit der Aufschrift Ich bin ein Strauch-Dieb trieb die Kontrollinstanzen zur Weißglut: eine Straftat war durch das Tragen des Kleidungsstücks nicht nachzuweisen.

Eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof, welche Frucht erlaubt, welche verboten sei, nahm die Bundesregierung erstaunlich gelassen. Hatte zuvor noch keiner damit gerechnet, dass Melonen faktisch Gemüse seien, da botanisch Kürbisse, so sorgte das Urteil für einen herben Rückschlag. Pflanzenwachstumserschwerungsgesetz und Realität waren nicht unter einen Hut zu bringen. Aus bestäubten Blüten entstandene Früchte, einschließlich Tomate und Aubergine, für die doch Mehrwertsteuervergünstigungen vereinbart worden waren, galten ab sofort als erlaubt, weil essbare Pflanzenteile – man hatte ein- und mehrjährige Pflanzen schlicht nicht hinreichend unterschieden. Der Frucht-Content-Verband drohte noch einmal ruppig in Richtung China, man werde dieser Nation den Hahn zudrehen, falls ihre Auberginen (einjährig, aber aus bestäubten Blüten) weiterhin als Raub-Anbau auf den Markt kämen. China machte den Landwirten kurz klar, wer sie – die Landwirte – seien und wer China ist. Dann hatte sich das Thema erledigt. Rechtzeitig zur Baumblüte.





Schwarze Katze, weißer Kater

21 04 2010

„Es mag ja sein, dass da gar nichts dran ist, aber man muss sein Schicksal doch nicht unbedingt noch herausfordern!“ Herr Breschke blieb dabei, diese streunende schwarze Katze, die nicht nur Bismarck, den dümmsten Dackel im weiten Umkreis, zu Tode erschreckt hatte – was an sich bereits eine Freveltat sondergleichen war – musste so bald wie möglich vertrieben werden. Nicht auszudenken, was das Tier alles noch würde anstellen können. „Die ist glatt im Stande und jagt mir einen Schrecken ein, dass ich einen Herzanfall bekomme!“ Mich als lebenden Beweis ließ Breschke nicht gelten, obwohl mir seit Jahren mehrmals täglich eine schwarze Katze von links nach rechts und wieder zurück über den Weg lief, meistens schon am frühen Morgen, und ich hatte es bisher immer noch überlebt. Nichts zu machen, er blieb abergläubisch.

„Seien Sie vorsichtig“, riet ich Breschke, als er von der Leiter stieg; einen halben Eimer Moos hatte er bereits aus der Dachrinne gesammelt, wie immer hielt es Bismarck nicht, er lief seinem Herrchen zwischen den Beinen herum und versuchte, ihn mittels der Leine zu Fall zu bringen. „Halten Sie den Hund von der Leiter fern und kommen Sie nicht auf den Gedanken, darunter durch zu gehen.“ Er guckte mich grimmig an. „Machen Sie sich nur lustig“, schimpfte der pensionierte Finanzbeamte. „In Ihrem Alter war ich auch noch so leichtgläubig, aber jetzt habe ich Erkenntnisse gewonnen, denen ich – Bismarck, gehst Du da wohl weg!“ Zu spät, auf der Jagd nach gefährliche Taten planenden Gartenzwergen hatte der Hund bereits die von Breschkes Tochter im Dutzend angeschafften Spiegelglaskugeln umgerissen, die nun mit hellem Knall auf den Terrassenplatten zerplatzten und in die Gegend spritzten, dass der Dackel erschrocken jaulend unter den Buchsbaum floh. Horst Breschke schlug die Hände über dem Kopf zusammen. „So ein Unglück aber auch“, jammerte er, „nicht nur, dass es Glas war, es war auch verspiegelt. Sieben Jahre Unglück! Womit habe ich das nur verdient!“ Insgeheim musste ich ihm Recht geben, wenn ich auch nicht genau wusste, womit er diesen Dackel nun verdient hatte; möglicherweise rächte sich das Karma einer verflossenen Inkarnation bei ihm.

Breschke fegte die Splitter zusammen und war schon drauf und dran, das Kehrblech in den Mülleimer auszuleeren, da hielt ich ihn zurück. „Vorsichtig! Am besten klopfen Sie vorher einmal auf Holz, dann dürfte die Gefahr gebannt sein.“ Ich sah ihn mitfühlend an. Als er keine Gegenwehr erkennen ließ, legte ich nach: „Wir wollen doch nicht, dass noch ein größeres Unglück passiert.“ Das nächste Objekt, das sich zum Klopfen anbot, war der Rahmen des Waschküchenfensters in knapp zwei Metern Höhe. Der alte Herr musste sich schon ein bisschen ausrenken, um ans Fensterbrett zu kommen. In dem Augenblick ließ er die Glassplitter auch wieder vom Kehrblech herunterrieseln. Ich war entsetzt. „Sehen Sie, das meinte ich. Hätten Sie vorher schnell auf Holz geklopft…“ „Jaja“, nickte er versonnen, „so schnell kann’s manchmal gehen.“ Offensichtlich hatte die schwarze Katze nicht nur seinen Kreislauf geschädigt. „Zur Vorsicht“, schlug ich vor, „sollten wir genaue Sicherheitsmaßregeln befolgen. Es könnte sonst durchaus die eine oder andere unliebsame Überraschung geben.“ „Ich werde nur eben die Vogeltränke ausbürsten“, rief Breschke und hatte bereits den Besen geschnappt – im allerletzten Moment hatte ich mich ihm in den Weg gestellt. „Sie hätten jetzt glatt mit dem linken Fuß zuerst den Rasen betreten!“ Er war verwirrt. „Darauf hatte ich gar nicht geachtet.“ „Oh weh!“ Ich brach in Klagen aus. „Was da nur alles hätte eintreten können! Und das bei Neumond!“

Langsam wurde es ihm selbst unheimlich. „Und Sie meinen tatsächlich, wenn ich mit den Füßen auf die Fugen trete, das bringt Unglück?“ „Wir wollen es nicht beschreien“, wisperte ich verschwörerisch, „es hat da diesen einen Fall gegeben, wissen Sie noch – mausetot!“ Breschke fuhr wie vom Schlag gerührt zusammen. „Um Gottes Willen“, stammelte er, „das habe ich ja gar nicht gewusst!“ Und er stakste auf Zehenspitzen über die Terrasse, um ja keinen Spalt zwischen den Betonplatten zu betreten.

„Da!“ Ganz aufgeregt fuchtelte Breschke mit dem Finger in Richtung Nachbargrundstück. „Das ist sie wieder, sehen Sie?“ Ein weißer Kater von erstaunlich rundem Körperumfang stolzierte auf der Pergola. „Das muss sie sein“, stieß er erregt hervor, „sie hat sich verkleidet – das heimtückische Biest!“ Augenscheinlich war er der felsenfesten Meinung, dass das Katzentier irgendetwas Dämonisches mit ihm vorhatte. Dabei wäre der Einzige, der sich lautstark hätte beschweren können, Bismarck gewesen, allein der hockte noch immer verängstigt unter dem Buchsbaum und traute sich nur langsam hervor. „Das muss schon eine besondere Katze sein, die innerhalb so kurzer Zeit in ein neues Fell schlüpft.“ „Mir machen diese Biester nichts vor“, rief Breschke, und wie zur Drohung schüttelte er die Faust gegen das Tier, das mit wahrhaft stoischer Gelassenheit auf dem Holzbalken saß. Breschke indes fixierte es mit den Augen und pirschte sich, stets der Plattenzwischenräume eingedenk, langsam näher – „Vorsicht!“ Doch da war es auch schon passiert, er hatte die Leiter angestoßen, der Eimer segelte nach unten und traf Breschke zielsicher am Kopf. Das Moos dämpfte den Aufprall nur minimal. Der Kater fand die Sache höchst amüsant; er putzte sich beiläufig die Pfoten, während ich Breschke zwischen den Moosresten aufsammelte. „Und ich sage noch: nicht unter der Leiter durch! Man weiß doch, wie leicht bringt das Unglück.“