Vollhorst

31 05 2010

„… und hier der Platz voller gedicht… dichter Leute, stehender, dichter, stehender… also stehend dicht, verdichtet, verstanden? Ja, ich weiß ja auch nicht so recht, ob das zu schmierig… schwierig meine ich, schwierig, ja? Ist aber auch schwer, das ist Schwester… schwerster Arbeit, für schwere, für Schwestern, die sich sicher hier versichern: hier in der schönen, in der, diese Anstalt, die – nein, halt! Veranstaltung, die Sie hier in der, durch der, die Anstalt hier veranstaltet, ja, dass Sie auch sehen, dass es nötig war, was ich hier zur Sprache sage, wenn ich zu Wort komme, dann wünsche ich mir manchmal, wenn ich wieder mit der Sprache – wenn mir die Worte… gebe ich mein Wort, dass es auch zur Sprache kommt, dass es auch nötig wird.

Weil das, wir müssen das hier drinnen auch im Innern, also wenn wir uns erinnern, ist noch alles da drinnen, dann muss man auch sagen, das sagt man auch so, so sagt man, schon in der Sage sagt man, dass man sich da erinnert, das liegt an dem Lied, an dem das liegt, wo wir hier statt Bürger, Staatsbürger anstatt, dass… das Lied, das leider staatlich statt… statt stattlich… liedlich, leidlich liederlich, statt staatlich Bürgerlied bürgerlich ist meine, ich meine, gemeinhin ist immerhin und wieder gemeinsam als bürgerliches Lied, das ich hier meine, aus meiner Freiheit von, Meinungsfreiheit, die wir bürgerlich, befreit von, Meinung und also solche gemein hin und her und wieder als solche statt staatlicher Meinung, wie ich meine, dass diese als solche auch frei von meiner Meinung, die ich, ein Freier, und als solcher auch Demokrat, die meiner Meinung nach auch frei und als solche auch frei von Demokratie, die als meine Demokratie gemeinsam bürgerliches Leidgut… Liedgut, das als solches gemein… und den Gefahren, den… gemeingefährlichen Gefahren der demokratischen… die Meinungsfreiheit… frei von gefährlichen Demokratien, die als solche… solche freien Meinungen, meine Meinung, die als solche gemeinfrei von… Freiheit als die, die ich als solche meine, die Freiheit, die mein Lied als Leid, die Leidkultur, die als solche, als Liedkultur, die frei von solcher Kultur sich gemein und uns beschützt, im Schützengraben, erst den Schützen, der uns gemein, als die Gemeinde, die da als solche, die meinen, dass wir frei, dass wir – solchermaßen als freie Gemeinde im Schutz, und dann im Grab, weil wir müssen uns ja als solche, die sich frei graben, statt an bürgerlichen, schutzbürgerlichen Gräbern, die wir zu schützen hier frei von Kultur uns gemein machen, gemein sind, als Gemeinsinn, als solcher, sind immerhin und auch staatlich als Kultur anerkannt, das müssen wir anerkennen, wenn wir als Bürger erkennen, dass wir als solche, also frei von Anerkennung und als solche ohne Schutz dem Grab, das uns frei und dann auch als die von den Beschützern, den Geschützten, die stattlichen Geschütze, die uns als solche und statt der Demokratie, die frei von Meinung und ein Lied, das wir hier und heute gemeinsam, haben wir dem Kommu… der Dichter, der auch der Komponist, der als freier Komponist, als solcher frei in seiner Meinung, vor der wir uns hier und heute schützen müssen, damit wir die nicht begraben, die uns vor der Freiheit, die, so meine ich, als Gemeinheits… als Gemeinschaftsaufgabe, die wir denen aufgeben, die uns als solche auch schon aufgegeben haben, wenn wir uns aufgeben, was zugegeben uns als Mutige, denen jede Zumutung zuzumuten ist, weil wir als solche über die Zumutbarkeit auch regeln, wo wir als Gemeinschaft gemein und dann, wie ich meine, als Staatsbürger hoheitlich sehen, was uns deutsch… als Deutsche deutlich, im Sinne einer deutlichen Hoheit, deutschen Hoheit, die als solche die Bedeutungshoheit, Deutungshoheit macht, ist, die deutsche Macht, die macht deutlich, dass die Deutschen deutlich Macht und das, das bedeutet, dass das bedeutet, dass das Bedeutende als Macht Hoheit deutet, wo wir Eindringling… eindringlich den Eindruck erhalten haben, dass diese Gericht… Richtung, die uns als solche richtiggehend als gerecht und, wenn wir selbst uns rächen, dann als Gerächte in einer deutschen, in einer deutlichen Richtung, die sich eine Bedeutung zumisst, die als vermessen, gemessen an den Maßen derjenigen, die als Masse das Maß sind, was nicht ins Gericht… Gewicht fällt, weil Fallen als solches, oder wenn man das, wenn man jemanden vermisst, dass man da vermisst, was als solches vermessen wäre, sind wir bereits am Ziel und zielen auf ein solches, das wir erst beim Handeln kriegen als kriegerisches Handeln für einen Handel, oder wenn wir Händel suchen, so dass gerade uns Deutschen, über den Sinn der Elemente, über alter-, über mittelalterliche über die heutige Dichtung über das Ganze als solches eine sich uns zeigende Angelegenheit, die wir, und das ist mein Anliegen für eine schwierige Lage, und das ist nicht nur etwas, was man nicht tun sollte, sondern es ist etwas, was man tun sollte.

So kann nun die gesamte Notwendigkeit und den Sinn, der uns notwendig erscheint, auch unter kulturellen Gesichtspunkten, wo wir als ein demokratischer Staat, gleichzeitig mit unserer Kultur, auch mit unserer, nicht auch, sondern mit unserer Dichtkunst ist das hier sehr klar in Erscheinung getreten. Man muss auch, um diesen Preis, seine Interessen wahren. Mir fällt es schwer, das so zu sagen, aber ich halte es für unvermeidlich, dass wir dieser Realität ins Auge blicken. Und ich also solcher soll Sie auch von meiner Frau…“





Top Kill

30 05 2010

Von oben her um die Ecke bringen. (Das klingt schon mal verzwickt.) Oder: die Oberen über den Jordan schicken. (Dem könnte man unter gewissen Umständen sogar etwas abgewinnen.) Oder: der perfekte Mord. (In Bezug auf die Golfregion trifft das die Sachlage ziemlich gut.) Wie dem auch sei, mit Fremdsprachen gibt’s oft Missverständnisse. Wobei die Suchmaschinentreffer der vergangenen 14 Tage auch nicht immer für Klarheit sorgten. Und das wäre doch der Top Kill überhaupt gewesen.

  • jacopo de barbari stillleben mit rebhuhn: Das wird einem wenigstens nicht so oft geklaut wie ein Picasso.
  • senioren urinieren ins bett ignorieren k: Gewöhnen Sie sich daran, wenn Sie jetzt nachts immer raus müssen?
  • pusteblumentattoo: Schlampenstempel aus Maiglöckchen, so weit kommt’s noch…
  • gummischürze wäsche waschen: Sie können ja auch etwas vorsichtiger umrühren, oder?
  • längsschnitt kläranlage: Riecht auch nicht besser als der Querschnitt.
  • scherzartikel tirolerhut: Jodeln müssen Sie immer noch selbst.
  • ösophagusvarizen welche globuli: Wenn Sie damit noch schlucken können, herzlichen Glückwunsch.
  • „völlig entblößen“ arzt: So ist das nun mal, wenn man Transferleistungen beantragt, Herr Rösler.
  • wieviel wiegt tine wittler: Meist fünf Kilo, kommt auf die Kartoffeln an.
  • schimmel wand bunsenbrenner: Fackeln Sie die Bude ab, danach sieht keiner mehr den Pilz.
  • nachbar stalking durch laserpointer: Noch besser kommt ja ’ne Lichtschablone mit „Guck mal, wer da blinkt“.
  • job als domina in zwickau: Die Leute sind doch schon genug gestraft.
  • bypasskosten: Die FDP würde momentan so gut wie alles für ’ne Westerwelle-Umgehung ausgeben.
  • wie soll man schalten hund auf der compu: Reihenschaltung, sonst verheddern Sie sich mit der Leine.
  • nasse futterschlüpfer: Wir nennen so etwas übrigens Bade-Anzug.
  • freundschafts: Plural ist zu viel für Sie, hm?
  • welche kindersitze bei flügen in die usa: Momentan wird viel mit Öllagerung experimentiert.
  • kopfplatzwunde hübsch: Darf ich Ihnen dann eine Verschönerung angedeihen lassen?
  • zoophil suchmaschinen: Gibt’s da mittlerweile einen Branchensuchdienst für Prachtfinken?
  • knalltüte mittelhochdeutsch: Tor.
  • westieohren: Die vom Schwein sind besser, glauben Sie’s.
  • aus was baue ich eine schürze für ei luf: Buche handgesägt liegt gerade sehr im Trend.
  • zigarettenautomaten mit korken verstopfe: Lässt sich am Raucher besser applizieren.
  • ave maria rückwärts anhören: In meiner Version hört man einen Papst im Hintergrund: Gruselig.
  • geschenk eyjafjallajökull: Verblasen Sie nicht gleich so viel Asche dafür.
  • schweißtisch selbst bauen: Fangen Sie lieber erst mal langsam mit einem Schweißband an.
  • hey dir hat da jemand aufs shirt gekotzt: Schreiben Sie Ed Hardy drüber, dann fällt das nicht auf.
  • laut und alleswisser kollege: Könnte sich um Ihren Personalchef handeln.
  • gebrauchte schaufensterpuppen aus schaum: Der Container steht diese Woche vor dem Präsidialamt.
  • pfennigbaum krankheiten pickel: Setzen Sie eine Ohrkerze in den Topf, vielleicht hilft es.
  • verpackung weichmacher iglo rahmspinat: Entscheidende Erweichung brächte es ja, das Zeug vor dem Verzehr aufzutauen.
  • timo schlagersänger: Bei dem Namen hat der Mann garantiert eine Bombenkarriere.
  • altersschwacher hamster: Vielleicht zahlt das Veterinäramt noch eine Umschulung auf Weinbergschnecke.
  • hautpilzbehandlung-alternativ: Sie können ihn alternativ unbehandelt lassen.
  • ncis video bärenhunger: Sie wollen noch mal sehen, wie Tony wegen einer Frau einen Weinkrampf vortäuscht?
  • pilzerkrank frauen: Zwischen den Zehen, genauer: zwischen den großen Zehen.
  • rutenangler tiefsee: Die acht Kilometer Drahtseil sind im Schlauchboot etwas unhandlich, aber dafür gibt’s frischen Wal zum Dinner.
  • beschwerdebrief für friseure: Wenn ich mir Sie so ansehe, lasse ich es auch gelten, wenn sich der Friseur mündlich beschwert.
  • selbstmord grillkohle wie lange: Bis Sie sich leicht vom Knochen lösen lassen..
  • nachbarschaftsrecht niedersachsen offene: Wohl eher eine geschlossene Veranstaltung.
  • lama socke beinprothese 2010: Hat Bama noch diese Füßlinge für lahme Enten?
  • „versaute eltern“: Wären sie rechtzeitig ins Kloster gegangen, müsste ich mich jetzt nicht mit Ihnen herumärgern.
  • anleitung zum baumstammschnitzen: Mir gefallen die gewachsenen eigentlich besser.
  • zugluft in altbauwohnung stoppen: Schlafen Sie vor der Tür.
  • +segelfliegen inkontinenz: Der Flieger hat die Bodenklappe eigentlich aus ganz anderen Gründen.
  • bundeswehr pulloversprüche: Macht Ihr Ausbilder gerade Strick-Wochen?
  • kostenliste bungalow selberbauen: Und Sie denken, RTL bezahlt Ihnen das?
  • tattoo war gestern schneiden ist heute: Kopfamputation soll demnächst schwer im Trend liegen.
  • kammer papier knalltüten falten: Jo, kammer. Kammer aba ooch lassn.
  • möbelevent konzepte schreiben: Sie halten Ihren Umzug schriftlich fest? Interessant.
  • erwin elektronische reparatur und werkst: Mein Erwin wird immer nur mechanisch durchgecheckt.
  • scherzartikel nasen schnee spender: Witzig, Mann!
  • scheisse hochzeitsrede: Das glaube ich Ihnen aufs Wort.
  • pudelscheren in nrw: Machen Sie sich an Krautscheid warm, dann kommt der Rest dran.
  • römisches schlangen armband basteln: Wir haben da auch eine sehr hübsche Kleopatra-Version.
  • pflaumenpfingsten: Wird kurz nach der Steuersenkung stattfinden. Dann aber vielleicht ganz bestimmt.
  • zunge von bartagame klebt nicht: Sie sollen das Tier ja auch nicht an der Schnauze aufhängen.
  • ddr-aktfotos(mit auto): Sie wollen sich schon mal schonend auf den Schmerz vorbereiten?
  • narumol tabletten vorlage: Ein gutes Schmerzmittel tut gleichmäßig weh.
  • schmuck: bekloppte, beknackte: Schöne Menschen entstellt eben nichts.
  • zauber fallbeil: Ein echtes wäre meiner Ansicht nach momentan auch sehr bezaubernd.
  • statistik motorradunfälle im harz über p: Wir haben nur etwas über Roller.
  • statussymbol aussenspange: Sind Sie’s, Mister Wonka?
  • kalktabletten bei epilepsie: Dazu krampft meine Espressomaschine zu selten.
  • verweste katze im geräteschuppen entsorg: Entweder sie ist verwest, oder es besteht noch Handlungsbedarf.
  • wischmeyer saurer atem: Willkommen im Bistro-Wagen.
  • geschlossene kupferarmbänder: Es sitzen Leute für weniger in der geschlossenen Abteilung.
  • seltene marmeladenrezepte: Meine sind so selten, dass sie gar nicht erst existieren.
  • salzflecken am penis: Übliche Symptomatik nach Hirnaustrocknung.
  • lustige erwiderung auf türenknallen: Schlagfertigkeit ist das, was einem immer zu spät einfällt.
  • extremsport fledermausanzug: Machen Sie gerne einen Probesprung in Freizeitkleidung, dann sehen Sie, ob sich die Anschaffung auch lohnt.
  • johann lafer hausverbot beschwerdebrief: Seien Sie froh, dass er Sie nicht wieder zurück zum Friseur geschickt hat.
  • löst gicht aus durch hahnen hack: Dann lassen Sie sich halt nicht mehr von den Hühnern hacken.
  • bildungsträger lahnstein: Immer eine Frage, ob Sie das noch bezahlen können.
  • nägel und haken in der brust: Bei der nächsten Lungen-OP diskutieren wir Sie auf.
  • herr der diebe bielder: Der Herr der Klingeltöne übernimmt hier mal.
  • sparbirne zum aufblasen: Solms hatte eben richtig gute Ideen vor der Wahl…
  • steuern für pekinese: … und hatte dann das Pech, sie umsetzen zu müssen.
  • drei männer im schnee -was -dvd -and: Lesen Sie das Buch. Das reicht.
  • rothaar virus homöopathie: Hat der Friseur Sie immer noch nicht rausgeworfen?
  • tengelmann maruscha: Manche brauchen es eben billig.
  • selbstentzündung von creme: Wenn die Schleimhäute sowieso entzündet sind, würde ich nicht noch Buttercreme draufgeben.
  • am rad witzig basteln: Sie also sind der Drecksack, der in der ganzen Straße die Ventile abschraubt!
  • wie rette ich verbrannten spinat: Mit verfrorenen Fischstäbchen.
  • „dass männer dumm sind““berliner“: Gegen Sie ist sogar ein Napfkuchen intellektuell.
  • zinkspritzguss/schweißen: Und vor dem Schreddern möchten Sie noch mal polieren?
  • fachwort für strammstehen: Gluteale Nachprägung von Münzbestand.
  • akazien blond: So, und jetzt kommt der Friseur.




Köhlerglaube

29 05 2010

Die Herrschaft schickt die Schergen;
die sollen, wenn es knallt,
was übrig bleibt, verbergen.
Der Schornstein wird sonst kalt.

Mit List soll das bezwecken,
dass brav die Heimat schweigt.
Die Mannschaft darf verrecken,
wenn nur der Zins noch steigt.

Stoß zu mit Deinem Dolche,
der Blut am Boden adelt –
am Ende sind’s doch solche,
die man dafür noch tadelt.

Die Wahrheit, ach! die Lehre,
die gibt’s glatt obendrein.
’s ist Krieg. Und ich begehre,
nicht schuld daran zu sein.





Gernulf Olzheimer kommentiert (LIX): Trennungen im Freundeskreis

28 05 2010
Gernulf Olzheimer

Gernulf Olzheimer

Mein Name ist Gernulf Olzheimer und dies ist das Weblog aus dem Land der Bekloppten und Bescheuerten.

Gerüchteweise hört man, es wäre nicht gut, dass der Mensch alleine sei. Man darf das für sich stehen lassen; manche behelfen sich da mit Zierfischen, manchen ist das Kraftfahrzeug eine treue Gefährtin in lauer Sommernacht, und nicht eben selten kommt es auch vor, dass sich ungeprüft zwei Herzen ewig binden, Fehlinkarnationen, bei denen man hofft, dass sie ihre Trittspuren am Rande des Genpools wegwischen, bevor derlei frei delirierendes Gefrett den Niedergang der Hominiden beschleunigen. Wer davon sein Liedchen singen kann, weiß um die Gefahren, denn hat man Freunde im Pärchenkreis, ab und an auch umgekehrt, so droht Drangsal in einem Maße wie nur auf der Buckelpiste: sobald sich die Bindung auch nur lockert, geht alles steil bergab und hinterlässt Blut, Tränen, Elend. Was sich trennt, verursacht Katastrophen, und wo, wenn nicht im Dasein des ahnungslosen Freundes.

Zunächst hockt der Bekloppte, so er überhaupt noch dazu kommt, zwischen allen Stühlen; hatten ihn bisher synapsensynchron je zwo Hälften einer körperseelischen Integralgestalt von beiden Seiten quasi in Folterstereo zugeschallert, dröseln ihm nun argumentative Widerhaken unter die Epidermis und versuchen, sein Fleisch in entzündlichen Zustand zu bringen. Ja, er habe das – was auch immer – geahnt, gewusst, nicht ahnen können, keinen blassen Schimmer davon gehabt, sich gar nicht für den Schmodder interessiert, mit dem ihm jetzt der beste Freund den Neocortex zukleistert: mit glasigen Augen, gleichsam in Duldungsstarre sitzt der Beknackte im Beichtstuhl, nagt am Sprachgitter, reingepfropft in seine Verdammnis, der er nicht rechtzeitig entgangen war. Er wird mit Dingen konfrontiert, die ihm sein Lebtag am Sitzmuskel vorbeigegangen waren, mit nächtlichen Schnarch- und täglichen Saufhandlungen, Körpereigenheiten, verhaltensoriginellen Auswüchsen und anderem philosophischem Getier. Dass mit dem Schwinden der Scham, wie Freud nachwies, der Schwachsinn einsetzt, ahnt das Opfer spätestens hier, mehr noch: aus der Beschreibung wird ersichtlich, dass das Leben der Anderen aus Gehampel geistesgestörter Grützbirnen bestanden hat, und man hat über Jahre nichts gemerkt. Der Schluss, dass man auch jetzt von Idioten umgeben ist, könnte näher nicht liegen.

Doch der Drang nach Kommunikation lässt sich beliebig dicht an die Kernvorstellung von Paranoia heranbewegen. Was läge näher, als dem Ex-Objekt via Bodenbeben, indirekter Nachrede und Intrigantenstadl Freundlichkeiten reinzudrücken, für die es sonst des direkten Kontaktes bedürfte – wo Frust auf Feigheit trifft, lässt der sich auch nicht immer schließen. Hurtig hingeschwiemeltes Gerede tut ein Übriges, um die Gerüchte am Brodeln zu halten, der Bescheuerte kocht im selben Topf in der Komplizensuppe mit, wenn er nicht spätestens hier dem Beleidigten die Leberwurst über die Mütze zieht. Denn sonst ist er flugs eine Stufe weiter und darf, wenn die Kampfphase der Entzweiung erst einmal ausgestanden sein sollte, als Vermittler zwischen beiden Lagern im Quadrat springen, immer eingedenk, dass man aus der Einleitung noch weiß, mit wem Manfred seine Teilzeitgeliebte betrügt und welche Geräusche Heide in gekachelten Räumen produziert. Auch dies ist locker zu steigern und reicht an altorientalisches Marterbrauchtum heran, dann nämlich, wenn es zweiseitig praktiziert wird. Da weiß man dann, wozu man Freunde hat.

Am anderen Ende der Skala, kurz nach der Nummer mit dem brennenden Schwefelsee, den herausgerissenen Fingernägeln und der Beschallung mit Kirmesschlagern kölscher Provenienz, kommt der Zangengriff des Teufels, das Finale jeder sinnvollen Existenz auf diesem beschissenen Planeten. Wenn A und B etwa auf den Gedanken kommen, sich gegenseitig mit gleichlautendem Schmonzes zu beschuldigen („… hört mir gar nicht mehr zu…“) und den arglosen Dritten in seiner Zwangslage zum Seelenklempner zu machen mit dem Stockholm-Syndrom als Rohrzange, zum Partnerschaftsberater und Bewährungshelfer für eine Lebensform, die nutzloser ist als der Versuch, auf der Jahrestagung der Überlebenden eines Massakers zur Entspannung Zielschießen zu veranstalten, um sich hinter dem Rücken des mental überforderten Vollidioten wieder in die lang vermissten Arme zu sinken, dann ist der Ofen endgültig aus. Denn es ist eine Frage der Zeit, bis sie wiederum vor allem Dritten gegenüber hervorkehren, dass ihr alter Freund – man habe sich wohl in seinem Charakter erheblich getäuscht, aber hinterher sei man immer schlauer – sich wohl nur die größten Peinlichkeiten über die eigene Person angehört, Keile zwischen die Getrennten getrieben und sich überhaupt einer Freundschaft völlig unwürdig verhalten habe, weil er in Wirklichkeit ein veritabler Drecksack sei. Spätestens bei der öffentlichen Versöhnung stellt die Gesellschaft fest, dass man als Vollarsch ausgegrenzt werden darf.

Wer noch halbwegs geistig gesund ist, entsorgt aufkeimende Ansätze von Freundschaften mit derlei Konstellationen an der Biegung des Abflussrohrs. Die therapeutischen Erfahrungen hernach mögen eine Klasse für sich sein, aber das ist es nicht wert.





Volk ohne Raum

27 05 2010

„… natürlich skandalös und höchst umstritten, wie man Voigt aus dem Hotel gewiesen hat. Dass man als Deutscher in seinem eigenen Vaterlande der bolschewistischen Hexenjagd auf national erwachte Kräfte verfällt, ist doch nur eine der zahlreichen Formen, wie das Volk in den Grenzen von 1937…“

„… ein denkbar schlechtes Licht wirft auf unser Verständnis von Freizeitgestaltung. Der nationale Deutsche stählt sich im Urlaub, wandert in der Ostmark oder fällt ein bisschen in Polen ein, aber er verweichlicht nicht im syrischen Dampfbad – was soll denn das Jungvolk denken, wenn sie hören, wie unser Parteichef, statt mal Leibesertüchtigung zu betreiben oder den Umgang mit der Schusswaffe zu trainieren, unter lauter Nichtariern…“

„… schon ganz schön hirnrissig, dass diese rechte Rasselbande jetzt einen Sitzstreik auf dem Rasenstreifen macht, weil ihr Oberkasper nicht mehr das ausländische Personal anpöbeln darf. Mir bleiben die Gäste weg, und ist das in diesen wirtschaftlich so schwierigen Zeiten kaum…“

„… weil sich Voigt, immerhin Vorsitzender einer Partei, die die Gleichheit der Menschen schon in deren Nationalität verneint, ausgerechnet wegen seiner Ablehnung des Grundgesetzes diskriminiert fühlt und gerichtlich…“

„… Ihnen mit Haus Adolfsruh endlich einen Beherbergungsbetrieb bieten. Täglich mehrgängiges Menü, inbegriffen Eintopfsonntage im hauseigenen Luftschutzkeller, serviert von BDM-Fachkräften, die auch die Feldbetten mit Sitte und Zucht…“

„… schließlich doch mit einer Anhebung der Mehrwertsteuer auf den bislang veranschlagten Satz begnügen, da der Hotel- und Gaststättenverband sich vehement gegen eine Rückführung gesträubt hatte; vielmehr müsse nun die Duldungspauschale, die man dem Gastgewerbe als Entschädigung zu zahlen bereit sei, durch ein neues Gesetz…“

„… Ihr eigens als völkisch korrekt beworbenes Quartier – fünf Hakenkreuze in der Bewertung des Hotel-Führers immerhin – unseren Ansprüchen ganz und gar nicht genügte. So hatten wir zwar braune Handtücher und ebensolche Bettwäsche erwartet, allerdings nun wirklich nicht in…“

„… werden wir auch durch das Bundesgesetz zur Tolerierung unerwünschter Gästegruppen nicht davon abhalten lassen, vereinzelte FDP-Politiker aus unseren Häusern zu werfen, wenn sie…“

„… weil Udo Voigt in anständige, bürgerliche Hotels selten reingelassen wird – gerade das sollte bei einem Rechts-Außen auch nicht besonders verwundern, hat der Kampfpöbler doch…“

„… sich der Hotel- und Gaststättenverband mit einer Einladung bei NPD-Chef Voigt entschuldigen wollte. Ein einwöchiger Aufenthalt bei Vollpension im Fünf-Sterne-Haus mit zahlreichen Extras wie Whirlpool, Tennisanlage und Dachterrasse winkte dem Neonazi, der jedoch die Offerte nicht einmal beantwortete. ‚Wir können uns das nicht erklären‘, teilte Hoteldirektor Moses Ndimokulele auf der…“

„… inzwischen verhärtete Fronten. Auf der Jahrestagung des Heinrich-Himmler-Gedenkbundes brüskierte man den Parteivorstand sogar mit Bananen und anderem Fremdobst, die heimtückisch auf das Frühstücksbüfett geschmuggelt worden…“

„… wurde von der zuständigen Kammer abschließend geklärt. Voigt hatte angeprangert, man würde in einem deutschen Hotel nicht so behandelt, wenn man behindert wäre. Der Kammerpräsident teilte mit, geistig Zurückgebliebene auch künftig vor die Tür zu…“

„… als ein geradezu sinnbildhaftes Ereignis, wenn man den NPD-Chef an die frische Luft setze. Nur in dieser Aus-dem-Haus-Geworfenheit könne der Deutsche an sich wieder begreifen, dass er ein Volk ohne Raum repräsentiere, dessen…“

„… nur eine besonders hirnverbrannte Idee sein, vor dem Hintergrund nicht noch einmal alle Sozialleistungen zu kürzen, um Steuersenkungen für verarmte Milliardäre durchzusetzen. Zwar äußerte sich der Außenminister nicht weiter zur Hotelbranche, schimpfte aber…“

„… um ein gutes Modell zu handeln. Nachdem man Neonazis schnell und unbürokratisch aus Miet- und Arbeitsverträgen entlassen könne…“

„… dennoch letztlich um ein Missverständnis gehandelt. Der Personalchef hatte auf dem Parkplatz den Fraktionsvorsitzenden Holger A. aufgegriffen und mit rüden Worten in die Küche beordert, wo der Rechtsradikale zum ersten Mal in seinem Leben einer Erwerbsarbeit nachgehen musste. A., der nach einer Stunde Topfspülen schluchzend auf dem Küchenboden kauerte und versprach, umgehend Sozialdemokrat zu werden, konnte mit Hilfe eines Therapeuten…“

„… die Chance auf eine zweite Annäherung in Düsseldorf endgültig vertan. So hatte eine Linken-Abgeordnete im Interview ihre Sympathie für den Hotelier geäußert, da sie sich an den real existierenden Arbeiter- und Bauernstaat erinnerte. ‚Das war wie damals‘, schwärmte die Sozialistin, ‚ein falsches Wort, man flog aus dem Interhotel raus, und die Kollegen von der Staatssicherheit…‘“

„… mit Befremden gesehen. De Maizière wandte sich gegen jede Diskriminierung der Landsleute mit NPD-Parteibuch. Der Innenminister betonte, 95% der Nationaldemokraten seien ohnedies V-Leute, und man solle den Mitarbeitern einer Bundesbehörde doch nicht mit derartigem Misstrauen…“





Abgekocht

26 05 2010

„Nun erzählen Sie mir nicht, dass Sie überrascht sind Das war von langer Hand geplant.“ „Nein, das war nicht abzusehen.“ „Ich sage Ihnen: es war geplant.“ „Und woher wollen Sie das wissen?“ „Ich weiß es eben. Und außerdem hätte er ja nicht das ganze ZDF kaufen müssen, wenn er nicht da schon hätte zurücktreten wollen.“ „Berlusconi?“ „Bingo.“

„Der Termin kommt aber auch plötzlich. Jetzt weißt man gar nicht, ob man noch etwas von Lena Meyer-Landrut mitkriegt. Oder Griechenland und andere Probleme mit fliegender Asche.“ „Er hat das eben gut abgepasst. Kaum ist Ballack weg vom Fenster, geht Koch auch. Ganz geschickt im Windschatten. Wie bei der Spendenaffäre.“ „Aber wenn Sie sagen, er habe das schon länger gewusst, dann macht das doch gar keinen Sinn mehr.“ „Ich behaupte ja auch nicht, er habe es auf den Tag genau beschlossen. Vermutlich hat er gesagt: ich mache weiter, bis Merkel endlich mit dem Arsch an der Wand klebt.“ „Das klingt logisch. Dann ist auch klar, warum sie ihn nicht genau so in Grund und Boden gestampft hat wie ihren populistischen Pickelpojazz.“ „Westerwelle?“ „Natürlich. Dann war das das geheime Signal: wenn die Ratte das Schiff verlässt, dann sinkt es wirklich.“ „Und er selbst hat auch profitiert.“ „Weil er nicht endet wie Westerwelle?“ „Genau. Er hat sich verzogen, bevor sie ihn rauswerfen konnte.“

„Ob da möglicherweise gesundheitliche Gründe dahinterstehen?“ „Sie meinen, er habe eins auf die dicke Lippe gekriegt?“ „Da ist er wohl eher in die schwarze Kasse reingetreten. Nein, es muss doch einen Anlass dafür gegeben haben. Man tritt doch aber nicht einfach mal so zurück.“ „Der Mann ist kerngesund. Hat doch selbst gesagt, dass er das schon seit längerer Zeit geplant hatte.“ „Aber das ist es doch gerade. Das macht man doch nicht. Das macht doch nicht mal der Koch. Was hat der da gesagt? Stabile bürgerliche Mehrheit, richtig? Der Typ hat doch einen Realitätsverlust erlitten.“ „Das mag wohl sein, ja.“ „Außerdem redet er von verbesserter Bildung und auch noch von weniger Kriminalität in Hessen – meinen wir das Hessen in Deutschland? Oder hat er eine Privatversion im Hobbykeller?“ „Das müssen Sie natürlich systemisch verstehen.“ „Sys… wie?“ „Systemisch. Wenn er die Bildungschancen durch steigende Studiengebühren und eine politische Auswahl von Hochschulprofessoren beeinflusst, dann ist das in seinem Interesse.“ „Und das ist dann systemisch?“ „Unterbrechen Sie mich nicht. Wenn dadurch die Kinder und Jugendlichen in Hessen nur noch fallweise Zugang zu Bildung haben, dann wählen sie eben vermehrt CDU. Ist ja wissenschaftlich nachgewiesen.“ „Aha. Und das Systemische ist dann, dass es dadurch zu keiner Kriminalität mehr kommt?“ „Falsch. Die ist immer noch da, aber man sieht sie nicht mehr.“ „Weil es keine Polizisten mehr gibt, die sie feststellen können?“ „Auch. Aber mehr noch, weil sie nicht mehr auf der Straße stattfindet.“ „Sondern?“ „In der Staatskanzlei.“

„Aber was sagt denn der Bouffier dazu?“ „Was soll der dazu sagen?“ „Stört denn den das gar nicht?“ „Wozu? Jedes Rotlichtviertel hat eben so einen Typen, der mit Föhnwelle und Ferrari die Aktien kontrolliert.“ „Das wird Law-and-Order-Koch nie durchgehen lassen.“ „Na sicher. In der brutalstmöglichen Form sogar.“ „Wie das denn?“ „Das ist die Strafaktion für Bouffier. Wenn die Knarre mit dem Goldkettchen nicht so viel Mist gebaut hätte, müsste er diese Strafaktion auch nicht über sich ergehen lassen.“ „Strafaktion?“ „Klar. Oder was meinen Sie, wer die nächste Wahl in Hessen verlieren wird?“

„Warum geht er denn nicht nach Berlin?“ „Als was? Als Nachfolger von de Maizière, wenn der Nachfolger von Schäuble wird, weil der Nachfolger von Merkel wird, weil die schnell die Nachfolge von Köhler antreten muss?“ „Ich dachte, er sei so ein toller Finanzpolitiker und Wirtschaftsexperte?“ „Sagt wer?“ „Er selbst.“ „Na, dann wird’s wohl stimmen. Aber mal im Ernst, wer außer Koch selbst hat denn je gesagt, dass er in Berlin dringend gebraucht würde?“ „Keiner.“ „Ach. Und darum wird sich seiner Abmusterung auch höchstens der Landtag in Wiesbaden Anlass zu Einsparungen geben.“ „Weniger Extratouren?“ „Falsch.“ „Der etatmäßige Schauspiellehrer für Bundesratsauftritte wird eingespart?“ „Auch, aber nicht nur.“ „Dann weiß ich nicht.“ „Bouffier schlägt sich jetzt selbst für die Orden vor und hängt sich das Zeug auch alleine um den Hals.“

„Und jetzt?“ „Das ist die Frage. General Motors oder Fraport.“ „Wie kommen Sie darauf?“ „Er war doch besser als die besten Lobbyisten.“ „Sie meinen, weil unser Hessen-Hitler als Flughafen- Aufsichtsratsvorsitzender 50% Gehaltserhöhung für Manager durchgesetzt hat, um im Gegenzug die Sozialleistungen für das einfache Personal zu streichen?“ „Na, das ist doch eher eine Art neues soziales Gewissen. Besser als Streik, nicht wahr – das hätte nicht einmal unser Arbeiterführer aus Düsseldorf so gut auf die Reihe gekriegt.“ „Und wenn er doch noch einmal zurückkommt? Im nächsten Bundestagswahlkampf?“ „Wie stellen Sie sich das vor? Mit Schäuble und Mappus als neues Modell für den Rechts-Staat?“ „Ich dachte da eher an eine Anti-Angela-Troika mit Merz und Clement. Initiative Asoziale Marktwirtschaft.“ „Wie kommen Sie denn auf das schmale Brett?“ „Na, ich dachte, solange die FDP noch für Populisten wählbar ist und auch in irgendeinem Parlament sitzt…“





Draußen vor der Tür

25 05 2010

Er meinte es ernst. Mannhaft blickte Herr Breschke mich an. Mit festem Griff fasste er das Holz, atmete tief ein und gab sich einen Ruck. Mutig setzte er den Fuß auf die unterste Sprosse der Leiter.

„Wollen Sie nicht den Schlüsseldienst rufen?“ Meine Frage kam dem pensionierten Beamten fast blasphemisch vor. „Ich denke ja gar nicht daran“, empörte er sich, „am Ende machen die hier alles kaputt, und ich muss das dann bezahlen – nein, kommt überhaupt nicht in Frage!“ Ich seufzte. Er wollte tastsächlich lieber an der Hauswand hochsteigen und sich durch das leicht gekippte Schlafzimmerfenster ins Obergeschoss zwängen, um die Tür von innen zu öffnen. Breschke hatte sich ausgesperrt; zwar passierte ihm das in letzter Zeit häufiger, doch war seine Frau just einen Tag zuvor zur Badekur abgereist, so dass sie ihm nicht – wie sonst immer, wenn er den Schlüssel auf dem Garderobenschränkchen vergessen hatte – die Haustür von innen hätte öffnen können. Es nieselte leicht vor sich hin. Breschke ruckelte und rappelte an der Leiter, um deren Standfestigkeit auf der Terrasse zu überprüfen. Die ganze Sache machte einen reichlich windschiefen Eindruck.

„Sie wollen also“, versicherte ich mich, „das Fenster durch den Spalt aufhebeln. Meinen Sie nicht, dass Sie dazu ein geeignetes Werkzeug mit sich führen sollten?“ Der Hausherr warf sich in die Brust. „Das mache ich mit der bloßen Hand!“ Wie zum Beweis stellte er den zweiten Fuß auf die erste Sprosse und stand nun, man muss das neidlos anerkennen, gut drei Handbreit über dem Boden. Konzentriert blickte er nach oben, wo die Holme knapp unterhalb des Fenstersimses endeten. „Nun, Sie müssen es ja wissen.“ Leichthin schaute ich mich im Garten um. „Genau genommen brechen Sie in Ihr eigenes Haus ein. Und da möchte man schon, dass es schnell und umkompliziert geht.“ Er schnappte plötzlich zurück und sprang auf den Boden. „Was sagen Sie da?“ Breschke war auf einmal sehr unruhig geworden. „Aber bei einem Kippfenster muss man ganz genau wissen, wie es von außen zu öffnen ist, sonst kriegt man es von außen gar nicht geöffnet – oder meinen Sie nicht?“

Er kläffte, und das war kein gutes Zeichen; denn wer da kläffte, war Bismarck, der dümmste Dackel im weiten Umkreis, der nur deshalb nicht seiner Lieblingsbeschäftigung nachging, seinem Herrchen zwischen den Beinen herumzulaufen, weil ihm dabei die Leiter im Weg war. Nichtsdestoweniger kläffte er und sprang an den Leitersprossen empor. „Aus“, befahl Breschke, „sei ein braver Hund, dann bekommst Du nachher auch ein Leckerchen!“ „Sie sollten ihn besser am Geländer der Kellertreppe anbinden“, riet ich, „sonst kippt er die Leiter noch um.“ Der Klettermaxe winkte ab. „Mein Bismarck würde doch so etwas nie tun, dazu ist er viel zu gut abgerichtet.“ Bismarck seinerseits kommentierte dies, indem er den Fuß der Leiter eingehend beschnüffelte, sein Bein daran hob und schließlich die Vorderläufe auf den Tritt stellte. Breschke grantelte. „Ein paar Meter Schnur müsste ich doch noch irgendwo herumliegen haben“, murmelte er und verschwand um die Hausecke. Der Schrecken aller Gartenzwerge schnüffelte unterdessen an meinem Hosenbein. Dann kehrte Herr Breschke zurück, ein dünnes Ende Tau in der Hand. „Komm her“, lockte er seine vierbeinigen Gartenbeetplage, „nachher gibt Herrchen Dir auch fein Leckerchen!“

Es endete, wie man es hätte vorhersehen können. Breschke zerrte den unfolgsam bellenden Dackel um die Ecke und knotete ihn am Geländer fest. Da erst fiel mir das zweite Stück Tau auf, das aus seiner Jackentasche hing. Fragend blickte er mich an. „Meinen Sie nicht auch, dass man sich besser anseilen sollte bei einem so gefährlichen Manöver?“ Glück auf, der Steiger kommt, dachte ich bei mir, und nickte nur ergeben. „Man kann nicht vorsichtig genug sein“, insistierte Breschke. „Stellen Sie sich nur mal diese Bergsteiger vor – gerade erst haben sie doch wieder den Mount Everest bezwungen, das geht eben nur mit einer sicheren Seiltechnik.“ Und mit sicherem Griff schlang er das Ende um seinen Leib, verknotete es fest vor der Brust und schaute mir stolz ins Gesicht. „Safety first! Porzellankiste und so.“

Sollte ihn nun drei Meter über dem Erdboden plötzlich der Höhenkoller ereilen, so bliebe doch seine Lodenjoppe geschlossen. Und das ist ja auch schon mal ein Stück Sicherheit.

Mit einem Mal hielt er inne und nestelte an seinem Handgelenk. „Nehmen Sie mal lieber die Armbanduhr an sich“, sagte Breschke. „Am Ende verhake ich mich da noch an der Leiter, dann ist das Malheur passiert.“ „Vielleicht sollten wir vorher schnell die Igel im Knick in die Flucht schlagen“, erwiderte ich leicht gereizt, „nicht, dass da einer über den Rasen…“ „Halt, das hätte ich ja fast vergessen!“ Behende kletterte Breschke herunter, um wieselflink um die Ecke zu verschwinden. War er Bismarck eine Streicheleinheit pro drei Minuten schuldig oder warum verschwand er in Richtung Keller? Des Rätsels Lösung befand sich auf Breschkes Kopf, als er wieder zurückkam. „Mit dem Helm bin ich gesichert – gut, es wird sich keine der Dachschindeln lösen, aber…“ „Woher“, fragte ich hart und klopfte gewaltig Breschke auf den Hut, „woher verdammt haben Sie das Ding!?“ „Das ist von der Stellage, die Sie im letzten Winter noch in den Flur – aber da steht sie ja gar nicht mehr, meine Frau hatte sich beschwert, ich hatte sie abgebaut und dann im Erdgeschoss neben der Speisekammer… Wo wollen Sie denn hin? Wir müssen doch ins Haus!“





Kraftpaket

24 05 2010

„Das müssen Sie uns erklären, Schüler.“ „Es ist der genialste Coup, den man sich vorstellen kann. So etwas hat die Welt noch nicht gesehen.“ „Finde ich nicht.“ „Finde ich auch.“ „Also: auch nicht?“ „Als erstes wüsste ich schon gern, warum sich Hannelore Kraft jetzt als Retterin der SPD aufspielt. Das war doch kein Sieg – das war doch eine Blamage, was wollen Sie eigentlich?“ „Wir pusten Sie alle weg. Erst NRW, dann Berlin. Kraft ist die kommende Frau.“ „Sie meinen, jetzt wo Drohsel sich abmeldet, reicht Nahles nicht mehr für einen Selbstmord?“

„Jetzt mal Ruhe, Genossen! Schüler, erklären Sie uns das Konzept. Was macht Kraft denn jetzt?“ „Sie greift Merkel an.“ „Wie soll das denn bitte funktionieren?“ „Unsinn, das kann ja gar nicht…“ „Bitte, lassen Sie ihn doch ausreden.“ „Dann soll er mal erzählen, mit welchen Waffen!“ „Konsequentes Nichtstun. Aussitzen und die Fehler den anderen überlassen.“ „Das einzige, was die Kanzlerin ohne fremde Hilfe hinkriegt.“ „Auch nicht immer.“ „Aber meistens doch!“ „Und was bringt das? was bringt das konkret der SPD?“ „Rot-Grün, wie es gedacht war.“ „Also Agenda 2020 mit noch mehr Afghanistan?“ „Quatsch, eine Politik der ruhigen Hand, bei der die anderen so viel meckern können, wie sie wollen, weil sie niemand hört.“ „Sie meinen Durchregieren?“ „Nein, nur endlich mal jemand, der nicht gleich das Falsche macht.“ „Nicht nur das, sie hat erst mit der FDP geredet und abgewartet, bis die Pinkwarzen ihrem zukünftigen Ex-Vorsitzenden nachlaufen.“ „Sie wusste doch schon vorher, dass das die FDP nicht auf die Reihe kriegt.“ „Auch das, aber soll sie sich hinstellen und den Westerwelle-Club als notorische Umfaller bezeichnen?“ „Wo ist da der Nachrichtenwert?“ „Eben, deshalb war das auch nicht Teil der Agenda.“ „Sondern?“ „Dass die FDP nicht kann.“ „Sie meinen: nicht will.“ „Nein, nicht kann. Sie sind Steigbügelhalter. Chronische Juniorpartner. Die, die selbst nichts hinkriegen, wenn sie Verantwortung übernehmen sollen. Nicht in Berlin, nicht in Düsseldorf. Sie brauchen einen Chef, der die Arbeit selbst erledigt.“ „Und wo ist da der Pferdefuß für die Liberalen?“ „Dass sie selbst da, wo es um staatsbürgerliche Verantwortung geht, Heuchler sind. Sie wollten mit aller Macht eine Koalition mit den Linken verhindern – und haben alles getan, um das nicht erreichen zu müssen.“

„Und das mit den Linken war dieselbe Tour in Lila?“ „Falsch. Raten Sie mal, warum diese Fragen zur SED-Vergangenheit kamen.“ „Weil ihr nichts einfiel, wie sie ihre Voreingenommenheit noch deutlicher unter Beweis stellen konnte?“ „Weil sie Kontinuität zeigen wollte.“ „Zwischen der DDR und den Linken?“ „Das auch. Die hatten ja mehr aus Wahlkampfgründen Kreide gefressen und fanden hinterher nicht alles schlecht im real existierenden Stalinismus. Aber vor allem natürlich in der eigenen Linie: nicht regierungswillig.“ „Die SPD?“ „Blödsinn! Die Linken natürlich.“ „Das hatte Kraft doch den ganzen Wahlkampf durch…“ „Eben. Deshalb musste sie es auch noch einmal für die Galerie zeigen.“ „Dazu hätte es doch nur das Parteiprogramm der Linken gebraucht.“ „Aber so weiß es jeder. Ypsilanti wird sich nicht wiederholen und die internen Kritiker haben keinen Grund, an Kraft zu zweifeln.“ „Schüler, Sie liegen da völlig falsch, es ist…“ „Das ist noch nicht alles. Sie hat damit gezeigt, was die Linke will.“ „Nämlich?“ „Nicht regieren. Sie wollen nicht regieren. Sie haben sich bewusst in den Landtag wählen lassen, um die Regierungsarbeit zu verweigern. Sie nennen sich Sozialisten, prangern den Neoliberalismus und seine Selbstbedienungsmentalität an, und sie selbst lassen sich alimentieren für eine Aufgabe, die sie ablehnen.“ „Damit sind sie beim nächsten Mal weg vom Fenster.“ „Erraten. Das war Sinn der Sache.“

„Und jetzt? Sie kann doch nicht alle Partner vor die Tür setzen.“ „Warum nicht? Sie macht es wie Merkel“ „Das mit dem Lagerwahlkampf?“ „Das mit den Partnern. Sie spielt sie kaputt. Erst die SPD, jetzt die FDP. Die Grünen sind als nächste dran. Kraft macht es wie Merkel – nur besser.“ „Wieso macht sie es besser? Ist sie effektiver?“ „Sie drückt ihre Gegner nicht an die Wand. Sie stellt ihnen hier und da ein Bein. Auf die Schnauze legt sich dann jeder selbsttätig. Das ist nicht nur eleganter, es spart auch viel Energie. Merkel lernt noch Beten, das kann ich Ihnen flüstern.“

„Trotzdem, wenn sie jetzt der CDU ein Angebot für eine Koalition macht…“ „Macht sie? Nicht, dass ich wüsste.“ „Aber es wird doch Gespräche geben.“ „Das interpretieren Sie möglicherweise so. Sie lässt nur die CDU auflaufen, das ist alles. Die Leute wollen ja einen Politikwechsel, sonst hätten sie Rüttgers nicht rausgeworfen.“ „Weshalb dann die Gespräche?“ „Ich bitte Sie, was haben Sie denn die ganze Zeit mit Ihren Gesprächen? Es gibt keine, es wird nie welche geben. Die Unionisten werden genau eine Chance haben, festzustellen, dass man sich in der Sache nicht einigen kann. Damit gehen sie vor die Presse, und dann ist die Sache gelaufen.“ „Und dann kommt was?“ „Neuwahlen.“ „Wozu?“ „Für Rot-Grün.“ „Und das soll klappen?“ „Die FDP wird in ihrem momentanen Zersetzungsprozess möglicherweise gegen die Sperrklausel brettern, die Linke mit Sicherheit. Es wird überhaupt nur noch eine denkbare Konstellation geben.“ „Das riecht nach einem gewaltigen Aufbruch für 2013.“ „Außerdem gibt das einen genialen Wahlslogan. ‚Wir haben die Kraft.‘ Diesmal stimmt er sogar.“ „Überzeugt, Schüler. Gute Arbeit, sehr gute Arbeit. Dann machen Sie mal einen Termin mit Herrn Rüttgers.“





Pflaumenpfingsten

23 05 2010

für Kurt Tucholsky

Fünf Jahre geht das. Feiner Herr,
der Krause – schreit und säuft und prahlt
und wohnt ansonsten Hochparterre.
Dass der die Miete pünktlich zahlt,
das haben wir noch nie erlebt,
viel eher, dass so dann und wann
der Kuckuck an der Türe klebt.
Das ficht ihn aber auch nicht an,
wenn Du in seinem Schnaps drin liegst –
gib Ruh, mein Herz – dann trinkst’n.
Und er beteuert, dass Du’s kriegst
    an Pflaumenpfingsten.

Der Hasenfuß, gut eingeölt,
er trieft schon überm Oberstübchen.
Er hat gelogen. Soviel zählt.
Doch sei’s drum, das Ministerbübchen
vergibt sich alles, denn er weiß:
der Rest ist noch viel übler dran.
Er bleibt gelassen. Zahlt den Preis.
Wer für ihn fällt, das ist der Mann.
Nur ja nicht: Krieg, das klingt nicht fein!
Da weinen seine Jüngsten!
Herr von und zu, der lässt sich ein
    zu Pflaumenpfingsten.

Jetzt hat sich’s endlich ausgesiegt.
Das kommt davon, wenn man blasiert
sich in die eigne Tasche lügt –
wer fünf Prozent kriegt, ist kuriert.
Das kauft sich bald den eignen Schneid
nur noch auf Pump, und lernt doch nicht,
weil es vor Überheblichkeit
beharrlich von sich selber spricht.
Dass Du die Konsequenzen ziehst
und um die Ecke bringst’n…
Es reicht, wenn man’s genau besieht,
    für Pflaumenpfingsten.

Die Schlacht tobt weiter, Zahl um Zahl
zerbröckelt uns derzeit das Geld.
Vorbei, vertan, versiebt die Wahl –
das letzte, das uns aufrecht hält,
ist ganz bestimmt nicht der Verstand,
der unser Parlament durchweht.
Den hat’s in diesem Vaterland,
wenn überhaupt, nur noch zu spät.
Die Kanzlerin als Leerverkauf?
Das stört nicht im Geringsten,
das hält nicht mal den Laden auf
    bis Pflaumenpfingsten.





Manko

22 05 2010

Die Welt besteht aus Lärm und Krach und Schreien,
die uns ermüden wie ein Lautgestank.
Getöse dröhnt und kreischt und macht uns krank.
’s wär Labsal, und man könnte sich befreien,

von dem, was uns das Trommelfell ermattet.
Man denke, etwas könnte uns erretten,
wenn wir, zum Beispiel, Ohrenlider hätten –
der Mensch ist nicht vollkommen ausgestattet.