Silvana Koch-Mehrin hatte sich durchgesetzt. Mit den Stimmen der Liberalen, der bürgerrechtstreuen Partei des verfassungsorientierten Rechtsstaats, verabschiedete die Regierung das Burka-Verbot. Keine muslimische Frau durfte ab sofort noch in Ganzkörperhülle auf die Straße treten, wenn sie nicht empfindliche Strafe riskieren wollte. Die freiheitlich Gesinnten triumphierten, während die freiheitlich Gesonnenen überlegten, ob man sich noch bedeckt halten dürfe; am Ende würde auch das schon als Straftat gesehen. Die Menschenrechtler waren empört; offenbar hatte der Antiislamismus gerade zum Sprung auf die Leitkultur angesetzt. Verfechter des Vermummungsverbots führten die rasche Wirkkraft derartiger Gesetze ins Feld. So war schon kurz nach dem Minarettverbot so gut wie kein Türmchen mehr in der Schweiz sichtbar.
Führende Islamwissenschaftler kritisierten die Liberalen. Wie der Koran in Sure 33 betone, sei Verschleierung kein Mittel zur Unterdrückung der Frauen, sondern im Gegenteil ein wirksamer Schutz gegen ihre Belästigung. International renommierte Religionssoziologen, voran Franz Josef Wagner, stimmten zu. Vor Belästigung durch verschleierte Frauen müsse man eben wirksam schützen. Nicht auszudenken, wenn etwa BILD hinfort in undurchsichtiges Gewirk gehüllte Damen zeigen müsse. Dies vergewaltige ja die Pressefreiheit.
Bald meldeten sich erste Verfassungsrechtler zu Wort und monierten die handwerklich schlechte Fertigung des Gesetzes. Bei einer Verordnung, die die Ex-Kolumnistin der Intellektuellenpostille praline durch ihre Mitarbeit zu verantworten habe, dürfe man wohl eine juristisch bessere Schöpfung erwarten. Die FDP-Fraktion reagierte prompt. Im Zusammenhang mit Koch-Mehrin von Arbeit zu sprechen sei eine dreiste Unterstellung und durch nichts zu rechtfertigen. Dennoch ließen die Kritiker nicht locker. Trotz des Gesetzes würden in Deutschland die Frauenrechte weiterhin missachtet, nicht nur durch häusliche Gewalt oder Zwangsprostitution. In einer Erklärung des DGB, aus dem sich nach und nach mehrere Parteien und Verbände wieder verabschiedeten, prangerten die Arbeitnehmervertreter an, dass das Gesetz nur gegen Unschuldige gerichtet sei. Der rechte Flügel der CDU widersprach heftig; das Gesetz sei keineswegs nur gegen Unschuldige gerichtet, es helfe auch, Opfer zu kriminalisieren. Zudem stehe es im Rechtsstaat selbstverständlich jeder unterdrückten Frau frei, sich gegen solche Behandlung zur Wehr zu setzen, etwa durch Organisieren von Massendemonstrationen.
Als amtierender Chef der FDP äußerte Guido Westerwelle, man werde islamistischem Terror und anderen sozialistischen Bedrohungen in Nordrhein-Westfalen mit Steuersenkungen begegnen.
Ein unschöner Zwischenfall geschah auf dem Wochenmarkt in einer Kleinstadt nahe Stuttgart. Als die Hausfrau Swetlana Bernštejner plötzlich von fremder Hand berührt wurde, setzte sie sich mit ihrem Weidenkorb sowie einem Stockschirm zur Wehr. „Äch wärd Dir jeben mich anpacken, Jungchen“, brüllte die Russendeutsche, die lange Jahre in der Jungbullenaufzuchtstation Sieg des Kommunismus von Werchnjaja Pyschma in der Oblast Swerdlowsk Zuchtstiere gehandhabt und jeden Arbeitstag mit dem schwungvollen Lied Mütterchen Russland, für Dich ziehen wir den Faschisten die Zunge zum Arsch raus begonnen hatte. Einen der Polizisten, die ihr das Kopftuch zu entreißen suchten, drosch sie gleich an Ort und Stelle bewusstlos, die anderen dreizehn stießen sie mit knapper Mühe in einen Transporter. „Äch hab jedacht, der Herr Offizier mecht mir unsittlich“, gab die resolute Frau zu Protokoll.
Anlässlich einer Ausstellungseröffnung ließ es sich Koch-Mehrin nicht nehmen, mit dem aus Paris angereisten Karl Lagerfeld auf einem Foto posieren zu wollen. „Wer Frauen verhüllt“, so die Brüsseler Spitze, „nimmt ihnen Gesicht und Persönlichkeit.“ Der Couturier lehnte ab. Naserümpfend sagte er, man sollte die Ausschuss-Politikerin zwangsweise in eine Burka stopfen.
Schlimm wurde es, als Leyla a’Nyeyembe noch auf dem Flughafen München von unerbittlichen Schutzleuten abgeführt werden musste. Kein Flehen half ihr, kein Weinen. Der Gesetzestext ließ keinen Spielraum zu: Frauen, die bodenlange Gewänder trügen auf Gebot von Organisationen, die unter dem Deckmantel der Religionsausübung die Demokratie mit gezielten Menschenrechtsverstöße zu schädigen und durch ein Terrorregime zu ersetzen versuchten, seien streng zu bestrafen. Gewalt, Drohungen, Machtmissbrauch oder Befehlsgewalt dürften keine Druckmittel gegen Frauen sein. Es ging nicht anders. Schwester Scholastika, die gekommen war, um ein Benediktinerinnenkloster in Kenia aufzubauen, landete in Schleier-Haft.
Die Deutsche Bischofskonferenz legte sofort vehementen Protest ein. Die Union tobte. Koch-Mehrin legte nach. „Die vollständige Verhüllung von Frauen ist ein aufdringliches Bekenntnis zu Werten, die wir in Europa nicht teilen“, erklärte sie. Damit das Gesetz zügig in der Zivilgesellschaft ankomme, solle das Vermummungsverbot auf den Karneval ausgedehnt werden. Sogar Innenminister de Maizière blieb skeptisch.
Jetzt schlug das Bundesverfassungsgericht zu. Das Gesetz nur auf Frauen anzuwenden sei ein Verstoß gegen das Grundgesetz. Es war nur folgerichtig, dass zwei Sicherheitsbeamte den Heiligen Vater, der gerade im Begriff war, das Rollfeld zu küssen, mit einer Elektroschockpistole niederstreckten. BILD verkniff sich, die Fotos vom hüllenlosen Pontifex zu veröffentlichen. Man müsse, sagten manche, auch nicht jeder Idee aus Brüssel folgen.
Und dann kamen die Landtagswahlen.
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