Der heilige Schein

5 05 2010

„Das finde ich jetzt aber schon ein gutes Angebot. Wenn Sie bedenken, dass Sie fast zehn Sekunden lang eine faire Chance haben, das Grabtuch zu sehen, dann sind fünfzehnhundert Euro gar nicht so viel Geld. Und Sie wissen, dass wir inzwischen zu den Bedürftigen gehören, wir sind quasi verarmt. Wenn das alles so weitergeht, müssen wir den Petersdom vermieten. So ein Vatikan ist teuer, das glauben Sie ja gar nicht – was meinen Sie, was da so an Kosten zusammenkommt!

Natürlich die Schmerzensgeldzahlungen, aber das Leben ist auch so schon kostspielig geworden. Sie machen sich keine Vorstellung. Vor fünfzehn Jahren, da haben Sie einen Richter oder einen Staatsanwalt noch für vierzigtausend Mark gekriegt und einen Minister für eine halbe Million. Höchstens. Aber schauen Sie sich heute einmal die Preise an. Inflationär, sage ich Ihnen. Unmoralisch. Aus allem will dieses Pack Kapital schlagen.

Ach, hören Sie bloß auf – Schneeberger Kropp Lützebleich hat dann die Corporate Communication Germany übernommen. Wenn ich’s Ihnen doch sage! Ja. Die haben uns natürlich erst einmal eine neue Strategie für das Personality Management in die Agenda gepackt, also Firmung als crazy Event und Themen-Taufe und individuelle Funeral Party, und was machen diese Deppen? Erstkommunion mit Mixa als Stargast, ich bitte Sie! Die Eltern, wenn die das erfahren, die treten doch gleich mit aus der Kirche aus! Katastrophal! Jetzt sind wir mit der Diözese zu Schnittbrodt & Söhne gegangen, die sind zwar Protestanten, aber darauf kommt’s mittlerweile auch nicht mehr an.

Mal ernsthaft, es ist doch mit Olympia dasselbe. Oder mit der Fußball-WM. Da geht’s doch auch nicht mehr um den Sport, oder? Sehen Sie, und da muss die Kirche sich ruhig mal an der Wirklichkeit orientieren. Wenn schon nicht in den anderen Dingen, hier kann man es ja mal probieren. Ja, wir lassen uns da ganz gerne sponsern. Jetzt lassen wir uns gerade einen umweltfreundlichen Kleinwagen zum Papamobil umbauen. Gut, oder? Und dass wir jetzt das Original-Papst-Shirt mit Schirmmütze und Halstuch im Set anbieten, das ist doch auch gleich ganz jugendlich, nicht wahr? Da machen Sie sich mal keine Sorgen wegen der Produktionskosten, in Bangladesch sind die Leute doch froh, wenn sie für einen Euro am Tag arbeiten können.

Wir können gewisse Dinge nicht mehr mit unserem favorisierten Branding auf den Markt bringen. Markenüberdehnung, verstehen Sie? Das ist wie alle zwei Wochen Weihnachten. Nach dem dritten Mal hinge Ihnen das zum Hals raus. Aber kreuzweise. Da haben wir das Benedikt-Brot und den Benedikt-Klingelton und jetzt diese T-Shirts, von denen ich Ihnen erzählt hatte – die kriegen Sie übrigens nur im Devotion-Wear-Point, verstehen Sie? Aber jetzt den Immobilienfonds und das neue Herztonikum und die Rheumadecken, das kriegen wir nicht mehr in die Marke integriert. Der Papst ist nicht groß genug für seine eigene Markenwelt, das ist das Problem. Es ist ein Kreuz, ja.

Also ja, in gewisser Weise haben Sie Recht: der Schein heiligt die Mittel. Unsereins muss ja auch sehen, dass er seinen Grundbesitz nicht ohne guten Gewinn verwaltet. Man tut’s nicht für Gotteslohn.

Das Herztonikum, das geben wir dem Meisner in den Marketing-Mix. Nutzenversprechen? Naja, eigentlich ist das Zeug ja unnütz. Aber vielleicht passt es deshalb so gut zum Meisner?

Man kann das mit den Souvenirs natürlich auch übertreiben, ja. Dieser Piranesi-Bildband, da hätte man den Mixa sicher nicht als Werbefigur nehmen müssen, das war schon grenzwertig. Aber dass sie den Williamson im Campingbedarf mit Gasflaschen – nein, ich will das gar nicht mehr kommentieren, das geht mir einfach zu weit!

Kaffeefahrten? Um Gottes Willen, da werden wir nicht einmal unsere Mutter-Maria-Heizdecken los. Das können Sie aber völlig in die Tonne treten. Nein, das müssen Sie als touristisches Angebot ins Auge fassen, vierzehn Tage Club-Urlaub an der Adriaküste, Frühmesse, Angelus, Abendmahls-Büfett, all inclusive, Animationsprogramm macht Opus Dei, nach zwei Wochen haben wir die alle derart weich in der Birne, dass die Rentner uns ihr Vermögen an Ort und Stelle überschreiben. Das nenne ich Marktpenetration. Davon können diese Anfänger von Scientology nur träumen.

Klar, Lourdes haben wir noch im Programm. So als Healing-Festival. Wir hatten da evangelikale Schützenhilfe, ist jetzt sehr charismatisch. Ja, die Organisation ist jetzt auch straff, leichte Trübungen der Dogmatik ließen sich bedauerlicherweise nicht vermeiden, will sagen: wenn Sie am vorletzten Tag nicht geheilt sind, fliegen Sie raus, damit die Stimmung bei den anderen nicht in den Arsch geht. Chronisch Kranke und Miesmacher brauchen wir nicht. Außerdem versaut uns das die Bilanz.

Warten Sie mal, bis die Saint Outlets in Betrieb sind. Ja, Reliquien. Was meinen Sie, warum der Polenpapst wie blöde heiliggesprochen hat – die sind jetzt alle gut durch, werden ausgebuddelt, hier mal ein Zahn, da mal eine Kniescheibe, das gibt Kohle! Und wenn Sie da fünfhundert Finger von der Heidi von Dingenskirchen verscheuern, denken Sie, dass das einer merkt? Na?

Und dann kann immer noch das Finanzamt kommen. Wir haben die Finanzministerien zwar schon ganz gut im Griff, aber Gott, man ist ja nicht überall. Krise? Das halte ich für übertrieben. Wenn es wirklich haarig wird, haben wir noch ein Eisen im Feuer. Und ich bin der Meinung, diesmal kriegen wir das mit den Ablassbriefen besser hin.“