Die Bilder schockierten die Öffentlichkeit, aber sie überraschten keinen. Eben gerade noch hatte Josef Ackermann in die Kameraattrappen gegrinst und seiner Freundin Angela im Portal des Kanzleramts zugewunken, da schnappten die Handschellen zu. Wie aus dem Boden gewachsen stand die GSG 9 vor dem Bänker und warf ihn nieder. Der Helikopter wartete bereits. Sie brachten ihn in die deutsche Version von Guantanamo, irgendwo in den leeren, verblühten Landschaften zwischen Usedom und dem Riesengebirge. Einer der spektakulärsten Terroristenprozesse der Nachkriegsgeschichte nahm seinen Lauf.
Das Sondergericht hielt sich streng an § 129a StGB; der im Zuge der internationalen Krise auch von der Regierungschefin so bezeichnete Notstand jedoch machte ein Gericht für ein besonderes Sachgebiet erforderlich. Ausländische Beobachter sprachen von einem Standgericht, und nicht wenige hatten einen zufriedenen Unterton. Die Spekulanten hatten zum Schluss die Regierungen verhöhnt und ihnen erklärt, sich jede beliebige Summe liefern lassen zu können, wenn es ihnen gefiele. Schon nach dem ersten Rettungsschirm hatte Ackermann die von ihm selbst beauftragte Maßnahme als nicht statthaft bezeichnet; er müsse sich schämen, derlei überhaupt anzunehmen. Dies hatte die Spekulanten nur noch mehr befeuert, gegen den Euro zu wetten. Jetzt, sagte die Regierung, sei das Maß voll.
Die Verteidigung befand sich von vornherein in der Klemme. Zwar warf man der Kammer eine falsche Sichtweise vor – FDP-Chef Westerwelle, außen Minister, daneben Hotel-Page und Flug-Begleiter, coachte persönlich die Anwälte – und legte großen Wert darauf, dass die Wirtschaftsführer alles für die Befreiung der Finanzmärkte eingesetzt hätten. Der Vorsitzende winkte entschieden ab. So gut wie jeder Terrorist hätte bisher versucht, sich als Freiheitskämpfer aufzuspielen. Die Neoliberalen gaben sich empört; nicht zuletzt der hohe Grad an Kommerzialisierung sei es, der die organisierte Kriminalität zu Leistungsträgern mache. Leistung müsse sich wieder lohnen – und die Bankvorstände hatten sich eine Menge geleistet.
Wie nicht anders zu erwarten war es Klaus Zumwinkel, der den Richtern einen Deal vorschlug. Gegen Zahlung einer steuerlich absetzbaren Spende im hohen einstelligen Millionenbereich sollten die Angeklagten entweder freigesprochen werden oder die Möglichkeit erhalten, sich ein Urteil im Strafrahmen ähnlicher Tatbestände auszusuchen. Ihm schwebte etwa vor, die Banken als kriminelle Vereinigungen anzuerkennen, steuerrechtliche Benachteiligungen wohlbemerkt ausgeschlossen, und die Vollstreckung der Urteile aufzuheben, bis die Sache verjährt sei. Das Bundesjustizministerium widersprach schon dahingehend, dass nicht nur die Schwere der Straftaten entscheidend sei, sondern ihre Zielsetzung. Eine Ideologie ließe sich bei den Tätern nicht verleugnen, mit der der nachhaltig geführte Kampf mit Hilfe von Anschlägen auf Leib, Leben und Eigentum anderer Menschen vorbereitet, durchgeführt und zur Verdeckung, Ermöglichung oder Vorbereitung anderer Straftaten ausgeführt würde. Durch die Art ihrer Begehung und ihre Auswirkungen auf Staaten und internationale Organisationen hätte er eine erheblich schädigende Wirkung. Von einer Straffreiheit zu reden, als wäre das internationale Finanzsystem die Briefpost, sei eine Verharmlosung. Der beleidigte Ex-Post-Mann zog sich zurück. Sein Sprecher ließ verlauten, er sei von der Bundesrepublik derart enttäuscht, dass er sich hier nie wieder verurteilen lassen wolle.
Die Medien griffen nur selten ein. Hatte der Boulevard noch zuletzt in balkengroßen Lettern Kanzlerin, mach doch endlich etwas! gefordert, so war ihnen doch unheimlich zumute, dass diesmal tatsächlich etwas geschah. Damit hatte wirklich keiner gerechnet. Es ging seinen Gang.
Im Hintergrund beschäftigte sich eine kleine juristische Elite mit der Frage, ob es nicht eine unzulässige Auswirkung des Feindstrafrechts sei, Georg Funke oder Hilmar Kopper wie Outlaws zu behandeln. Die Mehrheit der Rechtsgelehrten wies jedoch darauf hin, dass sie sich selbst gegen die Gesellschaft gestellt hätten; zudem seien die Zwangsmaßnahmen, die sich der Staat gegenüber seinen erklärten Feinden auferlege, nicht mehr zu rechtfertigen. Nicht einmal über Gebühr Aufsehen erregte daher der dritte Verhandlungstag, als der Angeklagte Nonnenmacher nonchalant das Gericht wissen ließ, er würde das ganze Personal, wenn dies hier einmal vorbei sei, abservieren. Lebenslang mit anschließender Sicherheitsverwahrung nehme er jedenfalls nicht an. Der Vorsitzende besann sich. Das Gericht erkannte auf das Handbeil.
Das Volk, ansonsten eher regierungskritisch, nahm die Entwicklung mit Freude auf. Innerhalb weniger Tage beteiligten sich Hunderttausende und zeichneten eine Petition an das Sicherheitsamt – vormals als Bundesministerium des Innern bekannt – diverse Verbrechensbekämpfungsinstrumente wie Vorratsdatenspeicherung, SWIFT-Abkommen und die Anti-Terror-Datei schnellstens wieder in Kraft zu setzen, auszubauen und zu vernetzen. Wolfgang Schäuble wurde für den Friedensnobelpreis nominiert, da er der Änderung der Beratungspflicht der Banken zugestimmt hatte. Merkel kündigte an, nach dem Einklappen der Rettungsschirme sofort je 450 Milliarden Euro in Bildung, Sozialetat und den deutschen Fußballsport zu investieren. Westerwelle widersetzte sich dem Abbau der Einkommensteuer, wurde aber kaum noch gehört. Vom wem auch.
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